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“Zur Zulässigkeit von präventiven Maßnahmen der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der staatlichen Kulturförderung”.

Resolution zum Schutz jüdischen Lebens: Eine etwas andere Gewissensprüfung

Nach Recherchen von ZEIT ONLINE haben sich Ampel und Union nach langem Streit auf eine Bundestagsresolution gegen Antisemitismus geeinigt. Die enthält aber Erstaunliches.

Von Raoul Löbbert  DIE ZEIT ONLINE 16. Juli 2024,

Fast wäre es eine parlamentarische Sternstunde geworden. Das Datum, der 9. November 2023, war von gleich zweifacher symbolischer Bedeutung für das Verhältnis Deutschlands zu den Juden und dem Staat Israel: 85 Jahren zuvor haben die Nationalsozialisten in Deutschland Synagogen in Brand gesteckt, knapp einen Monat zuvor, am 7. Oktober 2023, haben Terroristen der Hamas 1.200 hauptsächlich Zivilisten in Israel ermordet, die allermeisten von ihnen Jüdinnen und Juden. Die Bundestagsfraktionen von Union und der Ampelregierung schienen sich der Bedeutung des Moments bewusst zu sein. Eine gemeinsame Resolution zum Schutz des jüdischen Lebens in Deutschland sollte auf den Weg gebracht werden. Geschlossen wollte man ein Zeichen setzen.

Nur: Das Zeichen kam nicht. Zuerst preschte die CDU/CSU-Fraktion mit einem Textentwurf vor, dann zogen die Ampelfraktionen mit einem eigenen nach. Am Ende wurden beide Anträge im Bundesinnenausschuss geparkt, monatelang. Sehr zum Missfallen von Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden. “Es ist unerklärlich”, sagt nun Schuster ZEIT ONLINE, “dass es bisher nicht zu diesem angekündigten starken Signal aus der Mitte des Parlaments gekommen ist. Einzelne Fraktionen scheinen den Geist der ursprünglichen Anträge vergessen zu haben.”

Doch jetzt kommt, wie ZEIT ONLINE aus den Fraktionen erfuhr, Bewegung in die Sache. Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden haben sich demnach auf einen Entwurf geeinigt, der nach der Sommerpause dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Und der Entwurf hat es in sich, wie mehrere Parlamentarier berichten: Neben Solidaritätsbekundungen enthält er auch Formulierungen, die die deutsche Kultur- und Wissenschaftsförderung massiv betreffen – ja sie symbolisch unter Kuratel stellen könnten. In letzter Konsequenz auch mittels einer flächendeckenden Überprüfung von Künstlerinnen und Forschenden, die sich um öffentliche Förderung bewerben, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Zwar ist eine Bundestagsresolution kein Gesetz, keine direkte Handlungsanweisung. Doch das Parlament würde so seinen politischen Willen ausdrücken, einen gemeinsamen der Regierungsfraktionen und der größten Oppositionsfraktion.

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In Kulturinstitutionen ist man offenbar mindestens irritiert. Carola Lentz, die scheidende Präsidentin des Goethe-Instituts, formuliert es gegenüber ZEIT ONLINE vorsichtig: “Ich hoffe sehr, dass die geplante Bundestagsresolution der Fähigkeit der Selbstregulierung der unabhängigen Mittlerorganisationen in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik nicht misstraut.” Ein Entwurf, der wie die Vorgänger auf Vorschriften und Restriktionen setze, sei jedenfalls nicht der richtige Weg, um jüdisches Leben zu schützen. “Eine solche Entschließung hätte gravierende Nebenwirkungen, die von den beteiligten Parteien vielleicht nicht ausreichend bedacht wurden.” Und Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat sagt ZEIT ONLINE: “Die Idee, zu glauben, der Staat könne Antisemitismus verhindern, indem er Kulturschaffenden Vorschriften macht, etwa indem er die Fördermittelvergabe an Bedingungen knüpft, ist ein Trugschluss.” Das werde Antisemitismus nicht verhindern.

