Vom Islam lernen heißt siegen lernen In jeder Religion gibt es Fanatiker, aber in keiner anderen wird dermaßen hartnäckig darauf bestanden, dass sie nichts mit der Religion zu tun haben, auf die sie sich berufen. Eine Polemik. Von Henryk M. Broder
MESOP : „Es mutet seltsam an, daß noch niemand auf die Idee gekommen ist, zwischen Kapital und Kapitalismus zu unterscheiden, um damit die Ehre des Kapitals zu retten.“
Idee und Wirklichkeit gehören zusammen – im Sozialismus und im Islam
Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft war die zweitgrößte Massenorganisation der DDR. Sie zählte etwa sechs Millionen Mitglieder. Nur der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund war noch mächtiger.
Die DSF veranstaltete Wochen der deutsch-sowjetischen Freundschaft, Studienreisen in die Sowjetunion und Russischkurse; sie verlieh Ehrennadeln an besonders verdiente Mitglieder und organisierte Brieffreundschaften zwischen deutschen und sowjetischen Jugendlichen. Anfang der 50er-Jahre gab die DSF die Parole heraus: “Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen!” Die DSF ist seit 25 Jahren Geschichte. Aber ihr Geist schwebt immer noch über dem Land; nur geht es heute nicht um die organisierte Freundschaft zwischen zwei Völkern, sondern um das Verhältnis zwischen zwei Kulturen, von denen die eine aggressiv und die andere defensiv ist. Wobei sich die aggressive Kultur als Opfer der defensiven versteht und die defensive Kultur alle möglichen Verrenkungen unternimmt, um nicht als aggressiv wahrgenommen zu werden.
Guter Islam, schlechter Islamismus?
Nach dem Anschlag auf die Redaktion von “Charlie Hebdo” war in allen Berichten nicht nur von den Toten die Rede, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, sondern von der Pflicht der Mehrheitsgesellschaft, den Anstand zu bewahren. Sigmar Gabriel warnte noch am Tag des Blutbades davor, einen solchen Gewaltakt “zu missbrauchen”, um “alle Muslime zu Gewalttätern oder Islamisten zu erklären”, was niemand getan hatte, weder in Deutschland noch in Frankreich. Was in Frankreich passiert sei, so der SPD-Chef, habe “nichts mit dem Islam” zu tun, sondern “ich würd’ sagen, mit Mordlüsternheit und Terrorismus”.
Wer jetzt “Muslime unter Generalverdacht” stelle, so Justizminister Heiko Maas, der wolle “nur die Gesellschaft spalten und Hass säen”. Am Ende des Tages wusste man nicht, mit wem man mehr Mitleid empfinden sollte, mit den Opfern des Anschlags oder der immer wieder beschworenen “friedlichen Mehrheit der Muslime”, die es nicht verdient habe, unter einen “Generalverdacht” gestellt zu werden.
Innenminister Thomas de Maizière war das noch nicht genug. Er forderte YouTube auf, einen 42 Sekunden langen Videoclip zu löschen, in dem unter anderem zu sehen ist, wie einer der beiden Terroristen einen verletzt am Boden liegenden Polizisten durch einen gezielten Kopfschuss exekutiert. Man könne “vieles auf YouTube sehen”, so de Maizière, aber “nicht alles, was jetzt irgendwie dort bisher eingestellt ist, sollte dort bleiben”.
So eine Aussage zeugt nicht nur von dem Wunsch, das Geschehene ungeschehen zu machen, sondern auch von einer katastrophalen Unkenntnis der Materie. So, wie man vergossene Milch nicht wieder zurück in die Flasche zaubern kann, so kann man einen Videoclip, der im Netz seine Runden dreht, nicht einfach par ordre du mufti löschen. Ein Minister, der für die innere Sicherheit zuständig ist, sollte das eigentlich wissen.
Der Realsozialismus war eine einzige Pleite
Zurück zum Anfang. Es gibt erstaunliche Parallelen zwischen den Bemühungen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die Zustände in der Sowjetunion ins Märchenhafte zu verklären, und der mittlerweile weitverbreiteten Übung, den Islam einzig als eine “Religion des Friedens” verstehen zu wollen. Beides funktioniert mit dem gleichen Trick.
Die Miss- und Vetternwirtschaft in der SU hatte nichts mit dem Sozialismus zu tun. Es gab keine Armut, keine Arbeitslosigkeit, keine Korruption und keine Kriminalität, von den Dissidenten und anderen “negativen Elementen” mal abgesehen. Der Sozialismus war ein Paradies auf Erden, ein Garant für individuelles und kollektives Wohlergehen.
Blöd waren nur diejenigen, die sich an dem Projekt nicht beteiligen wollten. Fakt ist: Der Sozialismus war überall dort eine tolerante Weltanschauung, die mit anderen Weltanschauungen friedlich koexistierte, wo er nicht an der Macht war. Allerdings war es überall dort, wo er das Sagen hatte, mit der Friedlichkeit und der Toleranz schnell vorbei.
So ähnlich verhält es sich auch mit dem Islam. Al-Qaida, Boko Haram, der Islamische Staat und die Taliban haben mit dem Islam nichts zu tun. Das Regime der Ajatollahs hat mit dem Islam nichts zu tun. Die blutigen Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten haben mit dem Islam nichts zu tun. Wenn in Saudi-Arabien Gotteslästerer ausgepeitscht und Ehebrecherinnen gesteinigt werden, hat das mit dem Islam nichts zu tun.
Guter Kapitalist, böser Kapitalismus?
Die Attentäter von “9/11” hatten mit dem Islam nichts zu tun. Auch das, was in London, Madrid, Mumbai, Bali, Boston, Sydney, Brüssel und Toulouse geschah, hatte mit dem Islam nichts zu tun. Denn Islam meint “Frieden”, und Dschihad, so hören wir es immer wieder, bedeutet nicht “Heiliger Krieg”, sondern “innere Anstrengung”, wozu auch immer. In jeder Religion gibt es Fanatiker, aber in keiner anderen wird dermaßen hartnäckig darauf bestanden, dass sie nichts mit der Religion zu tun haben, auf die sie sich berufen.
Die Unterscheidung zwischen dem guten Islam und dem bösen Islamismus ist, nüchtern betrachtet, so willkürlich wie die zwischen dem Sozialismus an sich und dem real existierenden Sozialismus. Inzwischen wird sogar noch weiter differenziert. Es gibt auch “moderate”, “streng gläubige” und “fanatische” Islamisten. Allein diese Nuancierung zeigt, dass der Islamismus nicht das Gegenteil vom Islam ist, sondern eine seiner Spielarten.
Es mutet seltsam an, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, zwischen Kapital und Kapitalismus zu unterscheiden, um damit die Ehre des Kapitals zu retten und alle negativen Begleiterscheinungen dem Kapitalismus in die Schuhe zu schieben. Es gäbe dafür eine Menge guter Belege. Hatten die Fugger nicht ein Herz für die Armen und Bedürftigen? Haben die Krupps nicht eine der ersten Arbeitersiedlungen gebaut? Sorgt Wolfgang Grupp (Trigema) nicht rührend für seine Mitarbeiter?
Wir sehen: Das Kapital ist gut, der Kapitalismus ist böse. Diese Botschaft müsste nur richtig kommuniziert werden. Wie wäre es mit der Parole “Vom Islam lernen heißt siegen lernen!”?