MESOP : NECLA KELEK HOCHSYMPATHISCH ! / Flüchtlingskrise – “Merkel muss darüber nachdenken, was sie uns zumutet”

DIE WELT 13 Feb 2016 – Die Islamkritikerin Necla Kelek und ihr Sohn Julian wollen, dass Deutschland bleibt, wie es ist. Die Bundeskanzlerin kritisieren sie dafür, dass sie “einfach die Tür aufgemacht” hat. Von Andrea Seibel

Die Welt: In Deutschland kann man derzeit über kein anderes Thema als über die Flüchtlinge reden. Ist das typisch deutsch?

Necla Kelek: Dann bin ich auch schon sehr deutsch. Bei uns gibt es kein anderes Thema. Das ist eben mein Lebensthema, alles was mit Migration und Integration zu tun hat. Die Welt: Was bewegt Sie dieser Tage am meisten?

Julian Kelek: Meine eigene Zukunft.

Wie wird alles für mich und meine Kinder werden? Wird unser Leben, unser Wohlstand bedroht sein? Könnte es sein, dass meine Nachkommen eine Welt erleben werden, die nicht schöner als meine ist, sondern schlimmer? Die Welt, in der ich groß geworden bin, empfinde ich jedenfalls als sehr, sehr schön.

Die Welt: Ich erlebe besonders unter jüngeren Leuten, dass sie die Lage weitaus gelassener und positiver als wir älteren beurteilen. Haben Sie denn Angst?

Sohn: Ja, ich spüre, dass die Dinge sich sehr ändern werden. Von klein auf war ich ja in die Integrationsproblematik involviert. Am Küchentisch hat man über kaum etwas anderes gesprochen. Diese Lektion habe ich quasi von der Pike auf gelernt: Integration funktioniert nicht von selbst und hat schon einmal nicht funktioniert. Ich teile aber Ihre Beobachtungen. Viele meiner Freunde sind da sehr gelassen, sie engagieren sich auch. Sie freuen sich geradezu. Ich bin da eher skeptisch.

Die Welt: Hatten Sie nach all den Jahren der Debatten und auch Kontroversen in den letzten Jahren das Gefühl, die Probleme mit Migranten würden klarer erkannt und das sei auch Ihr Verdienst?

 

Mutter: Ich habe schon das Gefühl, durch die Intensität der Debatte der letzten zehn Jahre, auch durch die Bücher, die ich und andere Frauen geschrieben haben, wurde klar, wieso besonders die muslimischen Migranten größere Probleme damit haben, in einer freien Welt wie der unseren zu leben, anzukommen, einen eigenen Platz zu finden. Das haben wir thematisiert, und viele sind sensibler geworden. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass in Deutschland tatsächlich Integrationspolitik betrieben wird. Die Politik jedenfalls bezieht uns Kritikerinnen nicht in ihre Gedanken ein. Immer noch regiert der Multikulturalismus. Er ist so hartnäckig!

 

Die Welt: In gewisser Weise herrschte doch nach

Thilo Sarrazin(Link: http://www.welt.de/themen/thilo-sarrazin/) , der im Nachhinein wie ein Vorbote von Pegida und AfD erscheint, Funkstille. Einige sind überzeugt, er habe die Debatte vergiftet.

 

Mutter: Wir waren konstruktiv mit Bildungsvorschlägen und Impulsen für die Politik und die Sozialwissenschaft, damit sie mit anderen Fragestellungen an die Migration herangehen. Aber Sarrazin hat die Debatte derartig zugespitzt und versucht, mit biologistischen Erklärungen Ängste zu schüren. Und so haben die, die allemal die Debatte nicht wollten, die Schotten dicht gemacht.

Die Welt: Wie kommt es, dass Frauen wie Sie, Seyran Ates (Link: http://www.welt.de/themen/seyran-ates/)oder Güner Balci als islamophob und hetzerisch bezeichnet werden? Ja, dass man ausgerechnet Ihnen vorgeworfen hat, Ängste vor dem Islam zu schüren? Sie sind doch ein solch temperamentvoller, lebensbejahender und humorvoller Mensch.