Die Zufriedenheit mit dem nun gefundenen Ergebnis der gemeinsamen Resolution ist innerhalb der Bundestagsfraktionen (Linke und AfD sind nicht bei der Resolution dabei) nach Recherchen von ZEIT ONLINE denn auch ungleich verteilt. Namentlich zitieren lassen wollte sich von dort aber niemand, mit dem ZEIT ONLINE gesprochen hat.

Nur bei den Grünen sind manche erbost

Bei der Union ist man stolz darauf, sich mit den eigenen Kernforderungen, etwa der Verpflichtung der Kulturförderung auf eine bestimmte Antisemitismusdefinition, durchgesetzt zu haben. In der SPD gibt man sich schmallippig und verweist auf eine baldige Entscheidung. Bei den Freidemokraten ist man offenbar froh, dass das Ganze bald vorbei ist, und neigt sich mehr den Vorstellungen der Union zu als denen der eigenen Koalitionspartner und vertritt eine restriktivere Haltung im Umgang mit Kulturinstitutionen. Nur bei den Grünen sind manche erbost. Die Union, hört man dort, habe die Ampel regelrecht erpresst. Bedenken seien selbst von der eigenen grünen Fraktionsspitze nicht ernst genommen worden. Um als Parlament einen Eindruck der Geschlossenheit erwecken zu können, habe man den Schutz von Grundrechten vernachlässigt.

Doch was versteckt sich da im Kleingedruckten, das die einen jubeln, andere schimpfen und jemanden wie Carola Lentz als Chefin einer gewichtigen Kulturinstitution um das Ansehen Deutschlands in der Welt fürchten lässt?

Noch einmal zurück in den Deutschen Bundestag am 9. November 2023: Auf der Ehrentribüne sitzen der israelische Botschafter Ron Prosor, die Holocaustüberlebende Margot Friedländer und Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) tritt unten im Plenum ans Rednerpult. Es beschäme sie, sagt Faeser, dass jüdische Kinder in Deutschland wieder “Angst haben müssen, zur Kita oder in die Schule zu gehen”. Faeser kündigt an, die Hamas und das propalästinensischen Netzwerk Samidoun in Deutschland zu verbieten. Verbote demonstrieren Härte, Entschlossenheit. Und Entschlossenheit ist genau das, was es jetzt scheinbar braucht.

In diesem Kontext werden die beiden Entschließungsanträge zu einer gemeinsamen Resolution des Bundestages vorgestellt. Formal ist eine Bundestagsresolution lediglich eine Meinungsäußerung des Parlaments. Da kann man freier formulieren. Vielleicht liegt es daran, dass beide Entwürfe mehr gut gemeint als gut gemacht sind und ein Sammelsurium von Maßnahmen, Willensbekundungen und Kuriositäten enthalten. Da kommt der Unionstext nicht ohne Adenauer-Gedenknote aus und der Entwurf der Ampel nicht ohne (Selbst-)Lob der “wertvollen Arbeit” des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung. Etwas unwürdig, aber beileibe kein Skandal.

“Geht rechtlich gar nicht”

Dann jedoch gehen beide Anträge auf die documenta 15 ein. Im Jahr 2022 hat die unmittelbar nach ihrer Eröffnung eben für einen Skandal gesorgt. Schon zuvor hatte es Bedenken gegen das indonesische Kuratorenkollektiv ruangrupa und dessen offensichtliche Sympathien für die antiisraelische Boykottbewegung BDS gegeben, dann aber war ein riesiges Wimmelbild der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi aufgestellt worden mit eindeutig antisemitischen Bildinhalten. Auch andere auf der documenta 15 gezeigte Werke etwa des palästinensischen Künstlers Mohammed al-Hawajri wurden wegen antiisraelischer, womöglich antisemitischer Motive kritisiert. Die darauffolgende Debatte um die selbst ernannte Weltkunstschau in Kassel war für diese geradezu desaströs, die glücklose Documenta-Generaldirektorin musste noch während der Schau ihren Posten räumen.

