THEO VAN GOGH SUMMARY: SHAME & TROUBLE IN SAHRAS FAMILY!
Streit im BSW : „Diese Art der Verleumdung kenne ich nicht mal aus der Linken“
Von Marlene Grunert, Friederike Haupt, Markus Wehner FAZ 5.03.2025,
Nach außen lassen die BSW-Vorsitzenden keine Selbstkritik erkennen, in der Partei aber tobt ein Streit über die Gründe für die Wahlniederlage. Interne Mails zeigen, wie rau der Ton ist.
Als die beiden BSW-Vorsitzenden am Morgen nach der Bundestagswahl vor die Presse traten, betonten sie die Erfolge ihrer jungen Partei. Für den verpassten Einzug ins Parlament seien andere verantwortlich. Für eine Analyse möglicher eigener Fehler sei es noch zu früh, sagte Amira Mohamed Ali. Doch innerhalb der Partei sahen das noch am selben Tag einige anders. Das zeigt ein interner Mailwechsel, der der F.A.Z. vorliegt und in dem mehrere BSW-Politiker streng mit ihrer Partei ins Gericht gehen.
Den Aufschlag machte der ehemalige SPD-Politiker und Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel. Er ist Europaabgeordneter und Beisitzer im Vorstand der Partei. Direkt nach dem Auftritt von Sahra Wagenknecht und Mohamed Ali in Berlin verschickte er eine ausführliche Mail an den gut 30 Personen umfassenden Vorstandsverteiler. Darin attestiert Geisel dem BSW, Chancen verspielt zu haben. Der Parteiführung macht er schwere Vorwürfe – allerdings ausdrücklich nicht Wagenknecht. An ihr habe es „mit Sicherheit“ nicht gelegen. Es wirkt naheliegend, dass er besonders Mohamed Ali, den stellvertretenden Vorsitzenden Amid Rabieh und Generalsekretär Christian Leye meint. Die ehemaligen Linken-Politiker gelten parteiintern als machtvoll.
Nach der Europawahl habe die Partei das Potential gehabt, sehr unterschiedliche Wählergruppen anzusprechen, schreibt Geisel. Doch Potentiale seien nicht ausgeschöpft worden, weil „führende Parteikader“ nach der Europawahl „offenbar selbstverständlich“ vom Einzug in den Bundestag ausgingen.
Gründung von Landesverbänden „weitgehend intransparent“
Geisel kritisiert, dass man zu wenig dafür getan habe, dass die Partei wachse. Im Gegenteil: Man habe Aktivitäten gedrosselt, um bloß die Kontrolle über das BSW zu behalten. Sehr viel Verantwortung sei auf zu wenige Leute verteilt gewesen. Besonders scharf kritisiert Geisel die Praxis der Mitgliederaufnahme. Mitglied des BSW kann nur werden, wer mindestens ein Kennenlerngespräch absolviert hat. Über die Aufnahme entscheidet anschließend der Parteivorstand. Es wäre richtig gewesen, klare Kriterien für diesen Prozess festzulegen, schreibt Geisel. Doch Fehlanzeige.
Als „weitgehend intransparent“ kritisiert der Politiker auch den Aufbau und die Gründung der Landesverbände sowie die Aufstellung der Landeslisten zur Bundestagswahl. Dabei seien überwiegend ehemalige Linken-Politiker bevorzugt worden – obwohl „der Löwenteil unserer Unterstützer“ keine Vergangenheit dort habe. An der Listenaufstellung hatte es schon vor der Wahl vereinzelt Kritik gegeben. Parteimitglieder bemängelten gegenüber der F.A.Z., die Listen seien teilweise vom Bundesvorstand beschlossen worden; eine demokratische Wahl habe es nicht gegeben.
Geisel hat auch in programmatischer Hinsicht einiges auszusetzen. Im „Überbietungswettbewerb um soziale Leistungen und Wohltaten“ habe das BSW gegenüber der Linken und der SPD „kein Alleinstellungsmerkmal“ vorweisen können. Wo die Partei eines gehabt habe, bei der Friedenspolitik, sei sie nicht durchgedrungen.
„Personelle Neuaufstellung“ diskutieren
Aufgeben will Geisel freilich nicht. Es gebe eine riesige Marktlücke. Er fordert deshalb eine Wende bei der Mitgliederaufnahme. Das BSW solle Unterstützern offener begegnen. Gerade in der Aufnahmepolitik müsse deutlich werden, „dass wir uns nicht als ‚leninistische Avantgarde-Partei‘, sondern als Volkspartei verstehen“. Außerdem will Geisel eine „aufrichtige Aufarbeitung“, zu der auch die Bereitschaft zähle, für falsche Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen. Eine „personelle Neuaufstellung“ müsse man diskutieren.
