MESOP : LINKS vs LINKS IN SACHEN SYRIEN – EIN SITTENGEMÄLDE IM BILDE ALLSEITIGEN ZERFALLS / Denunziation – Paranoidie – Trivial Konspiration

Die vielen Paten von Syrien – eine Analyse / GELD IST EINE WAFFE

Die Bosse – Am 4. Januar 2012 sassen vier vor Selbstsicherheit strahlende Männer im politischen Zentrum der Hauptstadt Berlin vor der aus deutschen TV-Nachrichten bekannten blauen Wand. Im grossen Konferenzsaal der Bundespressekonferenz wurden sie als «syrische Oppositionelle» und «Vertreter der syrischen Demokratiebewegung» vorgestellt. Ihre Forderung: Die deutsche Bundesregierung müsse endlich «Handeln» gegen die Regierung des syrischen Staatschefs Baschar Hafez al-Assad.

Ferhad Ehme

Der zur Ethnie der Kurden gehörende Ferhad Ehme (oder Farhad Ahma) war 1996 aus Syrien nach Deutschland gekommen, wo er als politischer Flüchtling anerkannt ist. Als er seinen Auftritt im Bundespressekonferenz-Saal hat, arbeitet der damals 37-jährige als Dolmetscher für die deutsche Bundesbehörde ‹Bundeskriminalamt›, ist Berliner Bezirkspolitiker in der Partei ‹Bündnis 90/Die Grünen› (Grüne) und zugleich Mitglied des in Istanbul residierenden, 300 Mitglieder umfassenden Exil-Oppositionsbündnis ‹Syrischer Nationalrat› (SNC).

Die syrische Exil-Opposition wird zweifelsohne von der mächtigen, religiös-chauvinistischen Muslimbrüder-Bewegung dominiert. Die Bruderschaft soll 100 Millionen Mitglieder haben – wer Mitglied ist, weiss man selten (man kennt das ja von der Mafia). Deutschlands Inlands-Nachrichtendienst beschreibt beispielsweise die Organisation ‹Islamische Gemeinschaft in Deutschland› (IGD) mit ihren etwa 1’300 Mitgliedern als «zentrale und wichtigste Organisation von Anhängern» der Bruderschaft. Mitglied wird nur, wer mehrjährige Unterweisungen in lokalen Kleingruppen durchlaufen hat und Loyalität bewiesen hat. Die Zahl der Sympathisanten dürfte die der Mitglieder bei Weitem übersteigen. Bei verharmlosenden Bezeichnungen durch westliche Journalisten, wie «konservativ-islamisch» oder «politischer Islam», sollte man nie vergessen, dass die Brüder in einigen Nahost-Staaten als Terrororganisation eingestuft werden. Wohl nicht ganz ohne Grund. Man kann beispielsweise davon ausgehen, dass der einstige Führer der Terrororganisation ‹Al-Kaida› – Osama bin Laden – sich erst durch die Lehren des Vordenkers der Muslimbruderschaft zu radikalisieren begann. Am 24. Februar 2016 wurde vom Justizausschuss der US-Parlamentskammer ‹Repräsentantenhaus› eine Gesetzesvorlage weiter geleitet, welche die Muslimbruderschaft auch für US-amerikanische Behörden als Terrororganisation definieren würde.

Ehme ist auch ein Vertreter der im September 2011 in Stockholm (Schweden) gegründeten und eher obskuren ‹Versammlung der syrisch-kurdischen Jugend im Ausland›. Sein Engagement als syrischer Kurde verdient Beleuchtung. Wie er gegenüber der Platform ‹kurdistantribune.com› aussagte, war er früher Mitglied der ‹Kurdischen Unions-Partei in Syrien›. Diese Partei vereinigte sich in 2012 mit den beiden Zweigen der ‹Kurdischen Freiheits-Partei in Syrien› (Azadi) und einer weiteren Partei zur ‹Kurdischen Demokratischen Politischen Union›. Diese Union wiederum stand bis zu ihrer endgültigen Auflösung in 2014 in einer Allianz mit der Partei des irakischen Kurdenführers Masud Barzani – ein erklärter Freund der USA und ein williger Partner der Türkei. Die Milizen von Barzani und der Azadi-Partei haben jedoch ein mehr als gespanntes Verhältnis (bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen) mit den politisch linken Gross-Milizen der syrischen und türkischen Kurden.

Ehme sieht sich offensichtlich als bedeutende Persönlichkeit der syrischen Opposition in Deutschland. Diesem Status entsprechend, sorgte er Ende Dezember 2012 für ein Drama, worüber wunschgemäss der Botschafter Syriens ins Auswärtige Amt zitiert wurde. Ehme war nämlich am zweiten Weihnachtstag in seiner Berliner Wohnung von zwei Männern tätlich angegriffen worden. Sogleich machte er den syrischen Geheimdienst für den Überfall verantwortlich. Die Polizei ging jedoch mit seinen Aussagen etwas vorsichtiger um. Die Ermittler prüften unter anderem, ob der Überfall private Hintergründe haben könnte. Man wollte wissen, welche Rolle die 20-jährige «Bekannte» in der Wohnung gespielt habe. Auch verhältnismässig leichte Prellungen passten nach Angaben eines Ermittlers nicht zu der Aussage, dass man mit Knüppeln auf ihn eingeschlagen habe. Stutzig machte die Polizei auch, dass Ehme die ambulante Behandlung im Krankenhaus abgelehnt hatte. «Ferhad ist ein offener, gradliniger, ehrlicher Mensch, der erzählt keine Geschichten», erklärte die stellvertretende Fraktionssprecherin der Grünen. Sie kenne ihn aus dem Wahlkampf, wo er speziell bei der arabischsprechenden Bevölkerung für ihre Partei geworben habe. Na dann.

Ehme nutzte seinen Pressekonferenz-Auftritt um die SNC-Sichtweise vorzutragen und verlangte die Schaffung einer «Flugverbotszone» an der Grenze zur Türkei. Als Ziel gab er an «Abtrünnigen der Streitkräfte» einen «sicheren Aufenthaltsort» zu bieten. Eine «Gewaltandrohung» würde diese Zone durchsetzen helfen. Ehme meinte damit wohl die «Libyen-Lösung» – wo die Durchsetzung einer solchen Zone durch die NATO etwa 50’000 Leben gekosten hat.

Am 3. Dezember 2012 verlangte Ehme im nationalen Hörfunk ‹Deutschlandradio›, dass den als «Rebellen» bejubelten syrischen Regierungsgegnern geholfen werden müsse, «auch im Sinne von Ausstattung mit Waffen». Hinter der Kulisse des «zivilgesellschaftlichen Engagements» arbeitete er zu diesem Zeitpunkt ohnehin längstens mit der deutschen Bundesregierung und dem Aussenministerium der Vereinigten Staaten zusammen. Unter dem Arbeitstitel «Der Tag danach» wurde im Berliner Bürohaus der von der deutschen Regierung finanzierten Denkfabrik ‹Stiftung Wissenschaft und Politik› (SWP) ein Plan für ein Syrien nach dem erfolgreichen Regierungssturz ausgearbeitet. SWP und die Amerikaner führten dazu seit Januar 2012 Geheimtreffen mit einer Gruppe von bis zu 50 syrischen Oppositionellen – darunter Herr Ehme und Mitglieder der Muslimbruderschaft.

Hozan Ibrahim

Als der damals 29-jährige kurdische Syrer Hozan Ibrahim im Bundespressekonferenz-Saal eine Stimme gegenüber der deutschen Öffentlichkeit zum Thema Syrien erhielt, war er erst seit dem Frühling 2011 im Lande. Zehn Jahre zuvor musste der Informatiker in seiner Heimat zwei kürzere Gefängnisstrafen absitzen – nach eigenen Angaben wegen Teilnahme an Demonstrationen und «politischer Arbeit». Für die kurdische Sache allerdings war und ist er – wie sein Kollege Ehme – jedenfalls nicht für die Kurden-Partei mit der grössten Anhängerschaft aktiv. Das wäre nämlich die ‹Partei der Demokratischen Union› (PYD), welche man in Nordsyrien (oder Westkurdistan, wenn man so will) auf Grund ihrer Mitgliederzahlen und der Schlagfertigkeit ihrer bewaffneten Miliz – den ‹Volksverteidigungseinheiten› (YPG) – als wohl legitimste Vertretung der syrischen Kurden betrachten darf. Ibrahim hat jedoch mehrfach öffentlich gegen die PYD gehetzt und die Azadi-Partei verteidigt, als diese (wohl unter türkischer Einflussnahme) bewaffnete Angriffe gegen die YPG führte.

Ibrahim wurde damals auch als «Vertreter» der ‹Lokalen Koordinationskomitees› (LCC) gehandelt. Gegründet von einem salafistischen Kleriker werden diese nachweislich hauptsächlich durch das US-Aussenministerium finanziert – und das obwohl LCC in 2012 offiziell ihre Loyalität zum syrischen Ableger der Terrororganisation Al-Kaida ausgedrückt hatten. Während man Mitte 2011 noch von 35 «Führern» sprach, konnte man Anfang 2012 schon von 14 organisierten Komitees sprechen. Dass sich LCC einem rein «friedlichen Aufstand» verschrieben haben sollen, darf man bei näherer Betrachtung eher bezweifeln.

Wie Ehme ist auch Ibrahim SNC-Mitglied und sitzt im 30-köpfigen Generalsekretariat der Organisation. Beide werden am 10. Februar 2012 von der deutschen Zeitschrift ‹Spiegel› zitiert, wie sehr sie den Kontakt zu den «Leuten» des damaligen deutschen Aussenministers loben würden. Sie hätten ausdrücklich betont, wie gut sie sich vom deutschen Aussenministerium ‹Auswärtiges Amt› behandelt fühlen würden. Im Januar 2012 berichtete bereits die deutsche Zeitung ‹ZEIT› von einem Treffen, welches im November 2011 zwischen Ibrahim und dem Aussenminister der Bundesrepublik statt gefunden habe. Man würde sich regelmässig treffen und auf «Arbeitsebene» bestünden «enge Kontakte», hätten beide Seiten bestätigt.

Gemäss dem erwähnten ZEIT-Artikel halfen Ibrahim und Ehme damals von Deutschland aus Satellitentelefone, Smartphones mit türkischen SIM-Karten und Datenträger mit Bildern und Filmen nach Syrien zu schmuggeln. Demnach wären die Beiden auch damals in «Verhandlungen» mit «zwei grossen Firmen» gestanden, die ihnen helfen sollten, sichere Netzwerke und Telefonleitungen aufzubauen. Die Namen der Firmen wollten sie nicht preis geben. Wie ZEIT jedoch damals schrieb: «Aber ihre Gesichter sagen: Wirklich grosse.»

