THEO VAN GOGH : UNTER DER CAMOUFLAGE DER REGENBOGENFAHNE DER ANGEBLICH GLEICHEN DEKRETIEREN SIE ARMUT DEN EINEN  & SICH SELBER REICHTUM / WENN SIE „WIR“ SAGEN  HABEN SIE SCHON GELOGEN ! „MEHR WENIGER FÜR FÜR ALLE UNTEN!“

Wachstum ist die Quelle unseres materiellen Wohlstandes. Doch es wird auch verantwortlich gemacht für die Klimakrise und den ruinösen Umgang mit dem Planeten. Können wir durch Verzicht unsere Umweltprobleme lösen?

Wer in Deutschland heute erwachsen ist, musste selten auf etwas verzichten. Im Gegenteil, alles wurde immer mehr: mehr Farbfernsehen, mehr Autos, mehr Urlaub für alle. Die Wirtschaft wuchs und mit ihr der Wohlstand. Die große Masse hat profitiert. Es hat zwar immer Menschen gegeben, die den Massenkonsum verteufelt und für alternative Wirtschaftssysteme gekämpft haben. Aber für die Mehrheit ging es doch immer weiter wie gehabt, und zwar bergauf.

Dann kam Corona, und Verzicht war erste Bürgerpflicht. Reisen mussten storniert werden, Restaurants und Boutiquen blieben geschlossen, und Brot backte man wieder selbst. Das Erstaunliche: Bei allen Entbehrungen konnten viele Menschen dieser Entschleunigung auch etwas Positives abgewinnen. Natürlich, niemand wünscht sich eine Pandemie. Aber weniger Termine, mehr Zeit auf der Couch und Urlaub im Harz statt auf Hawaii, das hatte auch etwas Verlockendes. In Befragungen gab ein erheblicher Anteil der Deutschen zu Protokoll, auch künftig davon etwas beibehalten zu wollen.

Wie ernst gemeint das war, sei dahingestellt. Die Wirtschaft wuchs jedenfalls wieder kräftig, nachdem die Lockdowns und Beschränkungen gefallen waren. Auf den Flughäfen sah es im Sommer auch nicht gerade so aus, als sei der Harz weiter das Urlaubsziel Nummer eins. Allerdings stand da schon die nächste Krise vor der Haustür, die den Deutschen abermals Verzicht abverlangt.

Weil Russland die Ukraine überfallen hat und kaum noch Erdgas nach Deutschland liefert, muss Energie gespart werden. Um mindestens ein Fünftel muss der Erdgasverbrauch gegenüber den Vorjahren sinken, wenn die Speicher nicht leerlaufen sollen. In öffentlichen Gebäuden wird nun weniger geheizt, Denkmäler werden nicht mehr angestrahlt, Schwimmbäder bleiben kalt. Die Preise für Energie haben sich vervielfacht. Die Bundesbank erwartet, dass die Inflation zweistellige Raten erreichen wird.

Auf einmal stellen sich Fragen, die den allermeisten bislang fremd waren: Muss ich Geld zur Seite legen für die nächste Gasabrechnung? Kann ich es mir noch leisten, warm zu duschen? Oder doch lieber Waschlappen?

Weniger ist mehr

Zwei Krisen, zweimal Zwangsverzicht, zweimal schrumpft die Wirtschaftsleistung. Das ist eine Katastrophe, einerseits. Andererseits könnte in Verzicht und Schrumpfung eine Chance stecken, vielleicht die allerletzte. Das meinen jedenfalls Teile der Klimaschutzbewegung, kapitalismuskritische Politiker und Anhänger der Degrowth-Bewegung – einem losen Netzwerk von Forschern, Studenten und Aktivisten. Diese treffen sich zu Konferenzen und verfassen Bücher und Aufrufe, in denen eine These im Mittelpunkt steht: Eine schrumpfende Wirtschaft ist der Schlüssel, um Klima, Planet und Menschen vor dem Kollaps zu retten. Denn Wirtschaftswachstum sei untrennbar mit Treibhausgasemissionen, abgeholzten Wäldern, verschmutzten Flüssen, vollen Terminkalendern und stressbedingten Herzinfarkten verbunden. Wir werden „wachsen, bis wir zusammenbrechen“, warnt der amerikanische Ökonom Herman Daly (Interview auf der Seite nebenan). Er gehört einer weiteren Gruppe an, die von einer stabilen Wirtschaft auf niedrigerem, ökologisch tragfähigem Niveau träumt.

