THEO VAN GOGH NEU: NANCYS REISE NACH TAIWAN / VORBEREITUNGEN DES NÄCHSTEN GROSS-KONFLIKTS

Pelosi in Taiwan erwartet : China verstärkt militärische Aktivitäten in der Taiwan-Straße

Peking FAZ -2.8.2022- Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses wird in Taipeh erwartet. Die amerikanische Regierung fürchtet, dass China den militärischen Druck auf Taiwan erhöhen könnte – es stiegen bereits Kampfflugzeuge auf.

Wenige Stunden vor dem erwarteten Eintreffen von Nancy Pelosi in Taipeh hat China seine militärischen Aktivitäten in der Taiwan-Straße verstärkt. Die „Sprecherin“ des amerikanischen Repräsentantenhauses wird am frühen Nachmittag deutscher Zeit in der taiwanischen Hauptstadt erwartet. Ein Treffen mit Präsidentin Tsai Ing-wen ist nach Informationen der Zeitung „Financial Times“ für Mittwoch geplant. Laut der Nachrichtenagentur Reuters flogen mehrere chinesische Militärflugzeuge am Dienstag sehr nah an die inoffizielle Mittellinie, die die Taiwan-Straße als eine Art Puffer in der Mitte teilt. Die Agentur zitierte eine nicht näher identifizierte Quelle, die das chinesische Vorgehen als „sehr provokativ“ beschrieb. Die Flugzeuge hätten im Rahmen von taktischen Manövern mehrfach die Mittellinie „berührt“. China hat die Mitteilline zwar als „nicht existent“ beschrieben, sein Militär hat sie aber bis 2019 zwanzig Jahre lang nicht gezielt überflogen und tut dies noch immer selten. Die „Financial Times“ berichtete, Einheiten des Südkommandos des chinesischen Militärs seien in erhöhte Einsatzbereitschaft versetzt worden. Die Zeitung berief sich auf Verteidigungspolitiker von Nachbarländern Chinas.

Das taiwanische Militär hat unterdessen seine Kampfbereitschaft erhöht. Wie die Nachrichtenagentur CNA unter Berufung auf eine Quelle berichtete, erfolgte der Befehl als Reaktion auf die Bedrohung durch die chinesische Volksbefreiungsarmee und deren Manöver. Die erhöhte Bereitschaft sei bis Donnerstagmittag angeordnet worden. Es handele sich in dem zweistufigen Alarmsystem aber noch nicht um eine Einstufung für den „Ernstfall“, sondern weiter um eine „normale Einsatzbereitschaft“.

Zuvor hatte die amerikanische Regierung sich erstmals öffentlich dazu geäußert, mit welchen militärischen Schritten Pekings sie als Reaktion auf den Besuch Pelosis rechnet. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats in Washington John Kirby hatte das Überqueren der Mittellinie durch Militärflugzeuge und -schiffe ebenso genannt wie das Abfeuern von Raketen in der Taiwan-Straße. Zudem rechnet Washington mit öffentlichkeitswirksamen Militärübungen. Das chinesische Militär hat für die Zeit von Mittwoch bis Samstag neue Militärübungen angekündigt und zu diesem Zweck mehrere Seegebiete im Südchinesischen Meer für die Schifffahrt gesperrt. Die Ankündigung wurde von Staats- und Parteimedien prominent verbreitet, was die Erwartung nährt, dass das Land eine Demonstration der Stärke plant. Kirbys Liste der möglichen Szenarien enthielt keine der extremen Optionen, die nationalistische Blogger in China ins Gespräch gebracht hatten, darunter die Entsendung chinesischer Kampfflugzeuge, die Pelosis Flugzeug beobachten, abfangen oder gar abschießen könnten. Eine derartige Eskalation dürfte kaum in Pekings Interesse sein.

Die amerikanische Regierung bemühte sich, die Bedeutung der Reise Pelosis herunterzuspielen. Sowohl Außenminister Antony Blinken als auch der Sicherheitsratssprecher Kirby hoben hervor, dass Kongressmitglieder regelmäßig nach Taiwan reisten, „auch in diesem Jahr“. Zudem sei Pelosi nicht die erste „Sprecherin“ des Repräsentantenhauses, die Taiwan besucht. Das hatte vor ihr schon der Republikaner Newt Gingrich getan, vor 25 Jahren.

Pelosis Entscheidung wohl unabhängig vom Weißen Haus

„Wenn China versucht, eine Art von Krise herbeizuführen oder in anderer Weise Spannungen zu eskalieren, wäre das allein Pekings Verantwortung“, sagte Blinken. Es gebe „keinen Grund für Peking“, den Besuch als „Vorwand zu nutzen, um aggressive militärische Aktivitäten in und um die Taiwan-Straße zu verstärken“, sagte Kirby.

