MESOP MIDEAST WATCH: GESAMTPORTRÄT DES ISLAMISMUS IN EUROPA HEUTE

Unheimliche Brüder, bigotte Schwestern – wie die Muslimbruderschaft die Öffentlichkeit und die islamischen Verbände beeinflusst

Die islamistische Muslimbruderschaft und ihre Sympathisanten streben in Europa nach Macht und Einfluss. Offiziell hat niemand etwas mit ihnen zu tun, aber die Realität sieht anders aus. Lucien Scherrer 26.11.2021,NZZ  «Wenn man nichts zu essen hat, denkt man nicht an Homosexualität»: Nadia Karmous im Museum der islamischen Zivilisationen, 2016.

«Offenbarung», sagt die Stimme aus dem Kopfhörer, «Wärme», oder: «Was fühlst du?» Stoffkordeln umbaumeln den Besucher, der Boden vibriert, dann wird der Raum in blaues Licht getaucht. Fast könnte man sich in einem Seminar für autogenes Training wähnen. Doch im Musée des civilisations de l’Islam geht es um mehr: Hier, mitten in der Uhrenstadt La Chaux-de-Fonds, will man Gäste aus der Schweiz und aus aller Welt für die Geschichte und die Grösse des islamischen Glaubens begeistern. Viele «angebliche Muslime», so doziert die weibliche Stimme im Kopfhörer, seien heute «Unwissende».

An diesem Tag sind nur wenige Gäste zu sehen. Die Museumsdirektorin Nadia Karmous huscht lächelnd vorbei, das rundliche Gesicht mit einem Kopftuch umhüllt. Für die Wissbegierigen gibt es eine Bibliothek im vierten Stock. «L’islam n’a rien a voir avec le terrorisme», steht auf einem Plakat, der Islam hat nichts mit Terrorismus zu tun. Hinter dem Büchertisch steht ein freundlicher Mann mit grauem Bart und orangem T-Shirt. «Möchten Sie etwas über den Islam lesen?», fragt er. «Das hier ist gut, es beschreibt das Leben des Propheten Mohammed.»

Offiziell sind sie «woke»

So herzlich der Empfang auch wirkt, es gibt in diesem Museum einiges, was irritiert. Dass die Vordenker der radikal-islamischen Muslimbruderschaft in den Büchergestellen besonders gut vertreten sind, mag Zufall sein. Ebenso, dass sich dort antisemitische Werke finden wie Henry Fords «The international Jew» oder «Palestine» von Holocaust-Leugner Roger Garaudy. Warum aber, so fragt man sich, werden den Besuchern ausgerechnet im Themenraum «Erneuerung» Tweets von islamischen Organisationen gezeigt, die sich über die «Lügen der zionistischen Lobby» auslassen und die «ethnischen Säuberungen» Israels?

Einer der Tweets stammt von den American Muslims for Palestine – einer Organisation, die mit der Hamas sympathisiert und deren Präsident kürzlich erklärt hat, der Staat Israel sei ein Parasit: «Er saugt Amerikas Blut.» Dabei soll in La-Chaux-de-Fonds ein «positiver» und «pluralistischer» Islam gezeigt werden, «ohne jeden politischen Anspruch». So jedenfalls drückte es Direktorin Nadia Karmous 2016 aus, als das Museum eröffnet wurde.

Heute könnte man ihr mit viel medialem Pomp eröffnetes Bijou auch als Mahnmal betrachten – für die Ausbreitung eines politischen Islam, der sich tolerant und modern gibt, letztlich aber Demokratie und Grundrechte gefährdet. Die Ausbreitung dieses Phänomens beschäftigt die meisten Einwanderungsländer Westeuropas, es beunruhigt Geheimdienste, Wissenschafter und liberale Muslime.

Einige sehen im sogenannt legalistischen Islamismus langfristig eine grössere Gefahr als in den bärtigen Jihadisten, die offen gegen Ungläubige hetzen und Terrorakte bejubeln. «Diese Leute sind oft sehr geschickt», sagt Lorenzo Vidino, «und das macht sie gefährlich.» Der Politologe untersucht die Strukturen des legalistischen Islamismus seit Jahren. Derzeit ist er Programmdirektor für Extremismus an der George Washington University und Beirat der «Dokumentationsstelle politischer Islam», welche die österreichische Regierung berät.

