WADI – Presseerklärung – Zur aktuellen Lage im Sinjar: Eine Tragödie unfassbaren Ausmaßes, die sich vor aller Augen abspielt

Presseerklärung von Wadi e.V., 06.08.2014 – Die Bundesregierung ist aufgefordert, umgehend alle nötigen Maßnahmen zur Rettung der bedrohten Jesiden und anderer minoritärer Volksgruppen wie der Christen, Shabak und Turkmenen einzuleiten, sowie die kurdische Regionalregierung angemessen und praktisch in ihrem Kampf gegen den Terror zu unterstützen. In Sinjar spielt sich derzeit eine Tragödie unfassbaren Ausmaßes vor den Augen einer bisher nahezu untätigen Weltöffentlichkeit ab.

Die Terrororganisation Islamischer Staat / ISIS hat die Region im Nordosten des Irak eingenommen, praktisch alle Einwohner sind geflohen oder bereits ermordet. Sinjar ist Heimat der Religionsgruppe der Jesiden, die unter Muslimen fälschlicherweise als „Teufelsanbeter“ verschrieen sind. Die Terroristen lassen ihnen höchstens die Wahl zwischen Konversion und Tod. Wie Slemani Times berichtet, sind bereits 2600 Männer hingerichtet worden. Kurdpress meldet 500 verschleppte Frauen.

Zehntausende Bewohner sind überstürzt in Autokonvois geflohen, weitere Zehntausende haben sich zu Fuß in die nahe gelegenen Berge aufgemacht, wo sie an den baumlosen Hängen ohne Wasser und Nahrung, der sengenden Sonne bei 40 Grad schutzlos ausgeliefert, ausharren. Es gibt bereits Berichte von zahlreichen Toten. Vor allem Kinder und ältere Menschen fallen den extremen Umständen als erste zum Opfer.

Die Jihadisten haben die Bergkette umzingelt. Einige kurdische Peschmerga-Einheiten konnten sich den Weg zu den Eingeschlossenen bahnen und versuchen nun, sie vor ihren Häschern zu schützen. Ihre Zahl ist aber nicht ausreichend, um wirklich Sicherheit zu gewährleisten.

Hubschrauber der irakischen Luftwaffe haben mehrfach Wasser und Lebensmittel über dem Gebiet abgeworfen. Diese Hilfe kam aber bisher kaum an. Die Hubschrauber mussten aus Furcht vor Boden-Luft-Raketen in großer Höhe fliegen, weshalb die meisten Hilfsgüter am Boden zerschellten. Zudem waren die Eingeschlossenen aus dieser Höhe schlecht zu lokalisieren.

Gegenwärtig findet ein koordinierter Vorstoß irakisch-kurdischer Peschmerga, syrisch-kurdischer YPG-Milizen sowie irakischer Truppen in das Gebiet statt. Dennoch sind die Kräfteverhältnisse nicht so, dass von einer unmittelbar bevorstehenden Befreiung der Eingeschlossenen ausgegangen werden kann. Die Kämpfe könnten sich wochenlang hinziehen, und nicht einmal ihr Ausgang ist gewiss.

Sofern internationale Hilfe ausbleibt, droht Zehntausenden Jesiden ein qualvoller Tod in den Sinjar-Bergen. Die Hilfe muss umgehend erfolgen, denn das Sterben hat bereits begonnen. Die Eingeschlossenen brauchen sofort Hilfe aus der Luft, und die Peschmergas brauchen bessere Waffen, um den Terroristen gewachsen zu sein.

Das Auswärtige Amt hat kürzlich eine eilige Anfrage der kurdischen Regionalregierung nach Lieferung militärischer Ausrüstung zurückgewiesen mit dem Hinweis, die Parteien in Bagdad sollten sich vielmehr auf die Bildung einer Regierung unter Beteiligung aller ethnischen und religiösen Gruppen verständigen. Angesichts der eskalierenden Lage und der sich daraus ergebenden Dringlichkeit erscheint diese Haltung fragwürdig. Zumal das Auswärtige Amt offenbar keine Bedenken gegen umfangreiche Waffenlieferungen an die größten Sponsoren der ISIS hat: Katar stand 2013 mit 673 Mio. Euro 2013 an zweiter und Saudi Arabien mit 361 Mio. Euro and vierter Stelle deutscher Waffenexporte.Wir fordern die deutsche Bundesregierung auf, umgehend Maßnahmen zur Rettung der bedrohten Jesiden und anderer minoritärer Volksgruppen wie der Christen, Shabak und Turkmenen einzuleiten, sowie die kurdische Regionalregierung angemessen und praktisch in ihrem Kampf gegen den Terror zu unterstützen.

Arvid Vormann für den Vorstand

wadi e. V. • Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit