Verklärte Kurden / Von Richard Herzinger (DIE WELT)
20 Aug 2015 – Während die Türkei zu Recht heftig kritisiert wird, gilt der Terror der PKK hierzulande vielen als lässliche Sünde. Doch an den wirklichen Anliegen der Kurden geht diese Haltung vorbei.
Die dramatischen Entwicklungen im Nahen Osten haben die Kurden in den Mittelpunkt der Weltpolitik katapultiert. Die Kämpfer vor allem des kurdischen Autonomiegebiets im Irak, aber auch Verbände der syrischen Kurden tragen in erheblichem Maße die Last des Widerstands gegen die Ausbreitung der islamistischen Horrormiliz IS. Ein Teil von diesem ist jedoch auch eine bewaffnete Organisation, die auf der Terrorliste der US-Regierung steht und wegen ihrer früheren gewalttätigen Umtriebe auf deutschem Boden auch in der Bundesrepublik verboten ist: die türkische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Dass die Stellungen dieser Truppe im Nordirak nun seit einigen Wochen von der türkischen Luftwaffe bombardiert werden, hat in der hiesigen Öffentlichkeit zu massiven Irritationen geführt und verwirrt die ohnehin undurchsichtige Lage in der Region zusätzlich. Denn wenn die Kurden als unverzichtbare Verbündete im Kampf gegen die IS-Barbarei zu betrachten sind, wie kann die Türkei (Link: http://www.welt.de/themen/tuerkei-reisen/) es rechtfertigen, durch Angriffe auf eine ihrer Fraktionen deren Kampfkraft zu schwächen? Und wieso nimmt der Westen das hin?
Dabei steht außer Frage: Die scharfe Kritik an der Politik des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan aus den verschiedensten Richtungen des politischen Spektrums ist zum Großteil berechtigt. Erdogan nutzt die gegenwärtige Krise zu einem schändlichen Spiel. Er instrumentalisiert die Kurdenfrage, um innenpolitische Gegner zu desavouieren und auszuschalten und so seinen Plan einer faktischen Präsidialdiktatur umsetzen zu können. Unter seiner autokratischen Führung schreitet die Islamisierung und Gleichschaltung der Türkei beängstigend voran. Er ist zudem ein Heuchler, wenn er den Terrorismus der PKK anprangert, sich aus Israelhass sowie im Zuge seines Traums, das Osmanische Reich wiederzubeleben, aber zum Schutzherren der terroristischen Hamas in Palästina aufschwingt. Sein Engagement gegen die Horrortruppe IS ist, ungeachtet des jüngst verstärkten türkischen Vorgehens gegen sie, halbherzig, sein Verhältnis zu ihr bleibt ambivalent.
All das und mehr ist diesem gefährlichen Mann und seinem Regime mit vollem Recht vorzuwerfen. Eines aber bleibt ebenso wahr: Die PKK ist eine mörderische, totalitäre Terrororganisation, die tief in den Drogen- und Menschenhandel verstrickt ist. Der türkische Staat hat, unabhängig von seiner jeweiligen Regierung, nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, dieser Gefahr auch mit Gewalt zu begegnen. Es war die PKK, die damit begann, türkische Polizisten und Soldaten zu ermorden, weil sie Erdogan für den IS-Terroranschlag gegen kurdische Flüchtlinge auf türkischem Boden vor einigen Wochen verantwortlich machte.
In der deutschen öffentlichen Meinung gibt es jedoch eine starke Tendenz, diese Zusammenhänge zu verwischen. In Berichten wird die PKK immer wieder mit “den Kurden” gleichgesetzt, und die Aufkündigung des Waffenstillstands mit der PKK durch die türkische Regierung somit als Ende des Dialogs mit den Kurden insgesamt interpretiert. Das spielt ungewollt Erdogan in die Hände, der mit dem Verweis auf die Terroristen zu gerne berechtigte Autonomieforderungen der kurdischen Bevölkerung insgesamt diskreditieren möchte.