Die Strategie der «gemässigten» Islamisten beschreibt er so: «Gegen innen sagen sie den Leuten ‹Wir sind anders, wir haben eigene Werte, und die Gesellschaft will uns nicht›. Nach aussen geben sie sich als tolerante, aber diskriminierte Minderheit, die Geld vom Staat braucht.» Dieses Schauspiel treiben manche Islamisten laut Vidino so weit, dass sie das Gendersternchen benutzen, Kontakte zu jüdischen Vereinen suchen und sich mit LGBT-Aktivisten fotografieren lassen. «Am nächsten Tag laden sie dann einen Prediger ein, der Gewalt gegen Frauen befürwortet und Steinigungen von Schwulen rechtfertigt.»

Juden als Inbegriff allen Übels

 

Hasan al-Banna

Die wichtigste internationale Bewegung, die eine legale Islamisierung westlicher Gesellschaften anstrebt, ist die Muslimbruderschaft. Diese wurde 1928 vom Ägypter Hasan al-Banna gegründet, einem religiösen Sozialrevolutionär. Die Anhänger der Muslimbruderschaft propagieren einen dritten Weg zwischen dem Kapitalismus und dem «materialistischen» Sozialismus: Die muslimische Bevölkerung soll re-islamisiert, von Imperialisten befreit und von schlechten Einflüssen gereinigt werden.

In vielen arabischen Ländern verfolgt, haben sich die Anhänger der Muslimbruderschaft seit den 1950er Jahren in Europa niedergelassen und neue Netzwerke aufgebaut, die heute vor allem von Katar und der Türkei gefördert werden. Lorenzo Vidino spricht von einem dezentralen Geflecht aus Moscheen, Vereinen, Stiftungen, Parteien, Instituten, Think-Tanks und Hochschulen, die personell, finanziell und manchmal auch nur ideologisch miteinander verbunden sind. Zu diesem Netzwerk gehören laut Wissenschaftern und Geheimdienstberichten die Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE, seit 2020 Rat der Muslime in Europa) und das international tätige Hilfswerk Islamic Relief, das auch in Deutschland und der Schweiz Spenden sammelt.

Von Israel wird das Hilfswerk beschuldigt, die Hamas zu finanzieren – einen militärischen Ableger der Muslimbruderschaft, der sich in seiner Gründungsakte nicht zufällig auf die verschwörungstheoretischen Protokolle der Weisen von Zion beruft. Islamic Relief bestreitet das und weist Antisemitismusvorwürfe zurück. Kürzlich mussten jedoch mehrere Mitglieder und Vorstände von Islamic Relief zurücktreten, weil sie die Hamas verherrlicht und Juden als «Enkel von Affen und Schweinen» bezeichnet hatten. Die FIOE fiel 2011 damit auf, dass sie Holocaust-Leugner Roger Gaurady 2011 als «grossen Gelehrten» würdigte.

Die Besessenheit von der Macht der Juden und des Staates Israel ist denn auch bis heute eine Konstante in der Ideologie der Muslimbruderschaft. «Der Jude», so hielt al-Bannas Weggefährte Sayyid Qutb 1950 fest, steht hinter allem Übel in der westlichen Welt, vom «atheistischen Materialismus» (Marx), von der «animalistischen Sexualität» (Freud) und der Zerstörung der Familie. Er führt auch den Kampf gegen den Islam an. Aus dieser Logik kann der Islam nur triumphieren, wenn er den Juden und damit den westlichen Imperialismus vernichtet.

Nacktheit ist tabu, Homosexualität ein Hobby für Reiche

Dennoch gelingt es Anhängern und Sympathisanten der Muslimbrüder dank ihrer zeitgeistigen Selbstviktimisierung immer wieder, in der Politik und in den Medien als antirassistische und dialogbereite Partner wahrgenommen zu werden, die es im Kampf für das Kopftuch und gegen Vorurteile zu unterstützen gilt.

Der Einfluss der Muslimbruderschaft zeigt sich in der Schweiz unter anderem in La Chaux-de-Fonds. Hier lobbyiert das Ehepaar Nadia und Mohamed Karmous seit Jahren unter viel medialer Anteilnahme für einen konservativen, separatistischen Islam, der den moralisch verkommenen Westen befreien soll. So erklärte Nadia Karmous 2006 in der Zeitung «Le Matin Dimanche», Nacktheit habe einzig in der Ehe Platz. Mädchen und Buben müssten in Schwimmbädern getrennt werden, und Homosexualität sei «eine Sache reicher Länder», denn: «Wenn man nichts zu essen hat, denkt man nicht an Homosexualität.» Weiter behauptete sie, «der Westen» unterdrücke die Muslime heute genauso wie einst die Juden. Und die Schweiz müsse Karikaturen über «Gott und den Propheten» verbieten.

