KURDWATCH INTERVIEW : Usama Sulaiman Mansur Hilali, Befehlshaber der Mischʿal-at Tammu-Brigade
»Ich bin vom Wasserträger zum Waffenträger geworden«
KURDWATCH, 26. März 2013 – Usama Sulaiman Mansur Hilali (geb. 1979 in al Qamischli), hat die Schule bis zur neunten Klasse besucht. Er lebte eine Zeit lang in Saudi Arabien, bevor er vor sieben Jahren nach al Qamischli zurückkehrte und einen Laden für Malerbedarf in der Nähe der Qasimomoschee eröffnete. Hilali gehörte zu den ersten Aktivisten, die Demonstrationen in den kurdischen Gebieten organisierten. Er ist Gründer und Befehlshaber der Mischʿal-at Tammu-Brigade, die bewaffnet gegen die Regierung kämpft.
KurdWatch: Warst du vor der Revolution politisch aktiv?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Nein. Ich hatte Freunde, die aktiv waren. Meine politischen Aktivitäten beschränkten sich darauf, dass ich einmal das Grab von Dschigarkhwin und einmal das Grab von Muhammad Schaikhu besucht habe. Freunde haben mir das Lesen und Schreiben in kurdischer Sprache beigebracht. Politisch organisiert war ich nicht.
KurdWatch: Das heißt, die Revolution hat dich politisiert?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Ja. Ich habe angefangen, an politischen Veranstaltungen teilzunehmen und ich habe mich mit jungen Aktivisten getroffen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich bis heute nicht alle kurdischen Parteien kenne. Mein politisches Wissen ist oberflächlich. Ich bin erst beim Ausbruch der Revolution aktiv geworden.
KurdWatch: Was genau hast du gemacht?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Wie viele junge Leute haben auch wir angefangen, Demonstrationen zu organisieren. So habe ich auch die Aktivisten von der Zukunftsbewegung kennengelernt. Später haben wir eine Gruppe mit dem Namen »Tevgera Roja Azadiyê« [Bewegung der Sonne der Freiheit] gegründet. Ich habe fast an allen Sitzungen der verschiedenen Koordinationsgruppen teilgenommen und war bei den meisten Gründungssitzungen dabei.
KurdWatch: Wann bist du Mitglied der Zukunftsbewegung geworden?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Circa fünf Monate, nachdem die Revolution angefangen hat. Nach meiner ersten Festnahme.
KurdWatch: Wann und warum bist du festgenommen worden?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Ich bin während des ersten Jahres der Revolution dreimal verhaftet worden. Seinerzeit wurde auf Al‑Jazeera und selbst auf Ronahî‑TV über meine Festnahmen berichtet. Ich hatte ja damals noch keinen Konflikt mit der PYD. Grund für die Festnahmen war meine Unterstützung der Revolution. Mein Laden war ja genau dort, wo die Demonstrationen immer begonnen haben. Ich habe fast immer Strom und Wasser zur Verfügung gestellt. Schon früher hatte ich nichts für diese Regierung übrig und so bin ich einer der Ersten in al‑Qamischli gewesen, die sich den Demonstranten gegen die Regierung angeschlossen haben. Übrigens hat die PYD später meinen Laden in Brand gesetzt.
KurdWatch: Wann habt ihr die Mischʿal-at‑Tammu-Brigade gegründet?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Vor etwa einem Jahr haben wir mit den Vorbereitungen begonnen. Von den Kurden haben wir keine Unterstützung erhalten. Die Freie Syrische Armee hingegen war bereit, uns zu unterstützen. Am Anfang waren wir nur zu zweit. Ich und ein anderer junger kurdischer Aktivist aus al‑Qamischli. Wir hatten uns bereits vorher der Freien Syrischen Armee angeschlossen. Ich wollte, dass auch wir Kurden uns an der Revolution beteiligen. Ich bin von der Freien Syrischen Armee wirklich mit offenen Armen empfangen worden. Sie waren sehr stolz, dass ich als Kurde mit ihnen kämpfe. Ich war damals bei einer Brigade in Hama. Wie sie mich aufgenommen haben, hat mir sehr gefallen. Ich hatte keine kurdische Fahne, da haben sie mir eine gemacht. Ich habe dann angefangen, Vorbereitungen für den Aufbau einer kurdischen Brigade mit dem Namen Mischʿal at‑Tammu zu treffen. Später haben wir in Tall Abyad die Gründung der Brigade bekannt gegeben. Damals war Tall Abyad befreit und wir hatten die Möglichkeit, dort zu arbeiten.
