THEO VAN GOGH  „WÜST“ = ODER DER POLITISCHE DEUTSCHE SCHWIEGERSOHN-EFFEKT!

„Maybrit Illner“ in der TV-Kritik: Was Hendrik Wüst am meisten fürchtet

Von Christian Geyer-Hindemith FAZ – 27.09.2024

Bloß keinen Liebesentzug durch die Grünen: Ist Hendrik Wüst die überaus geschmeidige Verkörperung dessen, was im AfD-Sprech das Kartellsystem heißt? Bei Maybrit Illner sah es so aus.

Das war sehr freundlich von der Moderatorin, dass sie Hendrik Wüst nicht mit dem Behördenversagen seiner Landesregierung rund um den Terrorakt von Solingen konfrontierte. Wüst, der Mister Wichtig in der Union, durfte sich bei „Maybrit Illner“ als jemand inszenieren, der migrationspolitisch klare Kante fährt. Als jemand, der es sogar mit den Grünen zusammen hinkriegt, nun im Bundesrat eine Entschließung zu beantragen namens „Ordnung, Steuerung, Begrenzung und Humanität in der Migrationspolitik sicherstellen“.

Es handelt sich um ein Signalpapier, das mit Mediator Wüst auch von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein getragen wird, den Ländern, wo wie in Nordrhein-Westfalen die Grünen mitregieren. Auch Manuela Schwesig (SPD), amtierende Bundesratspräsidentin, an die der Antrag adressiert ist, war ins Studio eingeladen – größtmögliche Bühne also für Wüst, den parteiübergreifenden Brückenbauer, den Mann mit besonderer Führungskompetenz, der seinen Laden im Griff und das große Ganze im Blick hat.

Da verfiel Wüst ins Einsilbige

Bei Caren Miosga neulich sah das anders aus. Illners PR-Sendung für den CDU-Mann im Wartestand für höhere Aufgaben muss deshalb aus der Mediathek ergänzt werden. Von Miosga war Wüst am 15. September nach den Verantwortlichkeiten für Solingen gefragt worden. Seiner grünen Fluchtministerin Josefine Paul Laxheit wurde von Miosga Laxheit bei der Anwendung der Abschieberegeln vorgehalten. Eine Laxheit, die dem syrischen Täter schlussendlich seine Tat ermöglichte, „dessen nicht gelungene Rücküberstellung zu rekonstruieren und aufzuklären“ Sache eines Untersuchungsausschusses sein soll.

So konfrontiert, verfiel Wüst ins Einsilbige, redete sich auch im Blick auf seine eigene politische Verantwortung heraus, steif und stereotyp: „Die Verantwortung liegt darin, dass es besser gemacht wird.“ Und auf Miosgas beharrliches Nachfragen schließlich als maximale Konkretion: „Wir arbeiten sehr konsequent an den Themen.“ Daraufhin noch einmal Miosga: „Man kann doch schon mal die Frage stellen, wer da politisch die Verantwortung trägt. Die Ministerin? Oder sind Sie das dann?“ Wüst, abermals aufreizend ausweichend: „Die Verantwortung liegt darin, dass es besser gemacht wird. Und daran arbeitet sie sehr, sehr akribisch und das tun wir alle.“ Miosga resümiert: „Sie trägt die politische Verantwortung.“ Wüst, den Verantwortungsbegriff nun offen demolierend: „Sie trägt die Verantwortung vor allem dafür, dass es besser läuft.“

“Nicht der ganz große Wurf”

Das TV-Schauspiel vor zwei Wochen musste man im Kopf haben, um den Druck zu ermessen, der hinter Wüsts heutigem migrationspolitischem Antrag im Bundesrat steht. Dumm nur, dass der bei Maybrit Illner ebenfalls eingeladene Migrationsforscher Ruud Koopmans dem schwarz-grünen Migrations-Papier der drei Länder bescheinigte, „nicht der große Wurf zu sein“, als den es sich ausgebe. Denn zahlenmäßig werde der Entschließungsantrag nichts Großes bewirken, so der Direktor der Forschungsabteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Das schaffe man, so Koopmans, „nur mit Maßnahmen an den Grenzen – an den Binnengrenzen, wenn es um Zurückweisung geht, längerfristig vor allem an den Außengrenzen.“

Ob diese Steilvorlage für Friedrich Merz, parteiinterner Antipode von Wüst, im Regieplan der Sendung vorgesehen war? Wohl eher nicht, wie die hastige Überleitung Maybrit Illners nahelegt: „Und noch mal politisch gefragt, Melanie Amann: Schwarz-grün in den Ländern verständigt sich da offensichtlich auf konkrete Maßnahmen, um nachhaltig etwas zu tun.“ Ob das politisch ein „guter Move“ von Wüst sei, wollte Illner von der Journalistin Amann wissen. Aber hatte der Migrationsforscher eine solche Nachhaltigkeit nicht eben erst abgestritten?

