THEO VAN GOGH REMEMBER: Postkoloniale Ideologie als Feind der europäischen Zivilisation

  1. Oktober 2022Die Kolumbuskarte (Ausschnitt)

Der Althistoriker Egon Flaig setzt sich in einem in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erschienenen Aufsatz mit der neomarxistischen Ideologie des Postkolonialismus auseinander. Diese beruhe auf eine Reihe von unwahren historischen Aussagen und stelle die europäische Zivilisation als eine „dämonische Kultur“ dar, die es „abzuräumen“ gelte. Tatsächlich jedoch habe sich diese Zivilisation enorme Leistungen zum Wohl anderer Kulturen vollbracht, weshalb ihr Erbe gegen den Angriff der Postkolonialisten verteidigt werden müsse.

Flaig führt den Postkolonialismus vor allem auf Gedanken des Neomarxisten Frantz Fanon zurück, der die europäische Zivilisation in den 1960er Jahren als den Ursprung von Sklaverei und Rassismus dargestellt habe. Postkoloniale Ideologie knüpfe daran an, wenn sie leugne, dass diese Phänomene universell verbreitet seien und „nur in der westlichen Kultur ein Abolitionismus entstand und die weltweite Abschaffung der Sklaverei eine westliche Errungenschaft ist“. Diese Ideologie leugne zudem, dass der „hautfarbige Rassismus eine arabische Kreation ist“.

Historische Gerechtigkeit sei zudem „nicht zu haben ohne historische Wahrheit“. Der Postkolonialismus beruhe jedoch auf Unwahrheiten, mit denen sich „ausgerechnet jene Kultur zur Quelle allen Übels dämonisieren“ lasse, „welche die Menschenrechte formulierte“. Diese Ideologie fordere von den „Guten“ und „Einsichtsvollen“, „diese dämonische Kultur schlechthin abzuräumen“, deren Zerstörung als „Präludium zur Erlösung“ der Menschheit dargestellt werde. Der Postkolonialismus sei somit ein Feind der europäischen Zivilisation.

Die europäische Zivilisation habe sich gegenüber der Menschheit jedoch für nichts zu rechtfertigen. Sie sei es gewesen, die der Sklaverei durch den Kolonialismus gegen den Widerstand nichteuropäischer Kulturen ein Ende bereitet habe:

„Um die grauenhaften Versklavungskriege im Inneren Afrikas zu stoppen, reichte es nicht, den Sklavenhandel an der Küste zu unterbinden. Die Briten mussten Invasionen durchführen. Sie intervenierten seit 1807 zögernd und seit 1848 massiver im Innern, desgleichen die Franzosen. Selbstverständlich mussten sie teure militärische Einsätze durchführen und Protektorate errichten, die man später Kolonien nannte. […] Die heutigen Afrikaner wären weit überwiegend Sklaven, wenn Briten und Franzosen nicht interveniert hätten.“

Darüber hinaus sei postkoloniale Ideologie von weiteren Fehlern und Widersprüchen geprägt:

  • Sie teile die Menschheit in durch ihre Abstammung festgelegte Täter- und -Opfergruppen ein, erkläre Europäer aufgrund dessen unabhängig von ihrem tatsächlichen Handeln pauschal zu Tätern und fordere von ihnen Wiedergutmachung. Ausgleichende Gerechtigkeit könne jedoch nur zwischen „realen Tätern“ und „realen Opfern“ geschaffen werden. Es gebe zudem viele Europäer, die Nachkommen von Sklavenbefreiern und viele Afrikaner, die Nachkommen der „Versklaver und der Sklavenverkäufer“ seien. Den Status des Opfers und des Täters nach dem Kriterium der Abstammung festlegen zu wollen, sei vor diesem Hintergrund absurd.
  • Postkolonialismus schaffe eine „unvermeidliche Opferkonkurrenz“ zwischen narzisstischen Akteuren, die obsessiv die angenommene Besonderheit ihres historischen Leides betonten. Der „imaginierte Opferstatus“ sei von einem radikalisierten „Identitätswahn“ begleitet und führe dazu, dass sich der Begriff der „Rasse“ wieder „pestilenzartig in allen Diskursen“ ausbreite. Im Wettbewerb um den Status als größtes Opfer würden „diejenigen Gruppen am meisten gewinnen, die sich auf die ‚Rasse‘ berufen. Der sich antirassistisch gebende Postkolonialismus aktiviere somit die „Rassenidentität“ und steigere das „Rassenbewusstsein“ der ihm folgenden Akteure.
  • Postkoloniale Aktivisten und jene, die ihren Forderungen nachgäben, seien zudem von dem „Wahn“ besessen, die Funktion eines „Weltgerichtes“ über die Menschen anderer Zeiten wahrnehmen zu können und durch ihr Handeln „gottgleich die Welt neu zu erschaffen“.

