THEO VAN GOGH REFERIERT PATRICK BAHNERS

War NS-Kunst Nicht-Kunst? Wer sie im Kunstmuseum gar nicht zeigen will, fällt hinter das wichtigste Ergebnis der kulturhistorischen Forschung zum NS zurück und propagiert eine falsche Idee von reiner Kunst.

NS-MALEREI IM MUSEUM:Georg Baselitz leidet unter Kunstscham

  • EIN KOMMENTAR VON PATRICK BAHNERS     5. 10.2022-

  • Georg Baselitz fordert, dass die Münchner Pinakotheken ein Bild von Hitlers Lieblingsmaler Adolf Ziegler abhängen. Ist NS-Kunst keine Kunst? Diese Ansicht verharmlost den Nationalsozialismus und idealisiert die Kunst.

Das Museum ist eine Instanz der Kanonisierung. Aber man möchte dort nicht nur sehen, was der Direktor als schön oder bedeutend ansieht oder was einem selbst gefällt. Das Museum soll etwas für unsere Bildung tun. Es unterrichtet auch darüber, was man früher als schön empfunden oder als bedeutend hingestellt hat. Wir wandern im Museum durch die Kunstgeschichte und sehen mit eigenen Augen, wie relativ jeder Kanon ist. Einem ungewöhnlich abrupten Geschmackswandel verdankt sich ein spezieller Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. 1945 beschlagnahmten die Alliierten den Kunstbesitz nationalsozialistischer Funktionsträger und Organisationen. Was nicht als Raubgut identifiziert und restituiert wurde, fiel später dem bayerischen Staat zu. Diese „Überweisungen aus Staatsbesitz“ zeigen einerseits, dass der Kunstgeschmack etwa eines Hermann Göring sich bei den älteren Epochen mit den Präferenzen des Sammlermarkts vielfach überschnitt; daher kann man in diesem Konvolut immer noch Raubkunst entdecken. Andererseits erbte der entnazifizierte Staat auch einen Haufen Werke einer soeben noch zeitgenössischen Kunst, die gemäß ästhetischen Idealvorstellungen der Nationalsozialisten produziert worden war.

Ein solches Werk wurde 2016 in die ständige Ausstellung der Pinakothek der Moderne aufgenommen, die kürzlich neu gehängt worden ist. Das Triptychon „Die vier Elemente“ von Adolf Ziegler ist ein ikonisches Werk – jedenfalls im dokumentarischen Sinne: eines der bekanntesten, auf Anhieb wiederer­kennbaren Bilder der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts. In der Hitlerzeit wurde es sehr oft abgebildet, und zwar auch in der antinationalsozialistischen Kunstkritik des Auslands. Als Hauptwerk der ersten „Großen Deutschen Kunstausstellung“ von 1937 eignet es sich perfekt zur Illustration dessen, was die NS-Kunstpolitik an die Stelle der als „entartet“ verfolgten klassischen Moderne setzen wollte: akademischen Superklassizismus. Ein der Kunstgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gewidmetes Mu­seum wäre ohne wenigstens ein Werk der NS-Kunst unvollständig – und wenn es den in mehrfacher Hinsicht repräsentativen Ziegler besitzt, soll es ihn zeigen, wobei die ständige Ausstellung ja nicht als ewige Auswahl ge­dacht ist und „Die vier Elemente“ in ein paar Jahren auch wieder ins Depot gehen können, schon weil Zieglers Frauenaktparade nicht die ge­samte NS-Kunst abdeckt.

Ziegler hängt in einem Raum mit Picasso

Die neue Präsentation der Münchner modernen Sammlung geht von dem seit zweihundert Jahren üblichen Prinzip der chronologischen Gruppierung ab, verfolgt aber unter dem Motto „Mix & Match“ das ursprüngliche museale Ziel der Unterrichtung durch Kontextualisierung weiter, indem nicht nur zeitliche Nachbarschaften herausgestellt werden. In einem Saal mit dem Namen „Panoptikum“ hängt Ziegler neben beziehungsweise gegenüber einem extrem abstrakten Frauenporträt Picassos, einer „Dirne“ von Josef Scharl, der wandfüllenden Arbeit „Nach Magnus Hirschfeld“ von Henrik Olesen sowie zwei Skulpturen von Otto Freundlich und Thomas Helbig.

Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, hat der Maler Georg Baselitz in einem Brief an den bayerischen Kunstminister Markus Blume gefordert, das Werk von Adolf Ziegler „endlich abzuhängen“, mit der apodiktischen Be­gründung, „weil das Bild schlecht ist“. Er verweist auf Zieglers Rol­le als Kunstfunktionär, der „Kunst und Künstler vernichtet“ habe. Am 1. Dezember 1936 wurde Ziegler zum Präsidenten der Reichskammer für bildende Künste ernannt. Er leitete die Säuberung der deutschen Museen, deren Beute in der Ausstellung „Entartete Kunst“ präsentiert wurde.

