MESOP CULTURE : OLD FASHIONED ISLAM IST KEIN PROBLEM / WOHL ABER DIE NEURO SCIENCE PRODUKTION EINER ARTIFIZIELLEN + NICHT MEHR WAHRNEHMBAREN WIRKLICHKEITSSTEUERUNG – VOM HUMANUM ZUM POSTHUMAN

MARTIN KURTHEN  – (Martin Kurthen, Leitender Arzt am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum Zürich, Lehrt Neurologie und Klinische Neuro-Psychologie in Bonn. Psychoanalytiker: Zahlreiche Veröffentlichen.)

BrainConnect/MindDissect  Die Zwischenwelt der Hirn-Maschine-Schnittstellen (BMI)

Die Informationale Bedrängung

Die Entwicklung elektronischer Informations- und Kommunikationstechniken eröffnet neue Möglichkeiten der Beeinflussung, wenn nicht gar der Kontrolle und Steuerung des Verhaltens von Individuen und Gruppen. Diese Techniken sind umso wirkmächtiger, je besser es gelingt, möglichst vielen Menschen direkt und ungefiltert, aber auch individuell angepasst einen spezifischen Informationsinput aufzudrängen und das nachfolgende Verhalten zu überwachen. Direktheit, Differenziertheit und Durchgängigkeit der informationsmedialen Bedrängung sind also zu perfektionieren, wenn die Beeinflussung menschlichen Verhaltens maximiert werden soll.

Die mediale Bedrängung ist in den vergangenen Jahrhunderten bereits potenziert worden.’ Im Ergebnis dieser technischen Entwicklungen haben wir das viel diskutierte heutige »vernetzte« Individuum, das sich, wo immer es geht und steht, mit Headset, Smartphone und anderen gadgets im globalen elektronischen Informationsfluss tummelt. Mit solchen Alltagseindrücken assoziiert sind die bekannten bangen Fragen:

Macht uns diese Vernetzung nicht auf Dauer unfähig zu realer sozialer Begegnung? Reduziert sie nicht auf bedenkliche Weise unsere Aufmerksamkeitsspanne? Überfordert uns nicht der überbordende Informationsfluss, dem wir aus verschiedensten Quellen ausgesetzt sind? Und natürlich: Werden wir dadurch nicht anfällig für die verschiedensten Formen von Manipulation? —

Aber bei näherem Hinsehen ist selbst die vermeintlich schon so bedrängende aktuelle Technik noch langsam, mühselig in der Handhabung, geradezu archaisch, dies nicht zuletzt aufgrund der eigentlich rückständigen Verfassung der Schnittstellen: Information muss von einem Gerät, das wir uns mit Händen vorhalten, mühsam visuell einem kleinen screen entnommen werden (die Projektion auf die Innenfläche eines Brillenglases befreit lediglich die Hände), oder sie wird über einen Lautsprecher akustisch dargeboten. Der Output erfolgt manuell über eine wie die moderne Version einer alten Schreibmaschine anmutende Tastatur (oder, nur für wenige Anwendungen technisch überzeugend gelöst, über gesprochene Sprache, die dem System wieder umständlich über ein Mikrofon eingespeist werden muss). Auch wenn uns

1 Nehmen wir als Beispiel die bloße Erreichbarkeit des Individuums für externe Informationen: Noch vor einigen Jahrhunderten waren Menschen für reziproke Kommunikation nur situativ und punktuell bei direkter physischer Präsenz erreichbar — man musste sie buchstäblich antreffen, um mit ihnen zu kommunizieren. Um sich über Entfernungen hinweg auszutauschen, mussten wiederum menschliche Boten eingesetzt werden. Mit der Entwicklung postalischer Systeme konnte dann schon ein wenn auch langsamer und mühseliger Austausch schriftlicher Informationen erfolgen. Dann beschleunigte sich der Informationsfluss vermöge der Tele-Techniken, die räumliche Entfernungen schnell überbrücken konnten: Telegrafie, Telefonie. Mit schriftlichem Mail-Verkehr und Telefonie über den flächendeckend etablierten persönlichen Computer wurde der fast unverzögerte globale Austausch für Individuen und Gruppen möglich. Die kabellose Technik befreite dann die Geräte noch von ihren festen Standorten, und mobile Telefone wurden ihrerseits zu Computern erweiten, sodass nun der lückenlose und verzögerungsfreie Austausch immer und überall möglich ist. Analog die Entwicklung bei der unidirektionalen Kommunikation von einem Absender zu einer Zielgruppe: Früher musste man eine Versammlung organisieren und eine Rede halten, um eine Gruppe von Personen kommunikativ zu erreichen. Mit den Massenmedien entfiel die Notwendigkeit des buchstäblich räumlichzeitlichen Zusammentreffens von Sendenden und Empfangenden. Die Medien mussten sich zunächst noch periodisch und punktuell materialisieren (Zeitungen, Zeitschriften, KinoWochenschauen …), dann konnten ihre Inhalte teletechnisch übermittelt werden (Radio, Fernsehen), schließlich global elektronisch und mit kontinuierlichem updating (Internet).

 

die Welt also mittels der modernen Elektronik nahe »auf die Pelle gerückt« ist, fehlt doch der dringende nächste Schritt: die Verabschiedung von unseren archaischen biologischen Inputund Outputkanälen und die Erschaffung einer funktionsfähigen direkten Schnittstelle zwischen der (informationalen) Welt und unserem Gehirn — oder besser noch: unserem Geist. Das ist die Zwischenwelt der Hirn-Maschine-Schnittstellen (brainmachine interfaces, BMI). — Schauen wir uns im Folgenden den Status quo solcher Schnittstellen kurz an, um dann zu fragen, welche Lösungen wir dort zukünftig erwarten dürfen, und was die Verwirklichung leistungsfähiger BMI »mit uns machen« würde.

