WAFFENLIEFERUNGEN ? : Masse statt Klasse – die Kurden sind enttäuscht

2-9-2014 – Badische Zeitung – Viel wird über die Waffenlieferungen in den Nord-Irak diskutiert. Doch mit dem Material aus Deutschland und anderen westlichen Staaten wird die Peschmerga den IS nicht besiegen können.

Kurdische Politiker bedanken sich dieser Tage artig für die angekündigten – und teilweise bereits eingetroffenen – Waffenlieferungen aus zahlreichen westlichen Staaten. “Wir sind Europa und Amerika zu großem Dank verpflichtet”, zitieren kurdische Nachrichtenportale Repräsentanten der Autonomieregierung in Erbil. Tatsächlich ist man in der Hauptstadt des irakischen Kurdistans enttäuscht, ohne dies laut zu sagen. Spürbare Hilfe, heißt es, leiste nur die US-Luftwaffe.

Ohne ihre massive Unterstützung hätten kurdische Peschmergas aus dem Nord-Irak, der Türkei und Syrien die Angriffe der dschihadistischen Terrormilizen niemals zurückschlagen können. Insgesamt gibt es rund 130 000 Kämpfer. 100 000 bilden den militärischen Arm, die weiteren 30 000 sind eine dem irakischen Innenministerium unterstellte Polizeitruppe. Der militärische Teil befindet sich derzeit in einem Umbau: Erst ein Drittel wurde bisher vom Peschmerga-Ministerium in Brigaden organisiert. Der Rest unterteilt sich nach wie vor in von Parteien kontrollierte Guerilla-Einheiten.

Mit Sorge blicken kurdische Journalisten auf den “Tag X”, an dem die Peschmergas sich ohne die US-Luftwaffe gegen den Islamischen Staat (IS) behaupten muss. Derzeit steht der IS nur 60 Kilometer vor Erbil. “Mit den aus Deutschland, Frankreich und Amerika gelieferten Kriegsgerät werden wir dann erneut auf verlorenem Posten stehen”, befürchtet ein Mitarbeiter der Agentur Basnews: “Um die Terroristen zu besiegen, brauchen wir schwerere Waffen”, fordert er, “nicht Masse, sondern Klasse”. Die Dschihadisten dagegen hatten nach der Kapitulation der irakischen Armee in Mossul Hunderte von gepanzerten Humvee-Fahrzeugen und sogar Kampfpanzer vom Typ M1 Abrams erbeutet. Zum Waffenarsenal des IS gehören auch Haubitzen aus der Ukraine und Serbien, hochmoderne Scharfschützengewehre sowie panzerbrechende Raketen aus den USA, deren Lieferung von Geschäftsleuten in Katar und Dubai finanziert wurde.

Deutschland, betont ein regierungsnaher kurdischer Beobachter verbittert, habe sich “nach langem Ringen zur Bereitstellung von Restbeständen entschlossen”. Wirklich brauchbar seien lediglich fünf gepanzerte Dingo-Fahrzeuge. Ob die bis zu 40 Jahre lang eingemotteten Milan-Raketen, die jetzt in “überschaubarer Stückzahl” geliefert werden sollen, noch ihren Zweck erfüllen, müsse abgewartet werden. Gleiches gelte für die G-3-Sturmgewehre, mit denen nur jeder zehnte Peschmerga ausgerüstet werden könne.

Zwölf Staaten haben sich bislang zu Waffen- und Munitionslieferungen an die Kurden bereit erklärt. Koordiniert wird die Hilfe vom US Central Command in Florida. Offizieller Empfänger der Waffen ist die Zentralregierung in Bagdad, die die Waffen inspizieren muss, ehe sie nach Kurdistan liefert werden. Allerdings hat der designierte Ministerpräsident al-Abadi weiter große Schwierigkeiten bei der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Zur Verunsicherung im irakischen Kurdistan tragen außerdem die Warnungen von Außenminister Walter Steinmeier (SPD) vor der Gründung eines selbstständigen Kurdistans bei. Die meisten Kurden glauben allerdings, ein solcher Staat wäre ein Garant für Stabilität in einer ansonsten unruhigen Region. http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/ausland/masse-statt-klasse-die-kurden-sind-enttaeuscht–89384091.html