Mutter: Das hat damit zu tun, dass ich mich dem Konsens verweigerte, besonders der muslimischstämmigen Vertreter, nicht über Integration zu reden. Die letzten 20 Jahre waren ja wissenschaftlich geprägt von einer unglaublichen Heroisierung und Romantisierung von Diversität und Multikulturalität. Jede Ethnie, die hier ihre eigene Kultur lebe, wäre eine Bereicherung, lautete das Mantra. Und bitte nicht kritisieren. Wenn dann jemand sagt, das ist aber nicht bereichernd, bei den Muslimen gibt es Menschenrechtsverletzungen, dann gilt er als Störenfried. Was die Rechte der Frauen betrifft, welche Bringschuld die Eltern haben, damit ihre Kinder erfolgreich in der Schule sind. Das ist immer noch nicht Konsens. Aber es stimmt, viele sind zumindest sensibilisiert worden.

Die Welt: Dazu gehören ja immer zwei, einmal die Mehrheitsgesellschaft und dann die Migranten selbst.

Mutter: Die muslimischen Migranten besonders haben große Schwierigkeiten, sich mit der eigenen Religion auseinanderzusetzen. Kritik am Islam ist weltweit tabuisiert. Wer das als Muslim dennoch wagt, der ist draußen. Auf der ganzen Welt. Der Islam tobt als Diktatur, er entwickelt sich nicht weiter, im Gegenteil, er fällt ins 7. Jahrhundert zurück. Da ist es unsere Bürgerpflicht, ja Menschenpflicht, sich mit den Irrungen des Islam auseinanderzusetzen.

Die Welt: Wie hat der Sohn das erlebt? Ist man da immer loyal oder manchmal auch genervt von den Projekten der Mutter?

Sohn: Nun ja, es hat vor allem meinen Geist geschult. Ich habe sehr früh gelernt, mich zu streiten und meine Meinung zu vertreten. Die Haltung meiner Mutter ist für mich nachvollziehbar. Schon in der fünften Klasse im Ethikunterricht in Hamburg fing ich dann an, Fragen zu stellen. Der Islam wurde darin als ultrafriedliche und superkonstruktive Religion präsentiert. Das passte nicht zu dem Bild, das ich schon als kleiner Junge mitbekommen habe.

Die Welt: Sie waren nicht in einer gemischten Schule wie in Neukölln, nehme ich an?

Sohn: In Hamburg gab es auf den Schulen wenige türkische oder muslimische Mitschüler. Später auf dem Gymnasium eigentlich auch fast keine. Ich habe kaum türkischstämmige Freunde. Es ist keine Absicht, es hat sich einfach so ergeben. Das merke ich jetzt sogar an der Uni. Es ist eine spürbare Wand. Ich bin stolzer Feminist und sehe das auch als die einzige Möglichkeit, dass unsere Gesellschaften weiterkommen. Merkwürdig: Bei den meisten stört mich schlechtes Benehmen, Lautstärke, mangelhafte Grammatik und die Haltung gegenüber Frauen, die extrem chauvinistisch ist. Viele gehen schon in jungen Jahren ins Bordell und brüsten sich damit. Ich verstehe nicht, warum es kulturell keine größeren Berührungen gibt. Das ist traurig.

Die Welt: Die feministische Kritik am vormodernen politischen Islam ist hierzulande nicht so recht vorangekommen. Auch eine Alice Schwarzer hat sich da die Zähne ausgebissen. Warum?

Mutter: Die Muslime sind eine ziemlich geschlossene homogene Gruppe. In Deutschland gibt es Islamversteher, Islamvertreter und Islamwächter. Unter Islamwächtern verstehe ich jene Verbände, die die klassische Form muslimischen Lebens politisch einfordern. Fest gesattelt mit ihrer Religion sind sie gekommen und kontrollieren die Reformer. Die Islamversteher sind deutsch, idealistisch und von universitären Konstrukten beeinflusst. Wir finden eine Islam- und Orientwissenschaft, die nicht auf Reformen setzt, sondern auf Verstehen und Nachvollziehen. Wir haben so viele andere ethnische Gruppen, die ihre eigene Kultur leben, aber keine maximalistischen Ansprüche erheben. Ich habe oft das Gefühl, dass ich nicht viel anders behandelt werde wie in der Türkei. Auch in Deutschland gibt es, was den Islam betrifft, zu viele Tabus.

Die Welt: Wie haben Sie Ihr Kind zu erziehen versucht? Haben Sie Ihren Sohn zum Feministen gemacht?

