THEO VAN GOGH WATCH – Streitfall Ferda Ataman: «Sie steht in besonderer Weise für spaltende Identitätspolitik, Diffamierung Andersdenkender und eine fehlende Bereitschaft zur Differenzierung»

An diesem Donnerstag soll der Bundestag die Publizistin Ferda Ataman zur neuen deutschen «Antidiskriminierungsbeauftragten» wählen. Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg will das verhindern. Im Gespräch erklärt sie, warum sie die Kandidatin der Grünen für gefährlich hält.Marc Felix Serrao, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg

Sind Sie eine Kartoffel, Frau Teuteberg?

Ich habe auf jeden Fall ein positives Verhältnis zu meiner Heimat Deutschland. Kartoffeln mit Quark und Leinöl sind eine Brandenburger Spezialität und sehr empfehlenswert.

Kartoffel ist ein Name, den manche Menschen mit Migrationshintergrund autochthonen Deutschen geben. Zu ihnen gehört auch die Publizistin Ferda Ataman, die am Donnerstag vom Deutschen Bundestag zur neuen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung gewählt werden soll. Sie wollen dagegen stimmen. Wegen der Kartoffel?

Die designierte Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung Ferda Ataman.

An Gründen, die dagegen sprechen, Frau Ataman für dieses Amt für geeignet zu halten, besteht wahrlich kein Mangel. Ein bereinigter Twitter-Account macht aus ihr kein unbeschriebenes Blatt. Ich beschäftige mich seit langem mit Migrations- und Integrationspolitik und kenne daher die Positionen von Ferda Ataman. Sie steht in besonderer Weise für spaltende Identitätspolitik, Diffamierung Andersdenkender und eine fehlende Bereitschaft zur Differenzierung.

Was heisst «spaltende Identitätspolitik»?

Es ist ein liberales Anliegen, dass alle Menschen nach ihrem Verhalten und ihrer Leistung beurteilt werden. Angeborene Merkmale sollen dabei möglichst keine Rolle spielen. Identitätspolitik hingegen teilt Menschen in unentrinnbare Gruppenzugehörigkeiten ein, so dass sich ständig nur Opfer und Privilegierte gegenüberstehen. Das ist eine zutiefst illiberale Methode, die in Forderungen nach Quoten und umfassender Umverteilung mündet. Diese sortierte und quotierte Gesellschaft ist etwas anderes als die offene Gesellschaft. Sie ist ständisch, nicht demokratisch. Die identitätspolitische Methode widerspricht den Ideen von persönlicher Verantwortung und Repräsentation. Die Stärke der offenen Gesellschaft ist eine Vielfalt der Meinungen, Sichtweisen und Temperamente, nicht eine Vielfalt nur des äusseren Anscheins.

Sie sagen, Frau Ataman diffamiere Andersdenkende. Haben Sie ein Beispiel?

Die Kartoffel haben Sie selbst genannt. Es gibt noch andere Begriffe für Deutsche, die einen gemeinsamen Nenner haben: Verachtung. Und die sind im Wortschatz von Frau Ataman Legion. Dazu kommt mangelnde Differenzierungsbereitschaft, etwa wenn sie Journalisten, die über das Thema Clankriminalität recherchieren und berichten, einen Schmähpreis namens «Goldene Kartoffel» verleiht (Die «Goldene Kartoffel» hat Frau Ataman nicht allein verliehen; das war der Verein «Neue deutsche Medienmacher*innen», den sie mitgegründet hat, Anm. d. Red.) Der Versuch, den Heimatbegriff in die Nähe der Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten zu rücken, ist eine üble, ehrenrührige und im politischen Diskurs existenzgefährdende Unterstellung. Ein zweifelhaftes Verhältnis zu Islamismus und zu Linksextremismus, etwa in Form der Migrantifa, kommt hinzu.

Aus Ihrer Bundestagsfraktion haben bisher nur wenige Abgeordnete öffentlich Kritik an Frau Atamans Nominierung geübt. Das wirkt so, als wären Ihre Parteifreunde bei dem Thema entspannter als Sie.

Wir hatten in der letzten Fraktionssitzung einen intensiven Austausch mit Frau Ataman, und in der kommenden werden wir darüber diskutieren. Die vielen kritischen Fragen haben gezeigt, dass ich mit meiner Einschätzung nicht allein bin.

Welche Antworten von Frau Ataman haben Ihnen missfallen?

Ich werde Ihnen nicht im Einzelnen aus der Sitzung berichten. An meinem Eindruck von Frau Ataman hat sich dadurch nichts geändert.

Die Wahl wird geheim sein. Was schätzen Sie: Wie viele der 92 FDP-Abgeordneten werden der Kandidatin die Zustimmung verweigern?