Seit 2011 tritt Ibrahim regelmässig in Deutschland bei Veranstaltungen zum Thema Syrien auf – so beispielsweise in Hanover bei der ‹Konrad-Adenauer-Stiftung› (KAS). Diese zum überwiegenden Teil direkt aus öffentlichen Mitteln finanzierte Denkfabrik hat enge Verbindungen zur ‹Christlich Demokratischen Union› (CDU) – also der Regierungspartei der deutschen Regierungschefin – Kanzlerin Angela Merkel. Anfang März 2012 erklärte ein bellikoser Ibrahim der Zeitung ‹Financial Times Deutschland›: «Die politischen Mittel sind ausgeschöpft» und jammerte enttäuscht: «Wir haben uns mehr vom Westen erwartet.» Weil bis dahin immer noch keine NATO-Bomben gefallen waren?

Amer al-Neser

«Die Solidarität, die ich danach erfahren habe, hat mich bestärkt, nun erst recht für ein friedliches und demokratisches Syrien zu kämpfen», versuchte Ehme nochmals im Bundespressekonferenz-Saal den angeblichen «Einschüchterungsversuch syrischer Geheimdienste» für seinen Appell auszuschlachten. Dann kam der von ihm mitgebrachte Amer al-Neser zum Zuge. Der damals 27-jährige Medizintechnik-Student aus Aachen erschien auch als Sprecher der von deutschen Journalisten oft als «Aktivisten-Netzwerk» verharmlosten ‹Generalkommission der Syrischen Revolution› (SRGC).

SRGC ist ein Zusammenschluss von 44 teilweise auch islamistisch geprägter Gruppen. Das Hauptquartier ist in Istanbul (wo sonst?). Der in der Schweiz lebende Vorsitzende hatte bereits Anfangs Oktober 2011 öffentlich den vom Oppositions-Bündis ausgedrückten Wunsch für die militärische «Intervention» durch das Ausland mitgetragen. Das renommierte US-Magazin ‹Foreign Policy› bezeichnete SRGC als «aggressive Plattform für die Beseitigung Assads, welche bewaffnete Rebellen mit Militärverwaltungen aktiv unterstützt». SRGC habe sich zum Ziel gesetzt, «das Regime bis auf die Grundmauern und mit allen seinen Symbolen zu stürzen».

Grundsätzlich unterstützt SRGC bewaffneten Gruppen mit Logistik, Geld und nachrichtendienstlicher Arbeit. Allerdings ähnelt diese Organisation in gewisser Hinsicht den Muslimbrüdern (oder der Mafia, wenn man so will). Man weiss nämlich nicht genau, wer ein Mitglied ist und somit ist es schwierig die Hierarchie zu präsentieren. Das, obwohl die Gruppe jeweils ein Büro für Hilfswerke, für Rechtsfragen und für Medien betreibt. SRGC hat zwar an Bedeutung verloren – aber als die Gewalt ihren Lauf nahm, war die Organisation ganz vorne mit dabei – und zwar mit Medienarbeit der besonderen Art. Was man beim Libyen-Regierungssturz gelernt hatte, kam in Syrien zur Blüte: Der YouTube-Krieg. Speziell über das Portal ‹YouTube› wurden viele der anfänglich propagandistisch so effektiven Videos durch SRGC verbreitet. Für ein auf Sozialen Medien aktives, jüngeres Publikum erschienen die verwackelten Handy-Aufnahmen die Wahrheit zu zeigen und «Journalisten» (Anführungszeichen hier zur ironischen Distanzierung) übernahmen freudig Material von dem Niemand das journalistische «Wer? Wie? Was? Wann? Wo? Warum?» bestätigen konnte.

Gemäss der feierlichen Gründungserklärung im August 2011 sei das langfristige Ziel von SRGC der Aufbau «demokratischer und ziviler Staats-Institutionen, die allen Bürgern Freiheit, Gleichheit, Würde und Respekt für Menschenrechte gewähren». Hehre Ziele – hübsche Worte. Ein namentlich bekannter hoher Funktionär innerhalb der Organisation ist jedoch Mohammed Alloush – wie Ibrahim und Ehme auch SNC-Mitglied und aktuell sogar Chef-Unterhändler der syrischen Opposition unter dem Banner ‹Hohes Verhandlungskomitee›. Alloush ist jedoch auch politischer Führer der von Saudi-Arabien unterstützten syrischen Gross-Miliz ‹Armee des Islam›. Diese ist – zusammen mit einer anderen, von einem Al-Kaida-Mitglied mitbegründeten Gross-Miliz – Teil des schlagkräftigen Milizen-Bündnises ‹Islamische Front›. Zu dessen Verbündeten zählt wiederum auch der syrische Al-Kaida-Ableger. Der Bruder dieses SRGC-Funktionärs war der inzwischen getötete, berühmt-berüchtigte Militär-Führer der Armee des Islam – Zahran Alloush. Dieser tat sich in der Vergangenheit besonders hervor mit Beschimpfungen von Andersgläubigen als Falschgläubige und der Forderung nach einer «Säuberung» von Damaskus von solchen Menschen. Dieser Religions-Fanatiker war es auch, der im Herbst 2015 eine Anzahl von gefangenen Zivilisten in Käfige steckte und auf Dächer und Plätze als Menschliche Schutzschilde aufstellen liess.

«Derzeit bemüht sich die syrische Opposition mit allen Mitteln, diesen Konflikt friedlich zu lösen», raspelte 2012 SRGC-Mann al-Neser sein Süssholz für die Bundespressekonferenz. Nach etwas mehr Propaganda über den Tod «friedlich demonstrierender Menschen» kam er knallhart zur Sache: «Zum Schutz syrischer Menschenrechtsaktivisten braucht es dringend eine Flugverbotszone im Land ….» Dass diese Forderung die Bombardierung von Syrien mit Zigtausend Toten bedeuten würde, war so kurz nach dem brutalen Libyen-Krieg der NATO wohl praktisch Jedem klar.

Elias Perabo

Ohne einen Deutschen ging es nicht. Deshalb hatte auch der damals 31-jährigen Elias Perabo im Bundespressekonferenz-Saal eine Stimme zum Schicksal der Syrer. Für einen Studenten der Politikwissenschaft ist «Aktivismus» wohl naheliegend. Beispielsweise 2008, als er als «Umweltaktivist» zur deutschen Tageszeitung ‹TAZ› sprach. Eine angeblich linksalternative und Grünen-nahe Zeitung übrigens, zu der er einen wirklich guten Draht zu haben scheint.

Der Auslöser, weshalb Perabo vom Umweltschutz Abschied nahm? Tourismus. 2011 – gerade als die Demonstrationen begannen – machte er in Syrien «Urlaub mit seiner Freundin» – das Land «kannte er vorher nicht». So zumindest beschrieb es 2012 ein Spiegel-Artikel mit Titel «Ein Herz für Hama» (eine syrische Stadt). Auf einer Webseite der deutschen Hilfsorganisation ‹Medico International› (Medico) hörte sich im August 2011 dieser «Urlaub» weniger harmlos an. Der als «Klimaaktivist» vorgestellte sei im Frühjahr 2011 nach Syrien gereist und habe sich «einer Dachorganisation lokaler Komitees, die sich im Zuge des syrischen Aufstandes bildeten» angeschlossen. Perabo schliesst diesen «Bericht» für Medico mit einem Postskriptum: «P.S. Natürlich wird auch der Fall von Gaddafi der syrischen Protestbewegung weiteren Aufwind geben. In Bengasi wurde gestern Nacht der Sprechchor angestimmt: ‹Syrien habt keine Angst, ihr werdet die Nächsten sein!› – hoffen wir, dass sie recht behalten.» Was Peroabo nicht erwähnt: Bengasi wurde von Kennern schon damals als libysche Hochburg der Terrororganisation Al-Kaida gesehen (was sich im aktuellen Chaos-Staat nun bewahrheitet hat).

Am 15. Januar 2012 wird Perabo in der deutschen Zeitung ‹Süddeutsche› vorgestellt. Er würde Geld sammeln «für junge syrische Aktivisten, die gegen das Assad-Regime kämpfen» erklärt er und stellt feierlich fest: «Was wir machen ist ganz klar eine politische Intervention.» Seine Revolutions-Schwarmfinanzierung ‹Adopt a Revolution› (AaR) lief damals noch über die Webpräsenz ‹syrischer-fruehling.de›. Vom Spendergeld würden keine Waffen gekauft, verspricht er. Dass es auch andere nützliche Verwendung für die deutschen Euros gäbe rechnet er vor: «Eine Revolution kostet pro Monat: 200 Euro für Flugblätter und Banner, 100 Euro für eine abgesicherte Internetverbindung und 500 Euro, um Miete und Essen für untergetauchte Oppositionelle zu bezahlen.» … und Krieg & Zerstörung ist unbezahlbar … fühlt man sich gezwungen im Sinne der ‹Mastercard›-Werbung zu parodieren.

Gemäss Perabo würde das deutsche Geld an «Aktivisten in Europa» überreicht, die es dann an «Aktivisten in der Türkei» geben würden, von wo es dann über die Grenze nach Syrien geschmuggelt würde. Der Journalist will es jetzt wissen: «Kannst du garantieren, dass von dem gespendeten Geld keine Waffen gekauft werden?» Dazu meint Perabo überraschend entspannt: «Das kann man nie zu 100 Prozent garantieren.»

«In den ersten zehn Tagen haben sich schon über 300 Revolutionspaten gefunden. Die Finanzierung für die zehn lokalen Aktivistenkomitees in Syrien steht damit bereits», jubelt Perabo im Gespräch über die finanzielle Hilfe für LCC. «Wir finanzieren grundsätzlich nur Komitees, die sich für den unbewaffneten Widerstand ausgesprochen haben», schwärmt er und berichtet, wie die «lokalen Komitees» sich vor den Demonstrationen überlegen würden, «aus welcher Moschee sie nach dem Freitagsgebet herausmarschieren» würden. Moschee? Diese Frage war naheliegend: «Fördert ihr auch Islamisten?» Perabo hat auch dafür eine passende Antwort: «Die Komitees repräsentieren die syrische Gesellschaft, und gläubige Muslime sind ein Teil dieser Gesellschaft.» Fragen, die nie gestellt wurden: Warum waren aber bereits damals regelmässig, ausgerechnet nur Moscheen und ausgerechnet nur von der einen Sekte der Ausgangspunkt der Agitationen? Hatte man denn nicht hier nicht bereits den deutlichen Hinweis auf den religions-chauvinistischen Hintergrund dieser «Proteste»?

Durch sein Engagement für Umweltschutz war Perabo bereits damals ausgezeichnet vernetzt mit gemeinnützigen Vereinen, Kampagnen und Stiftungen von nationaler und internationaler Bedeutung: ‹ATTAC›, ‹BUND›, ‹Greenpeace› und – vor nicht unwichtig – die ‹Heinrich Böll Stiftung›. Diese Denkfabrik steht den Grünen nahe und tut sich mit ihrem Menschenrechtsimperialismus nicht nur gegen Syrien hervor. Imperialismus-Neusprech wird in dieser Organisation sorgfältig theoretisch fundiert und gepflegt. Ein grünes Ja zu Krieg sei kein machtpolitisches Kalkül «sondern eine Frage der Menschenrechte», stellt ein Vorstandsmitglied klar. «Es könnte nötig werden, ausserhalb des bestehenden völkerrechtlichen Rahmens zu agieren.» steht in einem Aufsatz der Stiftung.