KurdWatch: Wann war das?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: An das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern. Etwa fünfzehn Tage vor den ersten Kämpfen um Raʾs al‑ʿAin [19. November 2012]. Bei den ersten Kämpfen waren wir nicht dabei.
KurdWatch: Es hieß aber, dass ihr an den Kampfhandlungen teilgenommen habt.
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Beim Angriff auf die Regierungstruppen waren wir nicht dabei. Wir sind einige Tage später dazugekommen. Nachdem die Freie Syrische Armee Raʾs al‑ʿAin eingenommen hatte, habe ich unsere Freunde in Aleppo und Idlib kontaktiert, wir wollten uns in Raʾs al‑ʿAin treffen und den Ort zu unserem Stützpunkt machen, von dem aus wir kämpfen können. Wir hatten uns nicht vorgestellt, dass wir hier gegen die PYD kämpfen würden. Als es die ersten Probleme mit der PYD gab, waren wir mittendrin. Alle, die umgekommen sind, sind in einen Hinterhalt der PYD geraten. Wir wollten nicht gegen die PYD zu kämpfen. Wir sind an jenem Tag auf eine Straßensperre der PYD zugegangen und haben gesagt, dass wir Raʾs al‑ʿAin von Einheiten des Regimes befreit haben und nicht akzeptieren werden, dass sie ihre Stützpunkte so nah bei der Stadt errichten. Sie hatten in unmittelbarer Nähe der Stadt sowie zwischen Raʾs al‑ʿAin und ad‑Darbasiya zwei große Stützpunkte errichtet. Wir haben auch gesagt, dass ihre Haltung zum Regime nicht eindeutig ist. Beim ersten Stützpunkt gab es keine Probleme. Hier waren zwölf schwer bewaffnete PYD‑Kämpfer, aber sie haben nach unserer Aufforderung ihre Straßensperre aufgehoben. Wir sind dann zur nächsten Straßensperre gefahren. Kaum hatten wir unsere Wagen verlassen, hat die PYD auf uns geschossen. Hier sind vier Kämpfer der Mischʿal-at‑Tammu-Brigade gestorben. Unsere Absicht war nicht, sie anzugreifen. Hätten wir das vorgehabt, hätten wir es gleich getan. Die FSA hat ganz Raʾs al‑ʿAin vom Regime befreit, dabei sind weniger Personen umgekommen als an jenem Tag. Wir haben siebzehn Leute verloren. Später hat Ronahî‑TV einige Berichte über uns veröffentlicht. Das meiste Bildmaterial hatten sie aus der Kamera eines der Toten. Nachdem sie Hozan umgebracht hatten, haben sie seine Kamera genommen.
KurdWatch: Wie groß war eure Brigade in Raʾs al‑ʿAin?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Wir waren etwa fünfundzwanzig. Wir waren nicht dort, um zu kämpfen. Einige von uns waren sogar ohne Waffen gekommen und einige waren zu Hause geblieben. Als es zu den Auseinandersetzungen kam, waren fünfzehn von uns anwesend. Die Auseinandersetzungen haben von acht Uhr früh bis dreiundzwanzig Uhr gedauert. Es gab dann Verhandlungen mit der PYD und die PYD hat angefangen, über ihre Medien einen Propagandakrieg gegen uns zu führen. Sie haben die Beerdigung von Hozan angegriffen und der Familie gedroht. Er war kein Kämpfer. Er hat als Journalist gearbeitet. Die Haltung der PYD und ihre Nähe zum Regime haben den Kurden in Syrien sehr geschadet. Viele unterscheiden nicht zwischen der PYD und den Kurden. Mithilfe unserer Märtyrer konnten wir einigen zeigen, dass es auch andere Kurden gibt. Nicht alle kooperieren mit dem Regime. Der Verlust unserer Freunde ist ein schwerer Schlag für uns gewesen. Bei den Kampfhandlungen an der Straßensperre bin auch ich verletzt worden. Es war für uns ein großer Schock, das wir unsere Leute durch die Hand von Landsleuten, von Kurden, verloren haben.
