MESOP MIDEAST WATCH: Anatomie Deutscher Israelpolitik

 

Verpanzerte Herzen

Der SPIEGEL-Leitartikel von Julia Amalia Heyer

Aus der legitimen Selbstverteidigung Israels ist ein Vernichtungsfeldzug geworden. Die deutsche Politik verschließt davor die Augen. Das ist falsch – und gefährlich.

12.03.2024, 23.43 Uhr  Artikel zum Hören•

Man konnte von Claudia Roth halten, was man mochte. Man konnte genervt sein von ihrer Exaltiertheit, ihrer Gefühligkeit, ihrem »Buntsein«, wie sie es einmal selbst ausdrückte. Oder man fand genau das gut an ihr.

Egal, wie man zu ihr stand, Roth galt als integer.

Vergangene Woche hat die Kulturstaatsministerin, im Nachklapp zur Berlinale-Preisverleihung, dem SPIEGEL ein Interview gegeben . Was sie darin sagt und wie sie es sagt, macht beklommen.

Die Staatsräson, so sieht es aus, frisst die Räson, die Vernunft. Vernebelt den Verstand. Verpanzert das Herz.

Claudia Roths Äußerungen wirken getragen von der Angst um die eigene Existenz, um den eigenen Posten. Sie stellt klar, wenn man das so nennen will, dass sie nicht dem israelisch-palästinensischen Dokumentarfilmer-Duo Beifall spendete, sondern nur für den jüdischen Teil des Teams klatscht.

Die Wortwahl des Palästinensers habe ihr nicht gefallen. Sie, die Kulturstaatsministerin, pocht nicht etwa auf Kunst- und Meinungsfreiheit, auf das Recht auf unterschiedliche Perspektiven – sondern sie will vorschreiben und sanktionieren.

Sekundiert wurde von anderen Regierungsmitgliedern.

Roths Worte sind bemerkenswert, weil sie veranschaulichen, wie verschroben, wie verknotet die Haltung vieler deutscher Politiker zu Israel, zum Gazakrieg oder gleich zum Nahostkonflikt mittlerweile ist.

Wohlfeil, selbstvergewissernd oder schlicht ahnungslos – alles Adjektive, mit denen sich die deutsche Israelpolitik beschreiben lässt.

Es begann, freundlich formuliert, leicht naiv: Der Bundeskanzler, Ende Oktober in Brüssel, sagte mit seiner Bescheidwisser-Stimme: »Deshalb kann man sicher sein, dass die israelische Armee bei dem, was sie macht, die Regeln beachten wird, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Da habe ich keine Zweifel.«

Seither ist ein bisschen was passiert: 30.000 tote Palästinenser, darunter verheerend viele Frauen und Kinder. Zerbombte Krankenhäuser, Universitäten, Moscheen. Hunger.

 

Dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag scheint, ganz im Gegensatz zu Checker Scholz, die Gefahr plausibel, dass Israel mit seinem Krieg gegen die Völkermordkonvention von 1948 verstößt; er hat deshalb gegen Israel einstweilige Anordnungen erlassen. Und Nicaragua verklagt Deutschland wegen Beihilfe.

Dass im Gazakrieg schwere Kriegsverbrechen stattfinden, darüber scheint man sich unter Völkerrechtlern weltweit recht einig zu sein. Das ficht die deutsche Regierung aber nicht weiter an, der Tenor: Wer das Wort »Genozid« auch nur in den Mund nimmt, ist Antisemit.

 

Den offiziellen deutschen Diskurs scheinen Menschen wie der frühere grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck mitzubestimmen. Beck hat sich eine ganz neue Karriere gebastelt und hetzt und petzt auf X wie im wirklichen Leben, und zwar in etwa gegen alle, die Palästina mit P schreiben. Auch der früher eher umstrittene Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, scheint mehr denn je in seinem Element. Klein hat kein Problem damit, Juden zu erklären, was Antisemitismus bedeutet und wie sie darüber zu denken haben.

Wohlfeil, selbstvergewissernd oder schlicht ahnungslos – alles Adjektive, mit denen sich die deutsche Israelpolitik beschreiben lässt. In Berlin, so kommt es einem vor, wird weder mit Herz noch mit Verstand auf einen Krieg geschaut, der schon zu lange zu grausam geführt wird. Und der, begonnen nach dem mörderischen Massaker der Hamas und anderer Terrorgruppen am 7. Oktober, mittlerweile die Kategorien gewechselt hat: Aus der legitimen Selbstverteidigung Israels ist ein Vernichtungsfeldzug geworden. Ein Krieg ohne Ziel, ohne Exitstrategie.

