THEO VAN GOGH NEUSTES “OVERDOSE!” : CLAUDIA R. entdeckt selbst dort überall ANTISEMITISMUS, wo keiner war und ist !
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Claudia Roth über Mendelssohn : Haarsträubend hilflos
Kommentar von Jan Brachmann FAZ – 2.11.2022 – Claudia Roth Im Mendelssohn-Saal des Leipziger Gewandhauses am 31. Oktober 2022
Felix Mendelssohn Bartholdy wird in Leipzig mit Sinn und Verstand geehrt. Nur Kulturministerin Claudia Roth verirrt sich rhetorisch ins Unredliche
Der jähe, schmerzlich frühe Tod von Felix Mendelssohn Bartholdy im Alter von nur 38 Jahren jährt sich am Freitag zum 175. Mal. Die Stadt Leipzig, wo Mendelssohn starb und zuvor zwölf Jahre lang als Gewandhauskapellmeister wie als Gründer des ersten deutschen Konservatoriums gewirkt hatte, feiert das Andenken des Komponisten und Dirigenten. Und sie feiert zugleich das erste Vierteljahrhundert, seit Mendelssohns Sterbehaus in der Goldschmidtstraße als Museum zugänglich ist. Diese Mendelssohn-Festtage, künstlerisch exzellent konzipiert von der Pianistin Elena Bashkirova, offenbaren zum einen, welch einen Schatz wir in Mendelssohns Werk und seinem, von Kurt Masur geretteten, Sterbehaus haben, sie offenbaren aber zugleich eine haarsträubende Hilflosigkeit unserer heutigen politischen Klasse, sich zu Mendelssohn verbindlich und redlich zu äußern.
Es lässt sich ja viel Gutes und Schönes über Mendelssohn sagen: dass er als einer der wenigen Deutschen Romantik und Rationalismus in ein nichtpolemisches Verhältnis zu setzen wusste; dass für ihn aufgeklärte Kultur und Religion einander nicht ausschlossen; dass er Kunstfertigkeit und Volkstümlichkeit verblüffend mühelos verband; dass seine satztechnische Präzision immer Räume für Ambivalenzen, Zwischentöne, auch Gefährdungen lässt; dass er die Professionalisierung der Musikerausbildung und die Institutionalisierung des Konzertwesens vorantrieb und damit die politische wie ökonomische Unabhängigkeit musikalischer Kunst abzusichern suchte; schließlich dass er in alledem unnachahmlich nobel blieb, wie Elena Bashkirova mit Recht betont. Nur kann man wohl in Zeiten von Inklusion, Teilhabegerechtigkeit, Klimaschutz und Umwegrentabilität damit keine Förderung der öffentlichen Hand mehr legitimieren. Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch zog es daher beim Festakt am Montag im Mendelssohn-Saal des Leipziger Gewandhauses vor, mit den Marketingparolen von der „Musikstadt Leipzig“ und Sachsen als dem „Land der Musik“ die förderliche Langzeitwirkung Mendelssohns auf den Tourismus zu würdigen. Geradlinig und ehrlich verkürzte sie also die Leistungen Mendelssohns auf deren heutige Wirtschaftlichkeit.
Dabei hatte Kurt Masur das Haus mit dem ganzen Gewicht seiner Person zu retten gesucht, ohne auf „einen marktwirtschaftlichen Bonus“ zu schielen, betonte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung in seiner Rede. Man könne heute mit Freude und Stolz durchs Mendelssohn-Haus gehen, müsse es aber auch mit Nachdenklichkeit tun. Denn die Wirkungsgeschichte Mendelssohns, der aus einer jüdischen Familie stammte, sei von der Geschichte des deutschen Antisemitismus nicht zu trennen. Jung, dem man im sachlichen Gehalt seiner Rede und der ungezwungenen Souveränität ihres Vortrags anmerkte, wie eng sein persönliches Verhältnis zu dem, worüber er sprach, ist, erzählte von Richard Wagners widerlichem Pamphlet „Das Judentum in der Musik“, in welchem den Juden als solchen und Mendelssohn im Besonderen die Fähigkeit zu künstlerischer Kreativität abgesprochen wurde. Und er erzählte vom Sturz des Mendelssohn-Denkmals durch die Nationalsozialisten am 9. November 1936, wogegen Leipzigs damaliger Bürgermeister Carl Friedrich Goerdeler mit seinem Rücktritt protestierte.
Mendelssohn-Haus, Historische Räume Video: Mendelssohn-Haus/YouTube
Nicht weniger abwertend allerdings, so Jung, sei Friedrich Nietzsches Bemerkung von Mendelssohn als „dem schönen Zwischenfall der deutschen Musik“ gewesen. In diesem klugen Schwenk seiner Rede zeigte sich das genuin ästhetische Interesse des Politikers an der Kunst jenseits aktueller Verwertbarkeit für gesellschaftliche Konsensbildung. Diese Bemerkung Nietzsches impliziere nämlich, dass Mendelssohns Komponieren künstlerisch ohne Folgen geblieben sei. Das wäre tatsächlich einmal der Einstieg zu einer Diskussion auf hohem Niveau.
Doch dann kam Claudia Roth.
