THEO VAN GOGH WATCH: DER SKANDAL IN DEUTSCHLAND – Debatte um Gender-Ideologie: Podiumsdiskussion zur bedrohten Wissenschaftsfreiheit findet ohne Biologin statt

Die Humboldt-Universität wurde aufgrund des abgesagten Vortrags einer Doktorandin zur Zweigeschlechtlichkeit stark kritisiert. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat sich bei der Diskussion zur Absage geäussert.Beatrice Achterberg, Berlin15.07.2022, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Der abgesagte Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht mit dem Titel «Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt» entzündete eine Debatte um die Freiheit der Wissenschaft.

Zwölf Tage nach der abgesagten Veranstaltung holt Vollbrecht ihren Vortrag nach. Unweit vom Universitätsgebäude entfernt protestieren Aktivisten der Universität mit Plakaten, auf denen es heisst: «Kein Platz für Transphobie». Im Hörsaal, in dem Vollbrecht referiert, bleibt es hingegen ruhig. Die Podiumsdiskussion im anderen Hörsaal fand ohne Vollbrecht statt, eine Einladung ins Panel hatte sie abgelehnt.

Auf Twitter meldete sich die Biologin Vollbrecht vor ihrem nachgeholten Vortrag zu Wort und erklärt, warum sie nicht an der im Anschluss stattfindenden Podiumsdiskussion teilnimmt. Vollbrecht schreibt: «Die unausgewogene Zusammensetzung des Podiums lässt vermuten, dass es dort nicht um Biologie gehen wird.»

Auf der Bühne zu Gast waren unter anderem: Peter Frensch, Präsident der Humboldt-Universität, Rüdiger Krahe, Professor der Biologie und Doktorvater von Vollbrecht, und Kerstin Palm, promovierte Biologin und Geisteswissenschafterin. Wann immer die Aussage fällt, dass die Zweigeschlechtlichkeit Konsens in der Biologie sei, folgen sowohl Applaus als auch Buhrufe. Wie das Panel auf der Bühne ist sich auch das Publikum uneins.

Die Diskussion findet im Audimax der Humboldt-Universität statt. Aus dem Urlaub zugeschaltet ist die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Auf die Frage, ob die Absage der Hochschule richtig war, antwortet Stark-Watzinger: «Eine Veranstaltung, die auf dem Programm steht, nicht stattfinden zu lassen, bedarf natürlich der Erklärung.» Die Wissenschaftsfreiheit gelte es zu schützen, sagt die Ministerin.

Im Laufe der Diskussion verweist Stark-Watzinger auf das vorgeschlagene neue Gesetz der Ampel: «Ich bin freudiger Teil einer Regierungs-Koalition, die das Selbstbestimmungsrecht vorantreibt.» Die Ampelkoalition plant, das Transsexuellengesetz abzuschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand sollen künftig per Selbstauskunft möglich sein.

Der Fall hat die Humboldt-Doktorandin in die Mitte einer schwelenden Transsexualitäts-Debatte gerückt. Marie-Luise Vollbrecht sieht sich einer Rufmord-Kampagne ausgesetzt. Inzwischen hat sie einen Spendenaufruf gestartet, «um rechtliche Schritte gegen Verleumdungen im Zusammenhang mit meinem abgesagten Vortrag über Biologie und die Evolution der zwei Geschlechter zu unternehmen». Von den 15 000 Euro, die sie als Kampagnenziel gesetzt hat, sind bereits ein Drittel erreicht.