THEO VAN GOGH ZEITGEIST: WHO THE FUCK IS ICOMOS? / Altarstreit in Naumburg : Steine im Rollen

 

Kommentar von Stefan Trinks FAZ  -6.12.2022

Der Altar im Dom zu Naumburg: Der Leipziger Maler Michael Triegel hatte das 1519 von Lukas Cranach d. Ä. geschaffene Kirchengemälde wieder vervollständigt und den Mittelteil neu geschaffen. B

Falsche Argumente, falsche Sichtweisen: Aber die internationale Denkmalschutzbehörde Icomos droht mit dem Entzug des Welterbetitels für den Naumburger Dom.

Kirchengebäude bleiben nur dann dauerhaft bestehen, wenn sie aus „lebendigen Steinen“, ihren Mitgliedern, errichtet sind und ihr „Eckstein“ Christus ist – so lehren es Theologie und Er­fahrung. Der Naumburger Dom mit seinen weltberühmten Stifterfiguren aus dem 13. Jahrhundert besitzt solch lebendige Steine. Diese hatten An­fang Juli einen von dem Maler Michael Triegel gestifteten Altar eingeweiht, der den 1541 im Bildersturm teilzerstörten Marienaltar von Lucas Cranach im Zentrum des Westchores modern, aber stilistisch vollkommen angemessen ergänzt.

Am Wochenende konnte man diesen neu-alten Marienaltar mit seinem Petrus mit Baseballkappe und einem sehr gegenwärtigen NS-Märtyrer Dietrich Bonhoeffer noch einmal als das erleben, was er längere Zeit nicht mehr sein wird – als wiederhergestelltes liturgisches Zen­trum einer le­bendigen Kirche. Denn die inter­nationale Denkmalschutzbehörde Icomos in Paris hat wegen Verstellung der Sichtachsen zwischen den Stifterfiguren durch das Retabel mit Entzug des Welterbe­titels gedroht und dabei behauptet, es habe nie ei­nen Marienaltar Cranachs im Westchor gegeben, was nachweislich falsch ist.

Die Vereinigten Domstifter Naumburg haben vorerst nachgegeben: Am Montag wurde der Altar nach nur fünf Monaten wieder abgebaut, nachdem am Sonntag im Rahmen einer feierlichen Verabschiedung über ihn der Reisesegen durch den Domprediger gesprochen worden war – auch das spricht für ein lebendiges Bild, das sich metaphorisch „auf den Weg macht“, um bis Ende Juni 2023 im Diözesanmuseum Pa­derborn zu se­hen zu sein.

Der Dom ist Ort des Gottesdienstes

Es klingt widersinnig: Der Naumburger Dom wurde – wie der Besucherzustrom seit Aufstellung des Cranach-Triegel-Altars belegt – nicht mehr nur wegen Uta und ihren Stifterkollegen besucht, sondern eben auch wegen des neuen Retabels. An dem wird nun auch Gottesdienst ge­feiert, was zuvor im nahezu rein mu­sealen Westchor äußerst selten der Fall war. Die lebendig gestische Blick-Zwiesprache des steinernen Fi­gurentheaters konnte trotz des Altars wohl jeder Besucher nachvollziehen.

Doch ist Naumburg nicht der erste Fall in Deutschland, in dem Icomos einen Status quo festschreiben will – siehe Dresden mit der Waldschlößchenbrücke und Koblenz mit seiner Seilbahn über den Rhein. Allen ge­meinsam scheint zu sein, dass ein statisches, wenn nicht ahistorisches und im Naumburger Fall zudem faktisch falsches Verständnis von Kultur und Kulturerbe in Anschlag gebracht wird. Wenn in einem für liturgische Zwecke gedachten Raum nichts mehr verändert werden darf, obwohl die Liturgie es erfordert, wird eine Kirche zu einem Museum. Wenn keine Brücken mehr gebaut werden dürfen, um Stadtentwicklungen Rechnung zu tragen, dann müsste über die Prämissen diskutiert werden, die dieser Musealisierungstendenz zugrunde liegen.

Würde man die Seitenflügel an den Wochentagen einklappen, wäre die Figurengalerie wieder sichtbar.

Die weltweit anerkannte Denkmalpflege-Architektin Barbara Schock-Werner betonte auf einem interna­tionalen Kolloquium in Naumburg zum Altarstreit vor zwei Wochen, es müsse primär um Entscheidungen der Dombaumeister vor Ort in Ab­sprache mit ihrer Gemeinde gehen. Schock-Werner, die bis 2012 dreizehn Jahre lang Dombaumeisterin der Kölner Kathedrale war, muss es wissen: Sie sprach über die permanenten Än­derungen in „ihrem“ Kölner Dom, darunter die unausgesetzten Wanderungen des Hauptaltars im Lauf der Jahrhunderte: zuerst zu Füßen des Dreikönigsschreins, dann in die Mitte des Hochchors, danach an die Kante der Vierung.

Mit dem Kölner Dom kommt aber auch ein Kronzeuge für zeitgenössische Eingriffe in altehrwürdige Kirchengebäude ins Spiel, die einen Ge­winn darstellen und dem Gefüge nicht schaden: Gerhard Richters abs­traktes Südfenster aus 11 263 Farbglasfeldern. Seit Jahren pilgern Kunstgläubige nur wegen dieses gläsernen Meisterwerks nach Köln, ob­wohl und gerade weil es naturgemäß das Farblicht des Querschiffs gravierend verändert. Dasselbe gilt für die gotische Kathedrale von Reims mit ebenfalls abstrakten, farbstarken Mo­­­numentalfenstern des deutschen Malers Imi Knöbel, die wie auch der Kölner Dom als französische Krönungskathedrale UNESCO- und da­mit Icomos-Weltkulturerbe ist.

Doch wollen die Vereinigten Domstifter keine Verhärtung und haben ei­nen Kompromissvorschlag präsentiert: Das Retabel könnte nach seiner Rückkehr beispielsweise an Werk­tagen geschlossen bleiben und nur an Sonn- und Feiertagen geöffnet werden – die sprichwörtliche „liturgische Wandlung“ dieser nicht statischen, vielmehr wandelbaren Flügelaltäre des Spätmittelalters. Bei geschlossenem Altar wären so alle Stifterfiguren auf einen Blick sichtbar – und alle Seiten könnten zufrieden sein.