MESOPOTAMIA NEWS : DEUTSCHE ! HELM AUF !  / GELBWESTEN IM TAUNUS

Von Brigitte Weiguny

Diese Woche sind die ersten Gelbwesten in unserer Straße aufgetaucht. Vorneweg fuhr hupend und lärmend ein Mädchen, etwa zwei Jahre alt, auf einem Bobbycar, daneben lief ein Junge, kaum älter, auf dem Laufrad. Ein, zwei Meter dahinter marschierte die stolz singende Mutter. Alle drei trugen Helme, Stöcke und orangefarbene Schutzwesten wie die Demonstranten und Randalierer in Paris.

Dabei wirkte die Kleingruppe erstaunlich harmlos, ja geradezu gelöst und gut gelaunt. Würden hier gleich Autos brennen? Musste ich um die Fensterscheiben des Nachbarhauses bangen? Würde die junge Frau mich anbrüllen und an den Haaren ziehen, sobald sie mich in meinem Versteck – ich hatte mich hinter die Hecke geflüchtet – entdeckte?

Das schien mir unwahrscheinlich. Nur warum trugen sie dann Leuchtwesten? An einem sonnigen, hellen Tag! Warum versteckten sie ihre Köpfe unter Sturzhelmen und hatten sich mit Stöcken bewaffnet, wenn sie doch nur durch unser Taunusstädtchen spazieren wollten?

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich mir der Sinn der Szene er-schloss: Hier kümmerten sich besorgte Eltern um die Sicherheit ihres Nachwuchses (und gingen selbst mit gutem Beispiel, also mit Helm und Weste, voran). Man weiß ja nie, um welche Ecke der nächste schwarze SUV braust, auch nicht in der Spielstraße.

Auch nicht, wenn die Kinder brav auf dem Bürgersteig laufen, die Mutter direkt hinter ihnen, sie auf alle möglichen Gefahren hinweisend: “Marie-Luise, pass auf, fahr nicht zu schnell.” Und: ,Jan-Peter, Achtung! Pass auf, dass deine kleine Schwester nicht zu nah an die Bordsteinkante kommt.”

Selbst wenn kein Auto kommt, könnte die Zweijährige vom Bobbycar stürzen und unter das Laufrad des Bruders geraten. Nicht auszudenken, was alles Schlimmes passieren könnte. Meine Familie, darauf bestehe ich, trägt künftig immer Helm und Schutzbrille, ob zu Fuß, auf dem Rad oder im Auto. Auch in der Garage und im Haus; was ist mir da schon alles auf den Kopf gefallen!

Ich jogge nur noch mit Hand-, Ellbogen- und Knieschützern, Rücken-Protektoren und einem Smart-Helm mit LED-Beleuchtung, Blinker und GPS-Ortung. Außerdem trage ich stets Blendgranate und Pfefferspray bei mir, und Hannes bekommt zu Ostern fluoreszierende Spiderman-Schwimmflügel für die Freibad-Saison, die am 1. Mai startet. Natürlich wird er sich aufregen: “Mama, ich werde bald 13! Ich kann schwimmen!” Aber sein Maulen wird nichts nützen.

Das Leben ist zu gefährlich.

 

www.mesop.de   FAZ / FAS 7 April 2019