THEO VAN GOGH WATCH: WINDKRAFT – GRÖSSTER VERLUST IN DER JÜNGEREN DEUTSCHEN BÖRSENGESCHICHTE
37 Prozent Verlust : Sechs Milliarden Euro Verlust nach Kurssturz bei Siemens Energy
- Aktualisiert am 23.06.2023-10:48
Sorgenkind Windkraft: Blick Rotoren für Windräder im Siemens Gamesa Werk in Cuxhaven. Das Geschäft mit der Windkraft wird ein immer größeres Desaster für den Konzern. Auch Siemens gerät in den Sog. Nur fünf Dax-Werte hat es jemals stärker erwischt.
Nach zurückgezogenen Prognosen von Siemens Energy ist der Aktienkurs des Energietechnikkonzerns am Freitag abgestürzt. Zum Start verlor das Papier mehr als ein Drittel und kostete mit gut 15 Euro so wenig wie zuletzt im November. Mehrmals wurde der Handel wegen zu hoher Schwankungen unterbrochen. Ein Kursrutsch um 37 Prozent ist für einen Dax-Wert eine Seltenheit.
Auch der Aktienkurs des Großaktionärs Siemens geriet im Sog von Energy mit minus drei Prozent unter Druck. Siemens gehören noch rund ein Drittel der Anteile an Siemens Energy. Der Leitindex Dax setzte seine schwache Woche fort, indem er fast ein Prozent auf 15.850 Punkte verlor.
Der Windturbinenbauer Siemens Gamesa bleibt das Sorgenkind des Dax-Konzerns. Es habe deutlich erhöhte Ausfallraten bei Windturbinenkomponenten gegeben, hieß es von Siemens Energy. Eine technische Überprüfung lege nahe, dass eine Behebung der Probleme bei bestimmten Onshore-Plattformen deutlich mehr koste als bislang angenommen. Siemens Energy geht derzeit von zusätzlichen Kosten von voraussichtlich mehr als einer Milliarde Euro aus. Im Januar waren die Kosten noch mit 472 Millionen Euro beziffert worden.
Neubewertung des Unternehmens nötig
Dies seien sehr schlechte Nachrichten, sagte ein Händler. Wenn man keine Anhaltspunkte habe, wohin die Kosten liefen, wie solle der Markt das dann einschätzen, so die Sorge des Händlers. Er sprach von einer „totalen Unsicherheit“. Die neuen Probleme bei der Tochtergesellschaft Gamesa schöben eine dunkle Wolke vor die Neubewertungsstory des Konzerns, schrieb Analyst Ajay Patel von Goldman Sachs in einer ersten Reaktion. Die Meldung wertet er „klar negativ“.
Bleibt es zum Handelsende für Siemens Energy beim Kursverlust in der aktuellen Größenordnung, wäre Siemens Energy im erweiterten Kreis der größten Tagesverlierer, die es im Dax jemals gab. Gemessen am Börsenwert, liegt der Verlust aktuell bei rund sechs Milliarden Euro.
Prozentual gibt es nur fünf Unternehmen, die es im Dax stärker erwischt hat. Die Rangliste der größten Kursverluste zum Tagesschlusskurs führt Hypo Real Estate an, die im Herbst 2008 um 74 Prozent im Kurs abstürzten, als staatliche Hilfsmaßnahmen für den Finanzkonzern nötig wurden. Im Juni 2020 sackten Wirecard-Aktien nach dem Insolvenzantrag um 71 Prozent ab. MLP verlor im Sommer 2002 knapp die Hälfte ihres Börsenwertes nach Warnungen vor einer deutlich verschlechterten Geschäftslage. Die VW-Stammaktien verloren nach der gescheiterten Übernahme durch Porsche Ende Oktober 2008 rund 45 Prozent an einem Handelstag. Und Platz fünf belegt bislang Infineon mit einem Abschlag von 40 Prozent im Dezember 2008 nach schlechten Geschäftszahlen.
Bis zum Vortag hatten die Papiere von Siemens Energy noch zu den größeren Gewinnern im Dax seit Jahresbeginn gezählt. Die Rally gestartet, hatten sie Mitte Oktober und in der Zeit bis Ende Mai einen Spitzenzuwachs von 140 Prozent verbucht. Nun aber stehen sie mit einem Schlag seit Jahresanfang mit rund neun Prozent im Minus und damit im hinteren Dax-Feld.
Die Windkrafttochtergesellschaft Gamesa sei für Siemens Energy ein altbekanntes Problem. Nach der Komplettübernahme Anfang des Jahres erweise sich Gamesa bisher aber als schwarzes Loch in der Bilanz, sagte Kapitalmarktexperte Jürgen Molnar vom Broker Robo Markets. „Die Zukunft von Siemens Energy hängt mehr und mehr davon ab, ob es das Sorgenkind in den Griff bekommt.“ Das Bittere an dem aktuellen Abverkauf der Energy-Aktien sei, dass damit die starke Erholung seit vergangenem Oktober ein abruptes Ende finde, so der Fachmann.