Boykott gegen Boykott –   Die Entscheidung des Bundestages zum BDS und die deutsche Kulturszene / VON HANNO LOEWY

MESOPOTAMIA NEWS : THE GERMAN PROFESSIONAL HOLOCAUSTERS CONTRA LIBERTY

22 Dec 2020  FAZ –  Glaubt man einem Teil des deutschen Feuilletons, dann leiden die Direktoren und zahllosen Mitarbeiter großer deutscher Kulturinstitutionen an Halluzinationen. Im Mai 2019 hat der Bundestag mit großer Mehrheit eine Resolution gegen eine politische Bewegung verabschiedet, die kaum jemand kannte: die Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions” zum Boykott Israels, BDS. Auch die AfD hat eine Anti-BDS-Resolution eingebracht und dann mit ihrer Stimmenthaltung den anderen die Peinlichkeit erspart, gemeinsam mit bekennenden Antisemiten BDS als „antisemitisch” zu verdammen.

Viele Abgeordnete der Grünen und der Linken haben sich enthalten, nicht aus „Antisemitismus”, sondern aus berechtigter Sorge. Eine Sorge, die auch Kenneth Stern, der Autor der vielzitierten AntisemitismusDefinition der „International Holocaust Remembrance Association” (IHRA), öffentlich teilt. Um den Umgang mit Menschen — Künstlern, Wissenschaftlern, Intellektuellen —, die BDS unterstützen oder denen man das zuweilen ohne jeden Beleg unterstellt, ist nun ein erbitterter Streit entbrannt.

 

Als vor zehn Tagen Kulturveranstalter und Institutionen über die Folgen einer Resolution berichteten, die sich auf die pauschale Behauptung versteift, BDS sei grundsätzlich „antisemitisch” und dürfe deshalb weder öffentliche Förderung erhalten noch öffentliche Räume nutzen, ernteten sie teilweise ungläubiges Staunen, Häme und Spott. Und hinter den Kulissen — wie auch öffentlich in der „Bild”-Zeitung — ebenjene Drohungen, um die es geht. Grauzone, gefüllt mit Rufmord Da gibt es Druck gegen einzelne Unterzeichner aus der Politik, Aufforderungen, die Unterschrift zurückzuziehen, Anfragen der Tageszeitung „Die Welt” bei allen Unterzeichnern und deren Geldgebern, ob sie sich etwa ein „allgemeinpolitisches Mandat” anmaßten.

 

Dabei brauchen Museen, Festivals oder Theater wohl kaum ein Mandat, um sich gegen diffamierende Kampagnen und politische Einflussnahme auf ihr Programm zu wehren. Genau das aber passiert inzwischen ständig, zumeist hintenherum, manchmal auch ganz öffentlich. Und um Antisemiten und Antisemitismus geht es dabei in aller Regel nicht. Die rechtliche Grauzone, die die Bundestagsresolution sowie zuvor von einigen Städten beschlossene Verbote eröffnet haben, füllt sich wie von selbst mit Verdächtigungen und Denunziationen, mit Rufmordkampagnen und Beleidigungen auf Twitter, mit Raumverboten,  Drohungen gegen Fördergeber und vor allem: Selbstzensur.

 

BDS als Organisation ist eine Maus. Aber sie hat tatsächlich viele Freunde — und Leute, die dafür gehalten werden, auch wenn sie es nicht sind. Nicht alle, aber sehr viele darunter sind Juden, die vielleicht nur bezweifeln, dass Israel unbedingt ein ethnisch-religiös definierter jüdischer Staat sein soll und nicht der Staat aller seiner Bürgerinnen und Bürger. Israels Definition als „jüdischer Staat” räumt mir als jüdischem deutschen Staatsbürger mehr Mitsprache an zentralen israelischen Angelegenheiten ein als seinen arabischen, zum Teil alteingesessenen Bewohnern, die damit — nicht nur symbolisch — zu Staatsbürgern zweiter Klasse werden.

