MESOP REPORT : Die Lage in Aleppo wird immer schlimmer / Christoph Ehrhardt

FAZ 14 Feb 2016 – Während über eine Feuerpause in Syrien verhandelt wird, herrschen in Aleppo Tod und Zerstörung. Die russische Luftwaffe trifft wahllos Wohn- und Krankenhäuser. Syriens Armee ist kurz davor, den Belagerungsring zu schließen.

Auch als in München über eine Feuerpause in Syrien verhandelt wurde, schlugen in Aleppo Bomben ein. Mudschahid Abu al Dschoud war auf der Straße, um das Grauen zu dokumentieren – die Panik, die schreienden Kinder, die zerfetzten Körper. Er ist einer der jungen Aktivisten, welche die Öffentlichkeit mit Bildern aus dem einstigen Wirtschaftszentrum aufrütteln wollen. Alle zwei Stunden, sagt er, lärmten russische Jagdbomber am Himmel. Man höre sie erst, wenn die Bomben ihr Ziel schon getroffen hätten. „An den schlimmen Tagen“, berichtet der Aktivist am Telefon, „schauen wir ständig voller Angst in den Himmel.“ Verzweifelte Ärzte, Rebellenkommandeure oder geflohene Zivilisten – sie alle berichten von Bombardements rund um die Uhr. Demnach treffen die Luftangriffe auch Wohngegenden, Märkte, Krankenhäuser und Moscheen. Die Gesundheitsversorgung sei vielerorts quasi zusammengebrochen. Oft hätten die Feldkliniken nicht einmal mehr Kapazitäten, die kritischen Fälle zu behandeln.

Dass es noch schlimmer kommen könnte, hätten sich die Menschen kaum träumen lassen, die seit Jahren im zerstörten, von den Rebellen kontrollierten Teil der Stadt ausharren. Doch die Feuerkraft der russischen Luftwaffe übertrifft nach den Worten des Aktivisten Mudschahid noch die Wirkung der geächteten Fassbomben, die Syriens Machthaber Baschar al Assad über Wohngebieten aus Hubschraubern abwerfen lässt. Die Lage spitzt sich immer weiter zu. Schon jetzt ist die sogenannte „Castello-Route“, die aus Aleppo nach Norden in Richtung türkische Grenze führt, umkämpft und Ziel von Luftangriffen. Auch Scharfschützen der eng mit der kurdischen PKK verbundenen YPG-Miliz eröffnen nach übereinstimmenden Berichten immer wieder das Feuer auf fliehende Zivilisten und Hilfslieferungen.

„Wir versuchen, Mehl und Treibstoff zu horten“

Den kurdischen Milizionären, die für den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) von Washington unterstützt werden, wird schon länger vorgeworfen, ein undurchsichtiges, opportunistisches Spiel zu spielen und sich dem Regime und den Russen anzudienen, wo es ihnen nützt. Ein Sprecher des amerikanischen Außenministeriums hat die YPG-Kräfte eindringlich ermahnt, nicht das Chaos am Boden auszunutzen und neues Gelände zu erobern. Zuletzt nahmen sie im Windschatten der russischen Luftangriffe und vorrückenden Truppen Assads die Luftwaffenbasis Minnigh zwischen Aleppo und der türkischen Grenze ein.

Dem Regime fehlen offenbar nur noch wenige Kilometer, um im Norden den Belagerungsring um Aleppo zu schießen. Die Zivilbevölkerung würde dann von Diesel-Lieferungen für die Stromgeneratoren abgeschnitten und hätte damit auch kaum noch Strom für die Pumpen, die Trinkwasser an die Oberfläche fördern. „Wir versuchen, Mehl und Treibstoff zu horten, aber die Vorräte würden nur für ein, zwei Monate reichen“, sagt der Aktivist Mudschahid. An eine Verschnaufpause durch einen Waffenstillstand glaube niemand.

Die Opposition weist auf den Umstand hin, dass die angestrebte Feuerpause Angriffe gegen den IS und die unter dem Banner von Al Qaida kämpfende Nusra-Front ausschließt. Unter dem Vorwand, diese zu bekämpfen, lässt der russische Machthaber Wladimir Putin seit jeher die von nichtdschihadistischen Rebellengruppen gehaltenen Gegenden bombardieren. „Das Regime und Russland werden die Feuerpause nutzen, um neues Terrain einzunehmen“, sagt ein Rebellenkommandeur. Wie andere Assad-Gegner äußert er scharfe Kritik an der mangelnden Unterstützung aus dem Westen.

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