THEO VAN GOGH: ISRAEL – „EIN AUSERWÄHLTES VOLK!“
Usurpatorischer Monotheismus und Weltexentrisches Handeln
Eckhard Nordhofen aus: MERKUR 53, – 605/606 1999)
Die größte Tragödie ist, wenn ein sog. „Auserwähltes Volk“ auf ein sog. „Herrenvolk“ trifft – Begegnungen und Kongruenzen
(…….) “Noch in einem anderen Punkt liefert Hitler das eindrucksvolle Beispiel einer singularistischen Paranoia.
Es ist erstaunlich, daß der seinerseits singuläre Erforschungseifer, welcher dem Nationalsozialismus und seinem Führer zuströmt, den kryptotheologischen Hintergrund der Vorstellungswelt Hitlers nur wenig beachtet hat.1
Alle möglichen Gründe für den Antisemitismus −ökonomische, psychologische, biographische und verirrte biologische − hat man gehört, doch das zentrale Motiv des Antisemitismus wird kaum erforscht − vielleicht sogar aus singularistischen Gründen?
Seit dem Historikerstreit gilt die Singularität des größten antisemitischen Exzesses des »Holocaust« als ausgemacht. Hitlers Singularität genießt höchsten moralischen Schutz.
Der Holocaust ist die Untat schlechthin, das unerklärbar Böse.
Wer erklären will, steht unter dem Verdacht, die Bosheit dieses Bösen mindern, durch Vergleiche relativieren oder gar entschuldigen zu wollen.
Er paktiert selbst mit dem Bösen. Wer zur Erklärung von Auschwitz etwas beitragen will, rührt an ein Tabu.
Das Risiko verschärft sich noch dramatisch, wenn die Erklärung die Vermutung diskutiert, Opfer und Täter stünden in einem singularistischen Verstrickungszusammenhang.
(Als Ausnahme: Claus E. Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus.München: Fink 1998. Merkur 53 (605/606), 1999 –)
Dagegen gibt es ein Argument: Wer Auschwitz singularistisch sakralisiert, schwenkt ein in die Ideologie der Täter.
Was also soll das für ein Theologoumenon sein, das als eine erstrangige Quelle des Antisemitismus zu gelten hätte?
Es ist der Erwählungsneid, der das auserwählte Volk in seiner ganzen Rivalität trifft.
Erwählungsneid kann auch im gut erforschten christlichen Antisemitismus eine Rolle spielen, wenngleich er im Prinzip für den christlichen Glauben erledigt sein sollte.
Das Christentum, von seiner hellenistisch-römischen Umgebung zunächst mit Recht als eine reformjüdische Sekte wahrgenommen, hat den Gedanken des Bundes oder der Erwählung aufgenommen und aus der Rivalität heraus geführt.
Nicht mehr nur die Nachkommen der Bundesgenossen Gottes, also die Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs, mit denen Gott den Bund geschlossen und immer wieder erneuert hatte, sondern alle sind erwählt.
Beachtenswert ist dabei, daß der »Neue Bund«, von dem vor allem bei Paulus die Rede ist, dadurch seine Qualität erhält, daß er gegen keine Philister oder Ägypter mehrgerichtet ist: Es ist ein binärer Bund und nicht mehr ein Bund im Dreieck der Rivalität.2
Der Heilspartikularismus Israels hat mindestens zwei Gesichter. Sie lassen sich mit einer Erinnerung an die Gründungsgeschichte des Namens »Israel« rekonstruieren. Der Titel »Gottesstreiter« läßt sich zunächst in dem Sinn verstehen, daß der Krieger meint, für Gott und mit Gott zu kämpfen.
Er weiß ihn auf seiner Seite und nimmt ihn als Verbündeten in Anspruch, um gegen seine Feinde, die damit auch zu Gottesfeinden werden, hochgemut und mit dem besten aller Gewissen zu Felde zu ziehen.
Gott, der Bundesgenosse, legt die Feinde als Schemel unter die Füße Israels. Die Blutspur dieser Gottesstreiter zieht sich durch die Geschichte bis in die Gegenwart.
Gott, der Bundesgenosse, vollzieht selbst beim großen Exodus, dem Auszug aus Ägypten, einen grausamen Gewaltakt. Der Würgeengel tötet die Erstgeburt der Ägypter, tritt ein in jedes Haus, das nicht durch das Blut des Lammes gezeichnet war, das die Hebräer geschlachtet und dessen Blut sie an die Türpfosten gestrichen hatten.
Dieser Monotheismus steht unter dem religionskritischen Verdacht, nichts weiter als die Verlängerung der eigenen Interessen zu sein.
Es gibt für den Posten des obersten Kriegsherrn keine bessere Besetzung als Gott. Gott wird usurpiert. Im usurpatorischen Monotheismus bringt die eigene Partei Gott in ihren Besitz und macht ihn zum unbesiegbaren Agenten der eigenen 2
Rene Girard hat in Das Heilige und die Gewalt (Frankfurt: Fischer 1992) auf diese Dreieckstruktur aufmerksam gemacht, indem er vom »mimetischen Dreieck« als einer Grundstruktur sozialen Handelns ausgeht.
Das Weltverhältnis des Menschen, abstrakt reduziert auf ein Subjekt-Objekt-Verhältnis, ist nicht interesselos. Das Subjekt begehrt das Objekt, oder es fürchtet sich vor ihm. Das Begehren der Menschen als Sozialwesen ist aber mimetisch. Für Kinder ist ein Spielzeug in dem Moment attraktiv, in dem das andere Kind nach ihm greift. So entsteht Rivalität.
Die Theorien Rene Girards stellen wahrscheinlich die größte theoretische Anregung der letzten zwanzig Jahre dar und stehen noch am Anfang ihrer Bewährung.
Leben und Wirken
Nordhofen machte sein Abitur auf dem Heinrich-von-Gagern-Gymnasium in Frankfurt am Main. An der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt studierte er Theologie, Germanistik und Philosophie.
Zu seinen Hochschullehrern zählten Johannes Hirschberger, Johannes G. Deninger, Rudolf Pesch, Wolfgang Cramer, Bruno Liebrucks, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Paul Stöcklein.