 

Keiner von uns würde deshalb das Existenzrecht Israels in Zweifel ziehen. Doch in der Logik vieler, denen der Bundestag einen Freifahrschein geliefert hat; darf man Juden nun mit besonderem Vergnügen als Antisemiten beschimpfen, wie es gerade wieder der Herausgeber der „Welt” getan hat.

 

Wie funktionieren diese Kampagnen? Reden wir einmal nicht über Achille Mbembe, der in diesem Zusammenhang gar nicht so wichtig ist. Im Oktober plante eine Gruppe jüdischer Israelis üm die Künstlerin Yehudith Yinhar an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin, sich kritisch mit der nationalen Ideologie des Zionismus und seinen Wirkungen zu beschäftigen, und lud zu einem Online-Programm auf Englisch und Hebräisch ein. Yinhar war in Israel bei den „Combatants for Peace” aktiv, die am Vorabend des Nationalfeiertags für die Gefallenen der Opfer auf beiden Seiten gedenken.

 

Der Staat Israel wird es aushalten, dass einige seiner jüdischen Bürger seine Gründungsmythen diskutieren. Nicht so Eldad Beck, Reporter einer rechtspopulistischen Tageszeitung und Freund der AfD. Am 7. Oktober twittert er um 11.27 Uhr über ein von der „Bundesregierung finanziertes antizionistisches Curriculum”. Nun ist die Kunsthochschule wie alle deutschen Hochschulen staatlich gefördert — und wie fast alle Museen von solchen Förderungen abhängig. Es dauert zwei Stunden, da ist aus den jüdisch-israelischen Studierenden ein „Haufen BDS-Supporter” geworden, wie Tom Uhlig, ein „antideutscher” Aktivist, um 13.29 Uhr twittert und dafür sorgt, dass Samuel Salzborn, der Berliner Beauftragte gegen Antisemitismus, und der Grünen-Politiker Volker Beck seinen Tweet lesen.

 

Um 13.53 Uhr twittert Beck über eine „Ungeheuerlichkeit”, die er entdeckt habe, und teilt mit, er habe schon die Bundesministerin für Bildung und Forschung davon unterrichtet. Um 16.19 Uhr schließlich meldet sich die „Welt” bei der Kunsthochschule und verlangt von der Rektorin zu wissen, wie sie zum BDS steht. Am nächsten Tag meldet sich auch das American Jewish Committee zu Wort und erklärt, für die „Delegitimierung Israels” dürften keine Steuergelder verwendet werden. Und die israelische Botschaft erklärt: „Die von der Bundesregierung angenommene Arbeitsdefinition der IHRA für Antisemitismus nennt als Beispiel,das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung’.

 

Diese Veranstaltungsreihe fällt unter diese Definition und sollte als das erkannt werden, was sie ist: antizionistisch und antisemitisch.” Einen Tag später berichtet die „Jüdische Allgemeine” über die antisemitischen Umtriebe an der Hochschule. Auf einer öffentlichen Watchlist der Amadeu-Antonio-Stiftung taucht die Veranstaltung als „antisemitischer Vorfall” auf. Verkehrung des Antisemitismus Das Einzige, was in all diesen Denunziationen nicht erwähnt wird, ist, dass es sich im Wesentlichen um eine innerjüdische Diskussion handelt.

 

Die Hochschule jedenfalls nimmt die Website des Projekts vorn Netz und streicht vorerst die Mittel. Ähnliche Beispiele lassen sich zu Dutzenden finden. Und es geht um keine Lappalie, sondern um den schärfsten Vorwurf, den man in Deutschland überhaupt erheben kann. Meistens haben die derart Diffamierten nicht einmal den Mut, den Angriff öffentlich zu machen. Das Schlimme ist, sie haben damit sogar meistens recht. Denn sie bekommen in der Regel für ihre Erwiderung kein Gehör, sondern zum Schaden den Spott. Kann es sein, dass in der Verkehrung und Vernebelung dessen, was Antisemitismus wirklich bedeutet, der eigentliche Sinn solcher Kampagnen liegt?

