Wird Hizbullah wieder aktiv? – Die Ereignisse an der Dicle Universität

Demokratisches Türkeiforum (DTF) – 13. April 2013

Die Auseinandersetzungen unter Studenten an der Dicle Universität in Diyarbakir, die am 8. April 2013 begannen und drei Tage andauerten und bei denen es mehrere Verletzte gab, hat zu der bangen Frage geführt, ob die radikal islamische Organisation Hizbullah wieder aktiv wird. Verbunden damit wurde vermutet, dass Hizbullah vielleicht den Friedensprozess behindern wolle.

Was geschah an der Dicle Universität?

Aus den Tagesberichten der Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TIHV) vom 9. bis 11. April 2013 geht nur hervor, dass es unter Gruppen von Studenten verschiedener politischer Ausrichtung zu Auseinandersetzungen kam. In einer Meldung der Tageszeitung Radikal vom 10. April 2013 ist zu lesen, dass Studenten vom Jugendclub Weisheit (tr: Bilge Gençlik Kulübü) Plakate zu einer Konferenz über den Propheten Mohammed im Rahmen der Heiligen Geburtswoche (tr: Kutlu Doğum Haftası) aufhängen wollten.[1] Die Studenten aus den verschiedenen Lagern gingen mit Steinen und Stöcken aufeinander los. Am ersten Tag wurden dabei vier Personen, darunter ein Polizist verletzt. Obwohl die Polizei vom Boden und aus der Luft mit Gasbomben und Wasserkanonen eingriff, hielten die Auseinandersetzungen an.

Am zweiten Tag wurden drei Studenten verletzt. Die Rektorin der Universität, Prof Dr. Jale Saraç sagte: “Wir haben zu allen Gruppen die gleiche Distanz. Jede/r kann von seinem demokratischen Recht Gebrauch machen, darf aber niemand sonst daran hindern. Es kann keine Rede davon sein, dass eine Gruppe hier eine Vorherrschaft herstellt… Von den 27.500 StudentInnen sind es gerade mal 100 oder 200 StudentInnen, die gegen die Durchführung der Veranstaltung protestierten.”

Andere Medien berichteten, dass der Streit ausbrach, als die Studenten aus dem Jugendclub Weisheit (tr: Bilge Gençlik Kulübü) Parolen wie “nieder mit der PKK” riefen und darauf die Studenten reagierten, die mit der PKK und/oder der BDP sympathisieren. Die Studenten des Jugendclubs Weisheit stehen der Partei der freien Sache (tr: Hür Dava Partisi oder kurz: Hüda Par) nahe. In einer Erklärung von Hüda Par vom 8. April 2013 wird behauptet, dass die der PKK nahestehenden Studenten behauptet hätten, dass jegliche Aktivität von ihnen und nicht dem Rektorat kontrolliert werde. In gesonderten Presseerklärungen haben sich die Union der Gemeinschaften Kurdistans und Hüda Par gegenseitig bezichtigt, die Atmosphäre anzuheizen.[2]

Die Entstehungsgeschichte der Hüda Par

Die Hüda Par (die Partei der Freien Sache hat in dieser Abkürzung (im Kurdischen) die gleiche Bedeutung wie das arabische Wort “Hizbullah” nämlich “Partei von Allah”).[3] Nach einer Meldung bei memurlar.net vom 04.12.2012 stand die Gründung der Hüda Par als Fortführung des Vereins Mustazaf Der (der vollständige Name ist Mustazaflar ile Dayanışma Derneği, Verein der Solidarität mit den Unterdrückten) kurz bevor. Auf der Seite der Partei wird mit Datum vom 17. Dezember 2012 gemeldet, dass die Partei dem Innenministerium den Antrag auf Gründung der Partei übergeben habe.[4] Am 9. Januar 2013 wurde die Eröffnung des Hauptquartiers der Partei in Ankara gemeldet.[5]

Sowohl bei memurlar.net als auch in einem Artikel in Bianet vom 13.04.2013 (verfasst von Ismail Güney Yilmaz) wird darauf hingewiesen, dass der Vorläufer der Partei, der Verein Mustazaf Der, jedes Jahr in der Heiligen Geburtswoche Massen von Menschen mobilisieren konnte. Bei der Demonstration im Jahre 2006 sollen in Diyarbakir 150.000 auf die Straße gegangen sein.[6] Innerhalb kürzester Zeit wurden in Provinzen und Kreisstädten der Türkei Büros der Partei eröffnet, darunter:

  • Kayseri, Diyarbakir, Bingöl, Bursa am 31. Januar 2013
  • Izmir, Van, Urfa, Adana am 1. Februar 2013
  • Malatya am 8. Februar 2013
  • Elazig, Mersin am 13. und 14. Februar 2013

Der Verein Mustazaf Der

Nach der Meldung bei Bianet vom 13.04.2013 wurde der Verein der Solidarität mit den Unterdrückten (tr: Mustazaflar ile Dayanışma Derneği) im Jahre 2003 gegründet. Das Zentrum der Partei war in Diyarbakir, aber auch in İstanbul, Mersin, Konya und Adana wurden weitere Vereine gegründet, die für die versprengten Elemente des nach der Ermordung von Hüseyin Velioglu im Januar 2000 aufgelösten Basis der Hizbullah als Anlaufstelle galten. Nicht nur in Diyarbakır, sondern auch in Batman und Van wurden Demonstrationen mit Massenbeteiligung abgehalten.

Der Artikel in Bianet nennt als Datum des Verbots der Partei den 11. Mai 2012. Das scheint mit einer Meldung bei timeturk.com vom 11. Mai 2012 übereinzustimmen; an diesem Tag aber wurde das Verbot durch den Kassationshof bestätigt (siehe unten). Timeturk meldete, dass kriminelle Akte von Mitgliedern des Vereins der Grund für die Schließung gewesen seien. So habe 2007 ein Mehmet K., der als Mitglied der Hizbullah zu 10 Jahren Haft verurteilt worden war, zusammen mit seinem Bruder (Mitglied bei Mustazaf Der) und drei anderen Personen einen Menschen in Mardin entführt und seien in Adana gefasst worden. Aus den Vereinen in Konya und Adana seien 45 Mitglieder von Mustazaf Der im Zusammenhang mit Vorwürfen von Schmuggel verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft in Adana sei zu dem Schluss gekommen, dass Mustazaf Der im Zusammenhang mit Hizbullah stehe und den Vertrieb des Organs von Hizbullah, die Zeitschrift “Inzar”, organisiere. Ein entsprechendes Schreiben ging an die Staatsanwaltschaft in Diyarbakir, da der Verein dort seine Zentrale hatte.

Im Jahre 2010 habe die 2. Zivilkammer in Diyarbakır (2. Asliye Hukuk Mahkemesi) die Auflösung des Vereins beschlossen. Begründet wurde der Schritt damit, dass es das Ziel des Vereins sei, das Scheriat zu errichten. Die Auflösung des Vereins wurde mit dem Artikel 89 des Zivilgesetzes der Türkei begründet. In einer Stellungnahme des Vereins wurde gesagt, dass Mustazaf Der seit dem 11. September 2004 aktiv sei und sich für die sozialen, kulturellen und insbesondere für wirtschaftlich unterdrückte Menschen einsetze. Das Portal Haberturk meldete am 11. Mai 2012, dass der Kassationshof den Beschluss des Gerichts in Diyarbakir bestätigt habe. Der Wortlaut der Begründung war mehr oder weniger mit der Meldung bei Timeturk identisch.

Vorfälle mit Beteiligung von Mustazaf Der Mitgliedern

Neben den in der Begründung des Verbots genannten Ereignissen, an denen Mitglieder von Mustazaf Der beteiligt gewesen sein sollen, gab es im Jahre 2011 einige Ereignisse, die potentiell auf eine wieder aufkeimende Gewalt zwischen Anhängern der PKK und Hizbullah hindeuten könnten. So ist im Jahresbericht der Stiftung für Menschenrechte in der Türkei für das Jahr 2011[7] unter den Ereignissen um die Wahlen zum Parlament am 11. Juni 2011 auf der Seite 248 vermerkt, dass Mitglieder von Mustazaf Der Demonstranten in Adana angriffen, als diese am 20. April 2011 gegen den Ausschluss bestimmter Kandidaten des Blocks für Arbeit, Freiheit und Demokratie protestieren wollten. Dabei sollen sieben Personen verletzt und sechs Personen festgenommen worden sein.

