THEO VAN GOGH KLARE ERGEBNISSE & PERSPEKTIVEN: USA LÖSEN RUSSLAND AB (IT DEUTLICHER VERTEUERUNG)!

„Genau darauf dürfte die Zukunft hinauslaufen: dass die USA den größten Teil des russischen Gases ersetzen werden. Das ergibt eine noch unveröffentlichte Studie des Gasverbands Zukunft Gas gemeinsam mit dem Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln (EWI).“

Gasversorgung der Zukunft : Die große Energie-Drift von Ost nach West – Christian Geinitz FAZ 22.08.2022

Russlands Gaslieferungen sinken weiter. Schon jetzt steht ein anderes Land an der Spitze der deutschen Lieferanten. So könnte Europas Gasversorgung im Jahr 2030 aussehen.

ie Landkarte zu den deutschen Gasimporten ändert sich rasant. Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine und vor der Drosselung der Gasflüsse durch Moskau war Russland der mit Abstand wichtigste Lieferant. Noch im Monat des Angriffs, im Februar, stammten 37 Prozent des in der Bundesrepublik verbrauchten Erdgases – einschließlich inländischer Förderung – von dort. An zweiter Stelle rangierte Norwegen mit 28 vor den Niederlanden mit 20 Prozent. Ein Jahr zuvor hatte Russland das Geschehen mit 54 Prozent sogar noch stärker dominiert.

Inzwischen ist alles anders. Der Kreml hat von sich aus die Zuflüsse über Nord Stream 1 zunächst auf 40 und dann auf 20 Prozent der Kapazität gedrosselt. Demnächst will man den Hahn wieder ganz zudrehen. Angeblich wegen einer neuerlichen Wartung, aber die Bundesregierung fürchtet, dass danach gar kein Gas mehr fließt. Bis zum Juni ist der russische Anteil am Gasverbrauch bereits auf 26 Prozent gefallen, im Juli waren es nur 10 Prozent, jetzt sind es gerade noch 9,5 Prozent.

Der Juni war gemäß Zahlen des Energieverbands BDEW auch der erste Monat, in dem die Russen ihre Spitzenposition abgaben, und zwar an Norwegen. Inzwischen liefern die Skandinavier 38 Prozent des deutschen Bedarfs, also viermal so viel wie die Russen. Selbst die Niederlande bringen es mit 24 Prozent auf den zweieinhalbfachen Gazprom-Anteil.

Und wie sieht die Zukunft aus? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat angekündigt, Deutschland bis Sommer 2024 weitgehend unabhängig von russischem Gas zu machen. Damit das gelingt, werden derzeit an der Nordseeküste Terminals und Rohranbindungen für Flüssiggas (LNG) gebaut. Die ersten Anlagen sollen bis zum Jahresende fertig sein. Um das zu schaffen, gibt es ein eigenes Beschleunigungsgesetz.

Gleichzeitig ist Habeck in der Welt herumgereist, um neue Quellen aufzutun, unter anderem in Qatar. Derzeit sind er und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Kanada, einem der aussichtsreichsten LNG-Lieferanten. Allerdings fehlen diesem Land die Terminals auf der Atlantikseite, sodass die Bundesrepublik nur indirekt von dem großen Flüssiggasaufkommen profitieren kann: indem Ottawa in die benachbarten Vereinigten Staaten liefert und diese dann Deutschland versorgen.

Genau darauf dürfte die Zukunft hinauslaufen: dass die USA den größten Teil des russischen Gases ersetzen werden. Das ergibt eine noch unveröffentlichte Studie des Gasverbands Zukunft Gas gemeinsam mit dem Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln (EWI). Das Papier untersucht die gegenwärtigen und künftigen Gasimporte der EU und kommt zu dem Schluss, dass die USA 2030 rund 170 Milliarden Kubikmeter Richtung Europa verschiffen werden. Und zwar deshalb, wie der Verband schreibt, „da nur sie in der Lage sind, ihre LNG-Exportkapazitäten in nennenswertem Umfang auszubauen“.

Qatar könnte drittwichtigster Lieferant werden

2021 lieferten die USA nicht einmal 20 Milliarden Kubikmeter. Der erwartete Wert für 2030 ist höher als die jetzigen russischen Lieferungen, die dann längst null betragen werden. Norwegen dürfte auf dem zweiten Platz der wichtigsten europäischen Gaslieferanten verbleiben, aber etwas weniger als die bisherigen 120 Milliarden Kubikmeter beisteuern. An die dritte Stelle könnte sich, mit großem Abstand, Qatar mit annähernd 40 Milliarden schieben. Die Bedeutung Afrikas dürfte sinken, die anderer Förderstaaten zunehmen.

„Europa wird auch in Zukunft weiterhin Gas aus anderen Regionen importieren müssen“, stellt der Chef des Gasverbands, Timm Kehler, klar. „Um sich nicht von einem Energielieferanten abhängig zu machen, ist es daher besonders wichtig, auf verschiedene Bezugsquellen zu setzen.“ Für viele potentielle Exportländer sei die Ausweitung mit hohen Investitionen verbunden, die es mit langfristigen Lieferbeziehungen abzusichern gelte.

„Diese Langfristigkeit wäre auch für die deutsche Wirtschaft und die deutsche Klimapolitik wichtig“, so Kehler. „Denn Teil dieser langfristigen Lieferbeziehung wird die Transformation von der heutigen Erdgaswirtschaft in eine Wasserstoffwirtschaft sein.“ Genau das sieht die künftige Wasserstoffpartnerschaft mit Kanada vor. Auch die deutschen LNG-Terminals werden für spätere Zeiten auf Wasserstoff ausgelegt.

Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) sieht die Notwendigkeit der Diversifikation. „Parallel dazu muss der Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft erfolgen“, sagt der Verbandsvorsitzende Gerald Linke. Kanada könne ein zentrales Bezugsland werden. Wichtig sei, die Gasinfrastruktur zur Speicherung, zum Transport und zur Verteilung von Wasserstoff umzustellen.

„Konkret benötigen wir europaweit einheitliche Vorgaben zur Entflechtung der Netze sowie die regulatorische Anerkennung der Kosten für die Ertüchtigung der Gasverteilnetze zur Nutzung von 100 Prozent Wasserstoff“, so Linke. Der Bau der LNG-Terminals sei richtig, reiche aber nicht: „Darüber hinaus muss auch ein ambitionierter Hochlauf von Biomethan organisiert werden, weil mit einer Erhöhung der Einspeisung von Biogas in die Gasnetze eine potentielle Gasmangellage zusätzlich kompensiert werden kann.“