KurdWatch: Wer hat deiner Meinung nach den Kampf um Raʾs al‑ʿAin gewonnen?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Keine Seite. Ich war vor zwei Tagen dort. Die PYD und die Freie Syrische Armee haben gemeinsame Straßensperren. Wir, die Mischʿal-at‑Tammu-Brigade, sind die größten Verlierer. All die Propaganda im Fernsehen und im Internet gegen uns. Wir seien Terroristen und würden Häuser in Brand setzen und so weiter. Und jetzt hat die PYD mit diesen angeblichen Terroristen Frieden geschlossen. Wo sind jetzt all die Leute, die uns wegen unserer Zusammenarbeit mit der Freien Syrischen Armee kritisiert haben? Wieso ist es in Ordnung, wenn die PYD mit ihr zusammenarbeitet? Nachdem Frieden mit der PYD geschlossen wurde, haben wir uns aus Raʾs al‑ʿAin zurückgezogen. Die PYD will in den kurdischen Gebieten eine neue Diktatur errichten. Nur die Bilder der Diktatoren werden ausgewechselt. Sie erheben den Alleinvertretungsanspruch für die kurdischen Gebiete. Sie dulden keine Partner neben sich. Was sie in den letzten zwei Jahren getan haben, hat das Regime in den letzten vierzig Jahren nicht mit den Kurden gemacht. Sie schrecken selbst nicht davor zurück, Frauen zu entführen. Sie haben eine Freundin von uns, Scherin Ahmad, entführt. Sie war im Sozialbereich tätig und wir haben seinerzeit gemeinsam Demonstrationen in al‑Qamischli organisiert. Erst, nachdem wir sehr viel Öffentlichkeit für sie geschaffen haben, ist sie freigekommen.
KurdWatch: Hat sie etwas mit der Brigade zu tun gehabt?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Nein, absolut nichts. Das Schlimme ist, dass es kaum Proteste gegen ihre Entführung gegeben hat. Als die Demonstrationen in al‑Qamischli immer größer wurden, hatten wir einen Nachbarn, der mit dem Geheimdienst zusammenarbeitete. Er hat zweimal bei Demonstrationen in die Luft geschossen, jedes Mal sind die Leute auseinandergerannt. Ich erzähle das zum ersten Mal, es gibt auch Videoaufnahmen. Wir haben gedacht, das kann so nicht weitergehen. Ein Einzelner jagt all diesen Menschen so viel Angst ein. Da habe ich eines Abends mit zwei Freunden auf sein Haus geschossen. Er hat nie wieder gewagt, bei Demonstrationen zu schießen. So ist es auch mit der PYD. Weil niemand etwas macht, werden sie sich immer mehr erlauben.
KurdWatch: Die PYD behauptet, du seiest Araber und nicht Kurde. Außerdem hättest du einen Menschen umgebracht und seiest ein Verbrecher.
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Ich stamme nicht aus einer arabischen Familie. Wenn ich ein Araber bin, dann ist auch die kurdische Symbolfigur Muhammad Schaikhu ein Araber. Ich bin wie er ein Mhallami-Kurde. Davon abgesehen sollte es keine Rolle spielen, was ich bin. Hätten wir behauptet, wir seien Araber, hätten wir viele Vorteile gehabt. Wären wir keine Kurden, hätte ich nicht die kurdische Fahne getragen. Was die andere Sache angeht: Ich wollte dazu eigentlich eine Erklärung herausgeben, aber ich werde meine Entscheidung stattdessen über dieses Interview bekannt machen. Wenn diese Revolution beendet ist, bin ich bereit, mich einem zivilen Gericht zu stellen. Meine Schwester und ihr Ehemann hatten Probleme miteinander und ich wurde von der Familie des Ehemanns zu einem Gespräch gebeten. Als ich zu dem Treffpunkt kam, erwarteten mich sechs Männer, die mich mit Messern und Stöcken angegriffen haben. Ich habe mich verteidigt und dabei habe ich den Bruder meines Schwagers tödlich mit dem Messer verletzt. Ich habe einen jungen Menschen umgebracht und das war ein Fehler. Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu töten. Ich bin bereit, mich einem unabhängigen Gericht zu stellen. Ich kann mich aktuell aber weder der PYD noch dem Regime stellen. In beiden Fällen würde mich die Todesstrafe erwarten. Sollte ich die Revolution überleben, werde ich mich stellen.
KurdWatch: Auf Ronahî‑TV distanziert sich deine Familie von dir. Wie kommt das?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Vielleicht werden sie bedroht. Sie trauen sich ja kaum noch aus dem Haus.