Doch ein Weltbild, das in der Türkei nur den blindwütigen Aggressor sieht und die Kurden zu politischen Heilsbringern verklärt, beruht auf romantischen Projektionen. Tatsächlich bilden “die Kurden” alles andere als eine einheitliche Nationalität, sondern spalten sich in verschiedene Volksgruppen in mehreren Staaten auf, die zum Teil wenig miteinander verbindet. Weder religiös noch politisch bilden sie eine Einheit, und ihre verschiedenen Fraktionen sind zum Teil heftig miteinander verfeindet. Auch davon, dass die Kurden als Ganzes den “Säkularismus” repräsentierten, kann keine Rede sein. Ein einheitlicher Gesamtstaat, der den Kurden bei der Aufteilung der Region nach dem Ersten Weltkrieg verweigert wurde, ist mittlerweile keine reale Option mehr. Die Autonome Region Kurdistan im Irak unter ihrem Präsidenten Barsani unterhält gute Beziehungen zur Türkei und wird von dieser im Kampf gegen den IS unter der Hand sogar mit Waffen versorgt. Barsani verurteilt zwar die türkischen Angriffe, zumal diese keineswegs nur PKK-Aktivisten treffen. Doch wäre es durchaus in seinem Sinne, würde die PKK von seinem Territorium verschwinden und die innerhalb des irakischen Gesamtstaats vorbildliche Stabilität des kurdischen Autonomiegebildes nicht länger gefährden.
Die in den 70er-Jahren von dem inzwischen inhaftierten Abdullah Öcalan als marxistisch-leninistische Kaderorganisation gegründete PKK pflegt einen mystischen Führer- und Märtyrerkult, zu dessen grausigsten Ausformungen neben Selbstmordattentaten die Selbstverbrennung von Aktivisten gehört. Zwar wird oft betont, dass die PKK Frauenrechten einen hohen Rang beimesse, doch bezieht sich dies vor allem auf das “Recht” auch weiblicher Mitglieder, für die Partei ihr Leben zu opfern. Tausende Mitglieder der PKK wurden von ihr als vermeintliche “Verräter” liquidiert. Überhaupt waren die meisten Opfer ihrer terroristischen Geschichte selbst Kurden. Denn mit der Liquidation örtlicher Amtsträger in den türkischen Kurdengebieten als “Kollaborateure” wollte die Truppe ihre Idee eines großkurdischen Nationalismus gewaltsam durchsetzen.
Dass sich die PKK heute in vermeintlich gemäßigtere Gruppierungen unter anderen Namen aufschlüsselt, heißt nicht, dass sie sich grundsätzlich geändert hätte. Besonders vonseiten der Linkspartei lebt derzeit rund um die kurdische Sache jedoch jener alte “antiimperialistische” Mythos wieder auf, in dem der Terror von Gruppierungen wie der PKK allenfalls als lässliche Sünde und Ausdruck von Gegenwehr der “unterdrückten Völker” erscheint. In den Kurdengebieten blüht indessen ein veritabler westlicher Revolutionstourismus. Dass die Linken eifrig gegen die aggressive Türkei wettern, den Autoritarismus und Militarismus Russlands jedoch verteidigen, hat einen durchsichtigen Grund: Die Türkei ist in der Nato, und die soll als Erzübel zerstört werden.
Die Idealisierung der Kurden greift aber auch über dieses Milieu hinaus. Es drückt sich darin der Wunsch aus, es möge im blutigen Chaos des Nahen Ostens wenigstens eine darin verwickelte Kraft geben, der wir uns vorbehaltlos zugetan fühlen können. Doch hilft eine derartige Überhöhung weder dem Anliegen der Kurden noch dem Kampf um demokratische Freiheiten in der Türkei. http://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article145411918/Verklaerte-Kurden.html