BrainConnect

Wenn wir uns BMI ansehen wollen, müssen wir zunächst in Erinnerung rufen, welchen Weg eine Information aus der Außenwelt in natürlicher Weise durch unser Gehirn nimmt. Grob vereinfachend sind drei funktionale Wegmarken zu unterscheiden: Wahrnehmung (Input), weitere informationsverarbeitende Kognition und Motorik (Handlung, also Output). Externe Reize stimulieren die Sinneszellen unserer Sinnesorgane (z. B. Ganglienzellen der Retina, Haarzellen des Hörorgans Die Sinneszellen »übersetzen« die Reize in elektrische Signale, die über einen Nerv (Sehnerv, Hörnerv …) zum Gehirn geleitet werden; zunächst zu Schaltstellen im Hirnstamm und/oder Zwischenhirn, dann zu den sogenannten primär sensorischen Arealen in der hinteren Hälfte des Großhirns, also Hirnrindenbezirken, in denen die von den Sinnesreizen transportierte Information weitgehend eigenschaftserhaltend abgebildet wird. Es folgen (spätestens hier wird die erste Wegmarke der Wahrnehmung überschritten) hirninterne Verarbeitungsschritte, die viele Hirnareale einbeziehen: weitergehende Analyse der Sinnesinformationen, Interpretation dieser Informationen vor dem Hintergrund gespeicherten Wissens und individueller Gedächtnisinhalte, Abwägung von Konsequenzen für das eigene Verhalten, Abgleich mit eigenen aktuellen Handlungsmotiven, zielen und Planungen und schließlich (ungefähr hier beginnt die »Motorik«, und die vordere Hälfte des Gehirns übernimmt das Kommando) Entwurf und Ausführung eines gezielten Verhaltens unter Berücksichtigung des aktuellen Inputs. Der Output hat stets den Charakter einer Bewegung: Wir ändern unseren Standort, wir manipulieren Objekte, wir setzen unseren Sprechapparat ein …

Für die Ausführung dieser Bewegungen geben spezielk Nervenzellen der vorderen (frontalen) Hirnrinde — die Pyramidenzellen des sogenannten primär motorischen Kortex — die »Befehle«, die dann als elektrische Impulse über Nerven an die entsprechenden Muskeln gesandt und als Bewegungsmuster ausgeführt werden.

An welchen Stellen dieses Wegs setzen nun die BMI an, die man definieren kann als technische Vorrichtungen, die eine Interaktion mit der Welt unter Umgehung der natürlichen Output und Input-Wege ermöglichen?2 Die heute gängigen BMI betreffen üblicherweise nur den Input (»afferente« BMI) oder den Output (»efferente« BMI), aber nicht beides zugleich; zudem findet man afferente BMI praktisch nur bei medizinischen Anwendungen. Diese Konstellation verdankt sich vor allem zwei Umständen.

Erstens: Die meisten BMI sind für medizinisch-therapeutische Anwendungen produziert, sollen also Patienten helfen, bei denen der Input (z. B. Sehen, Gehör) oder der Output (willkürliche Bewegungen, z. B. bei Amyotropher Lateralsklerose oder Querschnittslähmung) ausgefallen ist — Erkrankungen mit kombiniertem Ausfall von Input und Output kommen hingegen praktisch nicht vor. Zweitens: Die afferenten BMI sind im Vergleich mit den efferenten BMI für Alltagsanwendungen bei gesunden Usern wenig attraktiv. Die natürlichen Sinneszellen sind so differenziert und leistungsfähig, dass heutige technische Substitute nur gröbste Ersatzleistungen bieten können. Eine technische Entwicklung, welche diese natürlichen Organe übertrifft, ist nicht absehbar. Aber könnte man nicht den Sinnesreiz direkt in das Gehirn, also das primär sensorische Areal der entsprechenden Sinnesmodalität, einspeisen? 3 Auch diese Umgehung verheißt keinen einfachen Erfolg, da zwischen Sinnesrezeptor und Kortex keineswegs eine bloße »Signalübertragung« stattfindet, sondern eine hochkomplexe Signalbearbeitung, teils sogar Signalaufspaltung in parallele Verarbeitungswege mit unterschiedlichen und zeitlich versetzten Output-Konsequenzen. Dies technisch mit auch nur annähernder Qualität nachzubilden, ist derzeit völlig utopisch. An dieser Stelle fällt dann auch ins Gewicht, dass die oben genannte Trennung von Wahrnehmung und hirninterner Kognition künstlich war und eher didaktischen Wert hatte: Tatsächlich findet im Gehirn zusätzlich noch ein hochrelevantes top-down-processing statt, dergestalt, dass kortikale Prozesse den Sinnesinput auf seinen ersten Verarbeitungsstufen der Sinnesbahn schon subtil beeinflussen und »vorbearbeiten«, sodass am primär sensorischen Kortex bereits ein dem aktuellen Systemstatus differenziert angepasstes Signal ankommt. Diese Vorbearbeitung würde bei Umgehung dieser neuralen Übertragungswege entfallen. Auch diese Vorgänge sind derartig komplex und flexibel, dass auch auf längere Sicht ein Ersatz durch ein künstliches System kaum vorstellbar ist. Daher strebt man mit derzeitigen visuellen BMI eher an, einfache Sehleistungen bei Blinden wiederherzustellen für eine grobe Objekterkennung und somit auch verbesserte Mobilität. Die BMI sind also tendenziell wahrnehmungslastig, nicht kognitionslastig. Die meisten afferenten BMI beschränken sich auf künstliche Nachbildungen der Sinneszellen bei Patienten mit Ausfall oder massiver Schädigung des Sinnesorgans. Die bekanntesten dieser Artefakte sind das schon breit angewendete Cochlea Implantat, das selbst tauben Personen ein rudimentäres Hören ermöglichen kann, sowie das noch weniger ausgereifte RetinaImplantat, das, euphemistisch formuliert, »Blinde wieder sehen lässt«.4 — Da uns hier vor allem die gesellschaftlichen Konsequenzen der BMI interessieren, beschränken wir uns im Folgenden auf die efferenten BMI, die auch für Alltagsanwendungen bei gesunden Personen Anwendung finden können. 5

Viele Definitionen von BMI sind ohnehin sehr outputlastig 6 und heben einzig darauf ab, dass bei einem BMI die gängigen motorischen Wege über Nerven und Muskeln umgangen werden — afferente BMI werden dabei ausgeklammert. Als »Input« werden bei solchen Systemen somit nicht Informationen aus Sinnesorganen, sondern bereits  zerebrale Prozesse bzw. deren messbare Korrelate verstanden, sodass auf der Inputseite vor allem elektrophysiologische zerebrale Phänomene wie das Elektroenzephalogramm (EEG) dominieren. Die zunächst fremdartige Weise der motorischen Steuerung erlernen die Patienten über eine Art von Neurofeedback, das heißt, sie bekommen Informationen über ihr eigenes EEG, das die rhythmischen Spannungsschwankungen des Gehirns darstellt, rückgemeldet und lernen, die EEG-Wellen willentlich zu beeinflussen, uni sie auf diesem Wege zur Ansteuerung der Erfolgs-»Organe« einzusetzen. 7   BMI in diesem Sinne lassen also über einen übersetzenden Algorithmus — dies das computationale Element der Vorrichtung — zerebrale Prozesse in Handlungen oder motorische Phänomene übergehen unter Umgehung