Weniger ist mehr. Diese Idee ist so alt wie die Menschheit. In biblischen Gleichnissen finden sich die Aufforderungen zum Maßhalten ebenso wie bei griechischen Philosophen, Denkern des Mittelalters, klassischen Ökonomen wie John Stuart Mill und in der Moderne.

In jüngerer Zeit gibt die Klimakrise dem Thema Aufwind. Spätestens seitdem der Weltklimarat IPCC in seinen Berichten aufschlüsselt, dass die Meeresspiegel stark steigen und die Lebensmöglichkeiten für Menschen schwieriger werden, hat die Menschheit es schwarz auf weiß, dass ein „Weiter so!“ in der Logik der Klimawissenschaft keine Option sein kann. Zumindest dann nicht, wenn künftige Generationen vergleichbare Lebensbedingungen vorfinden sollen.

Hinzu komme, sagen die Wachstumskritiker, dass ein unendliches Wachstum, wie es in kapitalistischen Systemen notwendig scheint, gar nicht möglich sei. Forscher argumentieren mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie den Gesetzen der Thermodynamik, um ihre These zu untermauern. Andere verweisen auf die Endlichkeit von Ressourcen, aus der sich eine natürliche Höchstzahl an Autos, Kühlschränken und Einfamilienhäusern ergebe. Eine Schlüsselrolle in der Literatur kommt dem ersten Bericht an den Club of Rome „The Limits to Growth“ aus dem Jahr 1972 zu. Die viel beachtete Analyse warnte davor, dass die Begrenztheit natürlicher Ressourcen und die Folgen von Emissionen die Verbesserung der Lebensqualität im Verlauf des 21. Jahrhunderts beenden könnten.

Die Autoren machten sich deshalb für technologische, kulturelle und institutionelle Veränderungen stark. Werde nicht schonender mit Ressourcen umgegangen, prognostizierten sie mithilfe mathematischer Simulationsprozesse ein Ende des Wachstums – anders als oft kolportiert, aber nicht zwangsläufig eine Katastrophe. Vielmehr könnte eine Änderung der Lebens- und Produktionsweise die negativen Entwicklungen auffangen.

Verlockende Aussichten

Es gibt zwei Stränge der Wachstumskritik, die sich nicht immer trennscharf abgrenzen lassen. Auf der einen Seite argumentieren Umweltökonomen, müsse der menschliche Einfluss auf die Ökosysteme geringer werden – etwa durch scharfe Emissionsgrenzen. So ließe sich sicherstellen, dass der physikalische Durchsatz von Energie und Materie zurückgeht. Aus vielfältigen Gründen zweifeln sie daran, dass dann noch Wirtschaftswachstum wie bislang möglich wäre. Sie lehnen es aber auch nicht ab. Auf der anderen Seite steht die Postwachstumsbewegung. Ihre Argumente und Konzepte klingen für viele verlockend. Eine Degrowth-Volkswirtschaft dürfe nicht mit einer kriselnden Rezessionswirtschaft verwechselt werden. In einer Krise finde das Schrumpfen unter Schmerz statt: Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze. Die Ungleichheit wächst, die Unzufriedenheit ebenso.