Dass ein Klima-Aktivist bei den Grünen mitmachen würde, liegt nahe. Als Syrien-Revoluzzer ist Perabo aber anscheinend auch bei der angeblich linken Gross-Partei ‹Sozialdemokratische Partei› (SPD) willkommen. Aktuell stellt diese Partei einen Teil der deutschen Koalitions-Regierung. «Es ist der erste Freitag im neuen Jahr. In der Moschee von Al Moadamyeh, einem Vorort von Damaskus, versammeln sich hunderte Menschen zum Freitagsgebet.» So beginnt Perabos Bericht vom 10. Januar 2012 auf der SPD-Webpräsenz ‹spd.de› mit einem die Genossen deutlich auffordernden Titel «Jetzt den syrischen Frühling unterstützen». Auch innerhalb der SPD schien damals die Sache mit den Moscheen niemand sonderlich zu stören.

Die Paten

«Können Sie mir einen einzigen Prozess nennen, der je die Existenz eines Verbrecherbundes namens Mafia erwiesen hätte?» Diese seltsame, jedoch damals korrekte Frage stammt aus dem Mafia-Roman von Leonardo Sciascia. 1962 – ein Jahr nach Erscheinen des Buches – enthüllte jedoch ein Mafiosi zum ersten mal die Organisationsformen und Praktiken der sogenannten «Ehrenwerten Gesellschaft».

Beim Bundespressekonferenz-Auftritt von Eheme, Ibrahim und Perabo wurde AaR offiziell lanciert. Ende 2011 wurde das Projekt auf den Weg gebracht, um nach eigenen Angaben über «Revolutionspatenschaften» Geld zur Unterstützung der «gewaltfreien Teile der syrischen Opposition» zu sammeln. Alle der damals auf dem Podium auch als Vertreter dieser Kampagne Aufgetretenen haben sich damals schon und/oder seitdem öffentlich für die Bewaffnung vom Regierungsgegnern und/oder eine westliche Militärintervention ausgesprochen. Was man über andere Schlüsselfiguren dieser ehrenwerten Gesellschaft wissen darf, sollte ebenfalls nachdenklich stimmen.

Rami Nakhla

Perabo gilt als «Initiator» von AaR. Auf die Frage des Journalisten der Süddeutschen, wie ihm «die Idee» zur Geldsammelaktion kam, beschrieb er wie er seinerzeit im Libanon mit seinem «sehr guten Freund» Rami Nakhla zusammen überlegt habe, was man machen könne – auch von Deutschland aus. Relativ bald danach habe er seinen Job als Referent bei dem Klimaschutz-Bündnis gekündigt und nahm sich ein Jahr Auszeit, um sich um das «Projekt» zu kümmern.

Als Perabo seinen damals im Beiruter Exil lebenden syrischen «Freund» als einen «der wesentlichen syrischen Cyberaktivisten» beschrieb, hatte er wohl nicht unrecht. Ein paar Männer schossen praktisch über Nacht zum syrischen Revolutions-Promi-Himmel auf – darunter auch der damals 28-jährige Nakhla. Prominenz kam dank Journalisten, welche die Rolle der Sozialen Medien im sogenannten «Arabischen Frühling» hochstilisierten und die Protagonisten entsprechend romantisierten. Das kam natürlich vor allem bei jungen Wahlschafen im Westen gut an – nimmt man doch dort allgemein an, dass in jedem syrischen Kuhdorf junge, Englisch sprechende «Aktivisten» 24/7 an einer super schnellen Internetverbindung hängen. (In 2011 hatten nur 19,8 Prozent der Bevölkerung regelmässigen Internet-Zugang – mit einer durchschnittlichen Download-Geschwindigkeit von 768 Kilobit/Sekunde. Ja, Kilobit.)

Auf dem sozialen Netzwerk ‹Facebook› und dem Microblogging-Dienst ‹Twitter› schrieb Nakhla unter dem Pseudonym «Malath Aumran» schon drei Jahre vor Ausbruch der Gewalt Dinge, die ihn angeblich mit den Behörden so sehr in Schwierigkeiten brachten, dass er fliehen musste. Der damals angehende Politikwissenschaftler wird seither in westlichen und arabischen Medien als «inoffizieller Sprecher der Revolution» herumgereicht und war bereits in 2012 ein Mitglied des Istanbuler SNC.

«Ein Klopfen an der Tür könnte ein Film-Team sein oder ein Geheimdienst-Offizier mit einer Pistole», dramatisierte Nakhla im August 2011 für die US-Politik-Zeitschrift ‹Boston Review› sein angeblich dauergefährdetes Leben als Revolutions-Promi. Echt? Mitte November 2011 benötigte er einen operativen Eingriff. Er liess sich grinsend im schicken Privatzimmer eines Beiruter Krankenhauses fotografieren und schrieb auf Twitter, dass er dort über fünf Tage flach liegen muss. Es fehlte eigentlich nur noch die Zimmer-Nummer. Die Handlung eines ängstlichen «Untergrundkämpfers»?

Am 4. Februar 2012 verspricht der nun Vollzeit-Revoluzzer per Twitter den «Diktaturen» Russland und China, dass sie als «nächste auf dem Plan des Arabischen Frühlings» dran kommen würden. In 2016 findet man auf Twitter das elegante US-amerikanische Städtchen New Haven als seinen «Standort». Logisch. Im April 2014 wurde er ja ein ‹Yale World Fellow›. Das bedeutet, dass seine «Forschungstätigkeit als Gastmitglied» von der US-amerikanischen Elite-Hochschule ‹Yale› alimentiert wird. Gemäss den Statuten dient dieses Stipendium dazu «ein Netzwerk global engagierter Führer zu kultivieren und zu stärken». Der bis anhin in der englischen Sprache nur mässig Begabte macht akademische Karriere-Sprünge unter der intellektuellen Elite der USA.

Twitter-Nachrichten nach 2012 geben über die Funktion «Geo-Tag» jedoch die Türkei als Nakhlas häufigste geografische Position an. Von dort – genauer gesagt aus der Weltstadt Istanbul – stammen auch Fotos, die Mitte August 2013 einen frechen Enthüllungsartikel bebildern der auf ‹mushakis.net› eingestellt wurde. (Es handelt sich hier übrigens um eine der syrischen Opposition nahestehenden Platform.) Die Aufnahmen zeigen ein modernes, junges Liebespaar beim romantischen Abendessen während einer Sonnenuntergang-Kreuzfahrt auf dem Bosporus. Nakhla im Business-Hemd – seine weibliche Begleitung mit offenem Haar. Weissweinflasche und volle Gläser auf einem festlich gedeckten Tisch – im Hintergrund spiegelt sich der Beylerbeyi-Palast im Wasser. Das Paar liegt sich in den Armen und die spektakulär beleuchtete Bosporus-Brücke kommt ins Bild. «Willst du mich heiraten», kann man in auf die Brücke projizierten Leuchtbuchstaben auf Yale-Englisch lesen. Über 40’000 Euro soll Nakhla an diesem Abend für seine «Geburtstagsfeier» ausgegeben haben. Ein weiteres Foto zeigt den Syrien-Revolutionär wie er eine Champagnerflasche gegen die Kamera spritzen lässt. Sein Hemd ist nass vom Schaumwein, es ist 2013 und in seiner alten Heimat hat die «Revolution» bereits 100’000 Leben gekostet.

Zuher Jazmati

Der gebürtige Marburger Perabo trifft auf den Marburger-Studenten Zuher Jazmati. 1989 als Sohn syrischer Eltern in Berlin geboren, lebte dieser bis zum 6. Lebensjahr in der deutschen Hauptstadt. Danach jedoch verbrachte er 11 Jahre lang in Riad (Saudi Arabien). Als er innerhalb von AaR für den syrischen Regierungssturz zu werben beginnt, ist er wieder in Deutschland und studiert gerade «Politik des Nahen und Mittleren Ostens» an der ‹Philipps Universität Marburg›. Wie Ehme ist auch er ein Mitglied der Grünen und in der ‹Landesarbeitsgemeinschaft Frieden, Europa und Internationales› in Hessen aktiv. Weitere studentische Aktivitäten beinhalten die Redaktion des Newsletteres der ‹Deutsch-Arabischen Gesellschaft›.

Dank eines Stipendiums vom hauptsächlich aus deutschen Steuergeldern finanzierten ‹Deutschen Akademischen Austauschdienst› hielt er sich Mitte 2013 gerade in Ägyptens Hauptstadt Kairo auf, als er versuchte seine 90-jährige Grossmutter von dort nach Deutschland zu bringen. Die Dame war aus der syrischen Stadt Aleppo nach Kairo gereist um sich dort das nötige Besuchsvisum zu besorgen. Das ging jedoch böse in die Hose, denn ihre Papiere waren nicht in Ordnung und/oder die deutsche Behörden zu langsam. Wie auch immer – als stolzer deutscher Staatsbürger beschwerte sich Jazmati natürlich vehement und bestand darauf, «sofort einen Visumstermin» fürs Grosmütterchen zu erhalten. Der Berliner Amtsschimmel galoppierte – die Oma musste unverrichteter Dinge nach Syrien zurück fliegen – und ein Jahr später (ohne Schimpfen hätte es 12 Monate gedauert) war allet jut. Auf Facebook konnte Jazmati am 31. August 2014 hoch erfreut (auf gut NATO-Englisch natürlich) seiner Fangemeinde mitteilen, dass die Jetset-Oma in Berlin heil angekommen sei. Auf einem Foto zeigte er sich stolz mit ihr auf dem Familiensofa. Am 3. Oktober 2015 meldet er sich um 11:40:59 Uhr auf Twitter (diesmal auf gut Wut-Deutsch mit einem Gewitter von «Hashtags»): «Zum #tagderdeutscheneinheit sage ich dir liebes #Deutschland #DeutscheEinheit #Deutschland25 #DeutschlandMussSterben.» Das damit verknüpfte Bild zeigt den deutschen Bundesadler auf dem Kopf und in wütenden Kapitalien die Worte: «DEUTSCHLAND, DU MIESES STÜCK SCHEISSE!»

2014 beendete er sein Studium der Orientwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politikwissenschaft. «Warum es keinen Frieden mit Assad geben sollte», lautete im Oktober dieses Jahres der Übertitel seines hochintellektuellen Meinungsartikels im deutschen Debatten-Magazin ‹The European›. Ein sehr deutscher Aufruf für totalen Krieg bis zum Endsieg also? In 2015 finden wir Jazmati in der britischen Hauptstadt und zwar in der höchst renommierten Universität ‹London School of Economics and Political Science› (LSE). Dort macht er den Master in «Politik des Nahen Ostens» als Stipendiat der ‹Hans-Böckler-Stiftung›. Nach eigenen Angaben fördert diese Stiftung «junge Menschen die in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen möchten» und die «wissenschaftlich besonders begabt und gewerkschaftlich oder gesellschaftspolitisch engagiert» sind. Gemäss einer britischen Zeitung hat LSE «mehr Einfluss auf die derzeitige politische Welt als jede andere Hochschule auf der Erde». Man wird also noch lange nach dem Syrien-Endsieg von Jazmati hören müssen.

