THEO VAN GOGH WATCH: TRUMPS UKRAINE PLAN – ÜBERSICHT / EINVERNEHMLICHE GEBIETSABTRETUNGEN WAHRSCHEINLICH!

 

Ukraine-Krieg: Weshalb die Wahl Trumps Kiew auch hoffen lässt

Von Stefan Locke, Warschau FAZ „25.11.2024

Kriegsdauer und Trumps Wahl bleiben nicht ohne Wirkung. Kiew priorisiert jetzt Sicherheitsgarantien – wohl auch mit Blick auf die Stimmung im Land.

Über die Frage, wie es mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine weitergehen wird, wenn Donald Trump wieder im Weißen Haus Platz genommen hat, gibt es fast täglich neue Meldungen oder vielmehr: Spekulationen. In der Ukraine werden diese von Hoffnung wie von Sorge begleitet. Dass Trump den Krieg noch vor seiner Amtseinführung im Januar und womöglich binnen 24 Stunden beenden würde, wie er selbst mehrfach behauptet hat, glaubt so gut wie niemand in der Ukraine.

Für wahrscheinlicher jedoch hält man in Kiew, dass mit Trump Dinge in Bewegung geraten, allein schon, weil man dem neuen Präsidenten mehr Entschlossenheit zutraut als der – aus Kiewer Sicht – zu zögerlichen Regierung Biden, deren Kurs mit Kamala Harris als Präsidentin wohl seine Fortsetzung gefunden hätte.

Prompt fand eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters große Aufmerksamkeit in der Ukraine, die unter Berufung auf fünf dem Kreml nahestehende Quellen schrieb, dass Putin „im Großen und Ganzen einem Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie“ zustimmen könnte und womöglich Raum für Verhandlungen über die Aufteilung der vier teilweise von Russland besetzten, ostukrainischen Gebiete Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja sehe.

Das wäre tatsächlich neu, besteht doch der Kreml offiziell bisher darauf, dass die vier Regionen inklusive ihrer von der Ukraine verteidigten Teile vollständig, also auch mit den von der Ukraine gehaltenen Teilen, zu Russland gehören.

Vorsichtige Hoffnung in Trumps Sicherheitsberater

Ob das schon eine Reaktion auf die Veränderungen in Washington ist, sei dahingestellt. Nicht ungehört dürfte in Moskau jedoch geblieben sein, dass Trump nach seiner Wahl verkündet hatte, „sehr hart mit Russland und der Ukraine“ zu arbeiten. „Das muss aufhören“, sagte er mit Blick auf den Krieg. Und bereits im Sommer hatte Trump im Interview mit seinem Lieblingssender Fox News auch erklärt, wie er sich das vorstellt: „Ich würde Selenskyj nicht mehr sagen: Du musst einen Deal machen. Ich würde Putin sagen: Wenn du keinen Deal machst, werden wir ihm (Selenskyj) viel geben.“

Zuletzt hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Besuch in New York noch vor den Wahlen Trump seinen „Siegesplan“ vorgestellt und um Unterstützung für seine Strategie „Frieden durch Stärke“ geworben. Man kann davon ausgehen, dass Trump in der Sache nicht als der Schwächere vom Platz gehen wollen wird.

So gesehen sei Trumps Wahl „kein Desaster“, sagt Olexandra Ustinowa am Telefon in ihrer Kiewer Wohnung, in der – mal wieder – der Strom abgeschaltet ist und es deshalb weder Wasser noch Heizung gibt. Das sind die Folgen permanenter russischer Bombardements ukrainischer Kraftwerke. Ustinowa ist im ukrainischen Parlament Fraktionschefin der proeuropäischen Oppositionspartei Holos und Vorsitzende der parlamentarischen Sonderkommission zur Überwachung der Waffenlieferungen an die Ukraine.

„Trump will nicht, dass die Ukraine während seiner Präsidentschaft verliert“, sagt die 39 Jahre alte Politikerin der F.A.Z. Er werde schnell verstehen, dass ihr Land nicht länger mit einer auf den Rücken gebundenen Hand kämpfen könne. „Deshalb hoffe ich, dass er uns unterstützt.“

Als positive Signale sieht sie dabei Trumps Verhalten in der Vergangenheit, in der er die Ukrainehilfe der USA nicht blockiert und während seiner ersten Präsidentschaft Kiew erstmals überhaupt Waffen zur Panzerabwehr geliefert hat. Überaus positiv bewertet Ustinowa zudem Trumps Entscheidung für Mike Waltz als Nationalen Sicherheitsberater. „Das ist eine richtig gute Nachricht für uns.“ Waltz sei kein Isolationist und verstehe die Ukraine, schildert sie eine persönliche Begegnung mit ihm. In der Tat hatte Waltz zu Beginn des Krieges gefordert, Kiew stärker zu unterstützen, zuletzt jedoch auch infrage gestellt, ob die amerikanischen Ressourcen dort überhaupt noch richtig eingesetzt seien.

Weit weniger optimistisch ist Witalij Portnykow. „Dieser Krieg ist kein Krieg von Biden, Harris oder Trump, sondern von Putin, der die Ukraine liquidieren will“, sagt der ukrainische Publizist und Moderator der F.A.Z. „Und er wird erst in dem Moment enden, in dem Putin keine Soldaten und kein Material mehr hat.“ Er halte es für wahrscheinlich, dass der Krieg auch während Trumps vier Jahren im Weißen Haus weitergehe.

Eine Hoffnung für die Ukraine könnten dagegen neue, wirksame Sanktionen gegen Russland und China sein, das Putins Krieg unterstütze. „Bisher hat Putin kein Interesse daran, den Krieg zu beenden“, sagt Portnykow. Die Lage könnte sich jedoch ändern, wenn sich die Bedingungen in Russland selbst verschlechtern. Von Trump wiederum habe er noch keinen realistischen Plan gesehen.