An dem Mailwechsel beteiligte sich auch Alexander Ulrich. Er ist wie Geisel Beisitzer im Parteivorstand und war seit der Trennung von der Linken Mitglied der BSW-Gruppe im Bundestag. Ulrich richtet sich zunächst ebenfalls an Wagenknecht. Ihr dankt er für den „unermüdlichen Einsatz“. Gleichzeitig stellt er klar, dass die Partei sich nicht allein auf sie hätte verlasen dürfen. „Es zog sich durch die komplette Kampagne, dass es irgendwie schon wird, Sahra es richten wird“, schreibt Ulrich. Als Vorbild nennt er die Linke, die mit Reichinnek, van Aken, Gysi und Ramelow mindestens vier Leute an vorderster Front gehabt habe.
Ulrich beklagt schlechte Stimmung ebenso wie falsche Taktik. Es habe „überhaupt keine Euphorie“ gegeben. Seit Anfang des Jahres habe „Angst“ geherrscht. Wie Geisel kritisiert Ulrich die rigide Aufnahmepolitik. Der „knock-out“ sei gewesen, „auf der falschen Seite der Barrikade zu stehen“. Er spielt damit auf die Bundestagsabstimmungen über Migrationspolitik Ende Januar an. „Unser Hinweis, dass wir nach Inhalten abstimmen, war leider nicht vermittelbar“, schreibt Ulrich. Das BSW habe sich so für viele unwählbar gemacht. Die Partei hatte sich bei dem umstrittenen Entschließungsantrag der Union enthalten. Mit Stimmen der AfD fand er eine Mehrheit. Dem Zustrombegrenzungsgesetz der Union, das keine Mehrheit fand, stimmten neben der AfD auch sieben BSW-Abgeordnete zu. Die Quittung: Parteiaustritte.
„Der Osten hat leider nicht geliefert“
In seiner Mail geht Ulrich auch auf die Landesverbände im Osten ein: „Der Osten hat leider nicht geliefert.“ Es habe dort zu wenig Großveranstaltungen gegeben. Dann attackiert Ulrich die Thüringer BSW-Chefin und dortige Finanzministerin. „Und eine Katja Wolf z. B. hat keine einzige Veranstaltung gemacht“. Die antwortet empört: „Woher weißt du, wie viele öffentliche Termine ich in den letzten Wochen und Monaten wahrgenommen habe?“ Sie frage sich, wie Ulrich zu so einer Aussage komme. „Diese Art der Verleumdung kenne ich nicht mal aus der Linken“, schreibt Wolf. Sie sei „SEHR GERN“ bereit, ihren Kalender „inklusive der Wahlkampftermine, die ich wahrnahm“, zu erläutern.
Am Ende ihrer Mail zeigt sich Wolf dann aber versöhnlich. In Erfurt sitze man in einer Klausur zusammen und berate intensiv, wie man das BSW weiterentwickeln solle. „Aber eins ist für mich heute schon klar: es geht nur zusammen und nicht gegeneinander.“ Ulrich lässt es darauf nicht beruhen. In seiner Antwort wird er persönlich. „Wenn Du etwas Charakter hast, dann trete als Landesvorsitzende zurück. Es braucht Personen, denen die eigene Karriere nicht so wichtig ist“, schreibt er und nennt Wolf „das Sinnbild für den Nichteinzug“. Hier kocht der Konflikt zwischen Wagenknecht und Wolf über den Regierungseintritt des BSW in Thüringen wieder hoch, der die Partei wochenlang beschäftigte. Wagenknecht nahm Wolf stark unter Feuer, intervenierte immer wieder, letztlich setzte sich aber Wolf durch. Zwar ist der Konflikt mittlerweile beigelegt, aber vielen aus dem BSW im Westen ist Wolf weiter suspekt.
Im Thüringer BSW wird von vielen Angriffen aus anderen Landesverbänden, von Funktionären aus dem Bund oder dem Europaparlament berichtet. Mal werde gefordert, das BSW müsse aus allen Landesregierungen ausscheiden, dann wieder, man müsse besser Thüringen opfern als weiter im Bund Niederlagen zu erleiden. Als Mehrheitsmeinung in der Partei wird das in Erfurt nicht wahrgenommen, wohl aber als Störfeuer. „Diese Stimmen sind sehr laut“, sagt der Thüringer Fraktionschef Frank Augsten. Auch ihm sei vorgeworfen worden, keine Wahlkampftermine gemacht zu haben, was nicht stimme. „Wir haben bloß nicht von jedem Termin ein Foto gepostet“.