Diese Ideologie sei darüber hinaus von kultureller „Schizophrenie“ gekennzeichnet, weil sie ignoriere, dass es sie ohne das von ihr zurückgewiesene Erbe nicht gebe:

„Wenn wir die Menschenrechte gebrauchen, um vergangene Epochen zu verdammen, dann vergessen wir, dass diese Menschenrechte ein Erzeugnis der europäischen Kultur sind, entstanden im langwierigen jahrhundertelangen Kampf gegen die Sklaverei. Wir verdanken just diesen Generationen, die wir anprangern, dass wir so sein dürfen, wie wir sind, dass wir so denken können, wie wir denken. Wir streichen genau jenen Prozess, dem wir es verdanken, dass wir universale moralische Maßstäbe besitzen, mittels deren wir heute in der Lage sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit festzustellen. Diesen Prozess zu tilgen hieße nicht allein, die Geschichtswissenschaft zu liquidieren, sondern die jetzige Generation zum absoluten Subjekt ohne kulturelle Genese zu erheben und die Geschichte selber auszulöschen.“1

Hintergrund und Bewertung

Das koloniale Erbe Europas wird von Menschen aus den ehemaligen Kolonien oft positiver beurteilt, als die Darstellungen postkolonialer Aktivisten vermuten lassen. Der aus Guinea stammende katholische Kardinal Robert Sarah, der als einer der wichtigsten afrikanischen Repräsentanten der katholischen Kirche gilt, hatte etwa die Kolonisation als Kulturleistung Europas ausdrücklich gewürdigt. Kardinal Sarah sprach von „den wunderbaren Früchten der Kolonisation durch den Westen“ in Afrika. Europa habe die historische Berufung gehabt, das Christentum in die Welt zu tragen:

„Als ich noch in Afrika lebte, durfte ich von den wunderbaren Früchten der Kolonisation durch den Westen zehren. Die kulturellen, moralischen und religiösen Werte, welche die Franzosen uns brachten, waren für uns eine große Bereicherung. Die Kolonisatoren brachten viele lebendige, durch das Christentum geadelte Traditionen ihrer Vorfahren mit. Ihre Auffassung von der Würde des Menschen, seinen Rechten und Werten waren etwas absolut Neues. Frankreich hat mich eine hervorragende Sprache gelehrt. Seine Missionare brachten mir den wahren Gott. Ich bekenne mich gerne dazu, Kind einer konstruktiven Kolonisation zu sein.“2

Auch der aus Nigeria stammende katholische Kardinal Francis Arinze würdigte dieses Erbe. Er sei dankbar dafür, dass europäische Missionare es ihm ermöglicht hätten, Christ zu werden. Diese Missionare hätten für ihn große Opfer gebracht.3 Auch der 2018 verstorbene, von indischen Vorfahren abstammende Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul würdigte in seinen Schriften das europäische Kolonialerbe. Es sei nicht ohne Fehler und Schwächen, habe jedoch eine universelle Zivilisation geschaffen, die allen Menschen Wege zu einem gelingendem Leben aufzeigen könne. Auch andere Kulturen hätten Kolonialismus betrieben, aber keine habe dadurch auch nur annähernd vergleichbare Werke geschaffen. Das Erbe Europas sei vielen der Menschen in den Kolonien, darunter auch ihm selbst, deshalb als Verheißung und nicht als Bedrohung erscheinen.4

Neben diesen persönlichen Bewertungen sprechen auch die historischen Tatsachen für eine differenzierte Bewertung des europäischen Kolonialerbes bzw. für eine Bewertung, die neben seinem historischem Kontext und seinen Verfehlungen vor allem auch seine historisch einzigartigen Leistungen betrachtet. Diese werden vor allem dort sichtbar, wo nicht das Streben nach Macht und Reichtum, sondern der christlich motivierte Wille zum Dienst an den Völkern der Welt sowie der Wille dazu, das christlich-abendländische Erbe Europas und dessen Errungenschaften mit ihnen zu teilen, die treibende Kraft darstellten.