Die Überbelastung der Kommunen und Länder, die Wüst mit wuchtigen Strichen ausmalte, ergebe sich, so Koopmans, gerade nicht aus Flüchtlingen jener Herkunftsländer mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent. Solche Flüchtlinge werden in dem Wüst-Papier automatisch für beschleunigte Asylverfahren in Anspruch genommen. Darin heißt es: „Für alle Herkunftsstaaten, deren Anerkennungsquote unter fünf Prozent liegt, müssen automatisch verfahrens- und materiellrechtliche Regelungen gelten, die eine beschleunigte Bearbeitung ermöglichen.“ Die meisten Menschen kommen jedoch „nach wie vor aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran“ (Koopmans). Versucht Wüst mit seinem Bundesrat-Vorstoß also einen großen und noch dazu grünverträglichen migrationspolitischen Effekt vorzutäuschen, der in Wirklichkeit marginal ist?

Fragen und Antworten in bizarrem Nebeneinander

Nichts scheint Wüst mehr zu fürchten als den Liebesentzug der Grünen, der zugleich seinen strategischen Weitblick in Zweifel ziehen würde. Seine Empathie als Führer des größten CDU-Landesverbands gilt erkennbar einer „optimistischen und leidenschaftlich nach vorne gehenden Gesellschaft“ (Robert Habeck in den „Tagesthemen“ vom 25. September). Wobei es justament am ehesten die Grünen sind, die laut Koopmans einer effektiven, das Recht zur Geltung bringenden Migrationspolitik im Wege stehen, ob im Bund oder in den Ländern. Leider rührte Maybrit Illner nicht an solchen Doublebinds, während sie ihre Agenda zum Thema „Kann die Ampel noch regieren?“ abarbeitete, vieles antippend, nichts vertiefend.

Immer wieder gelingen ihr große Fragen, aus denen dann aber nichts folgt, weil sie auch mit nichtssagenden Antworten abgeräumt werden können, einfach weil ja die nächste Frage schon dran ist. So bleiben Fragen und Antworten oft in einem bizarren Nebeneinander hängen. Unbearbeitete Überhänge werden durch die Sendung geschleppt und am Ende verklappt, wenn der Anfang von Markus Lanz erreicht ist. Warum bei den Grünen der Parteivorstand zurücktritt und nicht die regierenden Grünen, möchte Illner wissen, also beispielsweise Robert Habeck oder die im Studio sitzende Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge? Man habe doch regierungshalber so „enorm viel geschafft“, so Dröge. Na dann, nächste Frage.

Es genügte, dass Manuela Schwesig nur stichwortartig auf Robert Habecks Heizungsgesetz als Desaster für grüne Akzeptanz zu sprechen kam, um Wüst als Robin Hood der grünen Partei und damit gleich ganz Deutschlands in Stellung zu bringen. So rumzukritisieren könne man „munter weiter machen“, sagte er, an die Adresse Schwesigs gerichtet. Nur nehme das Land dabei Schaden. Hände weg von meinen Grünen! Ob man denn vergesse, dass es um die Frage gehe: „Wie kriegen wir die AfD runter?“

Das Image des schwarz-grünen Kopfes sichern

Na ja, so wohl eher nicht — durch taktisches Nichtbenennung von Pleiten, Pech und Pannen, durch hoheitliches Ausbüchsen vor Verantwortlichkeiten. Plötzlich erscheint der Kümmerer Wüst als einer, der sich im wesentlichen um sich selbst zu kümmern scheint. Der beschworene Zusammenhalt aller „Kräfte der Mitte“ ist in Wahrheit ein solcher mit dem nordrhein-westfälischen Regierungs-Chef, die überaus geschmeidige Verkörperung dessen, was im AfD-Sprech das Kartellsystem heißt.

So sind es Scheingefechte, die er sich mit der falschen Grünen Dröge liefert, rhetorische Rempeleien wie „Sie weichen wiederholt aus“. Als sei nicht sein, Wüsts, gesamter Illner-Auftritt ein Ausweichmanöver in eigener Sache. In der punktuellen Abgrenzung zu Dröge sucht sich Wüst das Image des schwarz-grünen Kopfes zu sichern, der die zukunftsfähigen Grünen von den rückwärtsgewandten Grünen scheidet. „Die Grünen in den Ländern sind ja weiter“, seine, Wüsts Grüne, so versteht man gegen die als bockig sitzen gelassene Dröge.

Es könne „nicht Sinn von Demokratie sein“, so Wüst, dass Menschen nur deshalb eine Partei wählten, um die AfD zu verhindern. Zunächst: Warum sollte man eine Wüst-CDU um ihrer selbst willen wählen, wenn es Wüst nur um sich selbst geht? Sodann: Wüst selbst wirbt mit dem Aufruf, ihn als „Kraft der Mitte“ zu wählen, damit die Menschen ihre Sorgen „nicht woanders“ abladen. Wenn das nicht demokratisch sinnlos sein soll, dann macht es nur mit einem Wüst Sinn als jener Alternative, für die er sich hält.