THEO VAN GOGH REFLEX : ADORNO & HORKHEIMER & KOGON : „VERWALTETE WELT!“
COURTESY Magnus Klaue 15-10-22
Das folgende Gespräch zwischen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon über “Die verwaltete Welt oder: Die Krise des Individuums” wurde am 4.9.1950 im Hessischen Rundfunk ausgestrahlt. Zu Beginn gibt es von Kogon eine Reflexion über die Notwendigkeit, trotz Nervosität, Hektik und Termindruck “so zu tun”, als ob man “beliebig Zeit hätte”, weil ohne diese Fiktion kein Gespräch und kein Denken möglich wäre.
Der Begriff der Verwaltung, der von den drei Gesprächspartnern entfaltet wird, meint nicht einfach Bürokratie und Institutionen der sogenannten Staatsapparate, sondern beschreibt eigentlich schon deren Selbstdemontage: den aus deren eigener Dymanik sich speisenden Umschlag von Verwaltung in Destruktion und Chaos, die Selbstaufhebung der freien Konkurrenz ebenso wie der rationalen Planung. In diesem Zusammenhang sind auch Adornos Überlegungen über die Konvergenz von “Starrheit” und “Beweglichkeit” in der “anthropologischen Beschaffenheit eines großen Teils der Menschen heute” (ab ca. 36:00) aufschlußreich.
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Adorno: “Es ist gleichsam den Menschen ein immer geringerer Ausweichraum gelassen, aus den … gesellschaftlich verpflichtenden Formen, in denen sie existieren. Und dadurch ist der Druck, der Zwang, sich anzupassen, immer größer geworden und der Bereich, in dem die Menschen ein Leben unabhängig von diesem gesellschaftlichen Mechanismus führen können, immer geringer geworden. Es gibt gleichsam keine Auswegmöglichkeiten mehr, und deshalb tendieren die Menschen dazu, von sich aus nochmals all jene Prozesse der Verwaltung in sich selber zu wiederholen, die ihnen von außen angetan werden. Jeder Einzelne wird gewissermaßen zum Verwaltungsfunktionär seiner selbst.”
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Horkheimer: “Es handelt sich bei der Verwaltung nicht etwa nur um die Verwaltung durch Regierungen, sondern es handelt sich ebensosehr darum, daß alle Zweige der Wirtschaft sowohl wie der freien Berufe verwaltet sind. Ja, wir wissen gut, wir alle, Sie, Herr Adorno, und Sie Herr Kogon, daß die Publizistik, daß die Wissenschaft selbst verwaltet ist.”
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Adorno: “Das meine ich unter anderem auch, daß dabei nämlich die Freiheit zu einem bloßen Vorwand geworden ist, die Menschen besser beherrschen zu können. Aber ich meine darüber hinaus eigentlich, daß die Gesellschaft selber, die die heutige Planung vornimmt, in sich selber alle die Elemente der Planlosigkeit hat und daß eben deshalb auch nur partikulare Teilinteressen sich durchsetzen und daß diese Planung eben in Wirklichkeit nicht den Menschen selber zugute kommt”.
Nebenbei kann man an diesem Gespräch einen Gestus studieren, der damals durch die Produktions- und Rezeptionsweisen des Rundfunks bestärkt und mitgeformt wurde: eine freie, ungebundene Rede, die alle differenzierenden Elemente der Schriftsprache in sich aufgenommen hat; wie auch umgekehrt die schriftlichen Arbeiten von Horkheimer und Adorno ihre Prägnanz und Genauigkeit daraus beziehen, daß in ihnen immer die freie Rede und die Stimme nachklingen
Ein Gespräch zwischen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon für den Hessischen Rundfunk, gesendet am 4. September 1950. Abgedruckt in: Max Horkheimer: Gesammelte Schriften. Band 13: Nachgelassene Schriften 1949-1972. Fischer, Frankfurt am Main 1989, S.