THEO VAN GOGH: POLITISCHE ISRAELKRITIK VERBOTEN ! Max Weber Stiftung

Israelboykott mit deutschem Steuergeld? Personalie bei Forschungsinstitut sorgt für Kritik

24.06.2023 | DIE WELT  – Von Kevin Culina Volontär Innenpolitik / Axel Springer

Mit Bundesmitteln betreibt die Max Weber Stiftung weltweit Forschungseinrichtungen. Direktor in Beirut wird der Historiker Jens Hanssen. Doch der unterstützte den Boykott Israels. Der Zentralrat der Juden ist irritiert. Und das Bildungsministerium geht auf Distanz.

Ist es noch Wissenschaftsfreiheit, wenn man israelische Universitäten boykottieren will? Diese Frage beschäftigt die Max Weber Stiftung. Grund dafür ist die designierte Leitung ihres Orient-Instituts Beirut: der Historiker Jens Hanssen. Denn dieser befürwortete einen akademischen Boykott Israels.

Die Max Weber Stiftung wird als bundesunmittelbare Institution von deutschen Steuergeldern finanziert, jährlich mit rund 48 Millionen Euro. Das läuft über das Bundesministerium für Bildung und Forschung und ist ein Teil auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik. Weltweit betreibt die Stiftung zwölf autonom handelnde Institute, darunter etwa in Tokyo, in Washington oder Delhi. Und eben zwei Orient-Institute, in Beirut und in Istanbul.

Diese Institute fühlen sich der „Schaffung von Freiräumen für die Begegnung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Herkunft“ verpflichtet, heißt es auf der eigenen Webseite. Im deutschen Forschungsbetrieb nimmt das Orient-Institut Beirut eine wichtige Funktion ein. Viele Studierende aus der Geschichte oder den Islamwissenschaften bewerben sich dort für Praktika, zudem werden Stipendien vergeben. Das Institut betreibt eine öffentliche Bibliothek, veranstaltet Konferenzen und kooperiert mit Akademikern in der arabischen Welt.

Nun soll Hanssen das Institut ab Juli leiten. Der Historiker ist derzeit noch Professor für die Geschichte des Nahen Osten und des Mittelmeerraums an der Universität Toronto. In der Vergangenheit arbeitete er etwa zu Intellektuellen in der arabischen Welt, der arabischen Renaissance oder der dortigen Rezeption Hannah Arendts, er publiziert in renommierten Verlagen.

Seine Äußerungen gegen Israel gehen teils schon einige Jahre zurück. Im August 2014 trat er öffentlich für ein Ende der Zusammenarbeit mit israelischen Forschungseinrichtungen und Universitäten ein. Aufgrund der „fortlaufenden israelischen Massaker in Gaza“ kritisierte er mit über 100 Wissenschaftlern aus den Nahoststudien die israelischen Forscher. Diese würden zumeist schweigen ob des Handelns des israelischen Militärs.

2014 eskalierte der Konflikt um den Gaza-Streifen. Rund 3000 Raketen schossen palästinensische Terroristen auf Israel, das Land wiederum beschoss Ziele in Gaza und setzte Bodentruppen ein. Insgesamt 73 Israelis und über 2000 Palästinenser, darunter viele Zivilisten, starben.

Im Offenen Brief, den Hanssen unterschrieb, wird ein Boykott israelischer Institutionen gefordert. Forscher sollen demnach weder mit ihnen kooperieren noch an Veranstaltungen mit Beteiligung israelischer Einrichtungen teilzunehmen oder in israelischen Forschungszeitschriften veröffentlichen. Bis die israelischen Institutionen ihre „Komplizenschaft im Verletzen palästinensischer Rechte“ beenden würden.

2010 moderierte Hanssen einen Vortrag von Omar Barghouti an der Universität Toronto. Barghouti ist Mitbegründer der Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS), die eine weltweite Isolierung Israels anstrebt, unter anderem eben durch Boykotte. Hanssen nannte es dort ein „großes Privileg und immense Freude“, Barghouti zu empfangen.

Auch im nordamerikanischen Dachverband „Middle East Studies Association“ (MESA) warb Hanssen für einen Israel-Boykott. In dem nordamerikanischen Forschungsnetzwerk haben sich 50 Institutionen und 2800 Einzelpersonen zusammengeschlossen. Und 2022 beschloss der Verband wiederum, die BDS-Kampagne zu befürworten. Hanssen ist Mitglied des

Der Bundestag hält die Argumentationsweise und Methoden der BDS-Kampagne indes mehrheitlich für antisemitisch. 2019 beschlossen Union, SPD, FDP und große Teile der Grünen, keine öffentlichen Gelder und Räume mehr für der BDS-Bewegung nahestehende Projekte und Organisationen mehr zur Verfügung zu stellen.

Zentralrat der Juden ist irritiert – und fordert Aufklärung

Der Zentralrat der Juden ist irritiert über die Berufung Hanssens. „Wer sich intellektuell mit BDS verbündet und der Bewegung Vorschub leistet, etwa zum Aufruf des akademischen Boykotts Israels, steht wohl kaum für den Wert von Wissenschaftsfreiheit, den die Max Weber Stiftung für sich als zentral betrachtet“, sagte Zentralrats-Präsident Josef Schuster der WELT AM SONNTAG.