Cosa Nostra

Heute bezeichnet man die sizilianische Mafia auch als Cosa Nostra (italienisch für «unsere Sache»). Ob Mafia-Familie oder Grosskapitalist – wer möchte, dass Ursprung und Fluss des lieben Geldes nicht zu offensichtlich wird, muss seine Geschäfte verzetteln und verbergen.

Nicht nur AaR treten als Revolutionspaten auf. Es gibt in Deutschland viele Akteure die zu einer Revolution in Syrien immer noch begeistert «unsere Sache» sagen – bis hin zur Bundesregierun. Sobald jedoch Steuergelder involviert sind, darf anscheinend diese «Sache» nicht zu direkt laufen.

Martin Glasenapp

«Medico international solidarisierte sich von Beginn an mit den Protesten und versuchte Kontakte zu den Aktivistinnen und Aktivisten herzustellen, die für Freiheit, Demokratie und Würde demonstrierten.» So beschrieb Martin Glasenapp Ende Juni 2013 für die Zeitung ‹Neues Deutschland› das Engagement seiner Organisation «für» Syrien. Innerhalb dieser 1968 in Frankfurt gegründete Hilfsorganisation trägt er den Titel «stellvertretender für Texte und Werbung zuständiger Abteilungsleiter» und sitzt nebenbei – wie die bereits vorgestellten Bundespressekonferenz-Teilnehmer Ehme und Ibrahim im AaR-Beirat. Immer wieder geben ihm die Leitmedien eine Stimme zum Kriegsland und dann wird er meist als Medicos «Nahost-Referent» oder «Syrien-Koordinator» vorgestellt. Seine paar Reisen ins Kriegsland ähneln denjenigen vieler West-Journalisten, die vorsichtig ihre Zehen ins Rebellengebiet an der türkischen Grenze reinstecken, aber jegliche Gespräche mit der Regierung ablehnen. Er selbst bevorzugt dabei die kurdischen Gebiete.

Glasenapp gibt sich politisch links (jedoch mit viel Abstand zu traditionellen, verifizierbaren Vertretern des linken Spektrums). So sitzt er mal auf einem Podium für das 2005 gegründete Bündnis ‹Interventionistische Linke› und die 1992 entstandene «Initiative» ‹Libertad!› – oder er ist Teil einer ‹Blockupy›-Delegation und spricht zu 10’000 Menschen in Athen. Das 2012 aufgetauchte Blockupy-Netzwerk soll ja angeblich linkspolitisch, kapitalismus- und globalisierungs-kritisch sein. «Läuft ja rund für #Assad: #Russland bombardiert in #Homs, #Hama, #Latakia. Aber nicht gg #IS, sondern andere Rebellengruppen, darunter #FSA.» So tönt Mitte 2015 eine Hashtag-strotzende Twitter-Nachricht des Blockupy-Benutzerkontos. Blockupy als Syrien-Experten, die wissen, wo genau dieses ach so böse Russland angebliche Nicht-Dschihadisten bombardiert? Blockupy als Wiederkäuer der Propaganda-Linie westlicher Regierungen? «Läuft ja rund» für den Imperialismus, wenn das «linkspolitisch» ist.

Der wahre Charakter der syrischen Revolution muss natürlich – selbst wenn schon überall schwarze Dschihad-Fahnen wedeln – immer wieder geleugnet werden. Zum Glück gibt es in Syrien noch die Kurden. Die passen doch so richtig schön ins revolutionäre Pathos. Nicht erst mit der Schlacht um die Stadt Kobane hat angebliche Kurden-Solidarität mit einer kompletten Revolutionsesoterik obendrauf bei Linken (zumindest solchen die es vorgeben zu sein) wieder mal Hochkonjunktur. Auch Glasenapp macht bei seiner Unterstützung für die «Syrien-Revolution» immer wieder viel aus der kurdischen Dimension. Zu recht? Die syrisch-kurdische Mehrheitspartei PYD hat sich nämlich nicht an einer gemeinsamen Front gegen syrische Regierungstruppen beteiligt und erntete dafür kantonale Selbstverwaltung. Als gewisse andere kurdische Parteiverbände im Laufe des Jahres 2011 Demonstrationen organisieren wollten, wurden diese jedoch von der PYD gelegentlich sogar mit Gewalt unterbunden.

So viel war schon damals klar: Von einer «Revolution» mit einem religions-chauvinistischen Charakter hatten linke Kurden nichts Gutes zu erwarten. Bereits im November 2011 distanzierte sich der PYD-Vorsitzende Salih Muslim Muhammad in einem Interview auf der Platform ‹kurdwatch.org› deutlich von den Regierungsgegnern: «Das gegenwärtige Regime akzeptiert uns nicht – genauso wenig wie diejenigen, die eventuell danach an die Macht kommen.» All das ignoriert Glasenapp, als er zum Beispiel am 12. November 2013 in München bei einer Veranstaltung von sich als links bezeichnender Gruppen unter dem Titel «Zur Situation in Syrien und Rojava – Gibt es Hoffnung und Möglichkeiten der Solidarität?» sein Referat abgibt. (Rojava bedeutet Westkurdistan – also das inzwischen de facto autonome kurdische Siedlungsgebiet.) Er polemisiert auch über den Giftgasangriff am 21. August 2013 als «Angriff der Syrischen Regierung auf ihre Bürger». Muslim lehnte diese Anschuldigungen jedoch bereits vier Tage nach dem Ereignis als «Unsinn» ab. Das wäre so oder so interessant, denn Muslim ist zugleich auch stellvertretender Koordinator des grossen syrischen Oppositionsblocks ‹CNCD›. (Eine Gruppierung, die vom Westen null Interesse erhält, obwohl das Bündnis innerhalb von Syrien weit stärker verankert wäre, als die vom Westen hofierte Exil-Opposition.)

Zum Einstieg seiner Präsentation zeigt Glasenapp ein Video, welches Medico mit der syrischen ‹Kafranabel›-Kampagne produziert hatte. (Übrigens eine «Aktivisten»-Gruppe, welche zu diesem Zeitpunkt den US-Präsidenten Barack Obama schon mehrmals deutlich um sein «Eingreifen» gebeten hatte und sich deshalb auch öffentlich den kriegsgeilen US-Präsidenten George W. Bush zurück wünschte.) Man müsse schon von «unterlassener Hilfeleistung» sprechen, würde man hier nicht «eingreifen», meint Glasenapp nach dem Film. Eingreifen? So richtig mit NATO-Bomben und 50’000 Toten wie in Libyen?

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung werden der syrischen Regierung von ihm allerlei Verbrechen bis hin zum Ausbruch von Seuchen angelastet. Es gäbe im syrischen Parlament keine Kurden erklärt dieser angebliche linke Kurden-Freund am Ende voll Insider-Kenntnis. Falsch! Khaled Bakdash war in Syrien der erste Kommunist in einem arabischen Parlament – und ist Kurde. So wie auch weitere kurdische Abgeordnete, die Glasenapp anscheinend nicht kennt. Auch wird es in Zukunft noch schwieriger werden Kurden aus dem politischen Leben eines geeinten Syrien herauszuhalten: Im April 2011 wurden im Zuge des Reformprozesses 300’000 bisher staatenlose Kurden eingebürgert.

Im Verlauf seines Referats wurden von Glasenapp auch keine einzige inner-syrische Oppositionspartei erwähnt. Seine Analyse der Lage der Kurden ignorierte deutliche Aussagen der kurdischen Mehrheitspartei, aber auch der syrischen Linken. Syrischen Kommunisten verstehen sich zum Beispiel in einer Regierungs-Allianz, was sie mit einer «Verteidigung des Volkswillens» begründen. Wäre Solidarität mit der syrischen Regierung aufgrund ihrer Allianz mit Kommunisten, Sozialisten und progressiven, antiimperialistischen und antizionistischen Kräften im Land für einen angeblich politisch linken Ausländer nicht logischer?

Thomas Gebauer

«Jenseits der Hilfe beginnt die Solidarität», betitelte im Februar 2014 der damals 59-jährige Medico Geschäftsführer Thomas Gebauer seinen Meinungsartikel für die Zeitung ‹Frankfurter Rundschau›. Der von Journalisten auch schon mal als «Kampagnenprofi» Bezeichnete argumentierte darin für eine Form der sozialen Hilfe ohne dass damit «bestehende Missstände» verlängert würden. Die Frage, ob die massive mediale und finanzielle Unterstützung für Umsturz in Syrien auch die Entwicklung zum brutalen Krieg gefördert haben könnte – also «bestehende Missstände» sogar verschlimmerte – die scheint sich Herr Gebauer bisher weniger deutlich gestellt zu haben. Denn in Syrien geht es Medico nicht nur um «Notilfe». Das wurde spätestens am 10. Dezember 2012 klar, als das Hilfswerk zusammen mit AaR die Aktion «Freiheit braucht Beistand!» initiierte. «Unterzeichnen Sie diesen Aufruf und spenden Sie für die humanitäre Nothilfe und das zivilgesellschaftliche Engagement der unbewaffneten lokalen Basiskomitees in Syrien.»

Ein Aufruf des Hilfswerks also auch zur Unterstützung der bereits erwähnten LCC. In einem Gespräch das AaR-Capo Perabo im März 2012 mit der Zeitung ‹Tagesspiegel› geführt hatte, wurden «knapp 30» finanziell unterstützte «Komitees» erwähnt – was wohl über die unter dem LCC-Etikett arbeitenden 14 Gruppen hinaus geht. Auf einer Medico-Webseite kann man unter dem Titel «Der Herbst des Despoten» lesen, dass das Hilfswerk «den Komitees in Deutschland mit Rat zur Seite» stehen würde. Auf eine E-Mail-Anfrage der Gruppen ‹Antiimperialistische Aktion› und ‹Münchner Anarchisten/Rätekommunisten› soll ein Herr Tsafrir Cohen in seiner Funktion als Medico-«Nahostreferent» sogar eine direkte finanzielle Unterstützung für LCC durch das Hilfswerk bestätigt haben.

Aber wie «zivilgesellschaftlich», wie «unbewaffnet» sind diese von den Deutschen finanzierten Gruppen denn nun wirklich? Wer kann von Europa aus für das Verhalten von 30 losen Organisationen in einem Nahost-Kriegsland gerade stehen? Wofür zahlen die Spenden? Am 30. Juni 2011 wurde in der renommierten US-Zeitung ‹New York Times› von einer «Schlüsselrolle» der LCC im syrischen Aufstand geschrieben. Dass es dabei um mehr als nur um das Organisieren von Demonstrationen gehen könnte, bestätig jedoch niemand anders als AaR selbst, wenn sie auf einer ihrer Webseiten schreiben: «Wir wissen, dass die Lokalen Koordinierungskomitees eng mit Teilen der Freien Syrischen Armee (FSA) zusammenarbeiten … Diese Zusammenarbeit sehen wir positiv ….» Mit dieser ‹Freien Syrischen Armee› ist jedoch der Marken-Name gemeint, den sich verschiedene und oft auch islamistische Milizen in Syrien geben – wann immer sie Waffen und Geld aus dem Westen erhalten möchten. Genau so wurde es nämlich in separaten Interviews von verschiedenen Milizen-Führer beschrieben.