Diesen Krieg immer weiter bedingungslos zu unterstützen, kratzt an der Glaubwürdigkeit Deutschlands im Rest der Welt, wie Außenministerin Annalena Baerbock bereits bemerken dürfte.

Die Ministerin, die in eigenen Worten »aus dem Völkerrecht kommt« und für eine wertebasierte Außenpolitik stehen möchte, nimmt erstaunlich lange schon in Kauf, dass sich Israel ums Völkerrecht nicht sonderlich zu scheren scheint. Baerbocks Mahnungen haben mitunter Treppenwitz-Charakter: Mitte Februar, der Krieg tobte bereits im fünften Monat, warnte sie: eine Offensive in Rafah sei »eine humanitäre Katastrophe mit Ansage«.

Fünf Mal war sie seit Beginn des Krieges bereits in Israel, das Ergebnis ihrer Pendeldiplomatie, wenn man das so nennen möchte: Deutsche Rüstungslieferungen nach Israel haben sich im Vergleich zu 2022 verzehnfacht. Deutschland beteiligt sich also bereits mit Waffenexporten am Krieg; zugleich befürwortet Baerbock aber auch eine deutsche Beteiligung an der internationalen Seebrücke für die notleidende Bevölkerung in Gaza.

Ein Widerspruch, aber kein Witz: Bomben und Brot, die USA machen es vor. Zynischer kann Außenpolitik kaum daherkommen.

Als das Auswärtige Amt vor Kurzem ein Statement verschickte, in dem es die Genehmigung weiterer Siedlungseinheiten im Westjordanland »in aller Deutlichkeit« verurteilte, nannte der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon das »Placebo-Statement«. Deutschland fehle jede Glaubwürdigkeit, solange es »keine klaren, oder überhaupt Worte für Israels Völkerrechtsverstöße« finde.

Apropos Völkerrechtsverstöße: Es ist dem Ansehen der Bundesregierung im internationalen Gefüge nicht zuträglich, wenn sich der Bundesjustizminister mit einem extremistischen israelischen Minister auf ein Podium setzen möchte, weil ihm, so seine Sprecherin »der Staat Israel und seine Bevölkerung besonders am Herzen liegen.« Amichai Chikli fordert die jüdische Wiederbesiedlung des Gazastreifens samt Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Die taz berichtete über den geplanten Auftritt, Marco Buschmann sagte ab.

Mit Blick auf diesen Krieg und seine verheerende Bilanz scheinen einige Regierungsmitglieder, darunter ihr liberaler Justizminister, vor allem damit beschäftigt, die UNRWA, das Palästinenserhilfswerk, abschaffen zu wollen. Oder internationalen Filmschaffenden, die auf Preisverleihungen ein Palästinensertuch tragen, Free Palestine oder Ceasefire Now rufen, mit strafrechtlichen Konsequenzen zu drohen.

An der Seite Israels stehen, heißt in Deutschland viel zu oft, an der Seite der israelischen Regierung zu stehen.

Diese sehr deutsche Brille, mit der auf diesen Konflikt geschaut wird und die andere Perspektiven unter Strafandrohung ausschließen will, hat etwas Widerwärtiges.

Dass Oppositionschef Friedrich Merz bei seinem Besuch in Israel Mitte Februar Benjamin Netanyahu als Verbündeten entdeckte  und weiß, dass dieser bald die Hamas besiegt haben wird, passt da gut ins Bild. Denn an der Seite Israels stehen, heißt in Deutschland viel zu oft, an der Seite der israelischen Regierung zu stehen.

Dabei scheint es deutsche Politiker wenig zu kümmern, dass hunderttausende Israelis monatelang Woche für Woche gegen ebendiese Regierung auf die Straße gingen. Und ja, ein Großteil der Bevölkerung unterstützt diesen Krieg auch jetzt noch. Aber ein Großteil der Bevölkerung fordert auch Netanyahus Rücktritt.

Für Berlin macht das keinen Unterschied: Hauptsache, we stand with Israel.

Welches Israel das ist, scheint egal. Das Land, dessen Regierungsmitglieder zum Teil offen in ihren Vertreibungsphantasien schwelgen und diesen Krieg am liebsten morgen ausweiten würden? Schöner wäre ja doch das Israel all derjenigen, die sich zuallererst Sicherheit wünschen und Frieden und deshalb bereit sind, den Dauerkonflikt mit den Palästinensern zu beenden.

Das Problem der deutschen Israelpolitik ist, dass sie unreflektiert und vasallenhaft daherkommt. Und damit riskiert, das Staatsräson-Prinzip ins Gegenteil zu verkehren.