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Covestro-Chef Markus Steilemann: «Wir haben lange vor der Deindustrialisierung gewarnt. Jetzt werden wir diese Effekte sehen»
Als Präsident des Chemieverbandes VCI geht Markus Steilemann mit der deutschen Energiepolitik hart ins Gericht. Deutschland verliert für ihn an wirtschaftlicher Bedeutung. – René Höltschi, Berlin NEUE ZÜRCHER ZEITUNG 19.12.2023,
Herr Steilemann, laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) sinkt die deutsche Chemieproduktion (ohne Pharma) dieses Jahr um 11 Prozent. Warum?
Im Wesentlichen ist es eine Absatzkrise. Während der Corona-Pandemie gab es in Branchen wie der Elektro-, der Elektronik- und der Möbelindustrie, die wichtige Abnehmer der Chemieindustrie sind, viele vorgezogene Käufe, die nun fehlen. Zeitgleich haben wir infolge von Lieferengpässen aus der Corona-Krise in der Automobilindustrie über Jahre eine Durststrecke erlebt. Jetzt wächst die Autoindustrie wieder, befindet sich aber noch auf dem Niveau von ungefähr 2018. Und es gibt bereits Signale für eine erneute Abschwächung, weil der Rückstand bei der Auftragsbearbeitung langsam abgearbeitet ist, die Automobilindustrie speziell in Deutschland nicht mehr dieselbe Förderung geniesst und die Konsumenten verunsichert sind.
Gibt es auch strukturelle Gründe für den Rückgang?
Ja. Neben einer Absatzkrise geht es um Energie und Energiepreise. Die Wettbewerbsfähigkeit sehr energieintensiver Produkte in Deutschland ist bei international verfügbaren Produkten nicht mehr gegeben. Wenn überhaupt, kann man sich bei diesen Produkten noch gegenüber Importen behaupten, aber man kann nicht mehr aus Deutschland heraus wettbewerbsfähig exportieren. Auch einige unserer Kundenindustrien haben strukturelle Schwierigkeiten, weil sie die Transformation in Richtung Elektromobilität begleiten, aber unter sehr hoher Unsicherheit über die Rahmenbedingungen arbeiten.
Ist die Talsohle erreicht?
Die Branche steht 2024 vor einem weiteren schwierigen Jahr, speziell in Deutschland. Seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen 60 Milliarden Euro im staatlichen Klima- und Transformationsfonds, von denen wesentliche Investitionsimpulse ausgegangen wären. Wichtige Absatzmärkte der Chemieindustrie in Deutschland werden sich vermutlich zumindest nächstes Jahr noch eher verhalten entwickeln. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Absatz der chemischen Industrie (ohne Pharma) bestenfalls stagnieren wird.
Im Namen des VCI haben Sie sich für einen subventionierten Brückenstrompreis für energieintensive Industrien eingesetzt.
Dafür haben wir viel Kritik eingesteckt. Deshalb ist es mir wichtig, das einzuordnen. Deutschland ist aus der Kernenergie ausgestiegen und hat den Ausstieg aus Kohle und Gas vorverlegt, es aber nicht geschafft, die erneuerbaren Energien entsprechend den selbstgesteckten Zielen auszubauen. Das hat zu einer Angebotsverknappung geführt, und nun wundert man sich, dass die Preise steigen. Natürlich hat auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Preise in die Höhe getrieben, aber das sind kurzfristige Effekte gewesen.
Mittel- und langfristig ist die Verknappung des Stromangebots der wesentliche Faktor. Davon können sich weder die derzeitige Bundesregierung noch ihre Vorgängerinnen freisprechen. Die Vorgänger haben den Ausbau der Erneuerbaren zu langsam vorangetrieben und die Ausstiege beschlossen. Die jetzige Regierung hat den Ausbau ebenfalls nicht schnell genug betrieben und das Angebot durch jüngere Entscheide beziehungsweise das Festhalten an alten Entscheidungen weiter verknappt.