Nie wieder, so lautete danach der kulturpolitische Tenor in Deutschland, sollen Steuergelder dazu dienen, antisemitische Kunst zu fördern. Ein berechtigtes Anliegen. Doch ist eine nicht bindende Bundestagsresolution das geeignete Mittel, der Kultur- und Wissenschaftsförderung in Deutschland ein Regelwerk vorzuschlagen? Ist dafür nicht zunächst einmal die Kultur- und Wissenschaftspolitik insbesondere der damit befassten Bundesländer zuständig?

Die Unionsbundestagsfraktion ist offenbar davon überzeugt, dass die Resolution ein guter Weg ist, und schärfte ihren Antrag im April 2024 nach (PDF). Und tatsächlich haben es nach Informationen von ZEIT ONLINE die beiden wichtigsten Punkte aus dem Unionsantrag inhaltlich in den gemeinsamen Kompromisstext geschafft. Unter Punkt 12 hieß es im Entschließungsantrag der Union: “Geld kann zukünftig nur erhalten, wer sich zweifelsfrei vom Terror distanziert und die Existenz Israels unmissverständlich anerkennt.” Und unter Punkt 22: Bei Bundesfördermittelanträgen – die also nicht die Länderzuständigkeiten betreffen – sei “von zivilgesellschaftlichen Organisationen ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzuholen, das auch das Existenzrecht Israels und die Ablehnung von Antisemitismus gemäß der vom Bundestag beschlossenen erweiterten IHRA-Antisemitismusdefinition umfasst.”

Ralf Michaels, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, hat dazu eine klare Meinung: “Vieles von dem, was die Union in ihrem Antrag formuliert, hätte so auch von der AfD stammen können.” Und damit meint Michaels weniger die im Unionsantrag überdeutliche Engführung des Antisemitismusproblems auf die muslimische Community oder die innenpolitisch motivierte Verknüpfung der Thematik mit der Migrationsdebatte – als vielmehr die juristisch fragwürdigen Formulierungen, die Kultur und Wissenschaft betreffen. Besonders problematisch aus Sicht des Juristen: die beabsichtige Bekenntnispflicht für Förderungsempfänger. “Geht rechtlich gar nicht”, sagt Michaels ZEIT ONLINE. “Das musste schon Joe Chialo schmerzlich erfahren.”

Der CDU-Politiker Chialo ist Senator für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt im Berliner Senat des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner, ebenfalls CDU. Im Januar kündigte Chialo an, was rasch unter der Bezeichnung Antisemitismusklausel für kulturpolitische Furore sorgte: Fortan sollte jede Kulturförderung in der Hauptstadt an ein Bekenntnis der Geförderten gegen Antisemitismus und Diskriminierung geknüpft sein. Wenige Wochen später machte Chialo einen Rückzieher. Angeblich waren die rechtlichen Bedenken zu groß.

Kaum vereinbar mit dem Grundgesetz

Doch von der Idee wollen Chialo, Wegner und die Union seitdem nicht lassen. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) gab dazu Anfang des Jahres ein Gutachten beim Rechtswissenschaftler Christoph Möllers in Auftrag. Der sperrige Titel: “Zur Zulässigkeit von präventiven Maßnahmen der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der staatlichen Kulturförderung”. Das Fazit des Gutachtens, das über den Berliner Kontext hinausweist: Die Pflicht, sich als Künstlerin oder Forscher zu bestimmten – und seien es rundweg begrüßenswerte – Werten zu bekennen, um förderwürdig zu sein, tangieren sowohl den “Schutzbereich der Meinungsfreiheit als auch denjenigen der Kunstfreiheit”. Sie sind kaum vereinbar mit dem Grundgesetz.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam bereits 2020 der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags in einem Gutachten zu einer verwandten Bundestagsresolution, der zu BDS. Ein Jahr zuvor hatte das Parlament die Regierung aufgefordert, keine Organisationen mehr finanziell zu unterstützen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen und dazu aufrufen, jüdische Einrichtungen zu boykottieren. Nicht nur die Bundesregierung, auch Länder, Städte, Gemeinden wurden aufgefordert, die sogenannte BDS-Resolution umzusetzen. Diese sei, argumentierte der CDU-Bundestagsfraktionsvize Thomas Frei damals, nicht nur eine Meinungsäußerung, sondern eine “politische Entscheidung”, die als “Richtschnur für die politische Exekutive” verstanden werden müsse.

