Syrien-Abkommen Ausweg in die Sackgasse? /FAZ

ESSENTIALS á la GENF

Wohl kein Militärschutz für Inspekteure – Keine gemeinsame Liste von Giftgasproduktionsstätten – Keine Verurteilung Assads  –

16.09.2013 ·  FAZ – Andreas Ross –  John Kerry hat nach der Einigung mit Sergej Lawrow weitere schwierige Gespräche zu führen, um die Verbündeten zu überzeugen.

(….)  Der Amerikaner hat wieder einmal viel Überzeugungsarbeit vor sich, wenn er an diesem Montag die Außenminister der verbündeten Vetomächte Frankreich und Großbritannien in Paris trifft und später in Washington den Kongress informiert. Denn für Russland kommt es nach wie vor nicht in Frage, dem syrischen Regime in einer UN-Resolution mit Gewalt zu drohen. Eine Verurteilung der Assad-Regierung für den Einsatz von Giftgas bleibt ebenso ausgeschlossen. Moskau beharrt darauf, dass nur Aufständische Chemiewaffen eingesetzt haben könnten.

Wohl deshalb ist auch die gemeinsame amerikanisch-russische Einschätzung des syrischen Chemiewaffenarsenals, deren Zustandekommen Kerry in Genf rühmte, unvollständig. Zwar sollen sich beide Seiten einig sein, dass in Syrien rund 1000 Tonnen an chemischen Kampfstoffen lagern, und sie haben ihre Erkenntnisse darüber abgeglichen, welche Mengen an Sarin, Senfgas oder VX-Gas darunter sind. Aber die beiden Delegationen konnten sich in Genf nicht auf eine Liste mutmaßlicher Lager- und Produktionsstätten einigen. Washington spricht von etwa 45 relevanten Anlagen, die russische Delegation sieht diese Zahl als zu hoch an. Hätte sich Moskau der amerikanischen Einschätzung völlig angeschlossen, wäre dies dem Eingeständnis gleichgekommen, dass nur das Assad-Regime Chemiewaffen hat.

Keine gemeinsame Liste

Russen und Amerikaner haben also keine gemeinsame Liste, mit der sie die Angaben des syrischen Regimes vergleichen könnten, sollte es tatsächlich binnen Wochenfrist seine Bestände offenlegen. Das amerikanisch-russische Rahmenabkommen von Genf, das nach dem Willen der beiden Großmächte jetzt im Eilverfahren von der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW) in verbindliche Form gegossen und vom Sicherheitsrat bekräftigt werden soll, verlangt von Syrien „innerhalb einer Woche eine vollständige Liste einschließlich Namen, Sorten und Mengen seiner chemischen Kampfstoffe, Munitionsarten sowie der Lage und Art von Lager-, Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsstätten“. Damit soll Assads Ernsthaftigkeit innerhalb von Tagen einem ersten Test unterzogen werden. Bis November müssten dann OPCW-Inspekteure alle Anlagen besichtigt haben. Die Zerstörung sämtlicher chemischen Kampfstoffe samt Ausrüstung soll bis Ende Juni 2014 erfolgt sein.

Während diese Frist vielen Fachleuten für Chemiewaffen unrealistisch kurz erscheint, bestärkt sie Kritiker im amerikanischen Kongress wie in der syrischen Opposition in ihrer Sorge, Obama lasse es zu, dass Assad auf Zeit spiele. Doch haben sich Amerika und Russland in Genf darauf verständigt, dass schon bis November alle Anlagen zur Herstellung, zum Mischen und zur Abfüllung chemischer Kampfstoffe zerstört sein sollen. Während die Vernichtung hochgiftiger Chemikalien heikel und zeitaufwendig ist, könnten derlei Anlagen schlicht mit Bulldozern planiert werden, sagen Fachleute.