Geldgeber der LCC sind neben AaR hauptsächlich das US-Aussenministerium. Die Gelder fliessen dort über das ‹Büro für syrische Oppositions-Unterstützung› – einer Einrichtung der britischen und amerikanischen Regierungen. Als die USA Ende 2012 erklärten, sie würden die ‹Nusra-Front›, also den syrischen Al-Kaida-Ableger, als Terrorgruppe definieren, erklärten sich jedoch zusammen mit 29 Gruppen auch die LCC bei einer Freitags-Demo ganz offiziell solidarisch mit dieser Terrororganisation. Verwundern sollte das nun aber gar nicht, denn die LCC wurden vom salafistischen Kleriker Abd-al Mun’em Mustafa Halima (der sich allerding Abu Basir al-Tartusi nennt) ins Leben gerufen. Seit Anfang der 1980er Jahre lebte und arbeitete er als Prediger in London. Im Oktober 2012 liess sich al-Tartusi jedoch im syrischen Lattakia filmen – als Kämpfer mit ‹Ansar al-Sham› – eine Rebellen-Gruppe, welche von einem Veteranen der afghanischen Dschihadisten-Miliz ‹Taliban› gegründet wurde und erwiesene Verbindungen zur Al-Kaida hat.

Im Mai 2013 berichtete die Zeitung ‹Frankfurter Allgemeine›, dass seit Anfang März «Deutsche Hilfswerke» – darunter auch Medico – im Nordwesten Syriens ohne UN-Mandat und «gegen den Willen der syrischen Regierung … humanitäre Nothilfe in von der Opposition kontrollierten Gebieten» leisten würden. Politisch und finanziell sei das vom deutschen Aussenministerium unterstützt. «Die humanitäre Notlage erfordert unser Handeln, auch gegen den Willen des Assad-Regimes», erklärte ein Regierungs-Beauftragter der Zeitung. Dies war also ein klarer Verstoss gegen die Souveränität eines Völkerrechtssubjekts durch die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel. «Wir helfen … wenn es sein muss, auch gegen den Willen der Regierung Assad», polterte ebenfalls Herr Gebauer gegenüber der Zeitung. «Die gesamte Situation ist ohnehin von Rechtlosigkeit geprägt», rechtfertigte er den Rechtsbruch unter Völkerrecht.

Der Einsatz der Hilfswerke wurde von der Merkel-Regierung zum damaligen Zeitpunkt bereits mit gut einer Million Euro unterstützt. «Unsere Hilfswerke prüfen gemeinsam mit ihren lokalen syrischen Partnern, ob und wie wir unsere Präsenz in der Region verstärken», jubelte Gebauer über noch mehr Lebensraum für fremde Helfer und anonyme «syrischen Partner». Würde die gleiche Hilfe über Kanäle der Regierung laufen, wäre den Menschen natürlich genauso geholfen, aber politisch würde ein den Zielen von bewaffneten Regierungsgegnern gegenläufiger Effekt erzielt. Die mit deutschen Steuer-Euros unterstützte «humanitäre Hilfe» im rechtsfreien Raum hilft also den syrischen Staat zu untergraben und bewaffneten Milizen einen Glanz der Proto-Staatlichkeit zu verleihen.

Gebauer führt mit Medico angeblich eine sogenannte «Nicht-Regierungs-Organisation». Eine staatliche Abhängigkeit besteht jedoch durchaus. Das sieht man alleine schon in den Jahresberichten. 2012 – im Jahr des Beginns der AaR-Zusammenarbeit – wurde Medico mit 5’796’599.12 Euro zur überwiegenden Mehrheit aus deutschen Steuergeldern finanziert. «Zuschussgeber wie zum Beispiel das Auswärtige Amt kontrollieren die ordnungsgemässe Verwendung öffentlich geförderter Projekte», wird auf der Internetpräsenz von Medico erklärt. Es ist also die Merkel-Regierung, welche die Zügel in der Hand hält.

Auf der Medico-Webseite (www.medico.de/en/syria-15490/) findet man bereits für 2012 unter einer Liste unterstützter «Projekte» die Worte «Adopt a Revolution, about:Change e.V.» – also die Namen der AaR-Kampagne und ihres Trägervereins. Damals wurden insgesamt 153’484.04 Euro für verschiedene Projekte ausgegeben. In Klammern wird erwähnt, dass der Betrag die Unterstützung durch das Auswärtige Amt «einschliesst»). Man kann also feststellen: Steuergelder flossen (und fliessen wohl heute noch) vom deutschen Aussenministerium über Medico zu AaR und dann weiter auf verschlungenen Pfaden nach Syrien zu einer Vielzahl sogenannter «Komitees», wo eine volle Kontrolle der Geber (also der deutschen Steuerzahler und und ihrer politischen Vertreter) über den Verwendungszweck nicht mehr besteht.

Am 22. März 2013 sprach der damalige deutsche Aussenminister von Waffenlieferungen an die syrische Opposition als etwas, das man nicht mehr grundsätzlich ausschliessen sollte – allerdings nur «wenn es in den von der Opposition kontrollierten Gebieten aufwärts geht, zum Beispiel mit Wasser, Elektrizität und medizinischer Versorgung». Damit wird natürlich die volle politische Bedeutung von Medicos «Hilfe» in den von Regierungsgegnern eroberten Gebieten deutlich und auch warum solche Projekte von der Merkel-Regierung unterstützt wurden und wohl immer noch werden.

Ehrenwerte Gesellschaft

Dort wo sie Fuss gefasst hat, entwickelt sich irgendwann meistens auch eine unternehmerische Mafia, welche nicht mehr nur irgendwelche Geschäftsleute unter Zwang «schützt», sondern parallel dazu auch selbst Geschäfte macht. Hier machen sich diese «ehrenwerten Gesellschaften» dann auch Wettbewerbsvorteile zu Nutze, welche man sich nur durch den Einsatz von brutaler Gewalt verschaffen kann.

Im Syrien-Krieg gibt es parallel zur archaisch rohen Gewalt auch noch die aalglatte Politik und manchmal noch schleimige Geschäftemacherei obendrauf. Zur politische Akzeptanz organisierten Medico und AaR den Appell «Freiheit braucht Beistand!» und fanden prominente Erstunterzeichner: Hohe Partei-Funktionäre der Grünen, der ‹Linkspartei› (Linke) und der SPD. Dazu gesellen sich weitere Politiker – darunter auch von der CDU – Schriftsteller, Liedermacher, Verleger, Uni-Professoren und Prominente aus der Friedensbewegung. Einer dieser Friedensbewegten schrieb jedoch später auf seiner Facebook-Seite: «Ich gebe zu, dass ich bei meiner Unterschrift nicht bedacht habe, dass … wohl auch Personen unterschrieben haben, die militärische Interventionen durchaus als Mittel der Wahl sehen.» Ach nee?

Ferdinand Dürr

2012 – dem Jahr des offiziellen AaR-Startschusses – war Ferdinand Dürr 31 Jahre alt. Er ist studierter Politikwissenschaftler und Physiker aus Leipzig. Als Mitinitiator der Kampagne versteht er sich nach eigenen Aussagen einer «interventionistischen, aktivistischen Linken» zugehörig. Nichtsdestotrotz war er im Mai 2015 auch willkommener Gast bei der Grünen-nahen Denkfabrik Heinrich Böll Stiftung, wo er eine als Kooperationsprojekt mit AaR veranstaltete Konferenz zum Thema «Syrien in der Sackgasse?» eröffnete. Er ist auch bei ‹Campact›, aktiv – einem 2004 entstandenen Verein mit einer Online-Plattform zur Beeinflussung politischer Entscheidungsträger. Wie so manch grosser Revolutionär der Geschichte vor ihm, hat sich Herr Dürr ein Pseudonym zugelegt. Unter diesem Falschnamen steht er sogar Recherche-faulen Journalisten Rede und Antwort: «Andre Find» – ein Name, der sich aus den Buchstaben seines Vornamens «Ferdinand» basteln lässt.

In einem Gespräch im April 2012 mit der Zeitung ‹Main-Post› erzählt Dürr (der als Find vorgestellt wird), dass die Idee für AaR entstanden sei, nachdem «sein Freund» Perabo vom Syrien-«Urlaub» zurückgekehrt war, wo er «viele Kontakte zu Oppositionellen geknüpft und den Aufbau der LCC unterstützt» habe. «Als er wieder in Deutschland war, haben wir uns gefragt, was wir von hier aus tun können, um der Gewalt des Regimes etwas entgegenzusetzen», schwärmt Dürr-Find. «Ich möchte den Syrern zeigen, dass sie nicht alleine sind», verspricht ein Mann, über den sich kein Hinweis finden lässt, dass er das Land kennt und jemals mit regierungs-loyalen Syrern ernsthafte Gespräche geführt hat.

«Die syrische Revolution hat uns ein paar Dinge gezeigt, die wir gerne für unsere politische Praxis hierzulande übernehmen können …», schreibt Dürr-Find am 23. Dezember 2012 auf einer AaR-Webseite. Was für Dinge? … Köpfe abschneiden? … ist man versucht zu fragen. Für die Kampagne wird es alls «verantwortlich im Sinne des Presserechts» geführt und sitzt in deren Leipziger Hauptquartier. Dort kommen die Spenden-Euros an – genauer gesagt, beim Trägerverein ‹about:change›. In 2013 musste man jedoch feststellen, dass Europas Anti-Terror-Gesetzgebung den Geldfluss nach Syrien blockieren kann, als eine Banküberweisung an den Verein about:change von Österreich nach Deutschland vom österreichischen Institut verweigert wurde. Ein Verein mit Sitz in Deutschland, welcher Spenden für obskure syrische Gruppen sammelt – das war den Österreichern nicht geheuer. Banken sind nun mal aufgrund verschiedener europäischer Rechtsakte dazu verpflichtet, Zahlungsflüsse genau zu prüfen, falls ein Verdacht der Geldwäsche und/oder Terrorismus-Finanzierung vorliegt.