Genau dem widersprach der Wissenschaftliche Dienst: Eine aus der Resolution hervorgehende Verpflichtung sei “nicht mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu vereinbaren und daher verfassungswidrig” (PDF). Die Klatsche verhallte ungehört.

Ralf Michaels sagt: “Dass die Unionsfraktion trotz all der starken verfassungsrechtlichen Bedenken nun erneut Institutionen aus Kultur und Wissenschaft, ja einzelne Künstlerinnen und Forschende auf ein Bekenntnis festnageln will, macht mich sprachlos.”

Josef Schuster kann aufatmen

Noch problematischer wird es, betrachtet man, worauf Institutionen, Forschende und Kulturschaffende verpflichtet werden sollen. Also die im Punkt 22 des Unionsantrags erwähnte IHRA. Die Abkürzung steht für International Holocaust Remembrance Alliance und meint eine Definition von Antisemitismus, die Angriffe auf die Staatlichkeit Israels bewusst mit einschließt. Seit einem Kabinettsbeschluss von 2017 ist die IHRA für die Bundesregierung “handlungsleitend”, hat aber keine “rechtliche Bindungskraft”, wie es etwa auf der Internetseite des Auswärtigen Amts heißt.

Damals, im Jahr 2017, war die IHRA die international einzig gebräuchliche Antisemitismusdefinition. Das hat sich mittlerweile geändert, 2021 kam die Jerusalem Declaration, kurz JDA, hinzu. Kritik an der Staatlichkeit Israels ist nach der nicht automatisch antisemitisch, genauso wenig wie Boykottaufrufe. Unterzeichnet wurde die JDA von vielen Intellektuellen aus aller Welt, darunter dem mittlerweile verstorbenen Ägyptologen Jan Assmann, dem Antisemitismusforscher Wolfgang Benz und dem israelischen Oberrabbiner Yaakov Ariel.

Beide Definitionen sind heute gebräuchlich. Dennoch benutzt die Bundesregierung nur die IHRA. Und wenn es nach Josef Schuster und dem Zentralrat der Juden geht, soll auch nur sie maßgeblich für die geplante Bundestagsresolution sein: “Die IHRA-Definition ist die von nahezu allen demokratischen Staaten anerkannte Beschreibung von Antisemitismus”, sagt Schuster ZEIT ONLINE. “Ihre rechtssichere Implementierung in die Fördervergabe staatlicher Mittel ist absolut notwendig.”

Schuster kann aufatmen: Dem Kompromisstext, der nach der Sommerpause ins Plenum soll, liegt, wie ZEIT ONLINE aus Unionskreisen erfuhr, nur die IHRA zugrunde für die Fördermittelvergabe.

Der Jurist Ralf Michaels hält das für einen schweren Fehler. Und auch das Gutachten des Staatsrechtlers Christoph Möllers, das sich indes noch in erster Linie mit möglichen Antisemitismusklauseln beschäftigte, kommt zu einem ähnlichen Schluss, was die Verwendung einer Antisemitismusdefinition wie etwa der IHRA betrifft: “Wenn der Staat in eine offene wissenschaftliche Diskussion so interveniert, dass sich Private eine Lehrmeinung aneignen müssen, greift er damit aber nicht nur in den offenen wissenschaftlichen Prozess, sondern auch in die Freiheit der inneren Meinungsbildung der Betroffenen ein. Die Adressaten werden genötigt zu behaupten, was sie nicht glauben, obwohl die Behauptung wissenschaftlich umstritten ist.” Eine solche Maßnahme begegne “schweren verfassungsrechtlichen Bedenken”.