Wohl kein Militärschutz für Inspekteure

Russland und Amerika schlagen vor, je nach Lage die Chemikalien an Ort und Stelle zu vernichten oder sie zu diesem Zweck ins Ausland zu transportieren. Auch wird erwogen, das Material an der syrischen Küste, wo Russland einen Marinestützpunkt unterhält, zu konzentrieren und dort zu vernichten. Beide Regierungen fordern die Staatengemeinschaft auf, die OPCW mit zusätzlichen Fachleuten und Geld zu unterstützen. „Was die Bezahlung angeht“, sagte Lawrow in Genf, „haben Sie sicher gehört, dass es Länder gab, die bereit waren, für einen Krieg zu bezahlen, und ich bin sicher, dass es Länder gibt – vielleicht nicht dieselben –, die bereit sind, die friedliche Lösung des Problems zu finanzieren.“ Kerry witzelte: „Wir werden Sergej bitten, mit denen zu reden.“

Amerikaner und Russen sehen offenbar keine Notwendigkeit, mit massivem militärischem Einsatz für den Schutz der Inspekteure in dem Bürgerkriegsland zu sorgen. Nach amerikanischer Auffassung hat das syrische Regime seine Chemiewaffen in den vergangenen Monaten in Gebiete verlagert, die es völlig unter Kontrolle hat. Nach dieser Lesart hängt alles von Assads Kooperation ab. Lawrow rang Kerry aber das Versprechen ab, Amerikas Einfluss auf die Rebellen zu nutzen, um die Sicherheit der Inspekteure zu gewährleisten. Kerry hob in Genf hervor, dass es einen Automatismus gebe: Werde das Regime seinen Verpflichtungen nicht gerecht, dann werde der Sicherheitsrat in einer Resolution unter Kapitel VII der UN-Charta Zwangsmaßnahmen verhängen. Das können neben Sanktionen theoretisch auch militärische Mittel sein. Doch Lawrow spielte die Bedeutung des Automatismus herunter. Natürlich werde man nicht jede Behauptung zum Nennwert nehmen, denn der Syrien-Konflikt sei voller Falschinformationen. „Aber wenn wir sicher sind, zu hundert Prozent, dann wird die Russische Föderation bereit sein, in einer neuen Sicherheitsratsresolution Strafmaßnahmen gegen diejenigen zu verhängen, die die Regeln gebrochen haben.“

Amerikas Falken kritisieren Abkommen

Das klingt in den Ohren westlicher Diplomaten nach einer Fortsetzung des alten Streits. Kerry bemerkte, jedermann wisse um die Differenzen im Sicherheitsrat über die Anwendung von Gewalt. „Aber je nachdem, was Assad tut, besteht diese Möglichkeit, entweder im UN-Prozess oder… durch eine Entscheidung des Präsidenten der Vereinigten Staaten und gleichgesinnter Verbündeter.“

In Washington geht das republikanischen Falken wie den Senatoren John McCain und Lindsey Graham nicht weit genug. Obamas Bereitschaft, sich Moskau zuliebe auf eine UN-Resolution ohne Gewaltandrohung einzulassen, nannten sie einen „Akt provokanter Schwäche“. Man müsse seine Skepsis schon mutwillig unterdrücken, um in dem Abkommen von Genf „irgendetwas anderes als eine diplomatische Sackgasse zu erkennen“. Für die Senatoren, die sich auch „kein schlechteres Signal an Iran vorstellen können“, ist Obama jüngste Kurswende besonders bitter. Sie hatten ihm vor zwei Wochen Hilfe bei dem schwierigen Versuch versprochen, eine Mehrheit im Kongress für eine Militärintervention zu organisieren. Dafür hatten sie ihm das Versprechen abgerungen, Assad deutlich zu schwächen und mehr für die Opposition zu tun. Nun setzt das Weiße Haus darauf, mit Assad eine Vernichtung der Chemiewaffen aushandeln zu können, ohne seine konventionelle militärische Überlegenheit anzutasten.

Überhaupt schien das vom Syrien-Dossier durchgewirbelte politische Washington am Wochenende wieder die gewohnte Aufstellung zu nehmen. Viele Republikaner warfen dem Weißen Haus Chaos, Glaubwürdigkeitsverlust und Naivität vor, während Demokraten den Präsidenten durchgängig dafür lobten, dass er der Diplomatie neuen Raum verschafft habe. Man müsse sich in Syrien an Ronald Reagans Leitspruch „vertrauen und kontrollieren“ halten, hatte Obama am vorigen Montag gesagt. Sein Außenminister sagte in Genf, die Losung müsse angepasst werden. „Kontrollieren und kontrollieren“, laute der neue Standard.

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