In der Vorstellungswelt der Degrowthianer arbeiten hingegen alle weniger, dreißig Stunden in der Woche zum Beispiel. Ein Grundeinkommen verhindert den finanziellen Absturz für die Ärmeren, und die Leute sitzen auch nicht frus­triert und beschäftigungslos rum. Stattdessen hilft man sich gegenseitig, repariert seine Kleidung und organisiert sich in Nachbarschaftsnetzwerken oder Seniorengenossenschaften, in denen nicht mit Geld, sondern mit Arbeitsstunden bezahlt wird.

Mindestens drei große blinde Flecken machen den Wunsch nach einer wirtschaftlichen Schrumpfkur problematisch. Der erste ist die ganz praktische Frage, wie diese Kur überhaupt verordnet werden soll. In Notfallsituationen wie während der Pandemie kann der Staat Verzicht verordnen, ohne dass es zu Aufständen kommt. Aber in normalen Zeiten?

Natürlich gibt es Argumente dafür, dass auch die Klimakrise eine Ausnahmesituation ist und noch schlimmere Folgen haben wird als das Coronavirus. Aber solange die Bedrohung von vielen nicht als so akut erlebt wird wie von Klimaaktivisten, gibt es keine breite Mehrheit dafür, Kurzstreckenflüge oder Fleischessen zu verbieten. Ökomoral vergiftet manche Debatte, verweist aber auf eine Leerstelle: Gäbe es strenge Emissionsgrenzen, müsste der Staat keine Detailregelungen treffen. Der Markt könnte nach Wegen suchen, um CO2, Methan und Umweltgifte zu verdrängen.

Ein gewichtigeres Problem des Postwachstums ist zweitens, dass es bislang kein schlüssiges, aussichtsreiches Alternativkonzept zum historisch ziemlich erfolgreichen Kapitalismus gibt. So soll beispielsweise die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg von einem Anhänger gefragt worden sein, wie denn das künftige klimakonforme Wirtschaftsmodell aussehen soll. „Ich weiß es nicht, es wurde bisher noch nicht erfunden“, soll ihre Antwort gelautet haben.

Man kann das bedauerlich finden, aber im Kapitalismus ist eine Wachstumsdynamik, vielleicht sogar ein Wachstumszwang angelegt: Wer Geld verleiht, will es in aller Regel mit Zins und Zinseszins zurück. Wer etwas erfindet, tut es nicht aus Nächstenliebe, sondern oft wegen der Aussicht auf Reichtum. Ein Rentensystem wird in einer alternden Gesellschaft nur finanzierbar sein, wenn der Kuchen, der am Ende verteilt werden kann, größer wird.

Treiber ist der Produktivitätsfortschritt: Den Menschen gehen die Ideen nicht aus, sie scheinen anders als Öl und Gas eine unendliche Ressource. Vor einem halben Jahrhundert war es eine technische Meisterleistung, ein Auto zusammenzuschrauben. Heute erledigen Roboter einen Großteil der Arbeit. Würden nicht gleichzeitig anderswo Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze entstehen, würde der Fortschritt zu Massenarbeitslosigkeit in Deutschland führen. Ob technischer Fortschritt ausreicht, den Durchsatz von Energie und Materie dauerhaft auf ein verträgliches Niveau zu drücken, bezweifeln Ökonomen wie Daly und seine Schüler. Aus ihrer Sicht gibt es aber keine Alternative dazu, es auszuprobieren. Wo es nicht ausreiche, könnten veränderte Konsummuster einen Beitrag leisten.

Wachstum sichert Wohlstand

Wirtschaftswachstum ist freilich keine geplante Größe, die man als Regierung definieren kann, sondern Ergebnis aller Einzelprozesse, Ideen und Innovationen. Der Beweis, dass eine Volkswirtschaft ökonomisch und sozial stabil funktioniert, wenn sie der Lebensversicherung Wachstum abschwört, ist noch zu erbringen.