Das Orient-Institut in Beirut müsse als „so wichtige gesellschaftliche und wissenschaftliche Schnittstelle“ entsprechend im Sinne des Austauschs besetzt werden – „gerade, wenn eine Institution unmittelbar durch die deutsche Bundesregierung finanziert wird“, kritisiert

„Diese Einstellung ist ein Fehler“, sagt auch Lisa Michajlova von der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD). „Wissenschaftler:innen dürfen Forschung aus einem Land nicht boykottieren, egal ob es um den Nahostkonflikt oder um Tröpfchenbewässerung geht.“

In jener Ausgrenzung Israels sieht Michajlova einen Verstoß gegen den wissenschaftlichen Eid. „Es fügt sich in ein antisemitisches Klima ein.“ Die BDS-Bewegung sei auch in Deutschland auf dem Vormarsch und bedrohe jüdisches Leben auf dem Campus. „In den Arbeitsverträgen der Max-Weber-Stiftung sollte klargemacht werden: Der Boykott Israels hat hier keinen Platz“, so Michajlova.

Auch aus dem Bundestag kommt Kritik. „Die Berufung des designierten Direktors des Orient-Instituts Beirut wirft Fragen auf“, sagt Thomas Jarzombek, forschungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Der Stiftungsrat müsse die Vorwürfe aufklären, die Union erwarte die Umsetzung des BDS-Beschlusses des Bundestags. Wo BDS auftritt, folgt Antisemitismus auf dem Fuße“, sagt auch Marlene Schönberger. Es sei „untragbar“, wenn die Vorwürfe gegen Hanssen sich bewahrheiten und er dennoch „ein hohes Amt in einer staatlich finanzierten Institution“ übernehme. Sie sei dazu im Austausch mit der Max Weber Stiftung.

Bildungsministerium distanziert sich „ausdrücklich“

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung kann die Kritik indes „gut nachvollziehen“. Man distanziere sich „ausdrücklich von dem jetzt bekannt gewordenen persönlichen BDS-Engagement Professor Hanssens und Boykottaufrufen gegen den Staat Israel“, sagte eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage von WELT AM SONNTAG. „Dieses ist in keiner Form akzeptabel.“ Von den Positionen Hanssens habe das Ministerium keine Kenntnis gehabt. Man erwarte, dass die BDS-Resolution für die MWS „handlungsleitend“ ist. „Dies gilt auch in diesem Fall.“

Wichtige Personalentscheidungen werden vom Stiftungsrat getroffen. In diesem sitzen neun renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie mit je einem Sitz das Auswärtige Amt und das Bildungsministerium.

Die Max Weber Stiftung verteidigt ihre Entscheidung. „Entscheidend für die Berufung von Jens Hanssen zum Direktor des Orient-Instituts Beirut war ausschließlich seine herausragende wissenschaftliche Qualifikation“, so eine Sprecherin auf Anfrage. Der Berufung liege ein mehrstufiges Verfahren zugrunde, um die hohen Ansprüche der wissenschaftlichen Qualifikation der Leitung zu prüfen. „Jens Hanssen ist ein international renommierter Experte für die Geschichte des Nahen Ostens.“

Doch auch die Stiftung gibt an, nichts von Hanssens Aussagen zu Israel gewusst zu haben. „Dass Jens Hanssen 2014 als Professor in Toronto einen Aufruf zum Boykott israelischer akademischer Institutionen namentlich unterzeichnet hat, ist erst durch Ihr Anschreiben zu unserer Kenntnis gelangt“, so die Sprecherin. Die Stiftung unterhalte enge Verbindungen mit israelischen Wissenschaftlern und Institutionen, vergebe etwa Reisebeihilfen für israelische Forscher.

Man fühle sich an den Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung gebunden und habe diese Verbindlichkeit auch mit den Direktoren der Auslandsinstitute, auch „mit Blick auf die Besonderheit der Region“, schriftlich festgehalten, sagte eine Sprecherin. „Selbstverständlich nimmt der Stiftungsrat seine Kontrollfunktion auch für das Orient-Institut Beirut sehr ernst.“

Jens Hanssen betont auf Anfrage dieser Zeitung, „nichts als Zustimmung und Aufmunterung aus Deutschland, Kanada und dem Libanon“ für seinen Ruf ans OIB erfahren zu haben. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich keiner BDS-Bewegung angehöre und es mir als Universitätsprofessor in Toronto und als Direktor des OIBs immer einzig um die Wissenschaftlichkeit geht“, schrieb Hanssen in einer E-Mail. Einen konkreten Fragenkatalog ließ er unbeantwortet.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung kündigte Gesprächsbedarf an. Man werde auf die Stiftung zugehen und die Berufung auf die Tagesordnung des Stiftungsrats setzen, erklärte die Sprecherin.