Ökonomen haben kritisiert, ein Brückenstrompreis würde angesichts dauerhaft hoher Energiepreise nur den unumgänglichen Strukturwandel verzögern.
Die Philosophie war: Ihr habt nicht schnell genug Erneuerbare zugebaut, aber versprochen, dass bis 2030 alles wieder funktioniert. Also gebt uns ein bisschen mehr Sauerstoff, damit wir diese zusätzliche Tauchstrecke gemeinsam schaffen. Ich glaube, dass man vom Brückenstrompreis abgerückt ist, als man festgestellt hat, dass die Ausbauziele für die Erneuerbaren nicht erreichbar sind. Damit wäre man in eine Dauersubvention gekommen, und das ist immer schlecht.
Stattdessen kommt jetzt das Strompreispaket.
Die damit geplanten Massnahmen werden die Kostensteigerung nur verlangsamen. Keine ist geeignet, den Strompreis zu senken. Zudem dürften nun die Netzentgelte steigen.
Warum halten Sie das Ziel, bis 2030 den Strombedarf zu 80 Prozent mit Erneuerbaren zu decken, für nicht mehr erreichbar?
Das ist faktisch unmöglich. Erzeugung, Netz und Speicher könnten nicht mehr so schnell ausgebaut werden, wie es notwendig wäre, um den Energiehunger in Deutschland bis 2030 mit so viel grüner elektrischer Energie zu stillen.
Was heisst das für die Industrie?
Wir wissen jetzt, dass die Elektrizitätspreise weiter steigen werden und die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet sein wird. Wir haben lange vor der Deindustrialisierung gewarnt. Jetzt werden wir diese Effekte sehen. Anekdotisch habe ich Belege dafür, dass Unternehmen handeln werden und ein struktureller Wandel weg von energieintensiven Betrieben kommt. Es wird in Deutschland maximal Instandhaltungsinvestitionen und Investitionen in energieextensive Produktionsprozesse geben. Und wir werden verstärkt sehen, dass Unternehmen ihre Auslandinvestitionen gegenüber den Investitionen in Deutschland massiv hochfahren werden.
Sprechen Sie von der Industrie insgesamt oder von der Chemie?
Ich spreche an dieser Stelle für den VCI. Aber ich bin auch Vizepräsident im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), und dort ist die Stimmung ebenfalls sehr gemischt. Unsere Abnehmer sagen: Wenn ihr nicht mehr in Europa produziert, muss ich von euch aus dem Ausland zukaufen oder mir ausländische Lieferanten suchen. Dann muss ich mich fragen, ob ich nicht mit meiner Produktion ebenfalls nach China oder in die USA gehe, wo ich auf der Zulieferer- und der Kundenseite die kompletten Wertschöpfungsketten finde. Schon vor der Energiekrise wurde die deutsche Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt durch Standortfaktoren wie Steuern, Bürokratie oder mangelnde Attraktivität für hochqualifizierte ausländische Kräfte. In energieintensiven Bereichen werden wir eher eine Deindustrialisierung sehen, in den anderen Bereichen eher eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau.
Wie stark trifft all das Covestro?
Der Brückenstrompreis wäre ein Signal für den Standort gewesen, wir selbst hätten aber nur in geringem Umfang finanziell profitiert. Ähnliches gilt für das Strompreispaket. Anders sieht es in Teilen unserer Wertschöpfungskette aus. Wenn zum Beispiel Stahl nicht mehr hier produziert wird, was heisst das für die Autoindustrie, einen wichtigen Kunden von uns? Deshalb stellen wir uns so auf, dass wir unabhängiger von deutschen Absatzmärkten werden. Sosehr uns der Standort am Herzen liegt, so klar ist die kurz- und mittelfristige Ausrichtung der Energiepolitik. Im Bereich energieintensiver Anlagen investieren wir in Deutschland nur noch in Energieeffizienz sowie in Instandhaltung und Ertüchtigung der Anlagen.