Wie das Geld nach Syrien komme, wollte auch der Journalist der Main-Post von Dürr-Find wissen. Seine Erklärung lässt kaum darüber verwundern, weshalb die Österreicher Zweifel angemeldet hatten: «Entweder wir überweisen die Spenden an syrische Geschäftsleute, die ihr Geld im Ausland verwalten. Sie zahlen das Geld dann vor Ort aus. Oder wir überweisen das Geld nach Jordanien, in den Libanon oder in die Türkei. Die Aktivisten kommen dann über die Grenze, um das Geld abzuheben.» Auf die berechtigte Frage ob AaR überhaupt kontrollieren kann, was mit dem Spendengeld gekauft wird, antwortete Dürr-Find: «Über das Internet halten wir Kontakt zu den einzelnen Komitees. Alle sechs bis acht Wochen führen wir Interviews, um uns ein Bild von der jeweiligen Situation zu machen. Die Komitees müssen uns Berichte über ihre Arbeit schicken, die wir ins Netz stellen. Wir kooperieren auch eng mit den grossen Netzwerken der Komitees, um Informationen zu bekommen. Ausserdem können wir auf aussenstehende Informanten zurückgreifen.» Kann man damit vereinfacht sagen, dass sich AaR zur Frage der korrekten Verwendung durch die «Komitees» der deutschen (und österreichischen) Euros im fernen Kriegsland auf Berichte (dazu noch übers Internet) der selben «Komitees» verlässt? Warum sehen eigentlich deutsche Behörden die Frage der Terrorismus-Finanzierung weniger eng als die Österreicher? Immerhin besteht alleine schon über die Person des LCC-Initiators al-Tartusi eine mögliche Terror-Verbindung – sowohl mit den afghanischen Taliban als auch der Al-Kaida.

Das Gründungsdatum des in Leipzig eingetragenen AaR-Trägervereins about:change ist der 11. August 2011 – was sich wohl mit den Anfängen der Kampagne deckt. Der Vereinszwecks scheint sich über das auf den Namen des Vereins geführten Spendenkonto rein aufs Geld-Sammeln für AaR zu beschränken. «Adopt a Revolution ist gemeinnützig – Spenden sind steuerlich abzugsfähig», wird auf einer ihrer Webseiten gejubelt und dann noch erklärt: «Von eingehenden Spenden müssen wir einen kleinen Abschlag verwenden, um Kampagne, Infrastruktur und Geldtransfer zu finanzieren.» Das Kernteam von AaR besteht aus fünf Mitarbeitern in Berlin und Leipzig (man darf annehmen, dass die Herrn Dürr & Find als eine Person gezählt werden). Zusätzlich würde «auf Anfrage ein Netzwerk von Unterstützern» zur Verfügung stehen, heisst es. Da sind vielleicht auch die fast 50 festen Mitarbeiter von Medico nützlich? Dieses vom Auswärtigen Amt mitfinanzierte Hilfswerk wird nämlich zusammen mit der ‹Bewegungsstiftung› als «Partner» aufgelistet. (Die Zeitschrift ‹Oya› erwähnte übrigens auch die TAZ-Zeitung als «Partner». So viel zum «unabhängigen Journalismus».) Der AaR-Beirat setzt sich «aus deutschen und syrischen Vertretern der Zivilgesellschaft» zusammen und würde die «Förderleitlinien und die politische Ausrichtung des Projektes» festlegen, heisst es. Das «Projekt» hat also eine «politische Ausrichtung».

Wohl auch wegen dem medial gehypten Auftritt auf der Bundespressekonferenz konnte AaR Anfang 2012 innerhalb von drei Monaten bereits 1’300 Revolutionspaten finden, welche mehr als 100’000 Euro für das «Projekt» spendeten. 2013 hatte der Verein about:change rund 250’000 Euro an Spenden eingenommen. Bis 2014 hatten die Leipziger nach eigenen Angaben über drei Jahre hinweg rund 750’000 Euro an Spenden eingesammelt. Dann aber drohte das zuständige Leipziger Finanzamt damit, dem Trägerverein hinter der Kampagne die Anerkennung als «gemeinnützig» zu entziehen – mit der Begründung, er sei «zu politisch». Eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit hätte Folgen – zum Beispiel hohe Rückzahlungen an die Finanzbehörden oder der Rückgang des Spendenvolumens. «Politische Zwecke gehören grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken», erklärte unbeirrt das Amt. Bei AaR kochte man vor Wut über diese Argumentation. Am 22. Mai 2014 schien Dürr-Find die Mitglieder der syrischen Exil-Opposition im AaR-Beirat völlig vergessen zu haben als er in der ‹Mitteldeutschen Zeitung› schimpfte: «Wir unterstützen nicht irgendwelche Oppositionsparteien, auch nicht die Exil-Opposition, oder Akteure, die politische Macht für sich beanspruchen, sondern Leute, die vor Ort zivilgesellschaftliche Strukturen aufbauen wollen.» Er räumte jedoch ein, dass sich das alles «manchmal schwer trennen» lasse. Ach nee?

Zur geplanten Gemeinnützigkeits-Aberkennung gab sich im Frühjahr 2014 auch der stellvertretende Linke-Vorsitzende schockiert. «Es geht gar nicht, einem Verein, der für Völkerverständigung eintritt, die Gemeinnützigkeit zu entziehen», polterte er in einer Nachrichtensendung. Auch die Bundestagsvizepräsidentin der Grünen war höchst empört. Sie kenne AaR seit Anfang 2012 und habe den Verein «immer unterstützt», berichtete sie den Medien. Die Initiative verfolge ihrer Meinung nach einen «klaren zivilgesellschaftlichen und gewaltfreien Ansatz». In einem Rundbrief an vergangene Spender wies AaR die Argumente des Finanzamtes mit einer rhetorischen Frage zurück. «Was bedeutet ‹politisch›, wenn wir in einer totalitären Diktatur Menschenrechtsgruppen, Bürgerjournalisten und Zentren für die Zivilgesellschaft unterstützen?»

Agiert AaR also nun politisch oder nicht? «Was wir machen ist ganz klar eine politische Intervention», hat doch schon der AaR-Gründer Perabo im Januar 2012 der Süddeutschen gegenüber erklär. Immer wieder liest man in der reichlichen Werbung der Kampagne Zeilen wie «Unterstützung für zivilen Widerstand» und dann wäre noch dieser Name «Adopt a Revolution». Soll man «Widerstand» und «Revolution» wirklich als «nicht-politisch» verstehen? Am 4. Januar 2012 erklärt Dürr-Find in einem Gespräch mit Neues Deutschland die Arbeit von AaR: «Zuerst geht es um finanzielle Hilfe, um die kontinuierliche politische Arbeit der Komitees zu ermöglichen.» Am 21. Dezember 2012 schreibt er auf einer AaR-Webseite: «In Syrien droht die Zerstörung des Gemeinwesens durch eine Gewaltherrschaft, die ihren Sturz auf unabsehbare Zeit hinauszögern will ….» Wann ist die Finanzierung einer «politischen Arbeit» nicht politisch? Wann ist der «Sturz» einer Regierung nicht «politisch»?

Wenn zwei Mitglieder des AaR-Beirats aktive Politiker innerhalb der kriegführenden syrischen Opposition sind und dieser Beirat «die politische Ausrichtung» steuert – wo hört die Arbeit auf «nicht politisch» zu sein – wo fängt die Kriegstreiberei an? Was bedeutet für die Linke-Partei «Völkerverständigung», wenn AaR die Tatsache ignoriert, dass Millionen von Syrern aller Konfessionen und Ethnien offensichtlich den Regierungssturz ablehnen und Tausende von Soldaten ihr Leben für den Erhalt des bestehenden Multi-Kulti-Staats geben? Wo besteht für die Grünen der «gewaltfreie Ansatz», wenn LCC-Vertreter sogar die Köpfe-abschneidende syrische Al-Kaida öffentlich unterstützt haben? Und wo genau befinden sich diese «Zentren für die Zivilgesellschaft» die der AaR-Rundbrief bejubelt? Warum finden wir dort keine glücklichen Binnenflüchtlinge?

Dass AaR sehr wohl politisch agiert und das Spendengeld auch für politische Zwecke verwendet – das kann man eigentlich sehr schön im April 2012 aus einer Antwort von Dürr-Find gegenüber der Main-Post herauslesen: «Unsere Vision ist, dass die Legitimität des Regimes immer mehr untergraben wird ….» Aber keine Sorge. Es ist jetzt 2016 – das Geld fliesst trotz europäischer Rechtsakte zur Verhinderung von Terror-Finanzierung und unter den Augen deutscher Finanzbehörden weiterhin in Strömen auf den üblichen, verschlungenen Pfaden bis nach Syrien. Auch aus der Aberkennung der Gemeinnützigkeit dieser in Deutschland politisch mit fast allen politischen Parteien ausgezeichnet vernetzten und offiziell weiterhin als nicht-politisch bestätigten Kampagne wurde natürlich auch nichts.

Aktam Abazid

Der studierte Umweltingenieur Aktam Abazid ist ein Syrer der zugleich auch den deutschen Pass hat. Als erklärter «Internetaktivist» betreibt er die AaR-Webpräsenz. Im Jahr 2000 kam der damals 27-Jährige für ein Aufbaustudium nach Deutschland – sein dort lebender Onkel unterstützte ihn. Um nach eigenen Angaben den Pflicht-Wehrdienst zu vermeiden, hat er seither seine alte Heimat zu vermeiden versucht. Die Abneigung zum Militärischen änderte sich wohl mit der «Revolution». Aber Revolutionäre brauchen Geld weil, wie Abazid in einem Interview Ende Februar 2012 gegenüber der Zeitschrift ‹Cicero› witzelte: «Die Revolutionäre machen das schon selbst, aber sie brauchen, wenn sie regelmässig zusammengeschossen werden, von aussen auch mal eine klitzekleine Motivationsspritze ….»

Abazid hat auch noch eine Anstellung bei einer deutsch-syrischen Hilfsorganisation, die er gleich selber gegründet hat: ‹Lien› – was das arabische Wort für Barmherzigkeit ist. «Da geht es eher um Hilfe für die Familien und Opfer, also Medikamente, Decken, Lebensmittel. Eine fünfköpfige Familie braucht zum Überleben etwa 200 Euro im Monat», rechnete er Cicero vor. Über «Mittelsmänner» würden die Spenden zu den Flüchtlingen in die syrischen Nachbarländer transportiert, aber auch «in die Hochburgen des Widerstands», gibt er zu. Also genau, wie AaR kann auch Lien kaum Verantwortung übernehmen, ob seine Spenden-Euros auch wirklich alle für barmherzigen Medikamente oder gelegentlich eben doch auch für bombige Munition verwendet werden.

Offensichtlich hat Abazid gewissen Einfluss auf Deutschlands Regierung. Auf einer Webseite des obskuren ‹Deutsch-Syrischen Vereins zur Förderung der Freiheiten und Menschenrechte› kann man über ein am 16. März 2012 statt gefundenes Meeting im Auswärtigen Amt lesen. Der Verein forderte damals die sofortige Ausweisung des syrischen Botschafters in Berlin. Das «konstruktive Gespräch» habe sich sehr «erfolgreich» entwickelt, wird berichtet. Man konnten «wichtige Kontakte knüpfen» heisst es und Abazid wird dann im Bericht als direkter «Ansprechpartner» des deutschen Aussenministeriums in Sachen «Humanitäre Hilfe» beschrieben.

Interessant ist – apropos Abazid und «Internetaktivist» – dass sowohl die offizielle Internetpräsenz der LCC (www.lccsyria.org) als auch diejenige von AaR im gleichen IP-Adressen-Bereich liegen und beide anscheinend von der deutschen Internet-Firma ‹about:source› betrieben werden. Deren eigene Domain befindet sich zusammen mit 31 weiteren auf der gleichen IP-Adresse wie auch die LCC-Domain. Zur Erinnerung: LCC haben sich 2012 öffentlich in einer Freitags-Demo solidarisch mit dem syrischen Ableger der Terrororganisation Al-Kaida erklärt.

