56 official Meetings with Öcalan / March 2010 until Nov 2011

DIE DREI  PHASEN IN DER LÖSUNG DES KURDENKONFLIKTS

Demokratisches Türkeiforum 8.4.2013 – Seit dem im Februar 2013 Abgeordnete der Partei Partei für Frieden und Demokratie (BDP) den auf der Insel İmralı inhaftierten Führer der PKK, Abdullah Öcalan besuchten und einen Brief mit Vorschlägen zur Lösung der Kurdenfrage mitbrachten, wird nicht nur in den türkischen Medien erwartungsvoll von einer neuen Phase im Friedensprozess gesprochen. Dies hat Irfan Aktan zum Anlass genommen, um am 6. März 2013 einen Artikel bei Bianet (1)zu verfassen.  Dieser Report ist teilweise eine  Wiedergabe seiner Thesen.

Vorgeschichte

Ab Juli 2012 hatte die PKK vor allem im Gebiet von Şemdinli-Dağlıca-Çukurca bis hin zu Beytüşşebap in einer bis dahin unbekannten Härte den bewaffneten Kampf intensiviert hatte und auch in Dersim (Tunceli) und Umgebung zu ähnliche Mitteln gegriffen. Die Regierung hatte aber keine Schritte in Richtung auf die Lösung der Kurdenfrage unternommen, sondern die Operationen gegen die Union der Gemeinschaften Kurdistan (KCK) verstärkt und Schritte eingeleitet, um die Immunität der Abgeordneten der BDP aufzuheben, die sich mit PKK Militanten getroffen hatten. Die Intensivierung der bewaffneten Aktionen der PKK hatte drei Gründe:

• Die Isolation von Abdullah Öcalan, der er seit Juli 2011 ausgesetzt war (kein Anwaltsbesuch seit der Zeit)

• Die Möglichkeit, dass die Türkei bei möglichen Autonomiebestrebungen der Kurden in Syrien eingreifen könnte.

• Die mit gleicher Intensität und Geschwindigkeit andauernden Operationen gegen KCK

Bei der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) war unklar, ob sie eine Öffnung oder eine Schließung der Kurdenfrage anstrebte. Um die Risiken zu verstehen, die mit dem neue Prozess verbunden sind, ist es wichtig, sich die Ereignisse seit 2009 anzuschauen.

Kommunalwahlen 2009

Bei den Kommunalwahlen im Jahre 2009 eroberte die BDP 99 Stadtverwaltungen (stellte den Bürgermeister).

Die Operationen gegen die KCK, von der viele kurdische Politiker betroffen sind, begannen eine Woche nach den Wahlen. Wiederum kurz danach wurde im Mai 2009 in Milliyet eine Reportage von Hasan Cemal mit Murat Karayılan veröffentlicht und Staatspräsident Abdullah Gül kommentierte, dass man eine solche Gelegenheit nicht verstreichen lassen solle.

Am 15. Juli 2009 erklärte die PKK, dass sie ihren Verzicht auf Aktionen bis zum 1. September 2009 ausgedehnt habe. Am 23. Juli 2009 sprach Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan davon, dass die Öffnung in der Kurdenfrage begonnen habe.

Zur gleichen Zeit erklärte Öcalan, dass er am 15. August eine “road map” (Straßenkarte, Fahrplan) vorlegen werde. Die Regierung aber verhinderte, dass die Öffentlichkeit von diesem Fahrplan Kenntnis erlangte.

Am 5. August 2009 traf Erdoğan mit den Abgeordneten der DTP (Demokratik Toplum Partisi = Partei der Demokratischen Gesellschaft, Vorgänger der BDP) zusammen. Auch vom Nationalen Sicherheitsrat kamen positive Zeichen.

Die PKK verlängerte die Dauer der Aktionslosigkeit bis zum 23. September 2009 und am 19. Oktober 2009 kamen 34 Personen, darunter 8 PKK Militante über die Grenzstation Habur in die Türkei. Sie erklärten, dass sie das auf Anweisung von Öcalan getan hätten und wurden nicht festgenommen. Das führte in nationalistischen Kreisen, vor allem bei der Republikanischen Volkspartei (CHP) und der Nationalistischen Bewegungspartei (MHP) zu  Proteststürmen, so dass auch der Premier Erdoğan seine zunächst eher positive Bewertung wieder zurücknahm.

Am 22. November 2009 wurde ein Konvoi der DTP in İzmir angeriffen. Am 7. Dezember 2009 führte die PKK in der Provinz Tokat im Kreis Reşadiye eine Aktion durch, bei der 7 Soldaten getötet wurden. Fünf Tage darauf wurde die DTP verboten. Von einer Öffnung in der Kurdenfrage war keine Rede mehr.

