MESOP MIDEAST WATCH : Syriens Regime in Paris vor Gericht: Können Assads Schergen noch zur Rechenschaft gezogen werden?
In Frankreich wird erstmals Vertretern des Assad-Regimes wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen der Prozess gemacht. Experten bewerten, wie sinnvoll ein solches Verfahren ist.
Von Julia Duchrow TAGESSPIEGEL 21-5-24
Es ist ein historischer Prozess. Erstmals müssen sich ab dem 21. Mai drei hochrangige Vertreter des Regimes von Baschar al Assad wegen des Todes zweier französisch-syrischer Staatsbürger vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.
Allerdings werden die Angeklagten Ali Mamlouk, Jamil Hassan und Abdel Salam Mahmoud, gegen die internationale Haftbefehle vorliegen, nicht im Pariser Gerichtssaal anwesend sein. Die drei Männer leben in Syrien.
Sie werden beschuldigt, als Mitarbeiter des Geheimdienstes für den gewaltsamen Tod von zwei Franzosen verantwortlich zu sein. Vater und Sohn wurden 2018 vom Regime für tot erklärt. Sie waren zuvor jahrelang in einem berüchtigten Gefängnis festgehalten worden.
Der Anklageschrift zufolge „erscheint es hinreichend erwiesen“, dass die beiden „wie Tausende von Gefangenen des Nachrichtendienstes der Luftwaffe Folterungen von solcher Intensität erlitten, dass sie daran starben“.
Ein Prozess ist wichtig, aber dem Land droht ein gefährlicher Zerfall
Andreas Reinicke ist Direktor des Deutschen Orientinstituts. Er war früher deutscher Botschafter in Syrien und Tunesien. Er begrüßt das Verfahren in Paris. Aber erforderlich sei eine politische Lösung für den Konflikt in Syrien.
Es ist ein gutes Zeichen, dass sich jetzt in Frankreich Angehörige des Assad-Regimes für mögliche Straftaten verantworten müssen. Die Botschaft ist klar: Verbrecher und Folterer aus anderen Staaten finden bei uns keine Rückzugsräume.
Wichtig ist, dass es in Europa öffentliche Gerichtsverfahren gibt, bei denen – anders als in Syrien – Anklage und Verteidigung ihre Argumente transparent vorbringen können. Das macht ein späteres Urteil glaubwürdig.
Aber ein Prozess ersetzt keine politische Lösung. Syrien zerfällt derzeit in mindestens vier Gebiete. In der Region Idlib regieren radikale Islamisten, im relativ friedlichen kurdischen Nordosten könnten neue Kämpfe entstehen, sollten sich die USA zurückziehen.
Im von Assad-Regime kontrollierten Gebiet und an der Grenze zur Türkei hungern die Menschen. Bei einer Ausweitung der Kämpfe rund um Gaza drohen neue Flüchtlingsströme und Terrorismus. Wir brauchen also dringend eine politische Lösung für diesen Konflikt, ehe er weiter zu uns dringt.
Eines der größten Massenverbrechen unseres Jahrhunderts
Patrick Kroker ist Senior Legal Advisor beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), wo er unter anderem die Arbeit zu Menschenrechtsverbrechen in Syrien leitet. Er sagt: Wer Menschenrechte schützen will, muss ihnen zur Durchsetzung verhelfen – notfalls gerichtlich.
Die syrische Regierung begeht seit dem – zunächst friedlichen – Aufstand 2011 eines der größten Massenverbrechen unseres Jahrhunderts an der eigenen Bevölkerung. Der eigentlich dafür geschaffene Internationale Strafgerichtshof kann nicht tätig werden: Syrien ist nie Vertragsstaat geworden, Russland hält seine schützende Hand über Assad im UN-Sicherheitsrat und verhindert so Ermittlungen durch das Weltstrafgericht.
In syrischen Gefängnissen wird gefoltert und misshandelt. Viele Menschen überleben das nicht.
Nationale Gerichte sind die einzigen Orte, an denen diese Verbrechen aufgearbeitet werden. Dass dies möglich ist, beweisen nicht zuletzt deutsche Gerichte inzwischen in großer Regelmäßigkeit. Im Januar 2022 endete das erste Verfahren weltweit wegen syrischer Staatsfolter am OLG Koblenz. Ein Mammutprozess, den die deutsche Justiz bravourös meisterte.
Diese Prozesse sind nicht nur die einzige Möglichkeit für Opfer und deren Angehörigen, Gerechtigkeit zu erlangen, es geht dabei auch ums Prinzip: Wer Menschenrechte schützen will, muss ihnen zur Durchsetzung verhelfen – notfalls gerichtlich. Das macht auch das Pariser Gericht in dem nun beginnenden historischen Prozess.
Die Verfahren sind ein wichtiger Schritt gegen Straflosigkeit
Julia Duchrow ist seit 2023 Generalsekretärin der deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Sie sagt: Die Staatengemeinschaft muss die Täter zur Rechenschaft ziehen.
Die Staatengemeinschaft trägt die Verantwortung dafür, die in Syrien begangenen Verbrechen aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist ein großer Erfolg, dass es trotz der Blockade des Internationalen Strafgerichtshofs durch Russlands und Chinas Veto im UN-Sicherheitsrat Strafverfahren gibt.