THEO VAN GOGH POSTMODERNE IN FORTSETZUNG: NACH DEM ESSENTIELLEN VERGEHT AUCH ALLES AUTHENTISCHE / DIE WAHRHEIT IST JETZT PURE SIMULATION
Alles außer Fußball : Das Traumfinale des Denksports
- Ein Kommentar von Harald Staun FAZ – 3.12.2022 Ihn wünschen wir uns im Finale des Denksports, hier sehen wir ihn ungerührt auf der Fährte des Bären: Werner Herzog in einer Szene aus dem Dokumentarfilm „Grizzly Man“ von 2005. Bild: Werner Herzog
Die Fußball-WM in Qatar ist für die Deutschen vorbei. Da verlegen wir uns auf die WM des Denksports. Bei der tritt Slavoj Žižek gegen Werner Herzog an. Wer da wohl gewinnt?
Wenn es ein Traumfinale in der Weltmeisterschaft des Denksports gibt, dann dieses: der slowenische Philosoph Slavoj Žižek gegen den bayerischen Regisseur Werner Herzog. Der italienische Programmierer Giacomo Miceli hat, mit ein bisschen Hilfe Künstlicher Intelligenz, die beiden nun in ein endloses Rededuell geschickt – um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie einfach es mittlerweile ist, solche Täuschungen zu erzeugen („jeder motivierte Narr mit einem Laptop kann das in seinem Schlafzimmer machen“); und als Hommage an die „brillanten Ideen“ und die „eigenwillige Sprache“ von Žižek und Herzog.
Reden über Gott und die Welt
Auf der Website Infiniteconversation.com kann man sich anhören, wie sie im wahrsten Sinn über Gott und die Welt reden, über das Kino und die Psychoanalyse, über Alfred Hitchcock und David Lynch, über Träume und Aliens. Dass das Gespräch, von ein paar unüberhörbaren technischen Pausen abgesehen, eine derart perfekte Simulation von Žižek und Herzog ist, von ihrem Sprachrhythmus und ihrer Erzählweise, das scheint zunächst einmal all jene zu bestätigen, die die beiden sowieso immer für Trickser und Blender gehalten haben, deren Spiel die Tiefe fehlt, und ihre Werke für einen prätentiösen Bluff.
In einer Reaktion auf seinen virtuellen Doppelgänger in der „Zeit“ hat der vermutlich echte Žižek etwas beleidigt reagiert und Micelis Programm vorgeworfen, es würde seine Gedankengänge „in harmlose Scheiße“ verwandeln. Dabei maßt sich das Projekt überhaupt nicht an, eine „echte Theorie“ hervorzubringen, wie Žižek bemängelt (vielleicht hat er den Text doch nicht selbst geschrieben). Der Konversation zuzuhören gleicht eher dem Ablauf von Variation und Überraschung in einem vertrauten Muster, ähnlich wie bei einem Fußballspiel: Sie plätschert ewig dahin, mit viel Geplänkel im Mittelfeld, bis irgendwann einer doch einen richtigen Hammer rausholt: Dann erzählt Žižek einen Witz über den Teufel, der einem Mann den Wunsch erfüllt, niemals zu sterben, ihn dafür aber für immer in einen See aus Honig steckt. Und Herzog die Anekdote, wie Slobodan Milošević einmal in Frankfurt seine Tochter besuchte und bei McDonald’s die Zeche prellte.
Ändere doch einfach Deinen Namen!
Irgendwann schlägt Herzog Žižek vor, seinen Namen zu ändern, und Žižek stimmt bereitwillig zu. Beim nächsten Besuch im Amt werde er einfach sagen, Herzog habe es sich gewünscht. Auch die Frage nach Wahrheit und Lüge wird von den beiden ausgiebig diskutiert. So etwas wie eine Lüge gebe es nicht, sagt Herzog, nur verschiedene Arten, die Welt zu sehen. Ja, stimmt Žižek zu: „Wir sollten nicht einmal akzeptieren, dass es so etwas wie eine Tatsache gibt. Eine Tatsache ist immer mit Bedeutung aufgeladen.“ „Aber wir sind immer noch frei in dem, was wir dort sehen“, antwortet Herzog. „Ja“, sagt Žižek. „Aber wir sind nicht frei von dem, was wir dort sehen.“