THEO VAN GOGH OPINION: AUF PUTIN WOLLEN WIR VERZICHTEN – AUF ROT CHINA NICHT !

Folge des Ukrainekriegs : Könnte sich Deutschland den Abschied vom chinesischen Markt leisten?

Hendrik Ankenbrand und Johannes Pennekamp FAZ -11.03.2022  – Weil Peking nicht mit Putin bricht, wächst in der deutschen Wirtschaft die Sorge, dass China als wichtiger Handelspartner verloren geht. Wie bedeutend ist das Land für uns wirtschaftlich?

Wenn jemand weiß, dass sich seit Beginn des Ukrainekriegs in Deutschland die Stimmung nicht nur gegen Russland gewendet hat, dann VW-Chef Herbert Diess. Europas Entsetzen darüber, dass Chinas Präsident Xi Jinping die Sanktionen gegen Moskau kritisiert, aber nicht seinen „besten Freund“ Wladimir Putin, der mit einem Atomkrieg droht, bereite ihm „große Sorgen“, sagte Diess am Mittwoch. Was „wirtschaftspolitisch und volkswirtschaftlich“ daraus folge, sollten sich Brüssel und Berlin nun auch gegen Peking stellen, sei noch gar nicht absehbar.

So ist es. Nachdem Chinas Regierung die russische Invasion in der Ukraine wochenlang nicht eine solche nennen wollte und beteuerte, man wolle mit dem „Partner“ weiter gute Geschäfte machen, hat die EU China zum virtuellen Gipfel für den 1. April einbestellt. Europa stehe „an der Schwelle zum Dritten Weltkrieg“, heißt es aus Brüssel. Entscheide sich Peking für die „Seite des Aggressors“, könne dies „schwere Schäden“ für die Wirtschaftsbeziehungen zur EU haben. Bereits jetzt seien die Folgen von Chinas Unterstützung für Putin für Unternehmen wie VW , das mit seinen chinesischen Partnern in dem Land 15 Milliarden Euro allein in die Fertigung von Elektroautos investieren will, „gewaltig“. In Europa würden die Stimmen lauter, sich nach Russland auch aus Chinas Wirtschaft zurückzuziehen.

Doch könnte sich Deutschland den Abschied vom chinesischen Markt leisten, von dem es stets heißt, die deutsche Wirtschaft sei auf ihn angewiesen? Tatsächlich ist die Abhängigkeit auf den ersten Blick gigantisch. Im vergangenen Jahr war die Volksrepublik zum sechsten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Waren im Wert von rund 245 Milliarden Euro wurden ausgetauscht, noch einmal 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Vor allem die Importe – Handys, Spielkonsolen, Bekleidung – schießen immer weiter in die Höhe und sind aus dem täglichen Leben der Deutschen nicht mehr wegzudenken. Die Volkswirtschaften beider Länder sind eng verflochten. Anders als bei Russland, das fast ausschließlich Öl und Gas nach Deutschland liefert, arbeiten vor allem Industrieunternehmen eng verzahnt.

Viele Produkte ersetzbar

Zwar ist der digitale Vorreiter China laut der Expertenkommission Forschung und Innovation bei 9 von 13 Einzeltechnologien das wichtigste Einfuhrland. Doch zugleich zeigt sich: „Die allermeisten Güter aus China könnten durch andere Güter ersetzt werden.“ Das sagt Lisandra Flach, die Außenhandelsexpertin des Münchner Ifo-Instituts. Gemeinsam mit Kollegen hat sie die Lieferketten deutscher Unternehmen daraufhin durchleuchtet, welche relevanten Produkte die Industrie nur aus einzelnen Ländern bezieht und ob sie die Produkte im Fall der Fälle auch von anderen Zulieferern bekommen könnten.

