THEO VAN GOGH SOCIETY: ETHIK ! / ETHIK ? – WIES GRAD KOMMT & WIES GRAD AM BESTEN PASST!

Deutscher Ethikrat : Bremsung im Nebel

Kommentar von Jürgen Kaube FAZ 14-1-2022 – Vorsitzende Alena Buyx: Der Ethikrat trägt nicht dazu bei, dass mit Blick auf die Impfpflicht Klarheit herrscht. In der Debatte um die Impfpflicht zeichnet sich ein Muster ab: Der Ethikrat spiegelt die schwankende Haltung der Politik wider. Wer braucht ihn dann noch?

Am 22. Dezember vergangenen Jahres hatte der Deutsche Ethikrat eine Impfpflicht gegen Covid-19 empfohlen. Und zwar über die Beschränkung auf Berufstätige in Pflegeheimen und Krankenhäusern hinaus. Das war bemerkenswert, denn vor einem Jahr hatten die Ethiker (wie die Politik) eine Impflicht noch ganz ausgeschlossen. Sieben Mitglieder des Rats plädierten nun hingegen dafür, die Impflicht für ältere und vorerkrankte Bürger vorzusehen. Dreizehn Mitglieder waren für den Einbezug der gesamten erwachsenen Bürgerschaft. Vier Mitglieder sprachen sich gegen die erweiterte Impflicht aus.

Die Argumente der verschiedenen Gruppen waren interessant, tun aber jetzt nichts mehr zur Sache. Denn die Vorsitzende des Ethikrats, die Ärztin und Philosophin Alena Buyx, hat dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ gerade ein Interview gegeben, in dem sie ganz offenherzig zugibt, wie instabil ethische Urteile in der Pandemie sind. Ende Dezember habe der Ethikrat seine Empfehlung nämlich „im Kern unter den Bedingungen der Delta-Variante geschrieben“.

Das ist erstaunlich, war doch schon in der zweiten Dezemberwoche die rasende Verbreitung der Omikron-Mutation bekannt. In der Woche, in der die Empfehlung des Ethikrates publiziert wurde, konnte niemand mehr denken, man stehe noch vor der alten Situation. Dachte im Ethikrat auch niemand. Omikron, das seine Eigenschaften seitdem nicht geändert hat, wird auf den achtzehn Seiten der Empfehlung zehnmal erwähnt und zwar mit Hinweisen wie denen, die neue Variante verlange „zwingend“ eine noch höhere Impfquote und vermutlich Folgeimpfungen, deshalb auch das Votum zugunsten einer Impfpflicht. Wenn Frau Buyx jetzt sagt, sie hätten damals Omikron noch nicht richtig einbeziehen können, fragt man sich, warum es dann einbezogen wurde. Oder anders gefragt: Weshalb wird eine Empfehlung publiziert, die sich auf Sachverhalte bezieht, die gerade am Verschwinden sind?

Stabile Normen, variable Entscheidungen

„Je sais rien, mais je dirais tout“, heißt ein alter Film mit Pierre Richard: Ich weiß nichts, aber ich sage alles. Doch so entkoppelt sind das Wissen und das Sagen hier gar nicht. Vielmehr zeigen die Empfehlungen des Ethikrates an die Politik ein klares Muster. Solange die Regierung gegen eine Impflicht war, war es auch der Ethikrat. Als die Regierung ihre Meinung änderte, änderte er seine Argumente. Und jetzt, da Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Impflicht aufkommen und die Regierung ihre internen Schwierigkeiten durch das parlamentarische Verfahren, die Anrufung von Gewissensfreiheit und vorgeschobene Terminprobleme vernebelt, tritt zumindest die Vorsitzende der Ethiker wieder auf die Bremse.

Ihr Rat an die Politik lautet „Revisionsoffenheit“. Soll heißen: Unsere normativen Argumente sind stabil, aber was ihr daraus macht, könnt ihr nach Tageslage und Virusvariante entscheiden. Das tut die Politik in dieser Frage allerdings ohnehin, sich ständig zu revidieren und das als Lernen auszugeben. Sie empfängt von den Ethikern oder zumindest deren Sprecherin also gar keinen Rat. Sie empfängt ein Echo. Der passende Filmtitel lautet darum: Ich weiß es auch nicht, aber ich sage, was euch gefällt. Wer braucht solch eine Ethik?