Referendum zur Verfassung im September 2010

Kurz vor dem Referendum am 12. September 2010 wurde im August 2010 bekannt, dass es in Oslo Gespräche zwischen dem Nationalen Sicherheitsdienst (MIT) und der PKK gegeben hatte (Protokolle wurden im Internet veröffentlicht). Im gleichen Monat soll der Staatssekretär Hakan Fidan (vom Geheimdienst) nach İmralı gefahren sein und sich mit Öcalan unterhalten haben.

Es wird behauptet, dass zwischen März 2010 und November 2011 56 Treffen mit Öcalan gab. Die AKP leugnete die Gespräche von Oslo nicht und forderte die BDP, sie beim Referendum zu unterstützen. Die BDP kritisierte, dass keine konkreten Schritte unternommen wurde und nahm die KCK Operationen als Grund für einen Boykott des Referendums.

Nach dem Referendum führten die Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) am 31. Oktober 2010 eine Aktion auf dem Taksim-Platz in Istanbul durch, bei der 32 Menschen verletzt wurden. Die PKK, aus deren Reihen die TAK hervor gegangen sein soll, verurteilte die Aktion.

Allgemeine Wahlen 2011

Am 12. Juni 2011 fanden allgemeine Wahlen statt. Die AKP sprach wieder von einer Öffnung in der Kurdenfrage. Die Öffentlichkeit war aber skeptisch, weil solche Versprechen bislang nicht gehalten worden waren und auch weil in den “Vereinbarungen von Oslo” bestimmte Vorgaben enthalten waren. Dazu gehörte

• Nach den Wahlen (2011) wird Öcalan in die Gespräche einbezogen

• Die Kurdenfrage kann nur gelöst werden, wenn die Gefechte aufhören. Die Seiten verpflichten sich, bis zum 15 Juni 2011 keine bewaffneten Auseinandersetzungen zu führen.

• Die Seiten kommen in der zweiten Hälfte des Juni 2011 erneut zusammen.

Diese “Vereinbarung” wurde (natürlich) nicht eingehalten. Entgegen der Vereinbarung kam es am 14. Juni 2011 zu einem Gefecht zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK (bekannt als die Vorfälle von Silvan), bei dem 13 Soldaten ihr Leben verloren. Am gleichen Tag verkündete der “Kongress der demokratischen Gesellschaft, (DTK = Demokratik Toplum Kongresi) eine “demokratische Autonomie”. Ab Juli 2011 wurde es den Anwälten von Abdullah Öcalan nicht mehr erlaubt, ihn zu besuchen.

Beim letzten Treffen hatte Öcalan davon gesprochen, dass innerhalb von zwei Monaten ein Friedensrat gegründet werde. Das geschah aber nicht. Viele Anwälte (darunter auch jene, die ihn besucht hatten) wurden verhaftet. Ende 2011 kam es zu dem Vorfall im Dorf Roboski (bei Uludere), bei dem 34 Menschen durch Bomben von Flugzeugen der türkischen Streitkräfte getötet wurden, aber weder die Armee noch die Regierung entschuldigten sich dafür. Dies alles führte zu großer Unsicherheit in der Kurdenfrage, wobei die Entwicklungen in Syrien auf eine Autonomie der Kurden dort hindeutete.

İmralı taucht wieder auf

Am 12. September 2012 begann ein Hungerstreik.  Zum Ende des Hungerstreiks wurde es dem Bruder von Abdullah Öcalan, Mehmet Öcalan erlaubt, mit ihm zu sprechen.

Damit wurde die jetzige “İmralı Phase” begonnen.

Wenn man sich die Entwicklung seit 2009 anschaut, so ist zu sehen, dass es mehrere Ansätze einer Öffnung in der Kurdenfrage gab, sie aber alle gescheitert sind.

Jedoch ist eines klar: für eine Lösung muss man mit der seit 100 Jahren herrschenden Tradition brechen. Es ist auch deutlich geworden, dass der Staat in gewissen Abständen Kontakte zu drei wesentlichen Akteuren aufnimmt: die PKK, Öcalan und BDP. Momentan hat es den Anschein, als habe es sich die Regierung zur Aufgabe gemacht, diese Kommunikation zu erleichtern.

1)  Der türkische Wortlaut des Artikels kann unter 2009-2013 Çözüm Sürecinde Üç Dönemeç abgerufen werden.