Mutter: Meine erste Entscheidung war, dass ich keinen muslimischen Macho heiraten wollte. Das wusste ich schon mit fünf, sechs Jahren – ungelogen. In Istanbul hatten wir ein offenes Haus und einmal einen Amerikaner zu Besuch. Ich fand ihn so toll, weil so anders. Er war legerer angezogen und kam mit einem Blumenstrauß. Und da sagte ich mir: “Ich möchte einen Mann, der mir Blumen schenkt.” Mit meiner Mutter las ich viele Fotoromane. Das waren italienische Storys mit schönen Männern, keine Machos. In dieser romantischen Welt wollte ich leben. In den türkischen Romanen gab es fast nur Schmerz, Verzicht, Angst. Und so kam es, dass ich immer nur mit deutschen Männern zusammen gewesen bin. Aber auch unter denen suchte ich mir einen sensiblen Mann. So ist mein Sohn mit Männern groß geworden, die für ihn Vorbilder sind. Wir haben uns die Wochenarbeitszeit geteilt, der Vater und auch später der Ziehvater machten auch viel im Haushalt.

Die Welt: Und nun haben wir eine neue Zeitrechnung begonnen: Hunderttausende von Flüchtlingen. Unaufgefordert, ungeordnet, unerwartet und ungeplant. Was haben Sie gedacht?

Mutter: Ich hänge an meinem Leben hier. Es ist paradiesisch, ich empfinde das als Glück, mit allem, was dazugehört – Bildung, Kultur, Sicherheit und eine Frauenbewegung, von der ich nur lernen konnte. Ich weiß nicht, ob die Welt je in einem besseren Zustand als diesem war, der breite Teil der Gesellschaft kann daran teilhaben. Ich hoffe nur, dass die Neuankömmlinge das auch schätzen werden. Es müssen andere ihnen diesen Weg zeigen, denn von selbst können sie ihn wahrscheinlich nicht gehen.

Die Welt: Was war Köln für Sie?

Mutter: Ich hatte ja auch vorher darüber nachgedacht, wie man eine so große Gruppe, an die 600.000 junge Männer, bewältigen will. Da kommen ja nicht nur Familien, die der Krieg vertrieben hatte, sondern im wahrsten Sinne des Wortes ist eine Armee gekommen. Ob man den Männlichkeitskult dieser Männer mit Integrationskursen beheben kann?

Die Welt: Ist es nicht so, dass die neuen Herausforderungen die frühere öffentliche Debatte fast lächerlich erscheinen lassen? Da stritten wir über Kopftücher, Schwimmbäder oder den Islamrat.

Mutter: Das finde ich überhaupt nicht. Alle behaupten jetzt, die Grünen, die SPD, die frühere Integration sei gelungen. Das ist doch falsch. Diese Relativierung ohne Ende, die keine Fragen über Parallelwelten zulässt! Ich bin empört. Das Machotum und die Gewalt an unseren Schulen wird weiter tabuisiert, die Jungs sind im Bildungssystem Verlierer, die Mädchen werden dann doch unter dem Druck der Familie verheiratet. Wenn das gelungen sein soll, dann gute Nacht, was die Neuen anbelangt.

Die Welt: Sie haben auf die Frage, was für Sie deutsch sei, jüngst relativ akademisch reagiert. Es sei die Zuverlässigkeit, die Gründlichkeit, mit der sie die Dinge behandelten und damit verstetigen wollten. Was sagt der Sohn?

Sohn: (denkt lange nach). Für mich ist deutsch der Moment, wo ich sagen kann: “Ich denke anders”, und es dann dabei bleiben kann. Oder der Moment, wo mein Gegenüber oder ich selber sage: “Ja, stimmt, du hast recht, ich lag falsch.” Einsicht zeigen, zu argumentieren. Sich produktiv streiten können, das ist die Quintessenz. Auch wenn man emotional argumentiert, nicht unvernünftig zu werden und keine unnötigen Angriffe daraus abzuleiten. Das ist deutsch für mich.

Die Welt: Aber das Gegenteil erlebt ja Ihre Mutter ständig! Man streitet sich im gesinnungsethisch geprägten Deutschland manchmal bis aufs Blut.

Mutter: Diese Hegemonie ist mir immer noch lieber und sie ist konstruktiver als ein Leben ohne Streitkultur, muss ich sagen! Ja, wir islamkritischen Geister sind in Deutschland eine Minderheit. Aber immer noch eine, die gehört wird. Ich kann mich nicht beklagen.

Die Welt: Die Frage nach Integration wiegt zentnerschwer. Es ist nicht nur die Sprache, es ist der ganze Handwerkskasten des modernen, demokratisch geläuterten Bürgers des Westens: Rechtsstaat, Gleichheit der Geschlechter, Anerkennung von Minderheiten. Dafür haben wir Hunderte von Jahren gebraucht. Können wir dann diese Instantadaption von Flüchtlingen verlangen?