Am 5. Mai 2011 kam es in der Kreisstadt Yüksekova (Provinz Hakkari) zu einer Auseinandersetzung zwischen Teilnehmern eines Protestes gegen die Ermordung von 7 Militanten der PKK in der Provinz Tunceli und Mitgliedern von Mustazaf Der. Aufgrund der Schüsse einer unbekannten Person, fiel das Mitglied von Mustazaf Der Ubeyd Turna (30) von einem Balkon und starb.[8] Nach der Meldung in Radikal vom 6. Mai 2011 kam es bei der Beerdigung von Übeydullah Durna erneut zu Auseinanderetzung zwischen 300 Personen, die an der Beerdigung teilnehmen wollten und Personen, die dagegen protestieren wollten. Es wurden Steine und Stöcke eingesetzt und die Polizei setzte Tränengas ein und schoss in die Luft.

Im Verlauf der Ereignisse wurde das Büro der AKP in Brand gesetzt. Zwei Personen mussten wegen ihrer Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. In Diyarbakir wurde eine Pressekonferenz abgehalten, auf der im Namen von 44 Organisationen der zivilen Gesellschaft zur Vernunft aufgerufen wurde. Die Erklärung wurden von dem Mitglied bei Mazlum-Der, Nurettin Bozkurt verlesen. Darin wurde gegen die Ermordung von Ubeydullah Duran durch einen unerkannten Täter protestiert und die Seiten aufgerufen, an der Aufklärung des Vorfalls aktiv mitzuarbeiten. Die Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) nannte den Vorfall eine Provokation und wandte sich mit folgenden Worten an den Verein Mustzaf Der: “Als kurdische Freiheitsbewegung haben wir uns bisher bemüht, dass es nicht zu Problemen mit dem Verein kommt. Wir haben auch nicht die Absicht, uns dagegen zu richten und finden dies gefährlich.”

Kommentare zu Hüda Par

Nach den Ereignissen an der Dicle Universität in Diyarbakir haben mehrere Kolumnisten Kommentare zu der Bedeutung von Hüda Par abgegeben. Einige Journalisten haben versucht, anhand von Gesprächen mit verschiedenen Seiten zu einer Einschätzung zu kommen. Einer von ihnen ist der Experte in Bezug auf islamische Organisationen, Ruşen Çakır. Er schrieb in haberdiyarbakir,com vom 12.04.2013 u.a.:

“Zusammen mit dem Fotografen İlker Akgüngör haben wir uns gestern mit Verantwortlichen von Hüda-Par und BDP unterhalten. Daneben haben wir mit Initiativen wie Mazlum-Der, Özgür-Der und Azadi gesprochen. Sie sind bemüht, dass sich die Konflikte nicht ausweiten. Aus diesen Gesprächen geht hervor:

  1.   1.            Man kann nicht sagen, dass die Vorfälle an der Dicle Universität geplant waren.
  2.   2.            Die Frage “bricht erneut ein Krieg zwischen der PKK und Hizbullah aus?” ist berechtigt, denn sie haben noch Rechnungen offen.
  3.   3.            Die der PKK nahestehenden Kreise wollen Hizbullah nicht als legitime gesellschaftliche und politische Kraft anerkennen.
  4.   4.            Es gibt Behauptungen, dass Hizbullah unter dem Einfluss des Iran stehe und den Friedensprozess sabotieren möchte. Dabei haben die Kreise um Hizbullah von Anfang an klar gemacht, dass sie diesen Prozess unterstützen. Sie wollen aber Gesprächspartner sein.

“In der Zentrale von Hüda Par in Diyarbakır sprachen wir mit dem Vorsitzenden Hüseyin Yılmaz und anderen Vertretern der Partei. Sie bezeichnen sich auch als “Mustazaflar” und halten jeweils die Gegenseite für die Vorfälle (auch an der Universität) verantwortlich. Sie wollen aber in keinem Fall, dass es erneut zu Zusammenstößen wie in den 1990er Jahren kommt. Dazu müsse es auf der oberen Ebene zu einer Einigung kommen. Die BDP alleine verfüge nicht über ausreichende/n Willen/sstärke.

