Venezuelas Demokratie wurde schleichend ausser Kraft gesetzt, während Europas Linke die Augen schloss

MESOPOTAMIA NEWS : NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ) – DIE BESTE IM DEUTSCHSPRACHIGEN  BEREICH – Von der neuesten Niederlage der Linken

Viele Linke in Europa haben den Staatsumbau von Hugo Chávez und dessen Nachfolger Nicolás Maduro in Venezuela jahrelang verharmlost. Bis heute verkennen europäische Parteipolitiker, dass sich autoritäre Regime in unterschiedliche Ideologien hüllen.

Niklaus Nuspliger, Brüssel 28.1.2019, 19:47 Uhr NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Nach anfänglichem Zögern haben die Regierungen in Madrid, Berlin, Paris und London am Wochenende mit deutlichen Worten auf die Krise in Venezuela reagiert. Sie forderten Präsident Nicolás Maduro ultimativ auf, innert acht Tagen Neuwahlen zu organisieren – andernfalls wollen sie den Oppositionsführer Juan Guaidó als Interimspräsidenten anerkennen. Die Erklärung, welche die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini im Namen aller 28 EU-Staaten verbreitete, fiel aber milder aus und enthielt kein explizites Ultimatum – am Donnerstag dürften die EU-Aussenminister nochmals um eine gemeinsame Linie ringen.

Die Episode illustriert, dass die Europäer je nach ideologischer Brille unterschiedlich auf Venezuela blicken. In Brüssel trat neben dem neutralen Österreich auch Griechenland auf die Bremse, dessen Linksregierung dem sozialistischen Regime Maduros bisher treu die Stange gehalten hat. In Rom stellt sich die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung gegen ein Ultimatum. Und in Deutschland bezeichnen Vertreter der Linkspartei Guaidó als «Putschpräsidenten» und verkennen, dass Maduro sein Land nicht nur in Hunger und Misere gestürzt, sondern auch das demokratisch gewählte Parlament entmachtet hat.

Auch viele Sozialdemokraten haben das Regime von Hugo Chávez und dessen Nachfolger Maduro jahrelang verharmlost. Der ehemalige spanische Regierungschef José Rodriguez Zapatero beispielsweise betätigte sich wiederholt als Mediator in Caracas. Dabei zeigte sich schon vor fünfzehn Jahren, dass die bolivarische Revolution in den Autoritarismus abdriftet.

Chávez setzte Demokratie und Rechtsstaat nicht mit einem Schlag, sondern Schritt für Schritt ausser Kraft. So löste er das oberste Gericht auf und besetzte das Gremium mit Loyalisten. Gleichzeitig intensivierte er den Kampf gegen unabhängige Medien. Bereits 2007 entzog eine Regierungsbehörde mit gerichtlicher Billigung einem kritischen TV-Sender die Konzession, während politisch gesteuerte Staatsanwälte den Besitzer eines anderen Kanals aus dem Geschäft drängten. Der Staatsumbau in Venezuela erfolgte schleichend und unter der Wahrung eines demokratischen Deckmantels – was europäischen Linken lange erlaubte, vor den autoritären Entwicklungen die Augen zu verschliessen.

Nicht unähnlich verhalten sich heute europäische Christlichdemokraten mit Blick auf Ungarn. Schritt für Schritt zimmert dort der Regierungschef Viktor Orban über Justizreformen, die Schaffung eines regierungstreuen Medienkonglomerats und die Gängelung der Zivilgesellschaft ein hybrides Regime, das nicht mit der Diktatur in Caracas vergleichbar ist, aber doch autoritäre Merkmale aufweist. Dennoch sitzt Orban in den Reihen der christlichdemokratischen Europäischen Volkspartei. Europas Sozialdemokraten dulden derweil, dass Postkommunisten in Rumänien die Gewaltentrennung aus den Angeln heben. Je nach parteipolitischer Allianz scheinen in Europa bei der Kritik an Übergriffen auf Demokratie und Rechtsstaat unterschiedliche Massstäbe zu gelten.

Dabei verkennen die europäischen Parteipolitiker, dass sich autoritäre Regime in unterschiedliche Ideologien hüllen und die westlichen Demokratien insgesamt herausfordern. Es ist kein Zufall, dass sich Länder wie Russland, China und die Türkei deutlich hinter Maduro stellen. Den Europäern hingegen stünde es gut an, ideologische Brillen abzulegen und sich auf die Seite der Demokratiebewegung Guaidós zu schlagen.

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