2 Siehe J.R. Wolpaw et al.: Braincomputer interface technology: a review of the first international meeting. IEEE Trans Rehab Eng 8 (2000): S. 164173,

und C. Brunner et al.: BNCI horizon 2020: Towards a roadmap for the BCI community. BrainComputer Interfaces 2 (2015): S. 110. Eine allgemeine Definition würde lauten: »any form of a direct interface between the brain and an artificial device equipped with some form of computations« (K.G. Oweiss & I.S. Baldreldin: Neuroplasticity subserving the operation of brain machine interfaces. Neurobiol Dis 83 (2015): S. 161171).

3 Das Gehirn »erkennt« Sinnesreize nur als elektrische Phänomene, sodass man z. B. einen visuellen Reiz zunächst in Elektrizität umwandeln muss und dann dem primär visuellen Kortex direkt einspielen kann (s. P.M. Lewis et al.: Restoration of vision in blind individuals using bionic devices: a review with a focus an cortical visual prostheses. Brain Research 1595 (2015): S. 5173). Ein fortschrittliches System trägt eine in den Nasenbügel einer Brille eingebaute Kamera, deren visuelle Daten kabellos an den Prozessor und von dort, nach Aufbereitung, als elektrische Impulse zu einer in den visuellen Kortex implantierten flächigen Elektrode übertragen werden. Dabei macht man sich den sogenannten retinotopen Aufbau der Hirnrinde zunutze: Jede Stelle im primär visuellen Areal ist fest einer Position auf der Retina und somit einer Position des zu überblickenden Außenraumes zugeordnet, sodass die Kameradaten direkt den •richtigen« Himorten zugeführt werden können, woraus sich konsequenterweise vor allem eine Information über die Lokalisation von Objekten im Außenraum ergibt.

4 Beim Retina Implantat versucht man die retinotope Organisation der — zerstörten — Netzhaut mit künstlichen Sinneszellen zu reproduzieren, deren Inputdaten dann als elektrische Potenziale an den Sehnerv weitergeleitet werden. Beim Cochlea(Innenohr)Implantat nutzt man die sogenannten tonotope Organisation des natürlichen Sinnesorgans, dergemäß jede Stelle des Organs einer bestimmten Frequenz des einlaufenden akustischen Reizes zugeordnet wird. Die künstliche Cochlea trennt die Reize ebenfalls nach Frequenzen und leitet diese Information an den Hörnerv weiter. S. zur Übersicht: D. Hajioff: Cochlear implantation: a review of current clinical practice, Br J Hosp Med 77;12 (2016): S. 680684, und R.K. Shepherd et al.: Visual prostheses for the blind. Trends Biotechnol 31 (2013): S. 562571.

5 Da die natürlichen Sinnesorgane und bahnen technisch kaum überbietbar sind, müssen wir nicht befürchten, dass uns z. B. unerwünschte Werbung demnächst direkt in unsere Hirne flutet — alles, was über die Sinne vermittelt wird, bleibt bei sensorisch gesunden Menschen vorläufig auf den natürlichen Sinneskanälen. Da wir diese technisch auch auf längere Sicht nicht ersetzen können, würde man wirklich innovative afferente BMI eher dort suchen, wo unser sensorisches Spektrum durch das BMI selbst künstlich erweitert wäre: etwa bei BMI, die den Bereich des für uns sichtbaren Lichts um das Infrarot oder Ultraviolett erweitern oder die Reize bisher nicht verarbeiteter Modalität wie etwa magnetische Stimuli künstlich-sensorisch aufnehmen und in elektrische Impulse übersetzen. Man müsste also künstliche Sinnesorgane mit Rezeptoren für solche Reize entwerfen und diese Reize dann einem Bereich des Gehirns einspeisen, der in seiner Funktion plastisch genug ist, uni die Leistung eines sensorischen Kortex zu »erlernen«. Auch dies ist derzeit noch nicht realisiert.

6 Wolpaw a.a.O., S. 164, Brunner a.a.O., S. 2, sowie H. Barnille & T.H. Falk: Recent advances and open challenges in hybrid braincomputer interfacing: a technological review of noninvasive human research. BrainComputer Interfaces 3 (2016): S. 946. Etwas ausführlicher: »A BCI is a system that measures central nervous system (CNS) activity and converts it into artificial output that replaces, restores, enhances, supplements, or improves natural CNS output and thereby changes the ongoing interactions between the CNS and its extemal or internal environment«. (J.R. Wolpaw & E.W. Wolpaw: »Braincomputer interfaces: something new under the sun, in: J.R. Wolpaw

E.W. Wolpaw, eds.: Braincomputer interfaces: principles and practice. Oxford (2012), S. 312)

7 Zur Darstellung dieses Prinzips s. U. Chaudhary et al.: Braincomputer interfaces for communication and rehabilitation. Nature Reviews Neurology 12 (2016): S. 513525.