Ein englischer Artikel von Sibel Utlu Bila war in al-monitor.com vom 07.04.2013 erschienen. Er befasste sich mit den Zielen der neu gegründeten Hüda Par. Sie schrieb u.a.:

“Zwischen Hizbullah und der PKK wurde formal nie Frieden geschlossen. Nun meldet sich nach der BDP und der AKP eine dritte Partei, die im Namen der Kurden gehört werden will: die im Dezember gegründete Partei (Free Cause Party) mit der Abkürzung “Hüda-Par” als Partei Gottes). Die Leiter der Partei stehen mit Hamas und den Muslimbrüdern in Verbindung. Der Vorsitzende Hüseyin Yilmaz und sein Stellvertreter Bahattin Temel geben Frauen nicht die Hand, geben aber bereitwillig Auskunft. Die Partei setzt sich für Freiheiten und Selbstverwaltung der Kurden ein, ebenso wie es das Duo PKK-BDP tut. Yilmaz kritisiert, dass die PKK bei den Friedensgesprächen als Alleinvertreter der Kurden angesehen wird. Seine Partei sei gegen Gewalt, aber man könne den Friedensprozess nicht darauf beschränken, dass die PKK die Waffen niederlegt.

“Hizbullah hat seit 2002 zwar keine bewaffneten Aktionen mehr durchgeführt, aber auch nie offiziell auf Waffen verzichtet. Die Kämpfe mit der PKK haben in den 1990er Jahren 700 Menschen das Leben gekostet. Von Seiten der BDP verlautete (in Person des Vorsitzenden der BDP für die Provinz Diyarbakir, Mehmet Emin Yilmaz), dass es wegen der Massaker in der Vergangenheit erst Selbstkritik geben müsse, bevor die neue Partei wirklich anerkannt werden könne.”

Ezgi Başaran macht in Radikal vom 11.04.2013 auf den erfolglosen Versuch der Hüda Par aufmerksam, auf dem gleichen Platz, an dem das Newroz Fest im Stadtteil Bağlar die Heilige Geburtswoche zu begehen. Nachdem ihr Antrag vor 10 Tagen abgelehnt wurde, wurde die Woche dann an einem anderen Ort gefeiert. An der Universität aber kam es zu Zusammenstößen, an denen auch Personen von außerhalb der Universität beteiligt waren. Ein namentlich nicht genannter Unternehmer macht auf eine aktuelle Angst aufmerksam: “Der Rückzug der PKK wird wohl keine Probleme bereiten. Damit findet die Hizbullah aber wieder Raum in den Städten. Das eigentliche Problem also wird sein, wie wir den Friedensprozess den jungen Leuten erklären.”

Strafrechtliche Verfolgung

Nach einer Meldung in Radikal vom 14.04.2013 wurden bei den Vorfällen an der Universität Dicle 61 Personen festgenommen. Von ihnen wurden 40 nach einer Aussage bei der Staatsanwaltschaft freigelassen. Von den verbliebenen 21 Personen kamen 11 am 14. April 2013 frei. Insgesamt 10 Studenten wurden von der Staatsanwaltschaft zu einem Haftrichter geschickt. Das Gericht ordnete Haftbefehl gegen 8 von ihnen an. Sie sollen beiden Gruppen angehören. Ihnen wird Sachbeschädigung, Gewalt gegen die Sicherheitskräfte und Mitgliedschaft in einer (illegalen) Organisation zur Last gelegt.



[1]Die Heilige Geburtswoche (Kutlu Doğum Haftası) bezieht sich auf ein Datum, an dem der Prophet geboren worden sein soll. Nach Auskunft des Präsidiums für Religionsangelegenheiten soll dies im Jahre 2013 die Woche zwischen dem 14. und 20. April 2013 sein.

[2]Die Erklärung von Hüda Par im türkischen Wortlaut und die Erklärung von KCK im türkischen Wortlaut.

[3]Die deutsche Wikipedia macht zu der Partei bisher keine Angaben. Die englische Wikipedia übersetzt den Namen mit Free Cause Party und die türkische Wikipedia zu Hüda Par beinhaltet auch nur dürftige Informationen.

[4]Zum Wortlaut der Meldung (türkisch)

[5]Zum Wortlaut der Meldung (türkisch). Als Adresse des Hauptquartiers wird Ehl-i Beyt Mah. Ceyhun Atıf Kansu Cad. Nehir Apt. No : 117-5 Balgat – Ankara angegeben.

[6]Entsprechende Fotos und Filme können auf Youtube gefunden werden. wie zum Beispiel ein Film zur Gründung der Partei (Dezember 2012) oder ein mit Musik unterlegter Propagandafilm der Partei (5 Minuten)

[7]Der komplette Bericht in türkischer Sprache kann auf den türkischen Seiten des DTF herunter geladen werden.

[8]Vergleiche Seite 30 des 2011 Jahresberichts der TIHV oder eine Meldung in Radikal vom 6. Mai 2011, in der der Name als Übeydullah Durna angegeben ist.