Das dritte fundamentale Argument, das gegen die eingeforderte Schrumpfkur im Raum steht, lautet: Es kann auch ein grünes Wachstum geben – also eine prosperierende Wirtschaft bekannter Art, die aber immer weniger Emissionen verursacht und in der Lage ist, die Menschheitsprobleme zu lösen. Die Verfechter des grünen Wachstums sehen gerade in der unbestrittenen Innovationskraft und den durch die Klimakrise immer spürbarer werdenden Klimakosten den Schlüssel für den Erfolg. Hier kommen sie wieder mit Umweltökonomen zusammen, die überwiegend Anhänger der Marktwirtschaft sind.

Ein Beispiel: Moderne Häuser können sich dank innovativer Dämmtechnik und Solaranlagen auf dem Dach quasi autark versorgen. Noch ist das teuer, aber der technische Fortschritt dürfte die Preise sinken lassen. Gelingt es, mehr Häuser zu dämmen oder mit einer Wärmepumpe auszustatten, ließe sich der unglaublich hohe Primärenergieverbrauch in Deutschland, der fürs Heizen von Wohnungen nötig ist, radikal mindern.

Diese Tendenzen gibt es überall: Energie wird sich mehr aus erneuerbaren Quellen speisen, wobei der Import eine große Rolle behalten wird. Meerwasser wird womöglich in größeren Mengen entsalzt und gegen Dürren eingesetzt. Wie lange es dauern wird, Flugkerosin durch grüne Brennstoffe zu ersetzen, und ob Kohlendioxid der Luft entzogen werden kann, ist offen. Doch marktwirtschaftliche Instrumente wie der Emissionshandel erlauben es, die aussichtsreichsten Wege zum Klimaschutz zu finden.

„Decoupling“ von Emissionen und Wachstum kann gelingen. Das ist eine Menschheitsaufgabe. In den Jahren 2005 bis 2019 hat das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 24 Prozent zugelegt, die Emissionen sind aber um 21 Prozent gesunken. In Irland stehen 81 Prozent Wachstum sogar 42 Prozent Einsparungen gegenüber. Das mag auch eine Folge der Abwanderung emissionsreicher Industrien sein. Zudem reicht die Reduktion nicht, um die Klimaerwärmung wirksam zu bremsen. Aber zumindest in hoch entwickelten Volkswirtschaften scheint grünes Wachstum ein gangbarer Weg, dessen Potential längst nicht ausgeschöpft ist.

Am Ende steht die Frage, wie viel persönlicher Verzicht bringt, um globale Pro­bleme bekämpfen zu können, und wie schnell sich Konsummuster dauerhaft ändern lassen. Ein Durchschnittsdeutscher verursacht zwar mehr CO2 als Menschen in Ländern mit weniger Wohlstand. Andererseits trägt Deutschland nur 2 Prozent zum globalen Treibhausgasausstoß bei. Für umfangreiche Einsparungen braucht es ein international abgestimmtes Vorgehen, wie es womöglich in Zukunft in Klimaclubs und schon jetzt bei Klimakonferenzen vereinbart wird.

 

Zu viele Menschen?

Ein heikles Thema, das einen enormen Klimaeffekt hat, wird dort ausgespart. das Bevölkerungswachstum. Wird es gebremst oder nimmt es sogar ab, ist das ein Beitrag dazu, Emissionen zu bremsen. Wenn Milliarden zusätzliche Menschen den westlichen Lebensstil übernehmen und sich Flüge, Autos und Coffee to go leisten können, wird mehr CO2 ausgestoßen. Eine Entkopplung von Wachstum und Umweltverbrauch ist deshalb auch ein Versuch, aufholenden Wohlstand in ärmeren Ländern umweltverträglicher zu gestalten. Andererseits gibt es einen klaren, negativen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Geburtenraten. Je reicher ein Land, desto weniger Kinder werden geboren. Der wirtschaftliche Aufstieg der ärmeren Länder – den übrigens auch die meisten Degrowth-Anhänger nicht unterbinden wollen – kann also ein Schlüssel für geringere Emissionen sein.