  

von Nerven und Muskeln. Jedes efferente BMI benötigt somit drei Komponenten: ein mit dem Gehirn verbundenes technisches Element, um einen Input aufzuzeichnen (z. B. eine Elektrode zur Aufzeichnung von Hirnströmen), ein weiteres Element, um einen Output zu generieren (z. B. die willentliche Steuerung eines robotischen Armes durch einen gelähmten Patienten), und »dazwischen« den translational algorithm, also das teils sehr ausgefeilte und möglichst auch selbst lernfähige computationale Element, das aus dem Input den Output bestimmt.8

Die Vision eines BMI wurde erstmals 1973 publiziert 9  und praktische Anwendungen wurden zunächst in der Medizin gesucht, vor allem für den Ersatz verlorener motorischer Funktionen bei gelähmten Patienten. Als Input dienen dort meist Hirnstromveränderungen (EEG, abgeleitet an der Schädeloberfläche) als Korrelate von gedanklichen »motorischen Befehlen«; als Output können z. B. Bewegungen von Roboterarmen, oder auch Cursorbewegungen oder sprachliche Signale, die auf Computerbildschirmen erscheinen, eingesetzt werden. Komplexe Bewegungen und Gedanken direkt über ein BMI »wirklich werden« zu lassen, hat sich allerdings als äußerst schwierig erwiesen.10

 Den Hintergrund dieser Schwierigkeiten bildet nicht zuletzt auch die Unkenntnis darüber, ob überhaupt konkrete Gedanken und Intentionen ihrem Inhalt eindeutig zugeordnete Aktivitätsmuster im Gehirn erzeugen, die bei Wiederholung hinreichend konstant sind und mit den uns zur Verfügung stehenden Detektionsmethoden differenziert werden können.”

Aus diesem Grunde ist auch die Vorstellung, man könne BMI verwenden, und die Gedanken des BMI-Trägers zu lesen, möglicherweise dauerhaft utopisch.12  ‘ Wenn unsere Gedanken messtechnisch gar nicht präzise zu fassen sind, bleiben sie zwangsläufig »frei«?

Trotz dieser methodischen Probleme sind die BMI, von den Anfängen der einfachen Motoriksteuerung ausgehend, in vielversprechender Weise weiterentwickelt worden. Ein rein äußerlicher, aber für zukünftige Alltagsanwendungen extrem wichtiger Fortschritt  liegt schon in dem Übergang zu kabellosen Systemen. 13 ‘ Ohne durchgehend kabellose Technik kann der Anspruch, BMI zu Alltagsgeräten werden zu lassen, dauerhaft nicht eingelöst werden. 14 Die früheren BMI hatten sich auch nie in komplexen Alltagssituationen zu bewähren, sondern waren eingeschränkt auf Handlungslösungen in eng definierten, einfachen Situationen (Realisierung einzelner einfacher Bewegungen, feste Positionen von User und objekt etc.). Erst kürzlich ist es immerhin schon gelur Affen per BMI das Navigieren in einem Rollstuhl in realen räumlichen Umwelt beizubringen — und auch nur unter Verwendung von ECoG-Daten aus in die Affengehirne implantierten Elektroden. 15

Ein ganz anderer Ansatz benutzt BMI, um Informativ über emotionale bzw. affektiv gefärbte Zustände in Mensch-Welt-Interaktion einzuspeisen (sogenannte alle BMI). 16 Erregung, Frustration, Gelangtweiltsein, Grade von Wachheit und Aufmerksamkeit zeigen zerebrale Korellate, die zumindest teilweise aus Hirnzuständen ausgelesen und dann dem User — der solche Informationen im Handlungsfluss normalerweise nicht bewusst verwendet — rückgemeldet werden; oder man benutzt solche Daten, um per BMI Objekte, mit denen der User jeweils interagiert, seinen  aktuellen affektiven Verfassung automatisch anzupassen.  Letzteres geschieht bereits in durch BMI supplementierten Computerspielen, die ihr Interaktionsverhalten bei registrierter  Unter-  oder Überforderung des Users gezielt ständig verändern können, z. B. durch Veränderungen Avatars anhand der Daten aus passiven BMI. 17

Aber auch höhere kognitive Funktionen können über solche passive BMI angezapft werden. Das Gehirn besitzt z. B. ein effektives System zur Erkennung, Überwachung und Korrektur von irrtümlichen Handlungen, dessen vorwiegend unbewusste Aktivität teils recht gezielt aus Hirnaktivität ausgelesen werden kann. Solche Hirndaten können z. B. verwendet werden für eine geschleifte Rückmeldung nicht an den User, sondern an das BMI selbst, dessen Lernverhalten damit verbessert wird.18

Auch greifen die komplexen Handlungsplanungsinstanzen des menschlichen Gehirns auf das sogenannte reward system (Belohnungssystem) zurück, ein Netzwerk verschiedener Hirnareale, welches Erfolg und Belohnungserleben  zielgerichteter Handlungen überwacht und antizipativ zu beeinflussen versucht. Da auch dies überwiegend unbewusst abläuft, kann die Performanz verbessert werden, wenn ein BMI zusätzliche direkte Hirndaten aus dem Belohnungssystem in die Outputsteuerung einfließen lässt. 19

Man benötigt für solche Einspeisungen von Informationen über unbewusste oder zumindest nicht bewusst  eingesetzte Mentationen allerdings auch entsprechend erweiterte BMI-Architekturen. Bei den hybriden BMI werden z. B. mehrere primär separat abgeleitete Inputs  einem gemeinsamen          fusioniert. 20

 Dies könnte ein erster Schritt zur angestrebten Alltagstauglichkeit von BMI sein, also zu ihrer Anwendung in realen Umwelten mit ihren rasch wechselnden Eigenschaften und veränderlichen Kontexten. In einem Rattenexperiment zur BMI-Steuerung eines robotischen Armes kam eine sogenannte symbiotische hybride Architektur zur Anwendung, indem Hirndaten von implantierten Hirnelektroden aus dem Nucleus accumbens (einer wichtigen Schaltstation des Belohnungssystems) und dem motorischen Kortex in Feedback-Schleifen vom Rattengehirn und einem computationalen Element »symbiotisch« verarbeitet und in die Robotersteuerung eingespeist wurden. 21

Statt mehrere Inputs — oder auch mehrere BMI — zu kombinieren, kann man auch den umgekehrten Weg gehen und mehrere Gehirne mittels sogenannter brain-to-brain-interfaces zusammenschalten. So konnte wiederum an Affen mit implantierten Elektroden demonstriert werden, dass mit solchen brain-tobrain-interfaces ein von drei Individuen geteiltes BMI etabliert werden kann, mittels  dessen die drei Affengehirne in gemeinsamer Aktion dreidimensionale räumliche Manipulationen steuern.22 Ein solches »brainet«

 

8 Bezüglich der Funktionsweise kann man BMI noch unterteilen in aktive, reaktive und passive (Banville & Falk a.a.O., S. 13): aktive BMI verwerten benutzerkontrollierte, volitional erzeugte Hirnaktivität, reaktive BMI verarbeiten zerebrale Antworten auf externe Reize, und passive BMI benutzen Hirnaktivität, die der Benutzer nicht absichtlich erzeugt.

