THEO VAN GOGH SOCIETY GUNNAR HEINSOHN ÜBER AUSCHWITZ & DANACH

Wer den Holocaust verstehen will – Whoopi Goldberg hat etwas unendlich Dummes zur richtigen Zeit gesagt

Whoopi Goldberg illustriert mit ihrer Äusserung, der Holocaust habe nichts mit Rassismus zu tun, dass manche historischen Fragen der Wiederbelebung bedürfen.

Gunnar Heinsohn  NEUE ZÜRCHER ZEITUNG 7.2.2022

 

Whoopi Goldberg macht Zwangspause beim täglichen ABC-Talk «The View».

Grossmütig, ja herzlich hat Israels Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Whoopi Goldberg zu Lerntagen eingeladen, um Missverständnisse über den Holocaust auszuräumen. Für Goldberg ist er nicht eine Folge von Rassismus, sondern eine Mordaktion von Weissen gegen Weisse und ein Beispiel für die «Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen» («man’s inhumanity to man»).

Selbst bei Ablehnung der Einladung sollte Yad Vashem die Gelegenheit nutzen, die eigene Sicht des Holocaust allgemein zugänglich zu machen. Schliesslich ist die Ratlosigkeit gross.

Wo Historiker an Grenzen kommen

So erklärt der 1926 geborene israelische Holocaust-Historiker Yehuda Bauer ein halbes Jahrhundert nach Auschwitz: «Hitler ist im Prinzip erklärbar; das bedeutet aber nicht, dass er erklärt worden ist.» Joachim Fest (1926–2006), der wohl produktivste aller Hitler-Forscher, bekennt gegen Ende seines Lebens über den Massenmord an den Juden: «Ich verstehe es nicht, und keiner, der sich je damit beschäftigt hat, ist einer überzeugenden Deutung [. . .] auch nur nahegekommen.»

Künstler, die manchmal weiter blicken als Gelehrte, gehen beim Holocaust mit diesen konform. So insistierte Claude Lanzmann, Regisseur des neunstündigen Films «Shoah» (1985), bezüglich historischer Erklärungen, «dass es keine gibt. Meine eherne Regel war, nicht verstehen zu wollen. Auf die Frage nach dem Warum antwortete ein SS-Mann dem Häftling Primo Levi: Hier ist kein Warum. Das ist die Wahrheit. Die Suche nach dem Warum ist absolut obszön.»

Hitlers Rassismus

Adolf Hitler selbst trägt noch im Februar 1945 in Gesprächen mit Martin Bormann (1900–1945) zur Verwirrung bei: Er sei nie der Meinung gewesen, dass «etwa Chinesen oder Japaner rassisch minderwertig wären». Er gebe zu, dass ihre Tradition «der unsrigen überlegen ist». «Unser nordisches Rassebewusstsein ist nur gegenüber der jüdischen Rasse aggressiv. Dabei reden wir von jüdischer Rasse nur aus sprachlicher Bequemlichkeit», denn «vom genetischen Standpunkt aus gibt es keine jüdische Rasse. Die Verhältnisse zwingen uns zu dieser Kennzeichnung einer rassisch und geistig zusammengehörigen Gruppe, zu der die Juden in aller Welt sich bekennen, ganz gleichgültig, welche Staatsangehörigkeit der Pass für den Einzelnen ausweist. Diese Menschengruppe bezeichnen wir als die jüdische Rasse.» Die «jüdische Rasse» sei vor allem «eine Gemeinschaft des Geistes». «Geistige Rasse» sei «härter und dauerhafterer Art als natürliche Rasse». Der Jude, wohin er auch gehe, bleibe ein Jude und müsse als ein «trauriger Beweis für die Überlegenheit des ‹Geistes› über das Fleisch erscheinen».

Was Saul Friedländer und Yehuda Bauer sagen

Es sind nicht zuletzt solche Formulierungen, die selbst tiefgründigste Analytiker in Klagen über Unbegreifliches enden lassen. Saul Friedländer, wie Yehuda Bauer ein Israeli aus Prag, formuliert das schon 1985 besonders bewegend: «Die Vernichtung des europäischen Judentums stellt vielleicht ein Problem dar, das historische Analyse und historisches Verstehen nicht zu lösen vermögen. [. . .] Wir wissen im Einzelnen, was geschah; wir kennen die Abfolge der Ereignisse; aber die Tiefendynamik des Phänomens entgleitet uns.»

Whoopi Goldberg hat sich entschuldigt und ist vom US-Sender ABC mit zweiwöchiger Sendepause von der Talkshow «The View» bestraft worden. Aber sie hat auch Fragen wiederbelebt, die nicht ohne Antwort bleiben dürfen. Es ehrt Yad Vashem, dass es diese Verständnislücke nicht nur bei dem – kurzzeitig jüdisch verheirateten – Publikumsliebling, sondern auch bei den Fachleuten schliessen will.

Gunnar Heinsohn hat 1993 an der Universität Bremen Europas erstes Institut für vergleichende Völkermordforschung aufgebaut und bis zur Schliessung im Jahre 2009 geleitet.