Blinken und Kirby waren bemüht, Präsident Joe Biden aus der Schusslinie zu nehmen. Pelosi habe ihre Entscheidung zu der Reise unabhängig vom Weißen Haus getroffen. Biden und sie hätten zu dieser Frage nicht direkt miteinander gesprochen. Biden hatte sich zuvor von Pelosis Plänen distanziert, indem er gesagt hatte, das amerikanische Militär halte eine solche Reise „jetzt gerade nicht für eine gute Idee“.

In Peking wittert man dennoch eine Absprache unter Parteifreunden und sieht die Reise als einen weiteren Schritt der Annäherung zwischen Washington und Taipeh. Peking unterstellt der Biden-Regierung, dass sie längerfristig auf eine Unabhängigkeit Taiwans hinarbeiten könnte mit dem Ziel, die geostrategische Lage Taiwans zu nutzen, um Chinas Aufstieg einzudämmen. Sicherheitsratssprecher Kirby sagte vor diesem Hintergrund: „Wir haben gesagt, dass wir eine Unabhängigkeit Taiwans nicht unterstützen“. Das habe Präsident Biden dem chinesischen Staatschef Xi Jinping in deren Telefonat vergangene Woche mitgeteilt.

Nancy Pelosi auf Asien-Reise : China warnt USA vor Taiwan Besuch

Auch auf anderen Ebenen sei dies zuletzt immer wieder klar kommuniziert worden, etwa durch den Nationalen Sicherheitsberater, den Außen- und den Verteidigungsminister sowie durch den Generalstabschef. An der amerikanischen Ein-China-Politik habe sich nichts geändert. Biden hatte allerdings Zweifel in Peking genährt, indem er dreimal gesagt hatte, Amerika werde im Fall eines chinesischen Angriffs auf Taiwan militärisch intervenieren. Das schien eine Abkehr von der etablierten Politik der „strategischen Mehrdeutigkeit“ zu sein, die auch mit dem Ziel geschaffen wurde, Taiwan von einer Unabhängigkeit abzuschrecken. Auch hatten Taiwan und Amerika aus Gründen der Abschreckung mit der früheren Praxis gebrochen, die Präsenz einer kleinen Anzahl amerikanischer Soldaten in Taiwan nicht öffentlich zu bestätigen.

Peking fürchtet unter anderem, dass das Beispiel Pelosis Schule machen könnte und dass auch andere Länder künftig ranghöhere Delegationen nach Taipeh entsenden könnten. Aus Chinas Sicht könnte das langfristig dazu führen, dass Taiwan von mehr Ländern als souveräner Staat anerkannt wird. Derzeit tun das nur 13 Länder und der Vatikan.

In Taiwan gibt es Befürchtungen, dass die amerikanische Regierung China Zugeständnisse machen könnte, um seinen Zorn über den Pelosi-Besuch zu dämpfen. „Ich würde denken, dass die taiwanische Regierung fürchtet, dass die Biden-Regierung als Ausgleich Waffenverkäufe an Taiwan in Quantität und Qualität reduzieren könnte“, sagte der Militärfachmann Shih Chien-Yu vom Institute for National Defense and Security Research der F.A.Z. Die Denkfabrik ist dem taiwanischen Verteidigungsministerium unterstellt.

Welche Rolle spielt der bevorstehende Parteitag?

Shih geht davon aus, dass Chinas Staatschef Xi Jinping gerade in dieser Zeit vor dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei im Herbst Stärke demonstrieren muss. Andernfalls könnte er unter Druck geraten, neu zu besetzende Posten im Politbüro von andere Fraktionen der Partei abgeben zu müssen. Auch Shih glaubt, dass Peking Pelosis Besuch als „Verschwörung“ betrachtet und als Versuch der Vereinigten Staaten, den Status Taiwans neu zu definieren.

Eine Krise um Taiwan hatte es zuletzt in den Jahren 1995 und 1996 vor der ersten demokratischen Präsidentenwahl in Taiwan gegeben. China ging davon aus, dass Amtsinhaber Lee Teng-hui, der sich um eine Wiederwahl bewarb, eine Unabhängigkeit Taiwans anstrebte und dass Washington ihn davon nicht abgehalten habe. Lees Amerikabesuch im Jahr 1995 ließ in Peking die Alarmglocken schrillen. Um Taiwans Wähler einzuschüchtern, feuerte es Raketen in der Taiwan-Straße ab, bewirkte damit aber das Gegenteil: Lee wurde wiedergewählt.

Die Vereinigten Staaten entsandten zwei Flugzeugträgerkampfverbände in die Region. Peking hatte dem nichts entgegenzusetzen. Diese Demütigung hatte allerdings weitreichende Konsequenzen. Sie bewirkte eine massive Aufrüstung der chinesischen Marine. Nach Anzahl der Kriegsschiffe hat China die Vereinigten Staaten inzwischen überrundet. Bei den Flugzeugträgern holt es auf, kürzlich lief der dritte chinesische Flugzeugträger vom Stapel. Drei weitere sind derzeit in Planung