9 L.J. Vidal : Toward direct brain-computer communication. Annu Rev Biophys Bioeng 2 (1973): S. 157-180.

10 Leider kann ein gelähmter Patient nicht einfach eine komplexe Alltagsbewegung gedanklich intendieren («Greife diese Tasse mit der rechten Hand“) und dann per BMI über einen Roboterarm genau diese Bewegung korrekt ausführen lassen. Auch kann nicht ohne Weiteres ein beliebiger, sprachlich verfasster Gedanke klar aus den bei der sprachlichen Mentation entstehenden Hirnströmen ausgelesen werden. Die aktuelle Technik ist zwangsläufig viel rudimentärer, da die an der Kopfoberfläche abzuleitenden Hirnstromveränderungen oft viel zu unspezifisch und undifferenziert sind, um eine präzise Auflösung von verschiedenen motorischen Befehlen oder gar sprachlich verfassten Gedanken abzubilden. Stabile Hirnstrommuster lassen sich nur für sehr einfache und robuste Mentationen reproduzieren. Diese werden dann per Neurofeedback als Zwischenübersetzungen« für die eigentlich auszuführenden Mentationen rekrutiert. Selbst wenn man die störanfällige und niederamplitudige elektrische Hirnaktivität nicht durch Kopfhaut, Schädelknochen, Hirnhaut und Hirnflüssigkeit hindurch zu messen versucht, sondern direkt von der Oberfläche des Gehirns ableitet (sogenannte Elektrokortikographie, ECoG), verbessert sich die Trennschärfe nicht bis zu dem gewünschten Niveau — oder doch? S. u. Fußnote 13 zu weiteren invasiven Studien.

11 Es ist durchaus möglich, dass ein bestimmter sprachlicher Gedanke bei wiederholten Vorkommnissen kontextabhängig unterschiedliche zerebrale Korrelate besitzt und dadurch gar nicht sicher identifiziert werden kann. Ebenso ist denkbar, dass ein tatsächlich reproduzierbares zerebrales Korrelat auf einer Organisationsebene des Gehirns existiert, die uns mit den gängigen Techniken gar nicht zugänglich sein kann. Dafür würde sprechen, dass wir auf das genannte Problem nicht nur dann stoßen, wenn wir das EEG als Input wählen. Auch andere vermeintlich fortschrittliche Himfunktionsmessungen wie die funktionelle Kernspintomographie, NahInfrarotspektroskopie, Magnetenzephalographie oder die Ableitung sogenannter ereigniskorrelierter Potenziale (s. zu diesen Methoden Banville & Falk, a.a.O.) liefern bisher nicht die anzustrebenden präzisen Zuordnungen.

12 Man könnte sich sonst ein geheimdienstliches Verhör der Zukunft vorstellen, in dem der mutmaßliche Terrorist ein intrazerebrales BMI aufgenötigt bekommt, aus dem die Beamtin dann einfach die gewünschten Informationen herausliest. Ein zusätzliches Hindernis für ein solches Szenario ergibt sich daraus, dass dann auch die obligatorische Trainingsphase aufgezwungen werden müsste, in der das System Mensch/BMI zunächst die individuelle Zuordnung von Mentationen und auslesbaren Hirnprozessen »lernt«. Der Terrorist könnte natürlich die Trainingsphase durch absichtliche Minderleistungen sabotieren.

13 Gewisse Fortschritte beim Herauslesen von Intentionen oder mentalen Inhalten sind aber dennoch festzuhalten, teils aus Forschungen noch ohne Involvierung von BMI. So wurden zur Sprachdecodierung erste Erfolge berichtet aus einer ElekrokonikegraphieStudie, in der kontinuierlich gesprochene Sprache aus den Himdaten recht gut ausgelesen werden konnte (C. Herff et aL: Braintotext: decoding spoken phrases from phone representations in the brain. Frontiers in Neuroscience 9 (2015): S. 111; Article 217). Auch gelang mittels fMRI eine zumindest kategoriale Zuordnung von Hirnaktivierungsmustem und bildlichen Inhalten beim Erleben von sogenannten hypnagogen Bildern (traumähnliches BildErleben in der Einschlafphase) (T. Horikawa et al.: Neural decoding of visual imagery during sleep. Science 340 (2013): S. 639642). — Zur Motorik: In einer invasiven Studie konnten Af fen lernen, ihre Bewegungsintentionen per BMI in einem Roboterarm zu realisieren, auch ohne die entsprechenden Bewegungen parallel dazu mit dem eigenen Arm auszuführen (J.M. Carmen et al.: Leaming to control a BMI for reaching and grasping by primates. PLoS Biology 1 (2003): S. 193208). Auch konnte — dies wieder eine Studie ohne BMI — beim Menschen gezeigt werden, dass sich aus motorischen Elektrokortikographiedaten bei Bewegungsabläufen verwertbare Informationen über zumindest zweidimensionale Bewegungstrajektorien extrahieren lassen (T. Pistohl et al.: Prediction of armmovement trajectories from ECoGrecordings in humans. Journal of Neuroscience Methods 167 (2008): S. 105114.

  1. Lewis, a.a.O. und S. Rajangam et al.: Wireless cortical brainmachine interface for wholebody navigation in primates. Scientific Reports 6 (2016), S. 22170.

Rajangarn, a.a.O.

  1. Mühl et al.: A survey of affective braincomputer interfaces: principles, stateoftheart, and challenges. BrainComputer Interfaces 1 (2014): S. 6684. M. Ahn et al.: A review ofbraincomputer interface games and an opinion survey from researchers, developers, and users. Sensors 14 (2014): S. 1460133, sowie J.B.F. van Erp et al.: Braincomputer interfaces: beyond medical applications. IEEE 45/4 (2012): S. 2634, und D. PlassOude Boss et al.: Braincomputer interfacing and games, in: D. Tan, A. Nijholt, eds.: Braincomputer interfaces: applying our minds to humancomputer interaction. London 2010, S. 149178.
  2. Llera et al.: On the use of interaction error potentials for adaptive braincomputer interfaces. Neural Netw 24 (2011): S. 11201127.

Dies wurde in einem BMIExperiment mit Ratten erfolgreich demonstriert (B. Mahmoudi & J.C. Sanchez: A symbiotic brainmachine interface through valuebased decisionmaking. PLoS ONE 6 (2011): S. 114).