Mutter: Dieses Europa hat eine klare Wertvorstellung, dass der Mensch ein Individuum ist und durchaus mit Erkenntnissen glauben kann und soll. Von Shakespeare bis zur Frage von Schuld und Gewissen …

Die Welt: Wenn man als verzweifelter, ungebildeter Mensch kommt, wie soll man das “lernen”?

Mutter: In islamischen Ländern wird die Untertänigkeit geprägt. Das ist eine gravierend fremde Kultur, die kollektiv agiert: mit dem islamischen Weltbild, das auch die Familie definiert, das die Kinder auf Gehorsam eicht so wie die Frau. Diese andere Kultur ist doch seit Jahrhunderten am Werk und Identität für Muslime. Kann das Europa schaffen? Auch wenn die Muslime in Europa in der Minderheit sind, weltweit gibt es 1,6 Milliarden Muslime. Das ist der Hintergrund, das ist die Kraft. Die meisten geflüchteten Muslime suchen Schutz, Sicherheit und Versorgung in Deutschland. Sie kommen als Flüchtlinge und nicht als Einwanderer, die bewusst ein säkulares Land ausgesucht hätten und bereit wären, ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen und diese Rechte auch ihren Frauen zu gewähren. Diese Kämpfe führen wir doch schon länger!

Die Welt: Mit der Ankunft der “Araber” erscheinen die früheren türkischen Migranten uns näher. Jahrelang haben wir mit ihnen gerungen und nun empfinden sie sich uns auch verbundener, weil die Neuen Konkurrenten für sie sind.

Mutter: Ich empfinde das nicht so. Im Gegenteil: Die Islamverbände freuen sich, dass sie noch mehr Zulauf bekommen. Sie werden ihren politischen Islam noch besser durchsetzen, weil sie sich anmaßen, im Namen aller Muslime zu reden. Irgendwann werden sie uns auch drohen. Das machen ja junge Männergruppen schon heute gegenüber der Polizei. Bürgerliche Türkischstämmige halten sich wie immer zurück. Sie fühlen sich mit der offenen Debatte über den Islam nicht wohl. Auch unsere “Integrationsbeauftragte” freut sich über die vielen Muslime. Sie hat selber zwei gefährliche islamistische Brüder, von denen sie sich noch nie distanziert hat und es gibt auch kein kritisches Wort zum politischen Islam. Sie und die meisten Ämter tragenden Türken machen Islampolitik. Auch die Parlamentarier. Das sind Islamversteher, die nicht für Integration, sondern für Multikulti stehen.

Die Welt: Sie haben gesagt, der deutschtürkische Polizist, der sich eine Importbraut aus der Türkei kommen ließe, sei nicht integriert. Obwohl er Steuern zahlt und seine Kinder in die Schule schickt? Wollen wir den totalen Überwachungsstaat?

Mutter: Das ist ein Problem. Der Mann will der Familie sein Diktat aufdrücken. Dass er sich eine Frau kauft, ist für mich eine Straftat, eine eindeutige Menschenrechtsverletzung. In Europa agieren Männer und Frauen auf freiwilliger Basis, das ist unsere Welt. Man verliebt sich, ist zusammen, trennt sich vielleicht auch wieder. Aber doch auf Augenhöhe.

Die Welt: Wen bedauern Sie am meisten, Merkel, die Flüchtlinge oder die Deutschen?

Mutter: Ich bedauere die Kanzlerin nicht. Ich hoffe sehr, dass sie ernsthaft über ihre Flüchtlingspolitik nachdenkt und was sie uns zugemutet hat. Das Land ist nicht ihr Eigentum. Sie trägt Verantwortung für 80 Millionen. Da kann man nicht einfach die Tür aufmachen.

Sohn: Die Kanzlerin wollte sicher etwas Gutes tun. Aber sie scheint mir auch noch nicht so häufig in Neukölln unterwegs gewesen zu sein.

Die Welt: Man kann ja nur aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, wenn man sie als solche erkannt hat.

Mutter: Ich habe als Mutter versucht, Julian zu vermitteln, dass wir Deutschland lieben. Wenn man gerne in einem Land lebt, dann möchte man, dass es verteidigt wird und erhalten bleibt. Deutschland hat beispielhaft an sich gearbeitet, gerade nach dem Krieg – alles aufgebaut, Selbstkritik geübt, ein friedliches Miteinander gelernt. Ich kann nur hoffen, dass wir weiter für uns und für die Zukunft unserer Kinder verantwortlich damit umgehen.