In den Augen von Baselitz erweckt die Mischung im Saal „Panoptikum“ den Eindruck, „der Ziegler sei das prominente und wesentliche Werk, und die übrigen Arbeiten darauf bezogen”. Diese „Wirkung“ sei „ns-propagandistisch”. Baselitz, der vor 45 Jahren seine Bilder von der sechsten Documenta abzog, weil in Kassel auch Werke offizieller Vertreter der DDR-Kunst ausgestellt wurden, zeigt sich „schockiert, dass Nazipropaganda auf diese schmuddelige Art in einem Münchner Museum möglich ist“. Gegenüber der F.A.Z. erläuterte Oliver Kase, der Sammlungsdirektor der Pinakothek der Moderne, für die Kuratoren sei es wichtig gewesen, „dass Ziegler gerade nicht an der Hauptwand des Raumes hängt, sondern aus den beiden Sichtachsen des Raumes (auf die Nord- und Westwand) mit der Position an der kürzeren Ostwand gar nicht auf den ersten Blick sichtbar wird – im Gegensatz zu den größeren und kraftvollen Werken von Freundlich und Olesen“. In der internen Raumübersicht wird der Saal unter dem Thema Norm und Kritik“ geführt. Laut Kase „ging es darum, gegen Zieglers ideologische und manipulative Normierung von Körperidealen künstlerische Positionen der Toleranz, des Aufbruchs und der Offenheit zu setzen“.

Der Hauptort der Kunstpolitik

In München stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der NS-Kunst noch einmal viel schärfer als für jedes andere Universalmuseum auf deutschem Boden. Die „Hauptstadt der Bewegung“ war der Hauptort der Kunstpolitik. Hier ließ Hitler das Haus der (Deutschen) Kunst bauen. Aus der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in diesem Haus erwarb er „Die vier Elemente“, um das Dreiflügelbild im „Führerbau“, dem Parteizentrum der NSDAP am Königsplatz, über dem Kamin anbringen zu lassen. Verständlicherweise wird von der internationalen Öffentlichkeit besonders genau beobachtet, wie die Staatsgemäldesammlungen, deren Generaldirektor seit 2015 der aus Jena gebürtige, aus Dresden berufene Bernhard Maaz ist, mit Restitutionsforderungen und mit den verbliebenen „Überweisungen aus Staatsbesitz“ verfahren. Mit der juristischen Bewältigung muss aber die Auseinandersetzung in der Museumsarbeit einhergehen. Touristen werden „Die vier Elemente“ mit gleichem Recht in München vorzufinden erwarten wie Dürers „Vier Apostel“.

Neben dem ehemaligen „Führerbau“, der heute durch die Musikhochschule zivilisiert wird, wurde 2015 das NS-Dokumentationszentrum der Landeshauptstadt München eröffnet. Würde Ziegler nur an einem solchen Ort ausgestellt und dauerhaft aus dem Kontext der Kunstentwicklung gelöst, fiele man hinter die wichtigste Erkenntnis der kulturhistorischen Forschung zum Nationalsozialismus zurück: Die NS-Kultur war nichts Abseitiges. NS-Kunst muss als Teil der Kunstgeschichte betrachtet werden, wie NS-Literatur als Teil der Literaturgeschichte. Auch das südliche Pendantgebäude des „Führerbaus“ wird kulturell genutzt, vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Dort arbeitet Christian Fuhrmeister, einer der wichtigsten Experten zur Geschichte von NS-Kunst und Raubkunst, der auch über Ziegler geforscht hat. In der SZ bewertete er das von Baselitz skandalisierte Vorgehen der Staatsgemäldesammlungen als vorbildlich. „Die Pinakothek der Moderne ist das einzige deutsche Kunstmuseum, das nicht so tut, als hätte es die zwölf Jahre nicht gegeben. Die Tabuisierung der NS-Kunst ist nicht der richtige Weg. Und Ziegler zu zeigen ist keine Rehabilitation oder Aufwertung. Wo, wenn nicht in Kunstmuseen, soll man über NS-Kunst dis

Soweit das Qualitätsurteil von Baselitz über Zieglers Bild plausibel ist, bleibt es auf die Möglichkeit der Au­topsie angewiesen. Anderenfalls schöbe sich vor das durch An­schauung er­worbene und geprüfte Wissen ein falscher Idealismus. Ziegler wurde als „Reichsschamhaarmaler“ verspottet. Auch die Auffassung, dass unter den korrupten Produktionsbedingungen im NS-Staat nur schlechte Kunst habe entstehen können, zwingt Moral und Ästhetik zusammen unter dem Bann wahnhafter Reinheit. Der Maler und Kritiker Hans Platschek hat 1984 in seinem Buch „Über die Dummheit in der Malerei“ die Funktion der Abwertung der NS-Kunst in der Nachkriegszeit entschlüsselt: Mit dem Banausischen wollte man nichts zu tun gehabt ha­ben. Dämonisiert wurde der Blockwart, also der sprichwörtliche ungebildete Nazi, und mit ihm das Personenreservoir der NS-Kunst, Ackermann, Mutter und Soldat, „als wäre dies alles die spontane Äußerung entfesselter Krämerseelen gewesen, die solche Bilder nur zu Gesicht bekommen brauchten, um wieder dem Faschismus zu verfallen“. Gottfried Benn ist Platscheks Beispiel für eine nachgeholte Verteufelung einer Bewegung, in der eben nicht nur vor 1933 gescheiterte Existenzen vom Schlag Zieglers mitgemacht hatten. „Die deutsche Kunstwelt hielt sich jäh ihren Geistesadel zugute und setzte damit eine althergebrachte Po­lemik fort.“ So jetzt auch, nicht so sehr jäh als zäh, der Malerfürst Baselitz.

 

Patrick Bahners

Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.