Banville, a.a.O.

Mahmoudi, a.a.O.

  1. Ramakrishnan et al.: Computing arm movements with a monkey brainet. Scientific Reports 5 (2015): S. 10767.

 

regt natürlich zu fantastischen Spekulationen über Anwendungen beim Menschen an: Könnte man menschliche Gehirne zu einem überindividuellen »Gruppengeist« zusammenschalten?”

Wir sehen jedenfalls, dass die derzeit realisierten BMI bei aller dahinterstehenden technischen und wissenschaftlichen Finesse doch weitaus rudimentärer daherkommen, als manche populäre und belletristische Aufbereitungen des Themas suggerieren mögen. Auch ist es durchaus möglich, dass die Entwicklung schon bald an prinzipielle Grenzen stößt in Hinblick auf die informationale Auflösung des Inputs der efferenten BMI. Die BMI werden auch mittelfristig für gesunde Personen keinen adäquaten Ersatz für die natürlichen Input und Outputsysteme bieten können. Daher mag die Zukunft der BMI eher darin liegen, Systeme für Funktionen zu realisieren, die in den natürlichen Kanälen gar nicht angelegt sind. In den Sinn kämen z. B.: Erweiterungen des sensorischen Spektrums (s Anm. 5), BMIvermitteltes Multitasking parallel zu »natürlicher« Handlungsausführung,” »Bewusstwerdung« der in der natürlichen Kognition unbewusst ablaufenden kognitiven und emotionalen Steuerungsprozesse, Erschaffung überindividueller Hirnkonglomerate im Sinne des brainet. Dann würden die BMI die natürlichen Kanäle von Wahrnehmung, Kognition und Handeln nicht ersetzen, sondern kreativ erweitern.”

MindDissect?

BMI wären in Alltagsanwendungen bei gesunden Personen einerseits Werkzeuge, mit denen wir als User autonom unsere Handlungssteuerung und Kognition qualitativ und quantitativ erweitern könnten, andererseits auch potenzielle Elemente einer heteronomen Beeinflussung des Users durch gezielte Steuerung des sensorischen Inputs, systematische Evaluation des Outputs und nicht zuletzt auch angepasste Einstellungen des computationalen Elements der BMI selbst. Diesbezüglich würden sich vielfältige Anwendungen eröffnen.26

Dennoch sind BMI sowohl für den Aspekt der Autonomie als auch den der Heteronomie auf den ersten Blick nur graduell unterschieden von den Werkzeugen, mit denen sich unsere Kognition und unser Handlungs-Output zuvor immer schon erweitert und »bewaffnet« hatten. Auf der »Autonomie-Seite« hatten wir zuerst mechanisch-physische Elemente wie Steine und Stöcke als Werkzeuge und Waffen, später kognitive Hilfsmittel wie Schreibstifte, Notizblöcke und Rechenschieber, Maschinen und Geräte wie Brillen, Hörgeräte und Handbohrer, schließlich dann elektronische Supplemente wie Smartphones Kommunikation und Wissensabruf, elektronisch gesteuerte Prothesen etc. Die BMI sind auf diesem Weg nur d Schritt zu einer gänzlich unvermittelten Verschweissung von Person und Außenwelt, zu noch größerer Direktheit, Differenziertheit und Effizienz unserer erweiterten Kognition und Aktion. Ironischerweise werden wir in einem gewissen Sinne wieder »eins mit der Welt«, nachdem unsere humane Kognition und Subjektwerdung zwischenzeitlich  doch gerade durch eine Abgrenzung und Distanzierung von der Welt gekennzeichnet gewesen war.

Ähnliches gilt für den Heteronomie Aspekt: Techniken zur Beeinflussung und Kontrolle des Verhaltens von Sozialpartnern sind so alt wie die Menschheit selbst; nur werden diese Techniken ebenfalls immer ausgefeilter. Eine gezielte externe Selektion von Informationszugängen hat es immer schon gegeben, aber vor unserer jetzigen großen Zeit der Informationselektronik waren sicherlich die Massenmedien (Printmedien, dann Radio, dann Fernsehen) die größten  »Errungenschaften« für die heteronome Vereinnahmung auch großer Gruppen von Menschen. Auch früher wurde unser Verhalten zu Kontrollzwecken beobachtet, aber dies mussten Personen (z. B. die staatlichen »Spitzel“) übernehmen – heute  haben wir die globale Beobachtung über Satelliten, Drohnen und Videokameras und über das Auslesen unserer »Bewegungen« im Internet und in sozialen Medien.

 Auch hier scheinen sich die Schleifen und Schlingen der Kontrolle immer enger zu ziehen, und mit den BMI liegt uns die Schlinge dann direkt und eng um den Hals: Qua BMI kriecht uns die Welt, und damit auch die Option heteronomer Kontrolle und Steuerung, direkt ins Gehirn.

Wir können uns vor dieser Bedrängung nicht mehr verstecken, uns ihr nicht mehr entziehen, weil sie ohne Vermittlung »durch uns hindurchgeht«. Vielleicht ist das dann doch ein qualitativer Sprung und nicht nur ein gradueller Unterschied (s. u. zur Schließung des »Phantasmas“.

Diese letztgenannte Frage kann man auch anders stellen:  Wäre das flächendeckende Etablieren von Alltags-BMI als ein Ausdruck unseres vieldiskutierten Übergangs vom Humanen zum Posthumanen zu deuten? — Der allererste Eindruck ist, dass wir ganz im Gegenteil mit zunehmender informations-medialer Bedrängung vielmehr immer »humaner“ werden, indem einige typisch menschliche Schwächen wie die Anfälligkeit für Ablenkungen, die Schwierigkeiten in der Aufmerksamkeitsfokussierung oder die Unvollkommenheit der Reizabschirmung durch die engere und dichtere Vernetzung geradezu demaskiert werden und an Bedeutung gewinnen.

