Nach Postkolonialismus-Kritik : Horst Bredekamp & die „imperiale Männlichkeit“
MESOPOTAMIA NEWS : DIE NEUEN KOLONIALHERREN SIND DIE FRAUE N /
„Den Typen (Männern) jede Bühne nehmen!“ (Léontine Meijer-van Mensch, die Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens)
- Von Patrick Bahners – FAZ – 11.03.2021 – „Welt-Fahrten“ nannte Wilhelm Joest seine gesammelten Schriften. – – – – Horst Bredekamps Kritik an Postkolonialismus und Identitätspolitik löst heftige Gegenreden aus. Im Netz stellen mehrere Museumsdirektorinnen psychologische Spekulationen über seine Motive an.
Am 8. März erschien in diesem Feuilleton ein polemischer Artikel des Berliner Kunsthistorikers Horst Bredekamp mit der These, dass im Zuge der Debatte über das Eigentum an Museumsgut außereuropäischer Herkunft der „antikoloniale Kulturbegriff“ der Gründerzeit deutscher Völkerkundemuseen aus dem wissenschaftlichen und damit auch aus dem öffentlichen Gedächtnis verbannt werde. Bredekamp nahm die Arbeitshypothese aktivistischer Wissenschaftler wie Bénédicte Savoy und Jürgen Zimmerer auf, dass sich in der Behandlung der scheinbar entlegenen Provenienzfrage das geschichtliche Selbstverständnis unserer Gesellschaft offenbaren müsse, und kam zu einem unter progressiven Prämissen alarmierenden Resultat, das der Artikelvorspann auf die Formel der „Zerstörung des Antikolonialismus durch den Postkolonialismus“ brachte.
Léontine Meijer-van Mensch, die Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens, kommentierte Bredekamps Veröffentlichung bei Twitter. Genauer gesagt galt ihr Kommentar dem Datum der Veröffentlichung: „Solchen Typen eine Bühne geben am Weltfrauentag, irgendwie schräg.“ Viola König, die pensionierte Direktorin des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, stimmte ihrer Kollegin zu und buchstabierte den Sinn des hingeworfenen Kommentars aus: Schräg sei es in der Tat, „ausgerechnet am Weltfrauentag, angesichts der heute mit einer Ausnahme von problembewussten Frauen geleiteten Ex-VK-Museen, einem Beitrag, in dem es von all den Horst, Wolfgang, Adolf, Georg, Franz, Felix, Alexander, Wilhelm und Carl nur so wimmelt, eine Bühne zu geben“.
Diese kollegialen Reaktionen bestätigen den von Bredekamp geäußerten Verdacht, dass im Kulturkrieg um die Kolonialvergangenheit die Symbolpolitik vollends an die Stelle der Auseinandersetzung in der Sache getreten ist. Ethnologinnen sind zuständig für Symbole: Der Fall ist ernst zu nehmen.
Wenn man der Entscheidung unserer Redaktion, den Artikel am Montag und nicht erst heute herauszubringen, einen symbolischen Sinn zuschreiben will, muss man uns entweder eine bewusste Absicht unterstellen oder aber annehmen, dass die gedankenlose Datumswahl etwas über uns verrate. Übrigens kommt es bei Zeichen immer darauf an, wer sie setzt. „Solche Typen” bekommen eine Bühne: Man stelle sich vor, ein professoraler Horst hätte sich mit einem analogen herabsetzenden Plural über den Artikel einer Museumsfrau geäußert. Was wäre dann wohl auf Twitter losgewesen?
Nadine Snoep, als Direktorin des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums eine der von Viola König angesprochenen problembewussten Frauen, wurde im Deutschlandfunk zu der „Empörung” befragt, die Bredekamps Intervention „allein schon bei Twitter” ausgelöst habe. Auch Snoep fand es „interessant, dass am Frauentag dieser Artikel publiziert wurde”. Aber sie nannte ein Argument: Bredekamp verbreite „ein sehr paternalistisches Gedankengut“.
In dem Leitgedanken Bredekamps, daß der Berliner Museumsdirektor Adolf Bastian die vom Kolonialismus bedrohte Vielfalt der Weltkulturen habe „retten“ wollen, macht Snoep ein patriarchalisches Wunschbild aus.
Bredekamps Artikel ist für Snoep „eine sehr interessante psychologische Reaktion” auf die. Anderung der „Machtverhältnisse” im öffentlichen Diskurs: Material für „eine Psychoanalyse”. Auf die Frage, ob man denn Wilhelm Joest, dessen Sammlungen den Grundstock ihres Museums bilden, einen „antikolonialen Sammler” nennen könne, sagte Snoep: „Auf gar keinen Fall.”
Eine differenzierende Antwort ist von der Dissertation zu erwarten, an der Carl Deußen, ein Mitarbeiter des Museums, sitzt. Joest, Enkel eines Zuckerfabrikanten und preußischer Rittmeister, war ein Weltreisender und Privatgelehrter, der bei Bastian studierte. Seine terliner Wohnung hatte er als privates Weltmuseum eingerichtet. Joest ist eine Schlüsselfigur der Berliner Zirkel, die Bredekamp rehabilitieren möchte.
In einem ersten Bericht über sein Projekt hebt Deußen hervor, dass Joest das Rüstzeug einer kolonialistischen Denkungsart durch Lektüre in der Kindheit erworben habe. Wir stoßen auch auf den Begriff des Paternalismus: Joests Einstellungen zu den Menschen, deren Dinge er sammelte, schwankten „zwischen paternalistischer Bewunderung und offen rassistischer Feindseligkeit”. Deußen hat seine Untersuchung als Fallstudie über „imperiale Männlichkeit” angelegt. Die Dominanz sozialpsychologischer und insbesondere sexualpsychologischer Kategorien in der heutigen Forschung zur Geschichte der Ethnologie kann wohl. auch die Reaktionen der drei Museumsdirektorinnen auf Bredekamp verständlich machen.
Deußen bekennt, dass er Züge seines eigenen jüngeren Forscher-Ich bei Joest wie-derfinde, romantische Neugier auf bedrohte Völker oder mit einem Wort: ein Retter-syndrom. Joest dürfe nicht auf einen „kolo-nialen Buhmann” reduziert werden. Auch den Kritikern der kritischen Fachgeschichte möchte Deußen mit Verständnis begegnen. Man müsse verhindern, dass „weiße Menschen sich aus der öffentlichen Dis-kussion zurückziehen, nur um ihren Schmerz auszusprechen, wenn sie ,unter sich’ sind”. Joest fehlte laut Deußen eine „epistemische Grundlage” für den selbstkritischen Blick in den „Spiegel der Geschichte”, wie er sie heute in Gestalt der „postkolonialen Theorie” besitze. Dass die postkoloniale Theorie selbst Objekt von Kritik werden muss, ist jenseits der Invektiven der provokative Gedanke Horst Bredekamps.
PATRICK BAHNERS