VERBOT DER FRAUENBESCHNEIDUNG „SEXISTISCH“

Mohamed Kandeel: Mediziner will Vaginal-Beschneidung legalisieren / DIE WELT 14.11.2012

In westlichen Ländern gilt die Beschneidung von Frauen als archaisch und grausam. Ein namhafter ägyptischer Gynäkologe hingegen fordert, die Praxis weltweit zu erlauben. Von Cigdem Toprak

Die Weltgesundheitsorganisation WHO verurteilt die Beschneidung von Frauen und Mädchen als eine Verletzung der Menschenrechte, offiziell ruft sie alle Mediziner auf, den Eingriff nicht durchzuführen. 2008 verabschiedete die WHO eine Resolution zur Abschaffung der Praxis.

Mohamed Kandeel ist Mitglied der Genfer Stiftung für Medizinische Ausbildung und Forschung (gfmer) , die eng mit der WHO zusammenarbeitet. Mit der weiblichen Beschneidung hat der Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität in Menofiya, Ägypten, aber kein Problem. Im Gegenteil: In einem auf der Medizin- und Biologie-Plattform F1000 veröffentlichten Artikel stellt Kandeel die Schädlichkeit der Beschneidung infrage und fordert die weltweite Legalisierung der Praxis. Sofern die Beschneidungen durch erfahrenes Personal und unter Betäubung vorgenommen würden, seien Nachteile nicht erwiesen, so Kandeel. Eine weibliche Beschneidung des Types I sei gleichwertig wie die Beschneidung, die bei Jungen vorgenommen wird. Beim Typ I wird teilweise oder vollständig der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut entfernt.

Verbot weiblicher Verstümmelung “sexistisch”

“Das Verbot der weiblichen Genitalbeschneidung scheint geschlechtsbezogen zu sein, insbesondere weil kein ähnliches Handeln gegen männliche Beschneidung vorgenommen wurde.” Gegner weiblicher Genitalverstümmelung, welche die männliche Beschneidung als sicher betrachten, sollten sich für die Verbesserung der Bedingungen für eine weibliche Beschneidung aussprechen, statt ein Verbot durchzusetzen, schreibt Kandeel in seinem Artikel. Die schweren psychischen Folgen einer Beschneidung relativiert der Professor so: Minderwertigkeitsgefühle seien “offenkundig, wenn diese Frauen in westliche Gesellschaften auswandern, in denen die weibliche Beschneidung nicht praktiziert wird.” Diese psychologische Last entstehe durch die Verurteilung westlicher Gesellschaften der weiblichen Beschneidung als abnormal.

Der Islam soll weibliche Beschneidung vorsehen

Im Islam sei eine weibliche Beschneidung des Types I vorgesehen. Da die muslimische Bevölkerung die zweitgrößte der Welt sei, “scheint es logisch, eine juristische Haltung gegenüber weiblicher Beschneidung erneut zu bedenken”, so Kandeel.

Die Schmerzen und Schwierigkeiten, die aus einer weiblichen Genitalbeschneidung resultieren, förderten Stärke und die Identität der Frauen und machten sie “stark” und “begehrenswert”.Nach Informationen der Kinderrechtsorganisation TaskForce, die sich für die Prävention weiblicher Genitalverstümmelung einsetzt, ist Kandeel seit der Veröffentlichung seines Textes über Beschneidung aus der Mitglieder- und Publizistenliste der gmfer entfernt worden. Tatsächlich ist sein Name auf der Internetseite der Stiftung unter “members” nicht mehr zu finden. Die Stiftung konnte zu einer Stellungnahme nicht erreicht werden.

Terre des Femmes warnte bereits vor Wochen

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes e.V. Deutschland reagierte umgehend auf die Forderung Kandeels. “Wir protestieren gegen jeglichen Versuch, den Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Kindern zu schwächen”, sagte die Vorstandsvorsitzende Irmingard Schewe-Gerigk. Die Organisation warnte bereits vor Wochen in einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur männlichen Beschneidung: Die Legalisierung männlicher Beschneidung könne zu Forderungen nach einer Legalisierung weiblicher Genitalverstümmelung auf Grundlage des Gleichheitsgrundsatzes führen.

 “Die Reaktion des ägyptischen Arztes zeigt, dass der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Beschneidung bei Jungen die Befürworter der weiblichen Genitalverstümmelung ermutigt, eine Legalisierung weiblicher Beschneidung zu fordern, mit dem Argument, dass die Jungenbeschneidung straffrei bleibt”, sagte Franziska Gruber von Terre des Femmes der “Welt”.

Verletzung der Menschenrechte

Allerdings richtet sich die Kritik der Frauenrechtsorganisation gegen die Straffreiheit bei der Durchführung einer Beschneidung bei männlichen Kindern, nicht bei männlichen Erwachsenen: “Die körperliche Unversehrtheit bei einwilligungsunfähigen Kindern muss geschützt werden. Erwachsene Männer sollen aber weiterhin das Recht haben, eine Beschneidung durchführen zu lassen. Die weibliche Genitalverstümmelung stellt allerdings eine Verletzung der Menschenrechte da. So sollen nicht nur Mädchen, sondern auch einwilligungsfähige Frauen weiterhin nicht das Recht besitzen, sich beschneiden zu lassen”, sagt Gruber.Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung wird die Beschneidung von Jungen geregelt. Diese legalisiert eine “medizinisch nicht erforderliche Beschneidung” bei männlichen Kindern, sofern dies “nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt” wird und die Einwilligung der Eltern vorliegt. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes kann dies allerdings auch von einer religiös ermächtigten Person durchgeführt werden, wenn sie vergleichbar mit einem Arzt dazu befähigt ist.

Anlass für einen Gesetzesentwurf des Bundesregierung war das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, das die Auffassung vertrat, eine religiös begründete Beschneidung eines minderjährigen Jungen sei eine rechtswidrige Körperverletzung. Diese Entscheidung brachte Rechtsunsicherheit über die Strafbarkeit im Falle einer Jungenbeschneidung.

Bundesgerichtshof verbietet eine Unterscheidung

Die Befürchtung der Gegner weiblicher Genitalverstümmelungen wird auch im Gesetzesentwurf der Bundesregierung behandelt. Der Gesetzesentwurf grenzt die Beschneidung von Jungen von der Verstümmelung weiblicher Genitalien ab. Die weibliche Genitalverstümmelung stelle eine schwerwiegende Verletzung von Grund- und Menschenrechten auf internationaler Ebene und in Deutschland dar. In der deutschen Rechtslage gilt sie als gefährliche (nach §224 StGB) und gegebenenfalls als schwere Körperverletzung (nach § 226 StGB).Der Bundesgerichtshof erklärte 2004 in einem Urteil die weibliche Beschneidung als “einen schweren Eingriff, der bleibende physische und psychische Schäden zur Folge hat”. Dies sei unabhängig von guten hygienischen Bedingungen und einer schmerzfreien Behandlung durch Betäubung. Die weibliche Beschneidung sei ein “radikaler Eingriff in die körperliche Integrität und psychische Befindlichkeit der Frau.”

Der Bundesgerichtshof verbietet jede Unterscheidung nach der Art der Verstümmelung, wie dies von Kandeel getan wird, “denn in allen Fällen liegt eine grausame, folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende Misshandlung vor.”

Laut WHO leben zur Zeit 140 Millionen Mädchen und Frauen mit den Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung.

http://www.welt.de/politik/ausland/article111030661/Mediziner-will-Vaginal-Beschneidung-legalisieren.html