So in Eugen Ruges Roman „Follower“, in dem ein hochmodern vernetzter Protagonist einfach der Reizüberflutung nicht Herr wird, durch seine potenzierten informationalen Optionen immer unsicherer, assoziationsgelockerter, interferenzanfälliger, sprunghafter, unsteter erscheint, kurz: sein Wahrnehmungs und Handlungsmonitoring auf ein niedrigeres Niveau herunterreißt. 27

 Die maximierte Verbindung zwischen Hirn/Mensch und Welt führt hier eher zu einer Dissektion des Geistes von der Welt; die Psyche findet keine strukturierenden Angriffspunkte des Zugriffs mehr. Wenn es also menschlich ist, Schwächen zu haben, dann macht uns die zunehmende Verschweißung von Geist/ Gehirn und Welt noch humaner, sofern sie uns überwältigt, anstatt von uns beherrscht und benutzt zu werden.

 Gelingt uns hingegen die Beherrschung, möchten wir sehr wohl ins Posthumane driften kraft dann verbesserter Performanz und Effizienz. Wenn wir das erneute Zusammenfallen unseres Geistes mit der Welt meistern, können wir auf einer technisch wie kognitiv höheren Ebene wieder ein fast tierhaftes, instinktiveffizientes Verhalten entwickeln, jenseits der künstlichen, deliberativen Rationalität des Humanen. Und genau dieser nicht technische, sondern an einem veränderten Handeln abzulesende Übergang zu einer neuen »Natur« ist eines der möglichen Kriterien der Posthumanität.

Setzt man hingegen ein technisches Kriterium der Posthumanität an, so muss man entscheiden können, von welchem Punkt einer technischen Veränderung an nicht mehr von einem »Menschen« gesprochen werden kann.

Diesen Punkt festzulegen, setzt aber eigentlich schon einen präzisen Begriff des Humanen (und somit des Posthumanen) voraus, anstatt einen solchen technisch zu definieren.28 Dennoch können Appelle an die Plausibilität

 

23 Solche Spekulationen können, wenn wir einmal bei der Dreizahl der Gehirne aus dem Rattenexperiment bleiben, vielleicht gar bis in die theologische Dogmatik reichen: Ist die christliche Trinität, in der drei Personen eine Wesenheit formieren, etwa analog zu einem brainet oder dann »mindnet« zu verstehen?

24 Ebenso wie Erweiterungen des sensorischen Spelarums sind auch neue Funktionen des Outputs denkbar, zum Beispiel der Einsatz eines BMI kontrollierten dritten Armes, der dann als robotischer Arm installiert würde. Oder man nutzt ein BMI, um Aktionen in räumlich entfernten Szenarien auszuführen, gewissermaßen »durch die Augen des Roboters« und ebenfalls mittels direkter Ansteuerung durch Hirnaktivität (K. Kansaku et al.: My thoughts through a robot’s eyes: an augmented realitybrainmachine interface. Neuroscience Research 66 (2010): S. 219222).

25 Dass eine vollwertige Handlungskontrolle in realen, flexiblen Alltags-Umwelten für ein BMI bis auf Weiteres utopisch bleibt, scheint auch die Science-FictionSzene intuitiv erfasst zu haben. Nicht umsonst wandeln die bestbekannten SFBMI den Input nicht in einen Output in einer natürlichen Umwelt um, sondern in einer ebenfalls elektronisch erzeugten virtuellen Zweitwelt, in der die BMIDaten dann qua Avatar wirksam werden (paradigmatisch W. Gibson: Neuromancer. München 1987). Spinnt man diese Vorstellung weiter, landet man bei der transhumanistischen Vision vom kompletten mind uploading in ein elektronisches System (siehe zum philosophischen Hintergrund S. M. Walker: Personal identity and uploading. Journal of Evolution and Technology 22 (2011): S. 3752), welches dann zur eigentlichen Realität wird, in der das Problem der BMI nicht mehr erscheint, weil durch die Gehirne insgesamt »gekürzt« worden ist (z. B. in D. Simmons: Endymion — Die Auferstehung. München 1999). Soweit zum jetzigen Zeitpunkt beurteilbar, wird das Projekt des mind uploading aber daran scheitern, dass der materielle und funktionale Gesamtzustand eines menschlichen Gehirns zu komplex und zeitlich zu labil ist, um in einem elektronischen System instantan reproduziert zu werden. Aber die Entwicklung der Wissenschaft und Technik ist unvorhersehbar, sodass wir von solchen Entwicklungen weiter (alb)träumen dürfen.

26 Die Herstellerfirma eines Videospiels könnte z. B. das zugehörige BMI ohne Kenntnis der User so einstellen, das mit dem Erreichen höherer Spiellevels in Abhängigkeit von BMIDaten zur affektiven Beteiligung und kognitiven Beanspruchung des Users flexibel in Nebenrollen neue Avatare angedeutet werden, mit denen der User aber erst in der Folgeversion des Spiels im Detail interagieren kann. Oder man stellt neue Waffen in Aussicht, die ebenfalls erst in der Folgeversion eingesetzt werden können. Diese •Köder« können in Abhängigkeit davon gelegt werden, welche Elemente des Spiels die User am meisten engagieren. Auf solche Weisen könnte man die User unmerklich und individuell angepasst an den Kauf der Folgeversion »heranführen,

27 E. Ruge: Follower. Vierzehn Sätze über einen fiktiven Enkel. Reinbek 2016.

28 Daher der Vorschlag, ein gänzlich nichttechnisches Kriterium der Posthumanität zu wählen, indem das Humane mit dem »Künstlichen«, das Posthumane hingegen mit dem »Natürlichen« identifiziert wird — allerdings nicht mit einer prähumanen, animalischen Kognition, sondern mit einer posthumanen HightechNatürlichkeit. Die hierbei zugrundeliegenden Begriffe des Künstlichen und des Natürlichen gehen auf soziologische und psychoanalytische Überlegungen zum menschlichen Geist (in erster Linie J. Baudrillard: Die fatalen Strategien. München 1985, und S. Ziiek: Die Tücke des Subjekts. Frankfurt/Main 2001) zurück: »Sowohl Ziiek als auch Baudrillard haben uns eine Reihe von Eigenschaften und Phänomenen genannt, die das Attnbut des Künstlichen verdienen. Bei Ziiek waren dies: der Exzess bezüglich des Natürlichen, der Bruch in Bezug auf die natürlichen Abläufe, das AusdenFugenSein in Bezug auf die biologische Natur, also auch der Trieb, das Unbewusste überhaupt (und das Bewusstsein), also auch das Subjekt, also auch das Begehren […] — Bei Baudrillard hingegen, je nach ›Phase•, der Schein, die Illusion, die Verführung, das Spiel, aber auch: die Realität, die Trennung, also die Repräsentation […] — All diesen Phänomenen ist gemeinsam, dass sie die Glätte der selbstgängigen Abläufe der physikalischen und biologischen Welt aufrauhen oder gar aufwerfen, indem sie Schleifen, Krümmungen, Umwege, Brüche und Aufspreizungen entstehen lassen. Diese Figuren bilden insgesamt das Künstliche. Demgegenüber wäre also das Natürliche: eine bruch und fugenlose, gradlinige, glatte Funktionalität, eine nahtlose Einbettung in die Abläufe des Physikalischen und (Post) Biologischen, eine pure Faktizität (statt einer ‘Realität’), ein auf bestimmte Zielzustände ausgerichtetes Verhalten (statt eines Bewusstseins und eines Unbewussten), ein Streben gemäß einer ungebrochenen Signifikanz (anstelle der Kreise und Schleifen des Triebs), ein präsentierendes Handeln