Der Verfassungsblog sieht ein weiteres grundsätzliches Problem bei der Verwendung einer Antisemitismusdefinition etwa bei Förderentscheidungen: “Erfahrungen aus Kontexten, in denen die IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument diente”, heißt es in einem von 13 Rechtswissenschaftlern verfassten Beitrag, “zeigen, dass sie für erhebliche Einschränkungen von Grundrechten genutzt wird – sehr häufig auch gegen Juden, die die Politik der jeweiligen Regierung Israels kritisieren.”

Eine Sache des Verfassungsschutzes

Aber das ist noch nicht alles. Der Text für den geplanten gemeinsamen Entschließungsantrag enthält auch einen “Prüfauftrag”, wie es aus der Union heißt. Förderprojekte sind demnach künftig auf die Reproduktion antisemitischer Verschwörungserzählungen zu kontrollieren. Ein solcher Prüfauftrag wäre dann eben eine Sache des Verfassungsschutzes, so Parlamentarier aus der Grünen- und der Unionsfraktion.

Den deutschen Inlandsnachrichtendienst brachte bereits die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg in einem bemerkenswerten Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Juni als mögliche Prüfinstanz für die Kunstförderung ins Spiel. Darin beantwortet Badenberg die Frage, wer aus ihrer Sicht künftig in Berlin, so es dort denn mal eine neue Antisemitismusklausel oder eine ähnliche Regelung geben sollte, die Förderantragsteller prüfen solle, in provozierender Offenheit: “Der Verfassungsschutz prüft. Wir in der CDU sind uns einig, dass es ein gangbarer Weg wäre, wenn wir diese Erkenntnisquelle bei Anträgen auf staatliche Fördergelder nutzen würden.” Das Interview fand bundesweit kaum Beachtung. Vielleicht weil der Kontext nahelegte, dass es wirklich nur um das Land Berlin ging, und da wird ja öfter mal etwas angekündigt und nicht umgesetzt. Doch nun könnte es kommen, wie von Badenberg prophezeit, und das in einem ungleich größeren Rahmen: in einer Resolution des Deutschen Bundestags.

Der Staat würde etwas versprechen, was er nicht halten könnte

Wird der Verfassungsschutz also bald auf Künstler und Forscherinnen losgelassen? Das Bundesamt will das auf Nachfrage von ZEIT ONLINE nicht kommentieren. Allerdings dürfte man dort kaum glücklich sein, womöglich bald mit Regelanfragen aus dem Kultur- und Wissenschaftsbetrieb überschwemmt zu werden. Davon abgesehen: Geht das rechtlich überhaupt? Wohl kaum, glaubt der Jurist Michaels. “Dem Verfassungsschutz flächendeckend eine solche Überprüfung zu überlassen, halte ich für mit seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe schwer vereinbar.”

Davon abgesehen würde der Staat hier etwas versprechen, was er nicht halten könnte: totale Kontrolle. Der Verfassungsschutz ist ein Inlandsnachrichtendienst. Was sollte er sagen, wenn er etwa einen ausländischen Regisseur, der in Deutschland eine Projektförderung beantragt für sein neues Werk, auf die Treue zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik überprüfen soll? Kein Anschluss unter dieser Nummer?

Aber vielleicht geht es in Wahrheit ja um etwas ganz anderes. Zur Erinnerung: Eine Bundestagsresolution ist eine Meinungsäußerung, kein Gesetz (auch wenn ihr Inhalt nach Artikel 20, Absatz 3 des Grundgesetzes selbst nicht verfassungswidrig sein darf, wie Michaels erklärt). Und dann endet ihre eh schon geringe Geltung auch noch mit der Legislaturperiode. Nehmen wir die BDS-Resolution: abgelaufen. Dennoch beruft sich nicht nur die Union weiterhin auf sie. Sie wird in Urteilen zitiert. Museen, Galerien, Konzerthäuser nehmen sie als Grundlage, um Veranstaltungen von Künstlern abzusagen, die angeblich dem BDS nahestehen.