Gleichwohl nahmen ihr viele ab, dass ihr 2016 eröffnetes Museum eine unpolitische, «positive Vision des Islam» (SRG-Swissinfo) zeigen werde. Mittlerweile ist jedoch einiges über die ideologischen und finanziellen Hintergründe des Projekts bekannt. 2019 veröffentlichten französische Journalisten im Buch «Qatar Papers» Bankauszüge und Dokumente. Laut diesen investieren staatsnahe katarische Organisationen in Europa über hundert Millionen Euro in Institutionen, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Laut «Qatar Papers» hat das Ehepaar Karmous für sein Museum rund 1,4 Millionen Franken aus Katar bekommen.

Der französische Geheimdienst stufte Mohamed Karmous 2007 als «militanten Islamisten» ein: Er stehe der Muslimbruderschaft nahe und betätige sich als Schatzmeister für deren Organisationen. Zu dieser Einschätzung kam der Geheimdienst, nachdem der Frankotunesier an der Grenze mit 50’000 Euro Bargeld im Gepäck erwischt worden war. Tatsächlich ist Mohamed Karmous bis heute mit der FIOE vernetzt. Die von ihm gegründete Ligue des Musulmans de Suisse (LMS) gehört offiziell zu den Mitgliedern der FIOE.

 

«Adolf Hitler hat vielleicht übertrieben, aber …»: Jusuf al-Karadawi im Gazastreifen, Mai 2013.

Nadia Karmous erklärte den Autoren der «Qatar Papers», sie sei «nicht Mitglied» bei den Muslimbrüdern. Allerdings gibt es solche Mitgliedschaften genauso wenig wie ein zentrales Büro mit der Aufschrift «Muslimbruderschaft». Die Verbundenheit äussert sich vielmehr durch gemeinsame Werte, Weltbilder und ideologische Vorbilder. Wer diese sind, hat Karmous wiederholt bekundet: Tariq Ramadan und Jusuf al-Karadawi. Den einen schätzt sie als «Freund» (Ramadan), den anderen als «grossen Gelehrten» (Karadawi).

Schläge für Frauen, Peitsche für Huren

Ramadan ist der Enkel des Ur-Muslimbruders Hasan al-Banna, er gilt als Vordenker eines formell gemässigten, im Kern jedoch nicht mit demokratischen Grundrechten kompatiblen Islam. Seit er in Frankreich wegen Vergewaltigungsvorwürfen angeklagt wurde, inszeniert sich der einst wie ein Pop-Star hofierte Erfolgsautor als Opfer einer zionistischen Intrige und rappt gegen den angeblich islamophoben Westen an.

Karadawi gehört, trotz Distanzierungen, zu den wichtigsten Vordenkern der modernen Muslimbruderschaft. Mit seinen Sendungen auf Al Jazeera erreichte der in Katar lebende Gelehrte ein Millionenpublikum. Daneben ist er langjähriger Vorsitzender des Europäischen Rates für Fatwa und Forschung, der 1996 auf Initiative der FIOE gegründet wurde. Wie Tariq Ramadan wird Karadawi oft als moderater Islamist missverstanden, weil er Mädchenbeschneidungen ablehnt und Terroranschläge verurteilt, zumindest wenn sie nicht Israel treffen. Denn dort ist Terror erwünscht.

Dass «gemässigt» ein dehnbarer Begriff ist, zeigt auch sein Buch «Erlaubtes und Verbotenes im Islam». In diesem Bestseller, der auch in manchen islamischen Bildungsstätten Europas gelesen wird, verdammt Karadawi so ziemlich alles, vom Augenbrauenzupfen über Tätowierungen bis zu nackten und unverhüllten Frauen. Er spricht von Gleichberechtigung in der Ehe, räumt dem Mann als Oberhaupt der Familie aber das Recht ein, die Frau bei «offener Auflehnung» zu schlagen (wenn auch keinesfalls mit einem Stock oder einem sonstigen Gegenstand).

Die «Hure und den Hurer» gilt es mit je hundert Peitschenhieben zu bestrafen, genauso wie Homosexuelle, für die jedoch auch die Todesstrafe gerechtfertigt ist – «für den aktiven und den passiven Teil». Harte Strafen, wie Karadawi einräumt, aber notwendig, um die Gemeinschaft von «abartigen Elementen» rein zu halten. Über die Juden äusserte sich der ägyptische Gelehrte einmal in einer Fernsehansprache. Sie hätten, so sagte er, eine «göttliche Bestrafung» erfahren, durch Adolf Hitler. Dessen Methoden seien «vielleicht» übertrieben gewesen, aber: «Er hat die Juden dorthin geschickt, wo sie hingehören.»