Das werden schon einige sein. Mir geht es um die Sache, nicht um Wasserstandsmeldungen und Spekulation.

Ein FDP-Politiker, der erklärt hat, dass er Frau Ataman wählen wolle, ist Wolfgang Kubicki. Es gebe wichtigere Punkte, bei denen sich ein Konflikt mit den Regierungspartnern SPD und Grüne lohne, sagt er und nennt als Beispiele die Corona-Politik, Energiesicherheit oder Steuern. Hat Kubicki da nicht recht? Die meisten Bürger dürften eher an der Frage interessiert sein, wie viel Geld ihnen der Staat angesichts der Inflation noch lässt oder was passiert, wenn Russland kein Gas mehr liefert. Die Äusserungen einer Antidiskriminierungsbeauftragten können sie im Zweifel ignorieren.

Das sind alles wichtige Themen, die liberale Antworten erfordern. Aber es geht bei dieser Wahl nicht darum, einen Konflikt zu suchen, sondern darum, sich zu dem Personalvorschlag zu positionieren. Und dafür müssen wir die Debatte vom Kopf auf die Füsse stellen: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wurde gerade erst dahingehend geändert, dass ein unabhängiger Beauftragter oder eine unabhängige Beauftragte durch den Bundestag gewählt wird. Das wertet dieses Amt mit höherer Legitimation und Autorität auf, damit steigen aber auch die Anforderungen an die zu wählende Persönlichkeit. Die Personalie als unwichtig zu bewerten, halte ich für einen Trugschluss: Es geht hier um das Menschen- und Gesellschaftsbild, auf dem all die liberalen Vorschläge für verschiedene Themen beruhen. Wer diesen Kulturkampf ignoriert, statt ihn anzunehmen, wird sich bei anderen Themen nicht mehr durchsetzen, sondern systematisch in die Defensive geraten. Ein ganzheitlicher Liberalismus leistet sich keine gesellschaftspolitischen blinden Flecken.

Sie sind vor ein paar Tagen gefragt worden, welche Person Sie für dieses Amt denn geeignet fänden. Da fiel Ihnen spontan kein Name ein. Hat sich das inzwischen geändert?

Tatsächlich respektiere ich das Vorschlagsrecht von Frau Paus, und ich habe mich deshalb auch nicht auf Personensuche begeben (die Stelle der Antidiskriminierungsbeauftragten ist dem Familienministerium angegliedert, das von der Grünen-Politikerin Lisa Paus geführt wird, Anm. d. Red.). Ich habe mir Gedanken über die positiven Anforderungen an eine geeignete Person gemacht. Dazu gehört eine hohe Differenzierungs- und Urteilsfähigkeit. Nicht jede Ungleichheit ist Ergebnis von Diskriminierung. Wir Liberalen kämpfen mit einem universalistischen Anspruch gegen Diskriminierung. Dabei versuchen wir nicht, wie Frau Ataman, die eine Diskriminierung mit einer anderen auszugleichen, und wir bewerten nicht bestimmte Formen des Rassismus nachsichtiger, etwa innerhalb migrantischer Communitys. Doppelstandards sind inakzeptabel. Das sehen übrigens auch viele Migranten in Deutschland so.

Und andere stimmen Frau Ataman zu. Ein normaler politischer Streit.

Das wäre banal. Doch auf die Kritik in der Sache wird kaum eingegangen. Stattdessen landen Kritiker blitzschnell in ehrenrührigen Schubladen, Kritik in der Sache wird als diskriminierende Kampagne abgetan. Das ist ein Vorgeschmack auf das unreflektierte Verhältnis zum Begriff Diskriminierung.

Ich teile Ihre Kritik am Schubladendenken der Identitätspolitik. Aber könnte es nicht trotzdem sein, dass Sie und ich beim Thema Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund einen blinden Fleck haben – als autochthone und hellhäutige Deutsche?

Jeder Mensch hat auch blinde Flecken, und es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen. Aber kein Bürger sollte Marginalisierungsmerkmale vorweisen müssen, um mit seiner Stimme gehört zu werden. Es muss um Argumente gehen, nicht um angeborene Merkmale. Der Anwendungsbereich der Antidiskriminierungsstelle ist zudem weitaus vielfältiger.

Selbst das Führungspersonal von CSU und CDU träumt inzwischen von Quoten, vorerst nur für Frauen. Ist der Kampf gegen die Identitätspolitik in Deutschland nicht längst verloren?

Fatalismus ist meine Sache nicht. Als Mitglied des Deutschen Bundestags habe ich bei jeder Entscheidung die Verantwortung, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Ich schiele dabei nicht auf andere und betreibe keinen Whataboutism.