Wer ‹www.aboutsource.net› besucht, findet dort eine Präsentation von 21 «Projekten». Darf man annehmen, dass dies die bisher zufrieden gestellten «Kunden» darstellt? Neben AaR findet man hier mehrheitlich Kampagnen, Petitionsplattformen und Politische Auftritte, wie zum Beispiel ‹ProAsyl›, ‹WeAct› oder ‹Linksjugend›. Ohne die als «Werkzeuge» bezeichneten Projekte kann man allerdings aktuell nur etwa 17 individuelle Webpräsenzen zählen – wobei einige auch noch die gleichen Mutter-Organisation aufweisen. Unter den Kunden findet man auch das gesellschaftspolitische Bündnis ‹Klima-Allianz› (AaR-Initiator Perabo war deren Kampagnenleiter) und (gleich mit drei verwandten Webauftritten) den bereits erwähnten Campact-Verein (mit AaR-Mitinitiator Dürr-Find als Mitglied).

Die Firma about:source ist als Unternehmergesellschaft mit Sitz in Leipzig eingetragen und hat nach eigenen Angaben ein Team von 12 Mittarbeitern (möglicherweise einschliesslich der beiden Geschäftsführer). Aktuell sucht die Firma sogar noch Verstärkung. «Kunden schätzen unsere Lösungen, nicht nur den Code», sagt die Eigenwerbung. Reichen aber etwas mehr als ein Dutzend Kunden dazu die Löhne von einem Dutzend Fachleuten zu begleichen? Wenn man sich die Anschrift der Firma und die spezielle Eigenschreibweise des Namens ansieht, findet man schon mal zwei Dinge, die about:source UG und about:change e.V. gemeinsam haben. Wird in diesem zweigeschossigen, frisch mit revolutions-roter Farbe gestrichenen Fabrikgebäude etwa eine Firma innerhalb der Räume eines Vereins betrieben oder ein Verein innerhalb der Räume einer Firma geführt? Macht hier ein inzwischen vom Leipziger Finanzamt als «gemeinnützig» bestätigter Verein etwa Internet-Geschäfte? Natürlich nicht. Zumindest nicht auf dem Papier – dessen dürfen wir uns sicher sein.

Die Familie

Patriarchisch wandelt der Mafia-Pate durch die erweiterte Familie mit all seinen gewaltbereiten Cousins. Das Schwergewicht auf die eigene Familie hat mit Loyalität zu tun. Wer keinem trauen darf, baut auf Familienloyalität. Das bedeutet nicht, dass sich die Mafiafamilien nicht auch miteinander vernetzen und gemeinsam Geschäfte machen können.

Die Patenschaft für die Syrien-Revolution ist wie eine grosse Familie – mit der deutschen Bundesregierung an der Spitze. Deren Hilfeleistungen involvieren – soweit öffentlich bekannt – Steuer-Millionen für die Opposition und «Projekte», militärische Schutzwesten für Freischärler, nachrichtendienstliche Hilfe für irreguläre Milizen sowie massive diplomatische Unterstützung für einen ungenau definierten Teilnehmer an einem blutigen Krieg. So etwas braucht natürlich kontinuierlich Propaganda-Untermalung, denn das deutsche Wahlschaf darf diese aggressive Politik niemals hinterfragen – auch dann nicht, wenn in Ungarn schon Tausende Flüchtlinge in deutsche Züge durch die Fenster einsteigen.

Hannah Wettig

Die AaR-Mitgründerin Hannah Wettig war 2012 (dem Jahr der Bundespressekonferenz) 41 Jahre alt. Sie koordiniert für AaR das Online-Journal ‹Syrischer Frühling›. Auf einer AaR-Website wird sie als «spitze Feder» der Kampagne und als eine der «FachreferentInnen bei Veranstaltungen» vorgestellt. Die gebürtige Göttingerin ist studierte Sozialwissenschaftlerin und Arabistin. Als Journalistin berichtet sie seit über 20 Jahren aus der arabischen Region und hat mehrere Jahre im Libanon und in Ägypten gelebt. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind Feminismus und Entwicklungszusammenarbeit. In diesen Bereichen arbeitet sie als Projektmanagerin für ein Hilfswerk, welches gegen weibliche Genitalverstümmelung kämpft und für die wenig bekannte deutsch-irakische Hilfsorganisation ‹WADI›.

Wettigs Eltern sind beide zugleich Intellektuelle, Journalisten und hochrangige SPD-Politiker mit Parlaments-Mandaten in ihrem Lebenslauf. Wettig ging in den USA zur Schule und studierte dann in Göttingen, Kairo und Damaskus. Von 2007 bis 2009 arbeitete sie als Referentin (praktisch als Redenschreiberin) im ‹Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit›. Als Journalistin arbeitete sie einige Jahre für ‹Daily Star› – eine libanesische Tageszeitung in englischer Sprache. Heute erscheinen ihre Arbeiten als freie Journalistin regelmässig in sich politisch links gebenden Publikationen, wie die Wochenzeitung ‹Jungle World› und die Monatszeitung ‹Analyse & Kritik› sowie verschiedenen andere Publikationen – darunter die Tageszeitung ‹WELT›, die als linksliberal bezeichnete Zeitschrift ‹Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte› und die Wochenzeitung ‹Jüdische Allgemeine›. Sie schrieb auch zwei Bücher, welche vom parteieigenen Verlag der SPD (wo sonst?) ‹Vorwärts-Buch Verlag› herausgegeben wurden.

Hinter der konkreten Projektarbeit von WADI stünde «immer eine detaillierte Analyse der Lage vor Ort», wird auf der Webpräsenz des Hilfswerks zu einer Sammlung von «Hintergrundtexten» erklärt. Hier findet man auch Wettigs Arbeiten. Ob sie Analysen für ein Hilfswerk schreibt, Meinungen für die Grünen-nahe Heinrich Böll Stiftung verfasst oder an Veranstaltungen der Linke-nahen ‹Rosa Luxemburg Stiftung› teil nimmt – sie gilt zum Thema Nahost und aktuell Syrien offensichtlich als Expertin.

Mitte Zwanzig war sie angeblich aktiv in der Gruppe ‹Für eine linke Strömung› (FelS), die wiederum Teil der im Zusammenhang mit dem Medico-Werbefachmann und AaR-Beirat-Mitglied Glasenapp bereits erwähnten Interventionistischen Linken ist. Dieses Bündnis berichtete in 2014, in einem Text zu einer Syrien-Veranstaltung (wo sie sich das Podium mit Glasenapp teilte), dass Wettig die arabischen Revolutionen «als wichtigen Schritt zur Befreiung von patriarchalen Strukturen» begrüsse. Gerade bei studentischen Diskussionsveranstaltungen und Tagungen linker Gruppen – dort also, wo man noch von «Arabellion» schwärmt – scheint die «rote Hannah» super anzukommen.

Auf Grund des Einflusses den sie auf junge Linke zu haben scheint, verdienen Wettigs intellektuelle Kompetenz, analytische Schärfe und eventuell sogar ihre Ehrlichkeit nähere Untersuchung. Dazu wird man vor allem auf AaR-Webseiten fündig. Am 4. September 2012 schreibt sie zuversichtlich: «Adopt a Revolution hat mehrfach öffentlich erklärt, dass wir kein Regierungsgeld nehmen, grundsätzlich nicht.» Offensichtlich kennt sie Glasenapp und als wachsame Journalistin und AaR-Mitinitiantin sollte sie sich dafür interessiert haben, woher genau das Geld für Medico kommt – alleine schon deshalb, weil AaR von diesem Hilfswerk finanziell unterstützt wird. Es mag zwar rein rechtsverdreherisch gesehen stimmen, dass AaR nicht direkt Geld von der deutschen Regierung erhält, aber eine indirekte Finanzierung über Medico steht ausser Zweifel. Einen Tag später findet sie: «Häufig ist die Kritik an Adopt a Revolution furzdröge Verschwörungstheoretisiererei.»

Am 20. Dezember 2012 stellt die Arabistin einem negativen Kommentar-Schreiber, der vor Muslimbruderschaft und Islamisten in Syrien warnt, diese Frage: «… warum sollten denn die Islamisten ‹die Macht übernehmen›? … Was wir gerade in Ägypten erleben ist doch grossartig. Auch in Benghazi [sic] haben die Menschen die Islamisten vertrieben.» Am 18. Januar 2014 tönt es jedoch in ihrem Artikel «Entgleiste Revolutionen» auf Analyse & Kritik weit weniger positiv, denn nun muss sie Ägypten als vormaligen «Islamisten-Staat» und Libyen als «Exerzierfeld religiöser Milizen» beschreiben. Diese Expertin lag also zwei Jahre vorher völlig falsch – sowohl mit Ägypten, wo tatsächlich die Muslimbrüder die Macht übernahmen, als auch mit Libyen, wo der NATO-unterstützte Regierungssturz inzwischen zu einem gescheiterten Staat geführt hat. Wenn man die schon in 2012 bemerkbaren schwarzen Dschihad-Fahnen bedenkt, ist vielleicht die Frage erlaubt, ob sie von der wirklichen Situation in Syrien damals genauso wenig Ahnung hatte wie anderswo oder ob hinter solcher Ignoranz Vorsatz steckt. Oder wäre diese Frage etwa auch wieder nur «furzdröge Verschwörungstheoretisiererei»?

Man merkt es – Wettig will es einfach nicht wahrhaben, dass sich immer noch ausgerechnet Linke gegen die Unterstützung eines gewalttägigen Regierungssturzes in Syrien stellen. Am 4. September 2012 schreibt sie für ihr AaR-Journal: «Ins Kuriositäten-Kabinett gehört zweifellos auch ‹die Rote Fahne›, die hier die Freie Syrische Armee als ‹Nato-Söldner-Terroristen› bezeichnet.» (‹Die Rote Fahne› ist eine den deutschen Kommunisten nahe Zeitung). Im Juli 2013 empört sie sich in einem Artikel für die Heinrich Böll Stiftung: «Wie kaum je in einem anderen Kampf um Freiheit gegen einen brutalen Diktator stellen gerade sich selbst als ‹links› oder emanzipatorisch verstehende Menschen in Frage, ob der Kampf der Aktivist/innen in Syrien überhaupt berechtigt ist.»

Ist, wer Ende 2013 als Expertin vor Studenten immer noch von einem «Frühling» in Syrien faselt, wirklich eine Expertin? «15:20 Uhr Diskussionsvortrag mit Hannah Wettig: Die Entwicklung des syrischen Frühlings – 16:20 Uhr Syrische Köstlichkeiten für den kleinen Hunger», kann man auf dem Programm einer auf den 9. November 2013 in der Universität Hamburg angelegten Veranstaltung des obskuren Vereins ‹Freie Deutsch-Syrische Gesellschaft› lesen. Am 22. Oktober 2014 war dann aber wohl auch für Wettig aus mit Frieden & Frühling, als sie für die WELT zusammen mit ihrem Kollegen aus dem WADI-Hilfswerk einen Artikel verfasste mit dem hysterischen Schrei «Dann gebt doch der Freien Syrischen Armee Waffen» in der Überschrift.