KurdWatch: Es wird behauptet, dass die Mischʿal-at‑Tammu-Brigade der militärische Flügel der Kurdischen Zukunftsbewegung ist. Stimmt das?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Als ich Mitglied der Zukunftsbewegung wurde, war das nicht wegen der Zukunftsbewegung. Ich hatte Mischʿal at‑Tammu gesehen und mir gefielen seine Ideen und seine Reden. Ganz am Anfang, als die Demonstrationen bei uns begonnen haben, habe ich sogar die PYD‑Fahne getragen. Ich habe nicht viel über die Parteien gewusst, keinen Unterschied zwischen ihnen gemacht. Die Zukunftsbewegung arbeitet politisch und es gab Erklärungen, unter anderem von Faris at‑Tammu, dass sie mit uns nichts zu tun haben. Nein, so enge Beziehungen haben wir nicht. Im Übrigen, auch wenn wir eine Beziehung hätten, würde die Zukunftsbewegung das nicht öffentlich machen können. Dann würden sie mit der PYD Probleme bekommen. Die PYD würde sie töten, entführen und so weiter. Das weiß die Zukunftsbewegung. Wir sind dieselben jungen Leute, die zu Beginn der Revolution friedliche Demonstrationen organisiert haben. Wir haben wöchentlich Transparente vorbereitet, haben die Straßen gesäubert und bei Hitze die Demonstranten mit Wasser erfrischt. Ich habe damals einen Kanister voll Wasser auf meinem Rücken getragen, auf dem stand »Vitamine des Friedens«. Ich bin vom Wasserträger zum Waffenträger geworden. Es gibt eine Revolution und wir werden kämpfen. Wir werden entweder den Weg unserer Märtyrer gehen oder siegen. Aufgeben werden wir auf keinen Fall.
KurdWatch: Ihr sollt viel Unterstützung aus der Türkei bekommen. Stimmt das?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Nein, wir bekommen keine Unterstützung aus der Türkei. Bei den letzten Kampfhandlungen in Raʾs al‑ʿAin standen wir sogar zwei Tage ohne Munition da. Jeder von uns hatte nur noch zehn, fünfzehn Patronen im Maschinengewehr. Wären wir Männer der Türken und hätten wir unser Volk bekämpft, dann hätten wir vielleicht Unterstützung bekommen. Dazu sind wir aber nicht bereit. Wir wollen unabhängig bleiben. Die Unterstützung, die wir bekommen, stammt vom Militärischen Rat der Freien Syrischen Armee. Viel ist es nicht. Wir hatten bisher nur leichte Waffen. Erst jetzt haben wir eine Duschka [schweres Maschinengewehr] bekommen – noch fehlt uns allerdings der Wagen dafür. Weder die Türkei noch ein anderes Land unterstützt uns.
KurdWatch: Habt ihr Kontakte zum Kurdischen Militärischen Rat?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Eigentlich sollten viele Brigaden Mitglied im Kurdischen Militärischen Rat werden. Aber die meisten Gruppen existieren nur auf Facebook. So ist nichts aus dem Kurdischen Militärischen Rat geworden. Er hat seine Auflösung in den Militärischen Rat der FSA bekannt gegeben.
KurdWatch: Wie groß ist eure Brigade?
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Wir haben fünfzehn Leute in Tall Hamis, wir haben zehn Kämpfer in Raʾs al‑ʿAin, die aber nicht aktiv sind, und hier in Tall Abyad sind wir fünfundzwanzig. Wir haben insgesamt fünfzig bis sechzig Kämpfer. Bald werden wir in anderen Gegenden aktiv sein.
KurdWatch: Viele sehen es als großen Fehler an, dass ihr mit Salafisten und anderen terroristischen Gruppen in Raʾs al‑ʿAin einmarschiert seid, von denen viele aus der Türkei kamen. Dies soll dazu geführt haben, dass viele Kurden sich um die PYD geschart haben.
Usama Sulaiman Mansur Hilali: Als die verschiedenen Gruppen in Raʾs al‑ʿAin einmarschiert sind, waren wir nicht dabei. Wir sind erst später dazugekommen. Die meisten Gruppen kamen nicht aus der Türkei, sondern aus Tall Abyad. Wir haben mit den terroristischen Gruppen nichts gemein. Wir arbeiten zum Beispiel nicht mit der Dschabhat an‑Nusra zusammen, die auf der Terrorliste der USA steht. Grundsätzlich arbeiten wir nur mit Gruppen, die Mitglieder des Militärischen Rates der FSA sind. Wir betrachten das Regime als terroristisch, nicht die Gruppen der Freien Syrischen Armee.
9. März 2013