THEO VAN GOGH SIGNALE: DER LAGARDE / VON DER LEYHEN / DRAGHI PLAN LARVIERTER WEITERER TIEFER VERSCHULDUNG EUROPAS : Transmition Protection! (II)

KOMMENTAR – Hohe Inflation, zu tiefe Zinsen und ein verantwortungsloses Sommertheater: verkehrte Welt in der Europäischen Währungsunion

In ihrem unbedingten Willen, den Zusammenhalt der Währungsunion zu erhalten, schwächt die Europäische Zentralbank den disziplinierenden Wettbewerbsdruck und stärkt damit paradoxerweise die divergierenden Kräfte. Gleichzeitig fehlt ihr die Kraft, die Inflation zu bekämpfen, «whatever it takes». Die Befürchtungen ihrer Kritiker scheinen sich zu bewahrheiten. Peter A. Fischer 21.7.2022, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG  –

EZB-Präsidentin Christine Lagarde will beides schaffen: die Inflation mit Zinserhöhungen bekämpfen und verhindern, dass hochverschuldete Staaten wie Italien spürbar höhere Risikoaufschläge zahlen müssen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag beschlossen, ihren Leitzins erstmals seit elf Jahren wieder anzuheben und gleichzeitig ein neues Instrument zur Absicherung der Transmission (TPI) zu schaffen. Letzteres soll verhindern, dass stark verschuldete Länder höhere Risikoaufschläge zahlen müssen. Um das einzuordnen, wirkt ein Blick zurück beklemmend erhellend.

Schon bei der Gründung der Europäischen Währungsunion gab es unter Ökonomen zwei Lager. Die Kritiker hielten das Projekt für verfehlt, weil die Mitgliedländer wirtschaftlich zu unterschiedlich und die Schritte zu Europas Integration noch zu wenig fortgeschritten seien. Es fehlten die Voraussetzungen für eine Währungsunion, argumentierten sie, das Projekt werde die Spannungen innerhalb der EU erhöhen.

Das Lager der Befürworter hingegen setzte darauf, dass die Europäische Währungsunion dem wirtschaftspolitischen Schlendrian in Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland ein Ende bereiten und so der ganzen Union zu mehr wirtschaftlicher Potenz verhelfen werde. Die Ökonomen gingen davon aus, dass die gemeinsame Geldpolitik selbst leichtsinnige Politiker im Süden zu Reformen zwingen würde, da sie ja nicht länger Zuflucht würden suchen können bei hoher Inflation, Staatsfinanzierung durch die Zentralbank und wiederholten Währungsabwertungen. Aufgabe der Europäischen Zentralbank werde es sein, nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank die Preisstabilität zu gewährleisten.

Doch wie die Entscheide der EZB vom Donnerstag zeigen, sind die Währungshüter in eine paradoxe Situation geraten, in der sie aktiv dazu beitragen, die Befürworter der Währungsunion zu widerlegen.

Im Willen, ein Ausscheiden einzelner Mitglieder oder gar ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zu verhindern, kommt die EZB nämlich auf immer neue Ideen, wie sie die Finanzierungsbedingungen für stark verschuldete Länder erleichtern kann.

Trauriges Beispiel Italien

Technisch argumentiert die EZB damit, dass ihre Geldpolitik über den Zins wirke. Dieser müsse in einem einheitlichen Währungsraum überall sehr ähnlich sein, sonst funktioniere die Transmission nicht. Faktisch bewirkt die EZB mit immer neuen Aufkaufprogrammen für Staatsanleihen hochverschuldeter Euro-Länder allerdings nur, dass deren Zinskosten niedrig bleiben und sich diese dem disziplinierenden Wettbewerbsdruck nicht beugen müssen und für zügellose Politik mit marktgerechten Risikoaufschlägen bestraft werden.

Das Resultat lässt sich gerade in Italien betrachten. Dort leistet sich eine notorisch unfähige Politikerkaste, die nur auf kurzsichtige Profilierung fixiert ist, wieder einmal ein Sommertheater, das die Hoffnung auf echte wirtschaftliche Strukturreformen und einen verlässlichen Kurs erneut begraben dürfte.

So geht das nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Der Schuldenstand des italienischen Staates ist in den vergangenen 15 Jahren laut den Berechnungen der OECD von 110 auf 174 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) gestiegen. Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in Italien hingegen ist trotz Leben auf Pump und trotz den vielen Zuwendungen und Strukturhilfen von 108 auf 94 Prozent und damit unter den EU-Durchschnitt gefallen. Eine Tragödie, die sich Italien wohl nur leistet, weil sich die Politiker darauf verlassen, dass sie die EZB schon vor dem wirtschaftlichen Kollaps bewahren wird.

Und so kommt es, dass die eigentlich auf wirtschaftliche Konvergenz bedachte Politik der europäischen Währungshüter die Spannungen innerhalb der Währungsunion mittelfristig eher noch verstärkt, indem sie die Politiker davon entlastet, unpopuläre, aber für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und damit das Funktionieren der Währungsunion notwendige Reformen durchzuführen. Gleichzeitig kann sich die EZB nun nicht mehr mit voller Kraft dem Ziel der Preisstabilität widmen.

Inflation als Spaltpilz

Trotz der rekordhohen Jahresteuerung von 8,6 Prozent im Juni hat sich die EZB erst am Donnerstag zu ihrer ersten Zinserhöhung seit elf Jahren durchgerungen. Der Zinssatz auf Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB steigt damit von -0,5 auf gerade einmal 0,0 Prozent. Als Folge dieser im Vergleich zur amerikanischen sehr zögerlichen Geldpolitik rentieren die zehnjährigen US-Staatsanleihen nun mit 3,0 Prozent, die Deutschen jedoch nur mit 1,2 Prozent – und der Dollar wird immer stärker.

Der mit der hohen Inflation und den tiefen Zinsen verbundene Kaufkraftverlust aber bestraft die kleinen Sparer und ist höchst unsozial. Er führt zu politischen Spannungen und gibt häufig aggressiv-nationalistisch gesinnten Populisten mit ihren vermeintlich tollen Rezepten Auftrieb. Was gerade nicht nur in Italien zu beobachten ist.

So hat sich die Politik in den Euro-Ländern leider ins Paradoxe verkehrt. Während die Währungshüter krampfhaft versuchen, mit tiefen Zinsen und finanzpolitischen Erleichterungen den Zusammenhalt des Währungsraums zu stützen, profilieren sich populistische Politiker als Inflationsbekämpfer und verteilen Zuwendungen, die sie sich eigentlich nicht leisten können. Die EZB und die Politik tragen so beide dazu bei, dass die Pessimisten unter den Ökonomen recht behalten: Die Währungsunion stärkt die Wettbewerbsfähigkeit Europas nicht, sie schwächt sie.