Er verstehe, dass BSW-Leute im Westen eine Regierungsbeteiligung ablehnten, sagt Augsten. Aber in Thüringen gäbe es keine Regierung, wenn das BSW sich entzogen hätte. An der „Schuldzuweisungsorgie“ wolle er sich nicht beteiligen, auf ungerechtfertigte Vorwürfe werde er aber reagieren. Auch Augsten kritisiert die Aufnahmepraxis, die von der Parteizentrale gefahren wurde. Im Weimarer Land habe er eine Unterstützergruppe von 65 Leuten gehabt, die sei auf 35 geschrumpft. „Viele sind nicht mehr da, weil sie gehofft hatten, Mitglied im BSW zu werden.“ Sie seien enttäuscht gegangen. Die ausschließlich von Berlin gesteuerte Aufnahme „war nicht hilfreich und hat uns Stimmen gekostet“. Auch das Nein zur Bildung von Kreisverbänden und Ortsstrukturen, das aus Berlin gekommen sei, habe dem Wahlkampf geschadet. Im Thüringer BSW gibt es derzeit 127 Mitglieder, gut 40 wurden am Landesvorstand vorbei in die Partei aufgenommen.
Katja Wolf: „Mein Platz ist in Thüringen“
Die Entscheidung, wie es weitergeht an der Spitze des BSW, müsse in Berlin fallen, sagt Augsten. Letztlich müsse Wagenknecht entscheiden, ob sie weitermache. Im Osten habe die Zuspitzung auf sie als Person funktioniert, im Westen weniger. Wenn die Entscheidung auf Bundesebene nicht getroffen werde, dann sieht Augsten die Landesverbände in Verantwortung, in denen das BSW in der Regierung sitzt wie in Thüringen und Brandenburg, oder im Parlament wie in Sachen. „Dann würden wir auf diese Landesverbände zugehen.“ In Thüringen gebe es immer noch mehr als tausend Unterstützer, die gern Mitglieder des BSW werden würden, sagt Augsten.
Und Katja Wolf? Die Finanzministerin ist gerade mit dem Erstellen des Haushalts beschäftigt, ihr neuer Job macht ihr offensichtlich Spaß. Sie wolle für den Erfolg der Landesregierung in Erfurt kämpfen, sagt die Ministerin der F.A.Z. Und eine Führungsrolle im Bund? „Mein Platz ist in Thüringen“, sagt Wolf. Dass sich die Landesverbände in die Diskussion über die Zukunft des BSW einbringen müssen, sieht sie gleichwohl so. Vor wenigen Tagen haben sich Wolf und ihr Ko-Vorsitzender Steffen Schütz, in Erfurt jetzt Minister für Digitales und Infrastruktur, zum Meinungsaustausch mit dem Brandenburger BSW-Chef Robert Crumbach getroffen, der wie Wolf das Finanzressort leitet und Vizeministerpräsident ist.
Crumbach betont gegenüber der F.A.Z., dass er sich weiter aufs Regieren konzentrieren will. „Die Zusammenarbeit mit der SPD klappt sehr gut“, sagt er. Mit seinen Posten in Brandenburg sei er „gut ausgelastet“. Dass seine Partei den Einzug in den Bundestag verpasste, habe „keine Auswirkungen“ auf die Arbeit im Land. Soll heißen: Ärmel hochkrempeln, weitermachen. Crumbach gibt sich zuversichtlich, dass bei der nächsten Bundestagswahl dann der Erfolg schon komme.
An Manöverkritik will er sich öffentlich nicht beteiligen. Dass Wagenknecht der Partei Gesicht und Stimme gibt, „war und ist eine große Hilfe“, sagt er diplomatisch, verweist aber auch darauf, dass das BSW wegen seiner Inhalte gewählt werde. Jetzt müsse man gute Arbeit machen. Daran werde man gemessen. Im kommenden Jahr stünden Landtagswahlen in mehreren Ländern an, da habe man eine neue Chance, Bürger von sich zu überzeugen.
Für die Zukunft der Partei dürfte eine Vorstandssitzung an diesem Donnerstag entscheidend werden. Möglicherweise werden dort auch drängende Personalfragen geklärt. Wagenknecht selbst hatte vor der Wahl mehrmals suggeriert, sich im Falle eines verpassten Bundestagseinzugs zurückzuziehen. Ob sie daran festhält oder der Partei zumindest vorübergehend erhalten bleibt, war am Mittwoch weiter ungewiss. Neues gebe es noch nicht, signalisierte Wagenknecht der F.A.Z. Alexander Ulrich schrieb in seiner Mail: „Ohne Sahra ist das Projekt tot.“ Das dürften viele in der Partei ebenso sehen.