THEO VAN GOGH: VON DER THERAPEUTISCHEN UMERZIEHUNG ZUR POLIZEIMASSNAHME / LINKE TALIBAN – Rassismus-Training am Theater : Schauprozess an der Schaubühne

Kommentar Jürgen Kaube FAZ 18.2.2022  Ein Schauspieler schreibt ein bisschen auf Facebook herum. Stellt seltsame Fragen und setzt das Wort Indianer in Anführungszeichen. Daraufhin verfasst sein Haus eine Pressemitteilung, in der von „adäquaten Maßnahmen“ die Rede ist. Geht es um Umerziehung?

Ein Berliner Schauspieler schreibt auf Facebook ein bisschen vor sich hin. Er hat einen Fernsehabend über Kolonialismus verfolgt und fragt sich nach der Moral in der Geschichte. Es gewinne in ihr, schreibt er, fast immer der Fortschritt, der die Moral auch fast immer auf seiner Seite habe. Man vermutet, er meint: weil Fortschritt eben Fortschritt sei. Hätten die „Indianer“ sich gegen die Einwanderer aus Europa behauptet, schreibt der Schauspieler, gebe es die Vereinigten Staaten nicht. Aber der Fortschritt geht mit Gewalt und ungeheuren Verlusten einher. „Die ‚Indianer‘ hatten die Zeit nicht auf ihrer Seite“.

Im Grunde wird also gefragt, ob die Errungenschaften der Zivilisation überhaupt ohne ungerechte Gewalt zu haben waren. Die Perioden des Glücks sind leere Seiten im Buch der Weltgeschichte, heißt es bei Hegel. Der Schauspieler formuliert Fragen wie diese: „Hätten die ‚Indianer‘ uns von den Nazis befreit?“ Als historische Frage ist sie schlecht gestellt, denn man kann sie nicht beantworten. Man kann höchstens erfundene Alternativgeschichten erzählen wie Laurent Binet in seinem jüngsten Roman „Civilizations“ (dt. „Eroberung“), in dem die Inka 1531 Europa einnehmen.

So weit, so unklar und ein wenig durcheinander. Jetzt aber kommt das Haus, an dem der Schauspieler arbeitet, die Berliner Schaubühne. Sie gibt eine Pressemitteilung zu seiner Äußerung heraus. Er verharmlose den Massenmord an der indigenen Bevölkerung Amerikas, sein Text sei rassistisch und diskriminierend, man entschuldige sich. Der Schauspieler entschuldige sich ebenfalls. Er habe sich auf Facebook und auch „intern“ entschuldigt und sich zudem entschlossen, an einem „Einzelcoaching zum Thema Rassismus und Diversität“ teilzunehmen. Das Haus selber fühle sich mitverantwortlich. Das ist nicht nur des Tons halber interessant. Es wird so getan, als läge in den Sätzen des Schauspielers ein Vergehen vor, das nur geheilt werden könne, wenn alle Instanzen der Entschuldigung bis hin zu einem Diversitäts-Coachíng durchlaufen werden.

Was der Schauspieler gesagt hat und inwiefern es rassistisch war, wird nicht mitgeteilt, sondern vorausgesetzt. Die Pressemitteilung lobt das eigene Haus dafür, dass „bei solchen Vorfällen adäquate Maßnahmen erfolgen“. Vom therapeutischen zum polizeilichen Ton. Damit wir uns recht verstehen, wir wollen die Ausführungen des Schauspielers gar nicht verteidigen. Aber bedarf es Umerziehungsmaßnahmen, wenn sie gefallen sind? Von der Bühne herab hat er sie nicht vorgetragen.

Vor welchem Tribunal muss sich die Schaubühne also ostentativ reinigen, wenn ein Schauspieler außerhalb des Theaters etwas Zweideutiges sagt? Und wäre sie ganz sicher, dass innerhalb des Theaters und von seinen Bühnen herab garantiert nie etwas ähnlich Zweideutiges gesagt wird? Diese Sicherheit anzustreben wäre fatal. Denn wer würde schon ein eindeutiges Theater aufsuchen wollen, das alles bekräftigt, was wir ohnehin über die Welt, die Gesellschaft und das Gute wie Böse in der Geschichte denken? Vielleicht wäre also nicht das äußerst freiwillige Diversitäts-Coaching die gebotene Antwort, sondern eine Bühnenversion von Binets „Eroberung“ mit dem Schauspieler in der Rolle des Inkakönigs Atahualpa.