 

 

Überzeugungskraft gewinnen: Wenn mehrere Menschen sich tatsächlich per brainet zu einem vollwertigen »Gruppengeist» zusammenschlössen, entstünde eine derart neuwertige Kollektiv-Individualität mit u. U. auch völlig verändertem Körpererleben, dass es plausibel schiene, ein solches Konstrukt als »posthuman» anzusehen. Oder sollte man jemanden noch als Mensch bezeichnen, wenn seine Erlebniswelt sich nicht nur aus unseren fünf Sinnen speist, sondern zusätzlich aus phänomenalen und handlungsrelevanten Wahrnehmungen von Infrarot, von Ultraviolett oder von Magnetfeldern? Entstünde noch ein »menschliches« Gemälde, wenn ein solcherart BMIverstärkter Künstler die IR, UV und magnetischen Wahrnehmungsaspekte eines Sonnenuntergangs am Meer bildlich darstellt? Oder ist man noch menschlich, wenn man per hybrider BMI eine Art Bewusstwerdung des kognitiv Unbewussten vollzogen hätte und die früher unserem absichtsvollen Handeln entzogenen Subroutinen unserer Belohnungs- und  Planungssysteme willentlich regulieren könnte? 29

Vielleicht ist aber nicht das kognitiv Unbewusste, sondern das »Unbewusste« der Psychoanalyse das Stichwort, das uns hilft, den Kollaps von Gehirn/Geist und Welt in einem umfassend arbeitenden BMI besser zu verstehen. Das Zusammenfallen von Realem, Symbolischem und Imaginärem wurde von psychoanalytischer Seite im »Cyberspace» antizipiert, als »Schließung des phantasmatischen Schirms»’, 30  wobei als »Phantasma» in diesem Kontext der obligatorische abstrakte Regulationsrahmen verstanden ist, der einerseits unser Begehren konstituiert und andererseits eine Distanzierung des bedrohlichen Realen aufrechterhält. 31  Das Einklappen des phantasmatischen Schirms hat für eine humane Psyche katastrophale Folgen, indem es dem Realen ein Eindringen in die mühsam stabilisierte Ordnung des Begehrens erlaubt. 32

Geschieht nicht genau das, wenn unsere eigene Hirnaktivität und die Computationen des BMI-Prozessors mit unseren Mentationen »kurzgeschlossen« werden? 33   All die Hirnprozesse, kraft deren Unbewusstheit und Unzugänglichkeit wir uns als fragile Subjekte konstituierten, können mit einem umfassenden BMI per Rückkopplungsschleife in eine intentionale, bewusste Verfügbarkeit geraten und damit das Phantasma einstürzen lassen. 34′

Um dieses Zusammenrasseln des Realen (unserer ursprünglich unzugänglichen Hirnprozesse) und Symbolischen (unserer bewussten Kognition und Konation) heil zu überstehen, muss man vielleicht wirklich ein posthumanes Wesen sein, also ein rein funktionales Hightech-Tier jenseits allen Begehrens. 35

Je enger wir also Gehirn und Welt zusammenschalten, desto größer wird die Gefahr, dass wir den Geist bzw. das Subjekt von jenem funktionalen Band zur Welt abschneiden, das einen vorgängigen Abstand einerseits überbrücken, andererseits aber auch erhalten sollte.

(anstelle eines repräsentierenden Denkens). (M. Kurthen: Weißer und schwarzer Posthumanismus. München 2011, S. 74). — Künstlichkeit wird somit nicht mehr qua Interventionalität (techne; »das von Menschen Gemachte.) bestimmt, sondern qua Diskontinuität; Natürlichkeit nicht mehr qua Selbstgewordenheit (physis), sondern qua Kontinuität.

29 Warum sollen wir die dazu erforderlichen passiven BMI nur an unsere VideospielKonsolen anschließen? Naheliegend wäre doch eine Verbindung mit dem Smartphone, zum ubiquitären Alltagsgebrauch. Vielleicht wird die EEGHaube unter der Baseballkappe noch zu einer neuen Mode.

30 S. Zack: Die Pest der Phantasmen. Wien 1997, S. 151.

31 S. Zack: Der erhabenste aller Hysteriker. Wien 1992, S. 235241.

32 Siehe Kurthen, a.a.O., S. 72 f.

33 Allerdings sollte es technisch möglich sein, in die BMIProzessoren selbst Filter und Hemmnisse einzubauen, die eine künstliche Vermittlung des Zugriffs als ein computationales ErsatzPhantasma sekundär wieder einführen — ähnlich wie ein elektrisch betriebener PKW mit einem Lautsprecher zur Erzeugung von außen hörbaren simulierten Motorgeräuschen ausgestattet wird, weil ein Auto »so klingen muss.

34 Auch wenn mittels rein passiver BMI diese Prozesse nicht bewusst werden, aber über das BMI ganz neue Rollen und Einflüsse auf die Interaktionen mit der Welt gewinnen, wird die psychische Basis des Phantasmas destabilisiert.

35 Daher liegt die Vermutung nahe, dass ein Übergang vom Humanen zum Posthumanen generell auch einen psychohygienischen Aspekt aufweist: Die Humanität wäre bei einem Kollaps von Gehirn/Geist und Welt schlicht nicht mehr erträglich (s. Kurthen, a.a.O., S. 46, 72f. 89).