Die Schweiz lobt, wo es nichts zu loben gibt

Welche Folgen das von der Muslimbruderschaft verbreitete Gedankengut hat, ist in muslimischen Ländern, aber auch in manchen europäischen Städten zu sehen. Dort skandieren Demonstranten «Tod den Juden» und «Hamas, Hamas, Juden ins Gas». Juden und

Umso wichtiger wäre es, dass sich staatliche Stellen und islamische Verbände klar von Anhängern dieses Gedankenguts distanzieren. So haben mehrere Staaten – darunter Deutschland, die USA und die Niederlande – die Zusammenarbeit mit Islamic Relief beendet, nachdem deren Führungsleute ihren Antisemitismus öffentlich bekundet hatten. Das Schweizer Aussendepartement dagegen begnügte sich mit einer Verurteilung von «jeder Form von Rassismus und Antisemitismus» – und lobte die rasche Reaktion des Hilfswerks.

Blick ins Museum für islamische Zivilisationen, Mai 2016.

Stefan Meyer / Keystone

Der Europarat hat kürzlich eine Kampagne für das Kopftuch unterstützt (Slogan: «Freedom is in Hijab»), hinter der Organisationen wie Femyso stehen – eine Jugend- und Studentenorganisation aus dem Geflecht der FIOE. Dass die Kampagne nach einer Intervention französischer Politiker gestoppt wurde, bezeichnet Femyso als rassistisch.

Auch in den grossen islamischen Verbänden gibt es einen beschränkten Willen oder – je nach Interpretation – begrenzte Mittel zur Abgrenzung. Gerade für liberale Muslime ist das ein Problem: Da sich diese Verbände als Repräsentanten aller Muslime verstehen, prägen sie das Image der muslimischen Bevölkerung, obwohl diese gemäss Umfragen viel weniger religiös und konservativ eingestellt ist.

Castingfehler und andere Irrtümer

Die Föderation der Islamischen Dachverbände der Schweiz (FIDS) etwa vertritt 12 Mitglieder und rund 200 Zentren. Sie propagiert einen «Islam der Mitte» und distanziert sich explizit von «Extremismus, Exzentrismus und Gewaltanwendung». Die Frage, wo religiöser Dogmatismus aufhört und politischer Extremismus beginnt, wird in der Praxis jedoch oft sehr grosszügig beantwortet.

So haben FIDS-Vertreter wiederholt ihre Sympathie für Tariq Ramadan bekundet. Ebenso ist das Ehepaar Karmous mit verschiedenen Organisationen in der FIDS und den ihr angeschlossenen kantonalen Verbänden vertreten. Dazu gehört die erwähnte, in der europäischen FIOE eingebundene LMS, die ihren Sitz sinnigerweise an der Avenue de la Confrérie in Prilly hat.

Dort befindet sich auch der Complexe culturel des Musulmans de Lausanne. Von Mohamed Karmous gegründet und von der Qatar Charity mitfinanziert, hat dieses Zentrum mit seiner Gästeauswahl kürzlich für einen Skandal gesorgt. So wurde bekannt, dass 2016 und 2018 der Imam Béchir Ben Hassen aufgetreten war. Dieser ruft zum Mord an Leuten auf, die den Propheten beleidigen. Weitere Redner waren Tariq Ramadan und sein etwas weniger geschmeidiger Bruder Hani, der Steinigungen als Gottes Wille und Aids als Gottes Strafe betrachtet.

Im Fall Ben Hassen sprachen die Verantwortlichen von einem «erreur de casting»: Man habe keine Zeit, um alle Gäste zu prüfen. Solche Castingfehler sind keine Einzelfälle. 2016 sorgte in einer Moschee in Volketswil der Imam Youssef Ibram für Aufsehen. Er hatte einst Steinigungen für Ehebrecherinnen propagiert und war in Jusuf al-Karadawis Europäischem Rat für Fatwa und Forschung tätig. Die Moschee gehört zur Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ), die sich in einer Grundsatzerklärung für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung ausspricht und jeglichen Bezug zum Kosmos der Muslimbruderschaft empört zurückweist.

