DIE VERGEWALTIGUNG ALLER SPRACHE UNTER DER REGENBOGENFAHNE / JUDEN & NEGER  / ALLE SPRACHREINIGER HANDELN WIE NAZIS !

MESOPOTAMIA NEWS :  „Die aufrichtigen Menschen, die glauben, dass sie auf diese Weise zur Gerechtigkeit beitragen, sollten jedoch eine Regel beachten: Immer, wenn man der Sprache Gewalt antut, verletzt man die Menschlichkeit.“ (OLGA MARTYNOVA)

WER DER SPRACHE GEWALT ANTUT  – Warum mir das Bemühen, bestimmte Worte zu verbannen, unheimlich ist. – Von Olga Martynova

„Beschuldigt mich nicht des Antisemantismus. Einige meiner besten Freunde sind Wörter”, hieß es 1983 in der seinerzeit berühmten Graffiti-Sammlung von Hans Gamber.

Etwas Ähnliches hört man heute, aber nun ganz ernst gemeint: „Ich bin kein Sprachpolizist, aber Neger (Kanake, ‘Mitte, Zigeuner, was auch immer), das kann ich nicht aussprechen/dulden/hören, tut mir leid.”

Gut. Und wohin dann mit Carl Einsteins kunsthistorischem Buch „Negerplastik”? Oder mit der berühmten neapolitanischen Porosität von Walter Benjamin: „Ausgeteilt, porös und durchsetzt ist das Privatleben. Was Neapel von allen Großstädten unterscheidet, das hat es mit dem Hottentottenkral gemein”?

Wohin mit den drei Zigeunern aus Nikolaus Lenaus gleichnamigem Gedicht? Und mit dem Zigeunerjungen aus der Carmen-Arie? Mit den zehn kleinen Negerlein? Streichen? Durch Sinti-und-Roma-Jungen und Ein-afrikanisches-Dorf-wie-man-es-sich-vor-hundert-Jahren-vorgestellt-hat und Zehnkleine-Schwarzafrikaner*innen ersetzen?

Wen rettet der Südseekönig, nachdem er den Negerkönig erlegt hat? Welche Wörter werden Sinti und Roma ersetzen, wenn diese erst mit den früheren Zigeuner-Vorurteilen aufgeladen sind?

Ich will auf keinen Fall jemanden kränken und nehme es sehr ernst, wenn Menschen, die das unmittelbar angeht, ihre Stimme dagegen erheben. Wenn eine Autorin an einer Diskussion über das „N-Wort” teilnimmt und sagt, das Wort kränke sie persönlich. Wenn der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma über die Wörter aufklärt. Ich kann darauf mit meinem persönlichen Anliegen antworten: In dem Wort „Jude” weilt, wenn es auch nicht gleich seinen Freunden „Zigeuner” und „Neger” aus der guten Gesellschaft verbannt ist, immer noch eine gewisse Spannung.

Natürlich nicht nur in der deutschen Sprache. Oleg Jurjews Roman „Halbinsel Judatin” hat auf Russisch im Titel ein Schimpfwort für Juden, das in der deutschen Übersetzung nicht entsprechend wiederzugeben war. Das Wort sorgte und sorgt immer noch für die Empörung mancher russischen Leser, es war aber dem Autor wichtig, weil er frei von allen Komplexen schreiben wollte, die mit dem Judesein verbunden werden können.

Um das deutsche Wort Jude, das man im neunzehnten Jahrhundert durch „Israelit” ersetzen wollte, kämpft man schon seit ein paar Jahrhunderten. Immer wieder stellt man fest, dass Gedichte nach dem Holocaust zu schreiben sich als möglich erwiesen hat, das Wort Jude wie jedes andere Wort auszusprechen aber immer noch nicht. Ich will aber das Wort Jude entspannt ausgesprochen hören, ebenso das Wort Neger und das Wort Zigeuner. Ich liebe ihren schönen Klang.

Einmal bewarb sich bei meiner Schreibwerkstatt ein Junge mit Gedichten, wollte dann aber, dass wir an seiner Prosa arbeiten. „Warum haben Sie dann nicht gleich Prosa eingereicht?”, fragte ich ihn. Weil da das Wort Nigger vorkomme und man ihn als vermeintlichen Rassisten nicht für die Teilnahme ausgewählt hätte, denn ein Foto lege man der Bewerbung ja nicht bei.

Dieser außerordentlich begabte Sohn afrikanischer Asylbewerber hieß Julian Amankwaa, studierte später am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und kam bei einem Unfall ums Leben, was, davon bin ich überzeugt, ein großer Verlust für die deutsche Literatur ist.