 

Ist es wirklich nur absurd, wenn sich Viktor Orban und Mateusz Morawiecki zu „den Juden von heute” erklären? Oder bedeutet es etwas? Schauen wir auf die wirkungsvollste antisemitische Kampagne det Gegenwart: Orban und zahllose seiner Anhänger sind davon überzeugt, dass der jüdische Weltverschwörer George Soros uns mit Muslimen überfluten will, um die christliche Identität Europas auszulöschen.

 

Auch der Attentäter von Halle denkt so und erklärt, zunächst hätte er eine Moschee angreifen wollen, dann aber doch gleich die wahren Drahtzieher in der Synagoge attackiert. Als das nicht klappte, zog er zum nächsten Dönerstand und schoss auf „Türken”. Die nationale Rechte in Europa, die sich in Liebe zu Israel überschlägt, hasst Juden, die so sind, wie sie sich »Juden” vorstellen — „vaterlandslos”, also kritisch gegenüber jedem Nationalismus. Wenn es gegen diese „vaterlandslosen Gesellen” geht, dann lässt man sich auch von der israelischen Regierung beraten.

 

Auch bei den Kampagnen gegen George Soros haben Netanjahu und seine Wahlkampfexperten unmittelbar mitgewirkt. BDS ist zu einem wohlfeilen Symbol geworden.

 

In der Auseinandersetzung um Israel und Palästina sind BDS wie Anti-BDS gegenseitige Kampfansagen zweier Bevölkerungen, die um die demographische Vorherrschaft über das gleiche Stück Land, die gleichen symbolischen Orte streiten. Jede Seite spricht der anderen die Legitimität ihrer Interessen ab. Während die israelische Regierung inzwischen allen Ernstes behauptet, der Obermufti von Jerusalem habe Hitler die Vernichtung der Juden eingeredet und alle Palästinenser pauschal als• „Antisemiten” denunziert, munitionieren sich Palästinenser mit der Behauptung, alle Israelis seien Rassisten, weil der Zionismus einrassistisches Projekt des europäischen Kolonialismus sei. Als Herausforderung Israels ist BDS eine gescheiterte Bewegung. Ihre zweifelhaften Wirkungen erzielt sie auf dem Feld des kulturellen und wissenschaftlichen Boykotts, vor allem aber in der Einschüchterung palästinensischer und arabischer Künstler und Wissenschaftler. Es gibt allerdings einen Unterschied. BDS ist eine Bewegung von NGOs, die in Deutschland mit zumeist zahnlosen Mitteln Veranstaltungen stört und ab und zu ein Festival unter Druck setzt.

 

Der vom Bundestag beschlossene „Kampf gegen BDS” in Deutschland ist hingegen eine machtvolle Geste des Staates. Paradoxerweise trifft er oft die gleichen Menschen, die auch die BDS-Kampagne trifft: kritische Juden, nicht zuletzt jüdische Israelis, die mit der „anderen Seite” reden wollen. Eines der ersten Opfer dieser Kampagnen, Verbote und Selbstzensur war die Veranstaltung einer bayrisch-evangelischen Akademie, in der sich Angehörige verschiedener israelisch-palästinensischer Dialoggruppen treffen wollten, darunter der ehemalige Präsident der Knesset, Avraham Burg, der inzwischen für einen binationalen Staat eintritt. Sie wurden wieder ausgeladen. Damit und mit anderen Einschüchterungen, Ausladungen und Verunglimpfungen hat der Kampf gegen BDS einen sehr viel wirkungsvolleren Boykott gegen Juden bewirkt, als es BDS selbst jemals hätte tun können.

 

Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems in Vorarlberg.