Der Tagesmarsch eines Kamels

Gleichwohl traten VIOZ-Vertreter in den letzten Jahren bei Anlässen und Spendenaktionen des Hilfswerks Islamic Relief auf, mit dem man 2018 den «Ummah Day» unterstützte. In ihrem Veranstaltungskalender bewirbt die VIOZ regelmässig Webinare oder Schnupperkurse mit Gelehrten, die zum universitären Umfeld der Muslimbruderschaft gehören. Zu nennen wäre der Islamologe Amir Zaidan, der gemäss einem Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden sagte: «Ich bin offiziell kein Mitglied, aber ich vertrete das Gedankengut der Moslembruderschaft.» Ebenfalls Mitglied des Rates für Fatwa und Forschung, war der Gelehrte an einem Rechtsspruch beteiligt, der definiert, wie weit sich eine Frau von ihrem Haus entfernen darf: Maximal 81 Kilometer sollen es sein, so weit wie ein Durchschnitts-Kamel in einem Tag zurücklegen kann.

Für die betroffenen Vereine und Verbände ist das Thema Muslimbruderschaft und Extremismus delikat. Denn sie wollen für die Schweizer Behörden erste und vertrauenswürdige Ansprechpartner in Sachen Islam, interreligiöser Dialog, Seelsorge, Radikalisierung und Extremismusprävention sein. Entsprechend reagieren Verbandsvertreter empfindlich auf Kritik. Rasch werden Vorwürfe laut, man wolle alle Muslime dämonisieren und unter Generalverdacht stellen. Die NZZ hat mit Vertretern der VIOZ und der FIDS längere Gespräche geführt, in Zürich und in Morges. Kurz vor der Publikation dieses Artikels teilten sie der Redaktion mit, sie wollten sich doch nicht zitieren lassen. Weshalb ihre Aussagen summarisch wiedergegeben werden.

«Islam der Mitte» klingt gut – aber was heisst das?

Ihrer Meinung nach hat die mangelnde Distanz zu problematischen Figuren und Organisationen nichts mit Ideologie, sondern vor allem mit mangelnden Ressourcen zu tun: Man habe keine Zeit, Personen und Inhalte zu prüfen. Deshalb sei es wichtig, dass der Staat die islamischen Organisationen analog zu christlichen und jüdischen Gemeinschaften anerkenne und ihnen mehr Unterstützung gebe. Das Hauptproblem sei, dass der Islam nicht in Europa gemacht werde – wer sich als junger Mensch für den Islam interessiere, lande schnell bei Pierre Vogel oder in Château Chinon.

In Château Chinon befindet sich das Europäische Institut für Humanwissenschaften – die europäische Kaderschmiede der Muslimbruderschaft. Ob sich die FIDS klar von deren Sympathisanten in den eigenen Reihen distanzieren wird, bleibt offen. Sicher ist: Die Probleme, sich klar von der Muslimbruderschaft abzugrenzen, haben nicht nur praktische, sondern auch ideologische Gründe.

So ist es kein Widerspruch, dass sich die FIDS in ihren Statuten und Verlautbarungen gegen Extremismus und für einen «Islam der Mitte» ausspricht, gleichzeitig aber Leute wie das Ehepaar Karmous in ihren Reihen duldet. Denn das Konzept eines «Islam der Mitte» schliesst Offenheit gegenüber radikalen und extremen Positionen nicht aus. Im Gegenteil: Es wurde massgeblich von Jusuf al-Karadawi entwickelt, dessen Positionen kaum Ausdruck einer gesellschaftlichen Mitte sind.

«Islam der Mitte» heisst bei Al-Karadawi nur, dass er liberale Tendenzen im Islam genauso ablehnt wie die «Übertreibungen» jihadistischer Terroristen. Da «Mitte» jedoch viel besser klingt als «Muslimbruderschaft», ist das Konzept bei deren Aktivisten und Sympathisanten sehr populär. «Ich gehöre nicht der Muslimbruderschaft an», so pflegt auch Nadia Karmous zu sagen, «mir ist der Mittelweg lieber.»

Auf Anfrage der NZZ betont Karmous, ihr Museum sei nur deshalb mit katarischen Geldern gebaut worden, weil «dem Islam» in der Schweiz staatliche Gelder vorenthalten würden. Ihr Mann, Monsieur Karmous, sei mitnichten ein «Schatzmeister» von irgendwem – an der Grenze habe man ihn bloss mit der Gabe eines Genfer Wohltäters erwischt, die für die Universität von Château Chinon bestimmt gewesen sei.

Dass in ihrem Museum antiisraelische Twitter-Botschaften zu sehen sind, erklärt die Direktorin mit der zentralen Bedeutung, die der palästinensischen Frage in der arabischen Welt zukomme. Es sei jedoch durchaus möglich, dass man an anderen Tagen Tweets sehe, «die in die andere Richtung gehen». Die Tweets, die sie als Beweis schickt, drehen sich allerdings um Gott und um Islamophobie. Eine Verurteilung des islamistischen Judenhasses ist nicht dabei.