Wie nah die dem BDS wirklich sind, ist oft gar nicht zu sagen. Es gibt keine BDS-Mitglieds-, sondern nur BDS-Unterschriftenlisten. Gehört man dazu, wenn man vor 15 Jahren einen Aufruf unterzeichnet und sich danach entfremdet hat? Oder machen erst Regelmäßigkeit und Militanz den Antisemiten? Was zählt, ist der Ermessensspielraum in den Köpfen derer, die Stipendien vergeben oder Ausstellungen planen. Dort in den Entscheider-Köpfen ist die BDS-Bundestagsresolution mächtig.

Eine weitere, besonders restriktive Resolution könnte die Lage verschlimmern, ist Carola Lentz vom Goethe-Institut überzeugt. Praktisch führe das dann dazu, “dass Institutionen prophylaktisch nicht mehr mit Kulturschaffenden aus bestimmten Weltregionen zusammenarbeiten, um Konflikte mit dem Zuwendungsgeber zu vermeiden”. Der Verfassungsblog spricht grundsätzlich gar von einer “Tendenz zur vorauseilenden Selbstzensur”, sollte die IHRA-Definition Einzug halten in die Kulturförderung.

Die Schere im Kopf

Die Schere im Kopf schneidet besonders gut – kalkuliert die Union damit? Und was ist mit den Fraktionen der Ampel? Wissen sie, was sie da fordern sollen? Die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg jedenfalls hofft, dass ihre harte Haltung Schule macht. “Der Gedanke – kein Steuergeld für Verfassungsfeinde – ist übergreifend”, sagte sie der Süddeutschen Zeitung im Juni, “und kann nicht nur für den Kulturbereich gelten. Wir brauchen eine solche Regelung auch für den Bereich der Justiz, wo wir mit vielen sozialen Projekten zusammenarbeiten, die sehr unterschiedliche Hintergründe haben. Wir brauchen das auch im Bereich der Jugend- und Sozialarbeit, wo Fördermittel an sehr unterschiedliche Träger und Projekte ausgezahlt werden, genauso aber auch im Bereich der Bildung.”

Einmal Verfassungsschutz für alle! Wer braucht das, von Populisten und Symbolpolitikern abgesehen?

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, ist schon jetzt alarmiert. “Eine geplante Prüfung durch den Verfassungsschutz”, sagt er ZEIT ONLINE, “wäre eine ganz neue Qualität der Bevormundung und rechtlich höchst fragwürdig.” Seine Forderung: “Wir brauchen keine staatliche Gewissensprüfung. Das Gewissen muss frei bleiben, um sich selbst kritisch zu hinterfragen.”

Anfang Dezember berichtete die New York Times über den Kulturstandort Deutschland und wie die internationale Kunstszene ihm auch aufgrund der deutschen Debatte nach dem 7. Oktober den Rücken kehre. Carola Lentz vom Goethe-Institut sieht das ähnlich: “Schon jetzt weigern sich immer mehr internationale Partner, mit deutschen Institutionen zusammenzuarbeiten, weil sie hierzulande die Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt sehen.” Für die Reputation Deutschlands sei das ein Problem. Sortiere man dann immer mehr Partner vorsorglich aus, stehe man bald ohne Gesprächsmöglichkeit im Globalen Süden und anderen Teilen der Welt da. Nötig sei das nicht. “Ich sehe die Verantwortung, gegen Antisemitismus vorzugehen, in erster Linie bei den Institutionen der Kulturförderung in Deutschland”, ist Lentz überzeugt. Auch Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat sagt: “Ich wünsche mir mehr Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs.” Beide, der Deutsche Kulturrat wie auch das Goethe-Institut, setzen lieber auf die entgiftende Wirkung von Debatte und Kontextualisierung.