Bei AaR selbst war ebenfalls mit Frieden Feierabend. «Flugverbotszone jetzt», tobte auf TAZ im August 2015 die Journalistin Ines Kappert in einer fetten Überschrift zu ihrem Meinungsartikel. «Die Ursachen für den Krieg und die Vertriebenen und die seit dem Völkermord in Ruanda geltende Verpflichtung, Menschen vor dem Genozid zu schützen: Duty to protect. Der von der NGO ‹Adopt a Revolution› unterstützte Aufruf ‹Clear the Sky› macht diese Verbindung und bringt damit zusammen, was zusammen gehört», wird dem Leser in einem Kauderwelsch von Interventionisten-Deutsch und NATO-Bomben-Englisch erklärt. Die Flugverbotszone also? Erzwungen mit mit 20’000 NATO-Bomben und dem unausweichlichen menschlichen «Kollateralschaden» wie in Libyen?

«Unterstütze die vielen zivilen syrischen Gruppen, die die internationale Gemeinschaft dazu auffordern, das UN-Fassbombenverbot mit einer Flugverbotszone durchzusetzen», duzt die AaR-Kampagne ihre meist junge Frühlings-Fangemeinde. Fassbomben? Wie mit dem Giftgas und anderen angeblichen, jedoch nie bewiesenen Untaten der syrischen Regierung wird hier also der Interventions-Grund serviert. Warum auch nicht? Wer den syrischen Regierungssturz forcieren möchte, findet so was buchstäblich bombig – hat doch das Gleiche in 2011 die libysche Regierung in Rekordzeit weggebombt. Allerdings mit dem Nebeneffekt, dass sich dort – wie die spitze AaR-Feder Wettig selbst mal geschrieben hat – derzeit ein «Exerzierfeld religiöser Milizen» befindet.

«Hendrik Schröder versucht heute Abend mit Eurer Hilfe und mit seinem Studiogast Hannah Wettig (Journalistin, Syrienaktivistin, Arabistin) den komplizierten Konflikt aufzuschlüsseln und zu überlegen: Was kann und könnte in der Region passieren, damit wieder Frieden herrscht?» So flötet im Oktober 2015 der ‹Rundfunk Radio Brandenburg›. Frieden? Darf man überhaupt sicher sein, dass AaR – oder spezifisch Wettig – an Frieden interessiert sind? Am 3. März 2016 schreibt die «Syrienaktivistin» wieder einmal für den WADI-Verein: «Der syrische Diktator Bashar al-Assad sitzt so fest im Sattel wie lange nicht mehr und alle tun so, als liesse sich mit ihm und seinen Verbündeten ernsthaft Frieden schaffen.» Sie argumentiert, dass «halbherzige Feuerpausen nichts ändern, wenn gleichzeitig die Ursache bestehen bleibt und sogar gestärkt wird». Nach fünf Jahren Krieg kämpft Wettig also weiterhin medial für den Regierungssturz als Endlösung – und das, wie es scheint, bis zum letzten Syrer.

War AaR überhaupt jemals wirklich an Frieden interessiert? In ihrem Online-Brief an die «Freundinnen und Unterstützer» von WADI gibt Wettig offen zu: «Schon im Februar 2012 unterstützte WADI deshalb eine internationale Petition, die eine Flugsverbotszone für Nordsyrien forderte.» Während diese AaR-Mitgründerin also Anfang 2012 für die eine Kampagne vom «friedlichen Widerstand» faselte und Ende 2012 mit dem Aufruf «Freiheit braucht Beistand!» sogar ausgewiesene Friedensaktivisten zur Unterschrift verführte, war sie also für eine andere Kampagne in ihrer Rolle als WADI-Frau Feuer und Flamme für Flugverbotszonen?

Nochmals Perabo

«Freiheit – das ist doch nicht zuviel verlangt!», schrieb Wettig am 2. Oktober 2012 in der Monatszeitung ‹Vorwärts› – dem Zentralorgan der SPD. Im Artikel lässt sie den AaR-Paten Perabo die rhetorische Frage stellen: «Warum gibt es für die Revolution in Syrien keine Solibewegung wie einst für Lateinamerika?» Vielleicht, weil es noch genug echte Linke gibt, die es einfach nicht als «Revolution» erkennen … fühlt man sich gezwungen zu antworten. Dabei konnte man doch schon am 27. Dezember 2011 sehen, was für eine Art von «Revolution» hier ihren Anfang nahm. «Syrische Opposition – ‹Wir brauchen eure Solidarität – jetzt!›», war damals der dramatische Titel auf TAZ zu einem aus dem Arabischen übersetzten «Appell aus dem syrischen Untergrund». Der anonyme Autor jammerte darin, dass von den «arabischen Staaten oder von der internationalen Gemeinschaft» keine «wirkliche Hilfe» in Sicht sei und stellte fest: «Deshalb spiegelt dieser Ausruf der Verzweiflung die Lage der Syrer am besten wider: ‹Wir haben keinen ausser dir, oh Gott!›» Gott? Na ja … dieser spezifisch religiöse Revolutions-Ausruf spiegelte vielleicht schon damals weit mehr wieder.

Unter dem Titel «Linke Politik geht nicht von der Zuschauertribühne» kommentiert Perabo am 8. September 2015 in Neues Deutschland – welches sich als «sozialistische Tageszeitung» versteht – ein Positionspapier von zwei Parlaments-Abgeordneten der Linke-Partei: «Aber abgesehen davon, dass das Papier die koloniale Verantwortung der europäischen Staaten komplett ausser Acht lässt, schafft es der Text zumindest mit Blick auf Syrien mit keinem einzigen Wort, die Fassbomben, den alltäglichen Terror und die völlige Verwüstung Syriens durch das Assad-Regime zu erwähnen.» Man fragt sich zuerst einmal, wie oft heutzutage noch jemand in einer angeblich «sozialistischen Tageszeitung» den Begriff «koloniale Verantwortung» schreibt. Und dann diese ewigen Fassbomben? Wie schon der Propagandaminister des Dritten Reiches Joseph Goebbels sagte: «Wenn man eine grosse Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben.» Aggressives, propagandistisches Trommelfeuer der Wiederholungen um den Auslöser für die «koloniale Verantwortung» der NATO aufzubauen? Vom Taumel der kolonialen Verantwortung erfasst, scheint der Revolutions-Pate die Kontrolle über Tastatur und Denken gänzlich verloren zu haben. Die «völlige Verwüstung Syriens» hat für ihn also nur mit der syrischen Regierung zu tun? Al-Kaida, Islamischer Staat, Rebellen-Milizen aller Couleur … sie alle machten bisher also nur «friedlichen Widerstand»?

Am 21. Januar 2016 schliesslich, lässt Perabo jegliche Vortäuschung pazifistischer Prinzipien fallen und scheint sich von nun an der Mobilisierung der Mittelklasse für den brutalen, imperialistischen Angriffskrieg (auch als «koloniale Verantwortung» bekannt) verschrieben zu haben. «Pseudopazifisten», lautet der Titel seines wahrlich frustriert tönenden Meinungsartikels für die ZEIT. «Mit ihrer einseitigen Kritik an westlichen Interventionen macht sich die Friedensbewegung unglaubwürdig», wettert der AaR-Pate schon im Untertitel. «Fassbomben» würden aus Helikoptern über «Bäckereien, Krankenhäusern, Wohngebieten» abgeworfen und russische Luftangriffe würden «Krankenhäuser, Marktplätze und Wohnviertel» treffen. Sobald «Syrer eine Flugverbotszone fordern», würden sie «aus dem Friedenslager als Helfershelfer eines westlichen Regimes verunglimpft», jammert der Pate, der offensichtlich mit anderen Syrern gesprochen hat, als beispielsweise meine Wenigkeit. Es brauche eine Friedensbewegung, «die Impulse setzt, statt sich zu verweigern». Am 27. November 2015 wurde AaR übrigens der ‹Internationale Bremer Friedenspreis› in der Kategorie «Beispielhafte Initiative» verliehen.

Kampf den Kriegspaten der Bourgeoisie

Und dann ist es doch am Schluss so wie gegen Ende eines Mafiafilms, wenn der letzte Schuss gefallen ist und man sich frustriert im Kinosessel zur Seite dreht und wispernd seinen Partner stören muss: «Psst – wer verdammt noch mal ist das jetzt? Wen hat der Pate da gerade umlegen lassen? Seinen Cousin, seinen Geschäftspartner oder den Mann seiner Schwester? Verdammt kompliziert! Die Mafia ist eine grosse «Familie».

Ohne Propaganda gäbe es schon lange keine Kriege mehr. Die Mehrheit der Menschheit ist nun mal friedlich und emphatisch.

Die Wahrheit ergibt selten ein rundes Weltbild. Erst mit einseitiger Hetze kann man Bürger dazu bringen zu denken, sie täten «das Richtige» – wenn sie sich für eine Seite in einem Konflikt oder den Krieg selbst entscheiden müssen. Die Norm in der Weltpolitik sind jedoch Situationen, in denen die Imperative der Gewaltlosigkeit und des Freiheitskampfs, des Friedens und der Menschenrechte kaum gleichzeitig zu erfüllen sind. «Das Richtige» findet sich ohnehin nur, wenn man den Mut hat der vertrackten Wahrheit eine Stimme zu verleihen.

Der Imperialismus selbst verlangt allerdings immer nach Widerstand. Deshalb: Adoptiert keine falschen Revolutionen aus den Waisenhäusern des Kapitalismus. Kampf den Kriegspaten der Bourgeoisie.

Dominic H – 282-02-2016

Dominic H auf Twitter: @domihol > https://twitter.com/domihol

Quelle:  Artikel wurde erstveröffentlicht auf seinem Blog > http://domiholblog.tumblr.com/ > zum Artikel.

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Bild- und Grafikquellen:

  1. Zitat aus dem Film Der Pate II: « Finance is a gun. Politics is knowing when to pull the trigger » – «Geld ist eine Waffe. Politik ist zu wissen, wann man abdrückt.»
  2. Masud Barzani (* 16. August 1946 in Mahabad, Republik Mahabad) ist ein kurdischer Politiker und seit dem 13. Juni 2005 Präsident der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. 1979 übernahm er den Vorsitz der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) von seinem Vater Mustafa Barzani. Urheber: Widmann / MSC. Quelle: Dieses Bild wurde von der sog. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik unter der Lizenz Creative Commons Attribution Deutschland 3.0 auf der Webseite www.securityconference.de veröffentlicht. Entsprechend den Angaben im Impressum können die Bilder unter dieser Lizenz verwendet werden, solange der Name des Fotografen genannt wird und Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 Deutschland“ lizenziert.
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  4. NO WESTERN INTERVENTION – HANDS OFF SYRIA. Der Urheber dieser Grafik ist nicht eindeutig ermittelbar, sie findet sich auf vielen Seiten.

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von Dominic H – http://www.kritisches-netzwerk.de