THEO VAN GOGH WATCH: Frankreichs Konservative – Ein Hardliner soll’s richten

Nina Belz, Paris13.12.2022, 05.30 Uhr NEUE ZÜRCHER ZEITUNG – Der Hardliner Éric Ciotti will als Vorsitzender der Républicains die einst staatstragende konservative Partei zu alter Grösse führen.

Es gab eine Zeit, da galt Éric Ciotti in seiner Partei als Aussenseiter. Als ein Politiker mit Profil zwar, der sich prägnant ausdrückt und gut debattiert – aber mit einer Linie, die keinesfalls mehrheitsfähig ist. Zu vielen seiner Parteikollegen bei den Républicains steht der 57-jährige Abgeordnete zu weit rechts und politisiert zu nahe an den Positionen von Marine Le Pen und Éric Zemmour.

Ciotti hat dies nie zu verstecken versucht. Eher würde er Zemmour wählen als Emmanuel Macron, sagte er vor der Präsidentenwahl im Frühjahr. Er selbst hat schon ein französisches Guantánamo für die gefährlichsten Islamisten gefordert, will französische Staatsbürger bei der Vergabe von Sozialwohnungen bevorzugen, geisselt das «Migrationschaos» in Frankreich und schimpft über politische Korrektheit. Sein Leitspruch lautet «Freiheit, Sicherheit, Identität».

Sarkozy muss als Sündenbock herhalten

Für manche Konservative ist er damit auch heute noch untragbar. Aber Ciotti ist mehrheitsfähig geworden. Am Wochenende wählte ihn eine Mehrheit der rund 85 000 Parteimitglieder zum neuen Vorsitzenden der konservativen Partei Les Républicains. Ciotti setzte sich in zwei Runden gegen zwei Mitbewerber durch, die für moderatere Positionen stehen.

Offenbar ist eine Mehrheit der Parteimitglieder der Meinung, dass es Ciottis Linie braucht, um die Partei, die seit dem Zweiten Weltkrieg die meisten Präsidenten stellte, endlich wieder aufzurichten. Seit dem Auszug von Nicolas Sarkozy 2012 aus dem Élysée-Palast kennt ihre Erfolgskurve nur eine Richtung ­– nach unten. Dies zeigte sich bei diversen Wahlen wie bei der Mitgliederzahl: Im Juni dieses Jahres zählte die Partei gerade noch 48 500 Mitglieder.

In der Partei hat sich die Haltung breitgemacht, dass Sarkozy für den Niedergang der Partei die Hauptschuld trage. Sich von ihm zu distanzieren, war daher für alle drei Kandidaten für den Parteivorsitz eine Pflichtübung. Gewiss: Sarkozy hat dem Ruf der Partei in den vergangenen Jahren nicht gerade wohlgetan. Der 67-Jährige hatte nach dem Ende seiner Präsidentschaft 2012 gleich drei Gerichtsverfahren am Hals. Doch für Skandale waren seither auch andere verantwortlich.

Allen voran François Fillon, der 2017 durchaus Chancen gehabt hätte, in den Élysée-Palast gewählt zu werden. Während der heissen Phase des Wahlkampfs wurde jedoch bekannt, dass der frühere Premierminister seiner Frau ein Gehalt aus der Staatskasse bezahlt hat – für Tätigkeiten, die er nicht glaubwürdig belegen konnte. Das Bild einer korrupten und unehrlichen Partei komplettierten kleinere Fische wie Patrick Balkany. Der Bürgermeister einer Pariser Vorortsgemeinde wurde wegen Steuerhinterziehung und Missbrauch von öffentlichen Geldern mit Amtsverbot belegt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Auch Ciotti gehört zur alten Garde

Ciotti ist zwar nicht frei vom Verdacht, der alten Garde anzugehören. Der 57-Jährige ist seit den achtziger Jahren Mitglied der Partei. Er hatte in seiner Heimatregion Nizza verschiedene Ämter inne, bevor er 2007 in die Nationalversammlung gewählt wurde. Im Vorfeld der Wahl um den Parteivorsitz kam der Verdacht auf, dass in seiner Hochburg im Südosten die Mitgliederzahlen mit zweifelhaften Methoden in die Höhe getrieben wurden. Doch wichtiger als frisches Blut – einer der Bewerber gehörte der jungen Generation an – schien den Mitgliedern Ciottis Positionierung zu sein, im Besonderen gegenüber Macron.

Der amtierende Präsident ist nach den parteiinternen Skandalen der zweite Faktor, der den Républicains zugesetzt hat. Mit seiner opportunistischen Art, Politik zu machen, hat Macron viele gemässigte Konservative auf seine Seite gezogen. Manche haben prestigeträchtige Ministerposten erhalten und haben diese bis heute inne. Sarkozy hat zwar offiziell nicht die Seiten gewechselt, aus seiner Sympathie für den Staatschef macht er allerdings kein Geheimnis.

Nach seiner Wahl am Sonntagabend stellte Ciotti eine strikte Rechte, die auf den Strassen wieder für Ordnung sorgt und die Steuern senkt, in Aussicht. Doch ein Neuanfang wird steinig. Ciotti steht vor derselben Herausforderung wie sein glückloser Vorgänger Christian Jacob: Er muss die Partei glaubwürdig zwischen Macron und Marine Le Pen positionieren.

Den Républicains droht der Untergang

Der letzte Wahlkampf hat den Konservativen schmerzlich gezeigt, wie schwierig dies ist. Ihre Kandidatin Valérie Pécresse, die sich in der Vorwahl gegen Ciotti durchgesetzt hatte, versuchte es mit Abgrenzung zu Macron und nach rechts, gespickt mit etwas Nationalismus und einer harten Linie in der Migrations- und Sicherheitspolitik. Das Ergebnis war eine Bruchlandung. Pécresse erhielt im ersten Wahlgang nicht einmal 5 Prozent der Stimmen. Bei der Parlamentswahl erging es den Républicains ähnlich: Ihre Fraktion verlor 62 Mitglieder.

Ciotti ist in seiner Positionierung deutlich klarer als Pécresse und sein Vorgänger Jacob. Er scheint entschlossen, den totalen Bruch mit den gemässigten Mitgliedern in der Partei in Kauf zu nehmen. Sie werden von der Präsidentenpartei Renaissance aktiv umworben, seit diese die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verloren hat.

Der erste Test wird nicht lange auf sich warten lassen. Anfang Januar will die Regierung den Entwurf für die seit bald vier Jahren aufgeschobene Rentenreform vorstellen, danach kommt er voraussichtlich ins Parlament. Ciotti sagte am Montag, er werde die Reform nur «unter Bedingungen» unterstützen; wohlwissend, dass es in seiner Partei einige gibt, die das Projekt endlich umgesetzt sehen wollen.

Ciottis Abgrenzung gegenüber Marine Le Pen und Éric Zemmour ist weniger deutlich. Aber er schliesst für den Moment eine Allianz mit einer anderen Partei aus – in der Hoffnung, dass sich andere dereinst hinter ihn scharen müssen. Nur die Républicains könnten die triste Aussicht auf ein Duell zwischen Le Pen und den Linken von La France insoumise bei der Präsidentschaftswahl 2027 verhindern, sagte er am Montag. Nicht nur die Zeit, auch der Weg dorthin ist noch lang.