THEO VAN GOGH VERFASSUNGSBLOG MAX PLANCK INSTITUT -Nicht mehr extrem

Rechts ? Links ? – Eine Unterscheidung, die nichts mehr unterscheidet
Erst Schweden, dann Italien: Parteien gewinnen im Moment in ganz Europa Wahlen, die man bis vor nicht sehr langer Zeit als rechtsextrem bezeichnet hätte. Die “Schwedendemokraten” wurden von SS-Veteranen und Neonazis gegründet. Die “Fratelli d’Italia” stammen in direkter Linie von Mussolinis Faschisten ab. Das ist es, wo sie herkommen – wo sie aber, so der Anschein, nicht mehr sind. Zwischen ihrer Herkunft und ihrem heutigen Ort, so scheint es, vergrößert sich die Distanz, während sich die zwischen der so genannten Mitte und ihnen immer mehr verringert. Das Extrem scheint sich auf die Mitte zuzubewegen und darüber immer weniger extrem zu werden. Ohne ihre Herkunft direkt zu verleugnen, lassen die vormaligen Extremisten sich an ihr immer weniger identifizieren. Ihre Politik, ihre Programme, ihre öffentlichen Äußerungen taugen immer weniger zu einer Skandalisierung, auf die man sich über die Rechts-Links-Cleavage hinweg verständigen könne. Was heißt hier extrem? Man zuckt mit den Achseln: Naja, die sind halt rechts. Das kann man schlimm und gefährlich finden. Dann ist man halt links. Das ist doch ganz normal. Wenn Rechte mit Rechten Regierungsbündnisse bilden, warum nicht?

Man kann natürlich der extremen Rechten ihre Ent-Extremisierung nicht glauben und sie für bloße Tarnung halten: Die tun nur so, um die Mitte in Sicherheit zu wiegen, und sind in Wahrheit heute noch genau extrem drauf wie vor 100, 50, 30 Jahren. Zu behaupten, was man nicht belegen kann, ist aber im besten Falle eine hilf- und folgenlose Bekenntnisgeste und im schlechtesten ein essentialistischer Move, den man ohnehin besser den Rechten überlassen sollte. So oder so verstellt es den Blick auf die vielleicht eigentlich viel interessantere Geschichte: Und wenn es so wäre, dass man Rechts und Rechtsextrem nicht mehr auseinanderhalten kann? Wenn die Unterscheidung zwischen guten, staats- und europatragenden Konservativen und schlimmen, subversiven, unappetitlichen Rechtsextremen nichts mehr unterscheidet – was bedeutet das?

 

 

 

 

Als Kategorie des bundesdeutschen Verfassungsschutzes war die Unterscheidung zwischen Mitte und Extrem immer schon eine fragwürdige Sache. Sie entschärft die Paradoxie, den Gebrauch der Freiheit zum Schutz der Freiheit zu beschneiden, indem sie ihr ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten einer “Mitte” der Rechtschaffenen und Wohlanständigen und zu Lasten derjenigen einzieht, die sich anhand ihrer Distanz zu dieser Mitte als linksextrem/rechtsextrem/islamistisch qualifizieren lassen, als laufe das alles irgendwie auf das Gleiche hinaus: Hauptsache, es trifft nur Leute, die irgendwo ganz weit draußen sind. Das hat dann laut der zu schützenden Verfassung eigentlich nach Recht und Gesetz zu geschehen, aber der Ausnahmezustand, und wer nach welchen Kriterien und mit welchen Befugnissen über ihn entscheidet, ist nun mal notorisch schwer zu verrechtlichen. Obendrein haben diejenigen, die an den Grenzen rings um den Boden des Grundgesetzes patrouillieren, das Verfassungs-Feindesland dort draußen längst mit so vielen Aufklärern, Informanten und Spionen durchsetzt, dass man den Grenzverlauf an vielen Stellen kaum noch erkennt. Vor zwanzig Jahren konnte die NPD nicht verboten werden, weil einfach nicht mehr klar war, wo der Verfassungsschutz aufhört und das, wovor die Verfassung zu schützen ist, anfängt. Zur der Zeit hatte die NSU ihre Mordserie schon begonnen; einen recht viel härteren und klareren Verfassungsfeind als sie kann man sich gar nicht vorstellen, aber der Verfassungsschutz auf seinem Wachtturm oben ließ sie irgendwie trotzdem ungehindert ihrer mörderischen Wege gehen. Weshalb genau, wissen wir bis heute nicht. Wohl aber, wer die Aufklärung (sic!) behindert.

Innen und außen verschwimmen ineinander. Wer Viktor Orbán in den letzten zwölf Jahren bei der Arbeit zugesehen hat, der weiß, dass man die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung nicht stürzen, nicht von außen überrennen muss, um sie zu zerstören. Viel effizienter ist es, ihre inneren Schwachstellen aufzuspüren und auszunützen, bis sie sich gegen sich selber wendet und zu einem bloßen Werkzeug des Machterhalts der Regierung wird. Als Orbán damit anfing, waren die Extremisten bei Jobbik oder noch weiter draußen. Orbáns Fidesz-Partei repräsentierte die bürgerlich-konservative Mitte.

In Deutschland ist die NPD längst sogar zum Verbotenwerden zu unbedeutend. Ihre Stelle hat die AfD eingenommen, die sich mit vor Eifer schwitzigen Händen als die glühendsten Grundgesetz-Fans inszeniert, die die Republik je gesehen hat (ich will da nicht hin verlinken, aber wenn Sie’s nicht glauben und über eine hinreichend robuste Verdauung verfügen, googeln Sie mal “Stephan Brandner Gemeinsam für das Grundgesetz”).

Dass sich die Rechte gerade leicht tut, Wahlen zu gewinnen, wundert mich nicht. In Zeiten wie diesen ist für viele Menschen in Europa das Versprechen sehr attraktiv, ihnen noch für eine Weile die Zumutung vom Leib zu halten, die externalisierten Kosten unserer Ernährung, unseres Energiekonsums, unserer Gesellschafts-, Außen- und Wirtschaftspolitik wieder internalisieren zu müssen. Je weniger jemand hat, desto attraktiver. Das macht es für die Linke so schwer.