  • Der Politikwissenschaftler Bruce Gilley trat aufgrund dieser Leistungen für eine positivere Bewertung der europäischen Kolonisation Diese habe die Lebensbedingungen großer Teile der Menschheit nachhaltig verbessert. In fast allen Staaten Subsahara-Afrikas habe sich die allgemeine Lage erst nach dem Ende der europäischen Kolonialherrschaft verschlechtert, während sie sich zuvor verbessert habe. Dies gelte insbesondere für Staaten, deren Regierungen antikoloniale Ideologien vertreten, etwa wie Zimbabwe, die ehemalige britische Kolonie Rhodesien. Nicht die europäische Kolonisation, sondern anti- und postkoloniale Ideologie müsse daher im Mittelpunkt der Kritik stehen, wenn man die Lage der in Armut und Unfreiheit lebenden Teile der Menschheit verbessern wolle.5
  • Laut dem Historiker John Roberts sei die europäische Kolonisation in weiten Teilen von materiellen Zielen getrieben und mit gravierenden Vergehen verbunden gewesen. Christen hätten diesen negativen Phänomenen entgegengewirkt und sich unter anderem dafür eingesetzt, dass europäische Kolonialmächte im 19. Jahrhundert die Sklaverei abschafften, die bereits vor ihrer Ankunft dort praktiziert worden sei. So sei es letztlich der europäischen Kolonisation zu verdanken gewesen, dass die Sklaverei weltweit zurückgedrängt wurde und heute nur noch in Regionen existiere, in denen der Einfluss Europas zu schwach gewesen sei.6Die globale Ausbreitung des Christentums zähle laut Roberts zu den wichtigsten Leistungen der europäischen Kolonisation. Das Christentum habe dadurch aufgehört, eine nur europäische Religion zu sein. Die Geschichte des Weltchristentums sei „überwiegend die Geschichte eines abendländischen Erfolges bei der Verbreitung seines Ideengutes“, das in diesem Punkt von den Menschen vieler nichteuropäischer Kulturen freiwillig angenommen worden sei. Europa habe dadurch die erste Weltkultur geschaffen, und diese Kultur sei die Kultur des Abendlandes.7 Es gehöre es zu den inneren Widersprüchen antikolonialer Ideologien, dass sie unfähig dazu seien, sich ohne Rückgriff auf die Werke europäischer Kultur zu artikulieren.8
  • Der Historiker Rodney Stark zählte die erfolgreiche Bekämpfung der Sklaverei ebenfalls zu den großen Errungenschaften des europäischen Kolonialerbes. Diese sei dem Einsatz von Christen zu verdanken, die sich dazu sowohl gegen den Widerstand der Kulturen Subsahara-Afrikas, Süd- und Mittelamerikas sowie des islamischen Raums als auch gegen den Widerstand säkularer, von Streben nach materiellem Gewinn motivierter europäischer Akteure hätten durchsetzen müssen.9

Der Soziologe Levent Tezcan hatte die Maßlosigkeit und Irrationalität postkolonialer und antirassistischer Diskurse kritisiert. Die europäische Zivilisation habe als erste in der Geschichte der Menschheit den Schwachen eine Stimme gegeben. Nichtwestliche Kulturen hätten nichts Vergleichbares hervorgebracht und würden fragwürdige Aspekte ihrer Geschichte meist ausblenden. Es sei daher absurd, wenn nichtwestliche Aktivisten unter Berufung auf ihre kulturelle Identität ausgerechnet der europäischen Zivilisation eine pauschale Neigung zum Rassismus vorwerfen würden:

„Die westliche Zivilisation ist wohl die erste, deren Selbstverständnis es nicht nur zulässt, sondern geradezu vorschreibt, dass die Schwachen den Mächtigen vorwerfen dürfen, dass diese eben die Mächtigen sind. Als Nachfahre von Osmanen, deren Eroberungssinn dem der Europäer lange in nichts nachstand, kann ich mir schwer vorstellen, dass so etwas dort, aber auch bei den Römern, antiken Griechen, Mongolen, in den Hindureichen, um vom Reich der Mitte ganz zu schweigen, je denkbar gewesen wäre. Für viele People of Color beginnt aber die Geschichte mit dem westlichen Kolonialismus und sie wird auch, darin belehren uns täglich die Postkolonialen, nie enden. Umso absurder wird das Bild, wenn immer mehr Nachfahren von Osmanen und Arabern ins Outfit von People of Colour schlüpfen und den Kolonialismus als nie enden werdenden Beginn der Geschichte der Ursünde anprangern.“

