THEO VAN GOGH NEUSTES: Norwegens Fischerei-Kooperation mit Russland in der Arktis – ein Einfallstor für hybride russische Spionage?

Die gemeinsame norwegisch-russische Bewirtschaftung der Barentssee hat sich als Erfolgsmodell für nachhaltige Fischerei erwiesen. Deshalb will Norwegen trotz den Russland-Sanktionen nicht von ihr lassen. Doch das droht zu einem Sicherheitsrisiko zu werden.Rudolf Hermann10.10.2022, 05.30 Uhr NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Russische Trawler in Kirkenes im äussersten Nordosten Norwegens in einem der drei Häfen, die russische Fischerboote in Zukunft noch anlaufen dürfen.

Sortland, ein Hafenstädtchen auf der Inselgruppe Vesteralen, hoch im norwegischen Norden. Dass hier ein Trawler am Kai liegt und seinen Fang anlandet: nichts Aussergewöhnliches. Die Barentssee mit ihren reichen Fischgründen liegt praktisch vor der Haustür. Auch dass es ein russischer Trawler ist, fällt nicht aus dem Rahmen. Denn mit Russland hat Norwegen seit bald fünfzig Jahren ein Fischereiabkommen über die Bewirtschaftung der Barentssee.

Die Kooperation war ein durchschlagender Erfolg; sie hat bewirkt, dass die früher von Überfischung bedrohten Dorschbestände sich gut erholt haben. Im Rahmen der Zusammenarbeit können russische Fischer ihren Fang in Norwegen zu Sonderkonditionen absetzen. Damit helfen sie mit, Infrastruktur entlang der norwegischen Küste zu erhalten.

«Wir bitten den Fuchs direkt in den Hühnerstall»

Doch nach den Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee und nach dem Auftauchen unidentifizierter Drohnen in der Nähe von Erdölinstallationen auf dem norwegischen Kontinentalsockel fragen sich manche in Norwegen, ob es eine gute Idee sei, russischen Fischerbooten weiter uneingeschränkten Zutritt zu norwegischen Häfen und Küstenzonen zu geben. Denn vielleicht haben die Boote noch andere Aufträge, als Fische zu fangen.

Auch in Sortland gibt es solche Sorgen. Dort hat die norwegische Küstenwache gleich neben dem Fischereihafen ihr Hauptquartier. Russische Schiffe hier anlegen zu lassen, sei etwa so, wie dem Fuchs nicht bloss die Tür zum Hühnerstall zu öffnen, sondern ihn zu bitten, sich doch gleich zu den Hühnern zu setzen, kritisierte eine Parlamentsabgeordnete aus der Region.

Vertreter der Opposition verlangten in den letzten Tagen von der Regierung eine Straffung der Sanktionen gegen Russland, wie Medien berichteten. Norwegen trägt zwar generell die Politik der EU mit und hat auch seine Häfen für die meisten russischen Schiffe gesperrt. Nicht aber für die Fischerboote.

Begründet wird dies mit der Existenz des Fischereiabkommens. Es gehe dabei nicht um ökonomische Interessen, sondern um die Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung der Barentssee, hiess es dazu unlängst aus dem zuständigen norwegischen Ministerium.

Das allerdings klingt etwas gar scheinheilig. Denn wenn sich auch das Abkommen für den Schutz der Bestände als wichtiges Instrument erwiesen hat, so hat Oslo zweifellos jedes Interesse daran, Fischerei und Seefahrt als wirtschaftlich wichtige Standbeine des dünnbesiedelten Nordens zu fördern.

Das «Kabelmysterium» – ein Warnsignal

Angesichts der Zuspitzung der Sicherheitslage in Europa nach den Nord-Stream-Lecks ist es für die Regierung allerdings schwieriger geworden, sich weiter hinter der bisherigen Argumentation zu verstecken. Denn nun rückt eine Branche in den Fokus hybrider Bedrohungen, die für das Land noch wichtiger ist als die Fischerei – die Petroleum-Industrie.

Norwegen habe zwar viel unternommen, um deren Installationen betriebssicher zu machen, aber deutlich zu wenig, um sie gegen Bedrohungen wie Sabotage zu schützen, schrieb ein Sicherheitsexperte unlängst in der Zeitung «Aftenposten». Ina Holst-Pedersen Kvam, eine Analytikerin der norwegischen Marineakademie, bezeichnete auf dem Fernsehkanal NRK den russischen Schiffsverkehr in norwegischen Häfen als «Achillesferse der Sicherheit» und ein «Geschenk an solche, die es nicht gut meinen mit Norwegen». Die Küstenwache zum Beispiel sieht sie als wichtiges Ziel für den russischen Nachrichtendienst.

NRK-Journalisten waren im Sommer einer Sache nachgegangen, die sie das «Kabelmysterium» nennen. Es geht um zwei Vorfälle von April 2021 und Januar 2022, als Kabelverbindungen zu einem Meeresobservatorium vor Vesteralen und ein Datenkabel von Spitzbergen zum norwegischen Festland plötzlich durchtrennt wurden. Ohne definitive Schlüsse ziehen zu können, hielt der Sender fest, dass sich in beiden Fällen drei russische Fischerboote zum Zeitpunkt der Ereignisse vor Ort befunden hätten.

Ob diese drei Schiffe tatsächlich Akteure des «Kabelmysteriums» waren, lässt sich kaum eruieren. Allerdings könnten sie nach der geltenden Doktrin Russlands durchaus für solche Zwecke eingespannt werden. Wie die Internetpublikation «Barents Observer» im Frühjahr berichtete, hat Moskau explizit einer «Militarisierung» von Einheiten der Fischerei- und Eisbrecherflotte zugestimmt. Das sei nötig, um auf die «Sanktionen und den hybriden Krieg des Westens gegen Russland» reagieren zu können, wurde der damalige russische Vizeministerpräsident Juri Borisow zitiert.

Regierung verschärft die Regeln

Dass die norwegische Regierung trotz solch offenen Worten am Zugang russischer Fischerboote zu norwegischen Häfen festhält, mag da erstaunen. Natürlich lassen sich Sicherheitsorgane und Nachrichtendienst nicht in die Karten blicken, was sie alles wissen. Und immerhin wurde das russische Forschungsschiff «Akademik B. Petrow» vom norwegischen Militär, das darin ein Spionageschiff sieht, dieser Tage bei seiner Reise entlang der norwegischen Küste unter scharfer Beobachtung gehalten. Auch die Präsenz von Militär und Polizei im Umkreis wichtiger Industrieanlagen ist deutlich verstärkt worden.

Zudem verschärfte die Regierung unter dem Druck der jüngsten Ereignisse die Regeln, wo russische Fischerboote ihren Fang in Norwegen anlanden dürfen. Nur noch drei Häfen an der Barents-Küste werden dafür offen sein, nämlich Tromsö, Batsfjord und Kirkenes. Ausserdem sollen die Kontrollen durch Zoll und Polizei verstärkt werden. Die Regierung erklärte, damit trage sie der «veränderten Lage nach der Nord-Stream-Sabotage» Rechnung.