Die amtierende Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland behauptete allen Ernstes, wir würden heute wahrscheinlich ohne Mendelssohn – der 1829 in Berlin die Matthäuspassion wiederaufgeführt hatte – nichts über Johann Sebastian Bach wissen. Hat die Ministerin je etwas über die schon 1802 in Leipzig erschienene Bach-Biographie von Johann Nikolaus Forkel und die ununterbrochene Wirkungsgeschichte des „Wohltemperierten Claviers“ (an dem Ludwig van Beethoven geschult worden war) gehört? Ist ihrem Redenschreiber entgangen, dass es im Berliner Bürgertum und besonders unter den aufgeklärten Juden bereits um 1770 eine intensive Pflege von Bachs geistlicher Vokalmusik gegeben hatte, wozu sich Peter Wollny, der Leiter des Bach-Archivs, am 15. Januar 2020 auch in dieser Zeitung geäußert hatte?
Und wie kann die Ministerin für Kultur behaupten, dass Mendelssohns Musik nach dessen Tod „für fast hundert Jahre aus dem Musikleben verschwand“?! Es ist ja gerade bezeichnend, dass Wagners Pamphlet für den Geschmack des Publikums, aber auch für die ästhetische Ausrichtung der Hochschulen in Leipzig wie in Berlin weitgehend wirkungslos blieb. Das deutsche Publikum – und selbst die Salon-Antisemiten darunter – liebte Mendelssohns Violinkonzert, die Italienische und Schottische Symphonie, seine Schauspielmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“, zu deren Hochzeitsmarsch landauf, landab geheiratet wurde. In deutschen Wohnzimmern sangen die Frauen das Herbstlied „Ach, wie so bald“ im Duett und in den Gesangsvereinen die Männer „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben“ im Chor. Die „Lieder ohne Worte“ für Klavier waren aus bürgerlichen Häusern nicht wegzudenken.
Immerhin beauftragte Preußens König Wilhelm I. den Geiger und Mendelssohn-Protegé Joseph Joachim, ebenfalls aus jüdischer Familie stammend, 1869 mit der Gründung der ersten Musikhochschule Preußens in Berlin, quasi in apostolischer Sukzession zu Mendelssohn in Leipzig; an Mendelssohns Sterbehaus wurde 1871 eine Gedenkplakette angebracht, vor dem Gewandhaus 1892 ein Mendelssohn-Denkmal errichtet. Das Leipziger Konservatorium stand mit den Professoren Carl Reinecke und Salomon Jadassohn bis an die Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert ästhetisch ganz und gar in der Mendelssohn-Nachfolge.
Mendelssohn-Haus, Moderne Räume Video: Mendelssohn-Haus/YouTube
Die Liebe des großen Publikums wie der ausübenden Künstler zu Mendelssohn hielt sich bis 1933 und schuf sich nach 1945 bald wieder eine Öffentlichkeit. Und während in der Bundesrepublik Altnazis wie der Musikwissenschaftler Hans Schnoor weitersudeln durften, dass Mendelssohns Musik glatt und ohne tiefe Empfindung sei, wurde sie in der DDR Schulstoff und das solistische Vorsingen des Liedes „Leise zieht durch mein Gemüt“ zu einer benotungsfähigen Leistung im Musikunterricht der Mittelstufe.
Doch nicht nur überschätzte Claudia Roth in ihrer Rede den Einfluss der wagnerschen Schmähschrift auf hundert Jahre deutschen Musiklebens – sie rechtfertigte auch noch Wagner auf abenteuerliche Weise: „Nicht Wagners Musik ist antisemitisch; sie ist es so wenig, wie Mendelssohns Musik glatt ist.“ Nun sind „antisemitisch“ und „glatt“ zwei Kategorien, die für einen Vergleich schwer taugen. Das Glatte steht rein innerästhetisch für Schlüssigkeit oder Vollendung und war noch für Goethe und Schiller ein Qualitätsmerkmal der Kunst, worauf Peter Gülke 2017 verwiesen hatte in seinem Buch „Felix Mendelssohn Bartholdy. ,Der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut‘“. Dass nach der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts dem Grellen und Charakteristischen der Vorzug gegenüber dem Glatten gegeben wurde, hatte auch damit zu tun, dass – so Gülke – „einsickernde Warenästhetik“ sich „auf rasch erkennbare Markenzeichen“ orientierte. Warum Claudia Roth sich dem abwertenden Gebrauch des Wortes anschließt, begründete sie in ihrer Rede nicht.
Wenn Wagners Musik allerdings nicht antisemitisch sein könne, dann wäre auch zu fragen, wie Mendelssohns Musik, was Claudia Roth behauptet, ein Zeugnis seiner tiefen humanistischen Bildung sein kann. Entweder ist Musik „nur Musik“, also klingendes Spiel einer sich selbst gehorchenden Kunstfertigkeit und Sinnfälligkeit – oder aber sie ist darüber hinaus auch noch welthaltig durch Kontexte, auf die sie sich bezieht und für die sie ihre eigenen, diskutierbaren Zeichensysteme entwickelt hat. Wenn es, wie oft behauptet, „kein antisemitisches C-Dur“ in Richard Wagners „Meistersinger“-Vorspiel gibt, kann es auch kein erotisches Es-Dur in Mozarts Bläserserenaden oder kein humanistisches B-Dur in Mendelssohns „Lobgesang“ geben. Claudia Roth aber verteilt die Attribute der Welthaltigkeit von Kunst, wie es ihr politisch liebsam erscheint.