Der Furor der entsprechenden Aktivisten sei möglicherweise eine Folge des Wunsches postchristlicher Linksliberaler, sich zu einer säkularisierten Form von Ursünde zu bekennen. Diese Ideologie bewege sich zudem in einer gefährlichen Nähe zu rassenideologischem Denken, weil sie politische Fragen grundsätzlich ethnisiere und Konflikte ethnisch auflade.10

Der laut postkolonialen Aktivisten in der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte strukturell angelegte Rassismus ist für die Blütezeit der abendländischen Kultur im Mittelalter sowie im Mitteleuropa der frühen Neuzeit nicht nachweisbar. Dies illustriert etwa die zu dieser Zeit verbreitete Verehrung des heiligen Mauritius, der in der christlichen Kunst als Schwarzafrikaner dargestellt wird. Das Reichsschwert und die Heilige Lanze und damit zwei der wichtigsten Artefakte der deutschen Geschichte werden seit dem Hochmittelalter auf ihn zurückgeführt. Otto der Große (912-973), der eigentliche Begründer Deutschlands, verehrte den heiligen Mauritius in besonderem Maße und trug die Heilige Lanze während der Schlacht auf dem Lechfeld, die zu den wichtigsten Ereignissen in der Geschichte Europas gehört. Dass postkoloniale Aktivisten gegenwärtig die Existenz der oft nach diesem Heiligen benannten „Mohrenstraßen“ oder dessen Abbildung in Stadtwappen anprangern, offenbart vor diesem Hintergrund sowohl Bildungsmängel als auch mangelnde Gerechtigkeit gegenüber der Tradition, die unter anderem den Gedanken der Gleichheit aller Menschen vor Gott in die Welt hineintrug und dadurch die geistige Grundlage schuf, ohne die keine tragfähige Vorstellung der friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Völker oder Kritik an materialistischen Rassenideologien formuliert werden könnte.

Kennzeichnend für die Geschichte Europas sind nicht die historischen Verfehlungen von Europäern, die sich nicht wesentlich von denen der Menschen anderer Kulturen unterscheiden, sondern das Handeln von Männern wie den Dominikanern Antonio de Montesinos und Bartolomé de las Casas, die vor 500 Jahren als erste Menschen überhaupt eine fundierte Zurückweisung von Rassenideologien formulierten und gegen die mit ihnen verbundenen Verbrechen vorgingen. Dies mündete in der Abschaffung der Sklaverei in den von Europäern kontrollierten Teilen der Welt im 19. Jahrhundert. Dass antirassistische Ideologie sich nicht gegen Rassismus, sondern gegen europäische Kultur und ihre Leistungen richtet, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ihre Anhänger Stätten der Erinnerung an solche Männer zerstören, anstatt sie zu achten und zu ehren. (sw)

Quellen

  1. Egon Flaig: „Schuldig gesprochene Vergangenheit“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.2022, S. 11.
  2. Robert Kardinal Sarah/Nicolas Diat: Herr bleibe bei uns: Denn es will Abend werden, Kißlegg 2019, S. 298.
  3. „‚You ask them: Are you serious?’: An interview with Cardinal Arinze“, catholicherald.co.uk, 25.07.2019.
  4. S. Naipaul: „Our Universal Civilization“, The New York Times, 05.11.1990.
  5. Bruce Gilley: „The Case for Colonialism“, Academic Questions, Vol. 31, No. 2 (June 2018), S. 167-185.
  6. John M. Roberts: Der Triumph des Abendlandes, Düsseldorf/Wien 1986.
  7. Roberts 1986, S. 40 ff.
  8. , S. 38 ff.
  9. Rodney Stark: For the Glory of God: How Monotheism Led to Reformations, Science, Witch-Hunts, and the End of Slavery, Princeton 2003, S. 291 ff.
  10. Levent Tezcan: „Alles Rassisten?“, taz – die tageszeitung, 28.07.2020, S. 12.