THEO VAN GOGH: GASSPEICHER VOLL/GASHÄNDLER WISSE NICHT WOHIN MIT DER WARE! – Gaspreisbremse würde laut Studie auch Wohlhabende stark entlasten
Alexander Preker – DER SPIEGEL 4-11-22
Die Regierung will den inflationsgeplagten Deutschen zielgerichtet helfen. Bei der geplanten Gaspreisbremse klappt das offenbar nur bedingt, wie Wissenschaftler des IW Köln nun simuliert haben.
Ab Frühjahr will die Regierung mit der geplanten Gaspreisbremse die stark gestiegenen Energiekosten der Deutschen abfedern. Das Instrument würde dabei Schätzungen des IW Köln zufolge in beträchtlichem Umfang Mittelschicht und Besserverdienern zugute kommen.
Arme Haushalte und untere Mittelschicht würden zwar gemessen an ihren Einkommen prozentual am stärksten entlastet. Doch in absoluten Zahlen würden etwa drei Viertel der benötigten Milliarden an die darüber liegenden Einkommensgruppen fließen. Davon gehen die Ökonomen in einer Studie im Auftrag der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft aus.
Da die Ausgestaltung der Gaspreisbremse noch nicht feststeht und auch die Gaspreise sich im Laufe des kommenden Jahres noch ändern werden, beruhen die Berechnungen auf Annahmen. Anhand eines Beispiels wurde erechnet, welche Verteilungswirkung die Gaspreisbremse in diesem Jahr haben würde, wenn es diese schon gäbe.
Für einen Grundverbrauch bis 8000 Kilowattstunden Gas im Jahr unterstellten die Wissenschaftler dafür einen gedeckelten Preis von 7,5 Cent je Kilowattstunde, darüber hinaus einen durchschnittlichen Marktpreis von 15,2 Cent. Laut Simulationsrechnung des IW würde eine Gaspreisbremse unter den genannten Annahmen Kosten von 11,7 Milliarden Euro verursachen – wovon knapp 2,9 Milliarden an arme Haushalte und untere Mittelschicht fließen würden.
In Relation zum durchschnittlichen Haushaltseinkommen wäre die Entlastung der unteren Einkommensschichten laut IW Köln dennoch höher. Haushalte der oberen Mittelschicht würden im Schnitt um ein halbes Prozent ihres Nettoeinkommens entlastet, armutsgefährdete Haushalte dagegen um etwas mehr als ein Prozent.
Unternehmen wegen hoher Preise international nicht konkurrenzfähig
Im kommenden Jahr werden die tatsächlichen Gaspreise für die allermeisten Haushalte allerdings über den angenommenen 15,2 Cent liegen. Nach den derzeitigen Plänen der Bundesregierung für die Gaspreisbremse sollen private Haushalte für 80 Prozent ihres bisherigen Verbrauchs einen garantierten Gas-Bruttopreis von 12 Cent pro Kilowattstunde zahlen. Die Studienautoren merken außerdem an, dass die Gaspreisbremse mit einer «deutlichen Minderung der Energiesparanreize» einhergehen dürfte.
Abgesehen von den Auswirkungen verschiedener Entlastungsmaßnahmen für die Bürger hat das Institut auch die Folgen des rasanten Energiekostenanstiegs für die Industrie geschätzt. Für das Verarbeitende Gewerbe könnten die gestiegenen Preise in diesem Jahr Mehrkosten von 60 Milliarden Euro bedeuten, heißt es in dem Papier – unter der Annahme, dass die Unternehmen Energieverbrauch und Produktion nicht einschränken.
Die Wissenschaftler sehen aber Anzeichen, dass viele Unternehmen ihre Produktion bereits gekürzt haben. »Angesichts der hohen Preise sind die Produktionskosten so stark gestiegen, dass hiesige Unternehmen im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig anbieten können«, schreiben die Autoren.
Wie sich die Gaspreise im Winter genau entwickeln hängt auch vom Wetter ab. Das hat zuletzt immerhin dafür gesorgt, dass weniger Gas verheizt wurde und mehr eingespeichert werden konnte. Die deutschen Speicher sind mittlerweile zu deutlich über 99 Prozent gefüllt. Die gespeicherte Gasmenge reicht theoretisch für zwei Wintermonate.
Laut Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool gehen Gashändler aber weiterhin von einem sehr teuren Winter mit Großhandelspreisen zwischen 10 und 15 Cent je Kilowattstunde aus. »Da die Speicher voll sind und der Verbrauch noch nicht hoch, weiß der Markt ganz kurzfristig ironischerweise nicht, wohin mit dem Gas. Gleichzeitig ist allen klar, dass es bald kalt und knapp wird.«