Vielleicht aus einem rein sprachlichen Grund interessierten ihn Juden. Ihrn reizte, das Wort Jude zu verwenden. Als einen Hausaufgabentext verfasste er einen Fabel mit Juden, die den  chassidischen Geschichten verblüffend ähnelte. Ich empfahl ihm, Martin Buber zu lesen.

Wen schützt man, indem man Wörter stellvertretend für sich selbst oder für die eigenen Vorfahren bestraft ?

Das ist eine bequeme Art, jegliche Verantwortung für die tiefe tatsächliche Schuld Europas gegenüber Negern, Hottentotten und Zigeunern abzulehnen: Es war meine Mutter, die  gesagt hat, dass es in meinem Zimmer wie bei den Hottentotten aussähe, aber wenn ich selbst das Wort vermeide, dann . . . Was dann? Wird meine Mutter damit zu irgendeiner Tante, vielleicht nicht einmal zu meiner eigenen?

Wenn die Rettung jener Wörter gelingt, die ursprünglich keine Schimpfwörter waren, kann man auch allen Schlitzaugen, Russenschweinen, Tunten und Trullen, die unter den Buchdeckeln versteckt sind und um ihr unzensiertes Weiterbestehen fürchten, die Hand reichen. Und dann —gewagte Träume! — auch Studenten und Autoren vor Studierenden und Autor*innen beschützen.

Natürlich ist das nicht der erste Versuch, die Welt auf Kosten der Sprache zu verbessern. 1946 schreibt Gottfried Benn eine Hommage an sein Geburtsjahr 1886, das er schlagzeilenmäßig beschreibt, darunter die damals bekämpften Wörter: „Kampf gegen Fremdwörter, / Luna, Ce-phir, Chrysalide, / 1088 Wörter aus dem Faust / sollen verdeutscht werden.”

1920 schildert Sammy Gronemann in seinem Roman „Tohuwabohu” die gleichen sprachschützenden Maßnahmen: „Das Wort ‚Etage’ aber war mit Rotstift mehrfach energisch durchgestrichen, — dafür war mit großen Zügen das Wort ‚Geschoß’ hingeschrieben.

Sinnfälliger konnte nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass dieser Weg zu einer Hochburg unerbittlicher Vorkämpfer des Deutschtums und unentwegter Vertilger alles Undeutschen führte.” Etage, Trottoir, Peron und Paletot kamen nicht zurück. Natürlich ist es lächerlich, sie heute zu beweinen, mit dem Wissen, das Gronemann 1920 nicht hatte, Benn 1946 sehr wohl. Die Sprache kann auch mit Mond, Geschoss, Bahn- und Bürgersteig und Mantel auskommen. Aber das erinnert uns an den Zusammenhang zwischen sprachlichen und gesellschaftlichen Prozessen.

Wenn ich von Kulturbeamten unterschriebene Flyer bekomme, wo Dichter*innen und Teilnehmende begrüßt werden, fühle ich mich unter Druck gesetzt. Für mich als jemanden, der in der Sowjetunion aufgewachsen ist, ist das besonders seltsam, eigentlich ein Deja-vu:

Ich als Autorin bekomme absurde sprachliche Empfehlungen von einer Kulturbehörde! Die Ähnlichkeit wird leider dadurch verstärkt, dass ich einige der Verfasser jener Texte privat sagen höre, sie fänden genderangepasste Sprache absurd. Das erinnert wieder an sowjetische Kulturverantwortliche, die eine private Meinung für die Freunde und eine ganz andere öffentliche Position hatten. Hilfe, will man rufen, aber wer kann helfen, und gegen wen?

Die aufrichtigen Menschen, die glauben, dass sie auf diese Weise zur Gerechtigkeit beitragen, sollten jedoch eine Regel beachten: Immer, wenn man der Sprache Gewalt antut, verletzt man die Menschlichkeit. Das heißt, es stimmt da etwas nicht.

Die Sprache, davon bin ich überzeugt, hat eine Selbstreparaturfunktion. Sie wird sich regenerieren. Zwanzig oder dreißig Jahre später werden die jungen Menschen den ergrauten Gendersternchenfreaks mit nachsichtiger Ironie begegnen, wohl wissend, dass Gleichberechtigung und Respekt auf Kosten der Sprache nicht zu erreichen sind.

Bis dahin möchte ich meinen geschätzten Freunden und Kollegen zurufen: Mein/e Liebe/r, Sie sind sehr wohl Antisemant*in!

Olga Martynova ist Schriftstellerin. Zuletzt erschien ihre Essaysammlung „Über die Dummheit der Stunde“, S. FISCHER