Das relativ beruhigende Ergebnis: Nur 5 Prozent aller deutschen Importe sind solche „abhängigen Güter“ – und von denen kommen wiederum nur 3 Prozent aus China, also ein Bruchteil aller Importe. „Es geht da vor allem um Chemie-, Pharma- und Metallprodukte“, sagt Flach. Als Beispiel nennt sie Magnete für den Betrieb von Kühlschränken, Mikrowellen und Computern oder „heterocyclische Verbindungen“, die unter anderem für das Schlafmittel Diazepam benötigt werden. Der allergrößte Teil der Einfuhren aus China könnte demnach aber ersetzt werden. „Das geht nicht immer kurzfristig, aber die deutsche Lieferkette ist stark diversifiziert“, so Flach.

Wichtiger als diese strategische Abhängigkeit ist der chinesische Milliardenmarkt für Unternehmen wie Volkswagen, das im vergangenen Jahr 44 Prozent seiner VW-Autos in seiner „zweiten Heimat“ China abgesetzt hat. Die deutschen Autohersteller brauchten einen Plan B, um die Abhängigkeit vom chinesischen Markt im Krisenfall kompensieren zu können, sagt Berater Jochen Siebert, der den chinesischen Automarkt seit 20 Jahren beobachtet. „Wenn China in Taiwan einmarschiert, muss die deutsche Wirtschaft ihre Koffer packen und gehen.“ Überraschenderweise sei sie dazu in der Lage: „In Wahrheit ist die Abhängigkeit der deutschen Autoindustrie von China geringer als gedacht. Kurzfristig wäre ein Rückzug vom größten Fahrzeugmarkt schmerzhaft. In 5 bis 10 Jahren könnte der Einbruch bei Umsatz und Gewinn jedoch durch andere Märkte ersetzt werden“, sagt Siebert. Selbst für VW sei „das Problem kleiner als gedacht“. Mittelfristig könne es der Konzern dem Konkurrenten Toyota gleichtun und in den USA und in Südostasien, etwa in Indonesien und Vietnam, 2 Millionen Autos mehr verkaufen und so einen Rückzug aus China ausgleichen, wo der Umsatz bereits heute schrumpfe und die Deutschen die Hälfte des Gewinns an chinesische Partner abgeben müssten.

Für Premiumhersteller wie BMW , Audi und Daimler sei ein Abschied aus China schwieriger, weil diese bereits heute den amerikanischen Markt ausgereizt hätten. „Verkauft etwa Daimler jedoch künftig weltweit weniger, aber dafür margenstärkere Autos, könnte es einen Absatzeinbruch in China ebenfalls auffangen.“ Deutsche Zulieferer würden mehr leiden und müssten von den Herstellern höhere Preise erhalten, um zu überleben. Doch weil Chinas Wirtschaft nicht mehr so stark wachse und die chinesische Konkurrenz immer besser werde, seien dort die „goldenen Zeiten für die Deutschen ohnehin vorbei.“

Selbst wenn ein durch den Ukrainekrieg schwächelndes China die Weltwirtschaft nach unten ziehe, wie Präsident Xi Jinping am Mittwoch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Telefon gewarnt hat, sei die deutsche Wirtschaft so wettbewerbsstark, dass sie den Wegfall des Umsatzes durch Exporte in andere Länder kompensieren könne, sagt Hendrik Mahlkow vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die Kieler Forscher haben ein Preisschild an einen kompletten Rückzug der EU aus China geklebt: Dieser wäre kurzfristig schmerzhaft, würde demnach aber langfristig das deutsche Bruttoinlandsprodukt nur um 1 Prozent sinken lassen.

Dabei konnte zwar nicht im Detail modelliert werden, welche Folgen ein Wegfall der Produktion deutscher Autos in China selbst hätte – die Größenordnung insgesamt scheint aber im Vergleich zu anderen Krisen überschaubar. Deutlich wachsen würde den Kieler Forschern zufolge aber die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland – um bis zu 450.000, was einem Anstieg der Arbeitslosenquote von 5,7 Prozent aus dem vergangenen Jahr auf 6,7 Prozent gleichkäme. Das wären immer noch deutlich weniger Arbeitslose als im Krisenjahr 2009.