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Geringere Preissteigerung : Was macht die Schweiz bei der Inflation richtig?

  • Von Johannes Ritter FAZ – 8.07.2022- Alles wie immer: Staatliche Regulierung und Protektionismus tragen dazu bei, dass die Lebensmittelpreise in der Schweiz bisher kaum gestiegen sind. Die Inflation trifft die Schweiz deutlich we­­niger heftig als Deutschland und die Eurozone. Die Energieausgaben haben ein geringeres Gewicht. Auch staatliche Regulierung und Protektionismus spielen eine Rolle.

Die Schweiz liegt im Herzen Europas und ist – obschon nicht Mitglied der EU – wirtschaftlich eng mit ih­ren Nachbarn verflochten. Trotzdem ist die Eidgenossenschaft bisher deutlich we­­niger heftig von der Inflation betroffen als Deutschland. Im Juni sind die Konsumentenpreise im Vergleich zum ent­sprechenden Vorjahresmonat um 3,4  Prozent gestiegen. Das ist für die Schweiz zwar die stärkste Teuerung seit 1993. Aber in der Eurozone und in den Vereinigten Staaten betrug der Anstieg in der gleichen Zeit jeweils 8,6 Prozent.

Für die vergleichsweise niedrige Inflation in der Schweiz gibt es eine Reihe von Gründen. Am wichtigsten ist die geringere Rolle der Energie, des Haupttreibers der Inflation in aller Welt. Die Einfuhrpreise für Heizöl und Erdgas sind zwar auch in der Schweiz rasant gestiegen. Aber die Energieausgaben haben im Warenkorb der Schweizer Haushalte ein viel geringeres Gewicht als andernorts. Alessandro Bee, Ökonom bei der Schweizer Bank UBS, veranschlagt den Anteil auf 5,5 Prozent, während Energieträger in der EU rund 11 Prozent und in Deutschland 12 Prozent des Warenkorbs ausmachten.

Hinzu kommt, dass die Schweiz ihren Strombedarf zu einem großen Teil aus der heimischen Wasser- und Atomkraft deckt. In Deutschland hingegen wird viel Strom mit Gas produziert. Im Winter muss die Schweiz indes zusätzlich Strom aus dem Ausland importieren. Bisher ist die Verteuerung des Importstroms, die schon im Herbst vergangenen Jahres einsetzte, allerdings noch kaum bei den Verbrauchern angekommen. Dies liegt daran, dass der Schweizer Strommarkt stark re­guliert ist.

Nur Großkunden, die mehr als 100.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbrauchen, dürfen den Anbieter frei wählen. Private Haushalte und Kleinbetriebe sind an lokale Lieferanten gebunden. Diese dürfen die Preise jedoch nur einmal im Jahr anpassen. Beim jüngsten Termin im August 2021 war der Preisauftrieb im Stromeinkauf für die Versorger noch nicht absehbar. Zum nächsten Stichtag im kommenden Monat jedoch dürften sie reihenweise Preiserhöhungen bei der zuständigen Eidgenössischen Elektrizitätskommission beantragen.

Schutz vor dem internationalen Wettbewerb

Staatliche Regulierung und Protektionismus tragen auch dazu bei, dass die Lebensmittelpreise in der Schweiz bisher kaum gestiegen sind. Die heimischen Bauern werden durch hohe Subventionen und Zölle vor dem internationalen Wettbewerb geschützt. Die in der Regel deutlich günstigeren ausländischen Agrarprodukte werden durch Zölle auf das hohe Preisniveau der Schweizer Erzeuger ge­bracht. Wenn der Weltmarktpreis für importiertes Gemüse, Obst oder Getreide steige, sinke lediglich der Zoll, erklärte jüngst der ETH-Ökonom Alexander Rathke. Mit anderen Worten: Anders als vielen Deutschen ist den Schweizern der Preisschock an der Lebensmitteltheke bis­her erspart geblieben. Das wiederum freut den heimischen Einzelhandel: Der deutliche Anstieg der Nahrungsmittelpreise im Ausland bremst den Strom der schweizerischen Einkaufstouristen gen Deutschland.

Als Inflationsdämpfer wirkt auch der starke Franken, der mittlerweile Parität zum Euro erreicht hat. Denn ein starker Franken verbilligt die Importe aus dem Ausland. Diesen Effekt hatte die Schweizerische Nationalbank (SNB) im Blick, als sie Mitte Juni den Leitzins um einen halben Prozentpunkt auf minus 0,25 Prozent erhöhte. Unmittelbar nach diesem geldpolitischen Kurswechsel wertete die Schweizer Währung auf. Nach Berechnungen von Maxime Botteron, Ökonom der Credit Suisse, senkt ein Rückgang des Euro-Franken-Wechselkurses um 10 Prozent die Inflation in der Schweiz um ei­nen halben Prozentpunkt.

Die im Juni gemessene Teuerung von 3,4 Prozent liegt freilich immer noch ein gutes Stück oberhalb der Spanne von 0 bis 2 Prozent, welche die SNB unter der Überschrift „Preisstabilität“ für erstrebenswert hält. Daher wird die Schweizer Notenbank wohl schon bald weiter an der Zinsschraube drehen. Daniel Kalt, Chefökonom der UBS Schweiz, erwartet, „dass die SNB die entschlossene Geldpolitik fortsetzt und die Leitzinsen bis März 2023 auf 0,75 Prozent erhöhen wird“. Mit diesem „präventiven Schritt“ dürfte die Inflation im kommenden Jahr auf 1,5 Prozent zurückgehen, schätzt Kalt. Für das laufende Jahr veranschlagt er die Teuerungsrate auf 2,7 Prozent. Auch die Ökonomen der Credit Suisse rechnen damit, dass die Inflation in der Schweiz im ersten Quartal 2023 unter die Marke von 2 Prozent sinken wird.