Sorgen wegen J. D. Vance und Tulsi Gabbard

Letztere Antwort bekommt am häufigsten, wer dieser Tage in Kiew nach einer Meinung zu Trump und seinem designierten Kabinett fragt. Es gibt durchaus wohlwollende Reaktionen zu Marco Rubio, Trumps künftigem Außenminister, und zu Mike Waltz oder auch zur überraschenden Personalie im Amt des Verteidigungsministers, Pete Hegseth. Der hatte zumindest nach dem russischen Überfall mehr Militärhilfe für Kiew gefordert und Putin einen Kriegsverbrecher genannt.

Fast noch häufiger hört man aber auch Sorgen etwa über J. D. Vance, den künftigen Vizepräsidenten, der erklärt hat, sich nicht sonderlich für die Ukraine zu interessieren, oder gar Tulsi Gabbard, Trumps künftige Geheimdienstchefin, die Kreml-Propaganda verbreitet, indem sie die NATO für Russlands Angriff verantwortlich macht. „Das alles ist in der Tat besorgniserregend“, sagt auch Olexandra Ustinowa.

Vor überzogenen Erwartungen an die USA wiederum warnt Walerij Tschalyj. „Leider wird es keine realistischen Friedenspläne für die Ukraine in den kommenden Monaten geben“, sagte der 54 Jahre alte frühere Vizeaußenminister der Ukra­ine und ehemalige Botschafter seines Landes in Washington kürzlich während eines Auftritts in Kiew. Solche Dinge brauchten Zeit. Stattdessen werde man weiter viele Ratschläge hören, die darauf hinausliefen, dass es am besten für die Ukraine sei, zu kapitulieren.

Dagegen könnte der neue Präsident einiges tun, so Tschalyj. „Trump könnte eine große Militärübung mit Südkorea und Japan an Russlands Ostgrenze starten, sodass Moskau Truppen dorthin verlegen müsste.“ Und warum sollte die USA, noch dazu unter Trump, nicht mit ihren Partnerländern darüber sprechen, amerikanische Waffen für die Ukraine zu kaufen? Japan und Südkorea täten dies bereits, aber was sei zum Beispiel mit Norwegen? Das Land habe enorme finanzielle Ressourcen, beteilige sich bisher jedoch wenig. „Ich bin sicher, Trump hätte nichts dagegen.“

Unabhängig davon sieht aber auch Tschalyj die innere Verfassung Russlands als kriegsentscheidend an. Putin drohe zwar mit Atomwaffen, könne aber nicht mal seine eigene Bevölkerung mit Butter versorgen, die er jetzt – ukrainischen Ursprungs – aus Saudi-Arabien und der Türkei importieren müsse. „Ich kenne Russland gut und kann eines sagen: Die Dinge können sich dort sehr plötzlich ändern“, so der einstige Diplomat.

Selenskyj rückt vom „Alles zurückerobern“ ab

Auf so einen unbestimmten Zeitpunkt jedoch kann die ukrainische Regierung nicht bauen, zumal die Zahl der Ukrainer steigt, die sich Landverlust für Frieden vorstellen können. Einer neuen Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie zufolge hat sich die Zahl derjenigen Ukrainer, die im Gegenzug für Frieden und Unabhängigkeit zu territorialen Zugeständnissen bereit wären, binnen eines Jahres auf 32 Prozent mehr als verdoppelt. 58 Prozent sind weiterhin strikt dagegen, im Oktober vor einem Jahr waren das noch 80 Prozent.

In einer zeitgleich erhobenen Umfrage der amerikanischen Gallup Organization gaben gar 52 Prozent der Ukrainer an, offen für territoriale Zugeständnisse im Gegenzug für ein Ende des Krieges zu sein, während sich 38 Prozent strikt dagegen aussprachen. Damit wäre erstmals seit Kriegsbeginn eine Mehrheit in der Ukraine gegen das Weiterkämpfen bis zum Sieg.

Teile der ukrainischen Führung haben darauf zumindest rhetorisch reagiert und betonen inzwischen den Wert von Sicherheitsgarantien, die für sie prioritär seien. Die territoriale Frage sei extrem wichtig, stehe aber erst an zweiter Stelle, sagte ein hochrangiger ukrainischer Beamter der „New York Times“. „Die erste Frage sind die Sicherheitsgarantien.“ Roman Kostenko, Chef des Verteidigungsausschusses im Kiewer Parlament, pflichtet dem bei. „Für die Ukraine gibt es nichts Wichtigeres.“

Zurzeit hält Russland rund ein Fünftel des ukrainischen Territoriums besetzt. Darauf werde die Ukraine allerdings keinesfalls formal verzichten, so Kostenko. Auch Präsident Selenskyj wich zuletzt von der bisherigen „Alles zurückerobern“-Rhetorik ab, erklärte aber, dass „egal, welchen Weg wir einschlagen, niemand die besetzten Gebiete als rechtlich zu anderen Ländern gehörend anerkennen“ werde.

Der übergroßen Betonung von Sicherheitsgarantien in Kiew liegt die Erfahrung der Jahre seit 2014 zugrunde, als in der Ostukraine zwar mehrfach Waffenstillstände vereinbart worden waren, die letztlich jedoch immer wieder gebrochen wurden und die Invasion Russlands im Februar 2022 nicht verhindert haben.

Und Kiew weiß auch sehr genau, woran die Friedensgespräche mit Russland im Frühjahr 2022 in Istanbul schließlich scheiterten: Der Verpflichtung anderer Länder zur Unterstützung der Ukraine für den Fall, dass sie jemals wieder angegriffen werden sollte, wollte Moskau nicht zustimmen.